Gestern Abend habe ich auf eindringliche Empfehlung von Shelly, der hier 18 Stunden am Tag die Pension managt und sich sehr um seine Gäste kümmert, die grandiose Show Liu Sanjie gesehen. Das Spektakel zieht jeden Abend Tausende an und beschäftigt sicher Hunderte. Vor der Kulisse der beleuchteten Karstberge gleiten beleuchtete Flosse vorbei, auf denen die Ruderer Volkslieder singen. Liebesgeschichten, Abschied und Wiederkehr, Mythologisches; alles sehr aufwändig und schön inszeniert, jede Szene in eine andere Farbe getaucht. Das Publikum hat zum Klatschen keine Hände frei, weil fast alle die Show auf ihrem Handy aufnehmen.
An den Verkehr hier gewöhne ich mich langsam. Eigentlich sind die Verkehrsteilnehmenden – wenigstens hier in der Provinzstadt – eher zurückhaltend, die Strassen sind zwar überfüllt mit Gefährten jeglicher Art, aber man schlängelt sich aneinander vorbei. Die stärksten haben Vortritt, unter den gleich starken haben die schnelleren Vortritt. Die Hupe ersetzt Blinker, Rückspiegel und meist auch Bremse. Wenn ich mit dem Velo einen anderen Velofahrer überholen möchte und niemand hupt, kann ich also relativ sicher sein, dass auf der Spur, auf der ich überholen möchte, niemand kommt. Allerdings kommt es selten vor, dass von nirgendwo eine Hupe ertönt, man befindet sich in der Stadt eigentlich immer in einem ohrenbetäubenden Lärm. Für mich mit meinen ungeübten Ohren ist es schwierig zu lokalisieren, von wo der Hupton genau kommt und auch schwierig zu verinnerlichen, warum fast jeder, der mich überholt, auch noch hupt.
Es kommen alle Sinne zum Zug, die Strassen sind staubig und sandig, es wirbelt ständig Sand und Dreck durch die Luft. Die Lastwagen und Busse stossen schwarze Abgaswolken aus. Die Partikel vermischen sich in der subtropischen feucht-warmen Luft mit dem Schweiss, kleben am Körper und machen nach jeder Fahrt eine längere Dusche unabdingbar. (Wobei ich hier in meiner Pension sehr privilegiert bin, in vielen Häusern, an denen ich vorbeikomme, gibt es keine fliessendes Wasser, das Wasser für Körperpflege und Küche wird aus einem Brunnen im Hof hinaufgepumpt, die Wäsche wird am Fluss gewaschen).
Velo fahren ärmere Leute, in Yangshuo auch Touristen. Autos die reicheren. Dann gibt es die Handwerker und Händler mit ihren Kleinlastwagen oder Dreiradfahrzeugen auf Motorrad- oder Velobasis. Zwischenhinein ein Ochsenkarren. Als Familienfahrzeug sind die Elektroroller am verbreitetsten. Häufig sieht man Familien zu dritt oder Mütter oder Väter mit ihnen durch die Stadt fahren, das Baby auf dem Arm, die Zwei- bis Vierjährigen vorne über die Lenkstange gebeugt auf dem Schoss sitzend oder auf dem Bodenbrett stehend. Ältere Kinder sitzen auf dem Sozius oder zwischen den Eltern in der Mitte der Sitzbank. Man fährt nicht allzu schnell, aber sehr dicht hinter- und nebeneinander. Sich nur kurz nicht zu konzentrieren ist nicht möglich. Ich bewundere die Mütter, die gleichzeitig ihr auf dem Roller mitfahrendes Kleinkind beruhigen, zwei Velos überholen, vor einem Lastwagen der entgegenkommt und einem Bus der sich rückwärts in den Verkehr einfädelt ausweichen und überhaupt nicht gestresst wirken.
Nach einer halben Stunde ist dann die Stadt durchquert, ich fahre jetzt dem Yulong entlang, einem schmalen Zufluss des Li. Er ist nur für Bambusflosse befahrbar und eine Flossfahrt gehört zweitens ins touristische Pflichtprogramm und ist erstens vor allem am Morgen sehr schön, wenn es noch etwas ruhiger ist. Ein Flossfahrer lädt mein Velo auf sein Bambusfloss und fährt während etwa einer Stunde über einige kleine Schwellen den Yulong hinunter.
Ein schöner Abschluss dieser ersten Urlaubsphase. Morgen fliege ich nach Guangzhou, wo ich die Studienreiseteilnehmenden der PH treffe. Meine „Academic Lecture“ an der South China Normal University zum Thema Lehrpersonenbildung in der Schweiz habe ich heute Nachmittag in etwa zusammengestellt.
Ich bin froh, habe ich mir die Zeit genommen, relativ langsam nach Ostasien zu reisen. Ich könnte noch länger in diesem Reisemodus bleiben; vieles aufnehmen, auf mich wirken lassen, mir Zeit nehmen.
Aber ich freue mich auch darauf, mich stärker auf Schulen und Lehrpersonenbildung zu fokussieren. Ich werde aber offen bleiben für anderes am Wegrand. Und weiter Blogbeiträge darüber schreiben. Vermutlich aber nicht mehr täglich.