Auch in Hong Kong: ePortfolios

Christina bringt mich auch auf den neusten Stand bezüglich Arbeit mit ePortfolios. Sie zeigt mir verschiedenste, leider nicht öffentlich zugängliche Beispiele und erläutert mir, wie man hier in Hong Kong bei der Einführung vorgegangen ist.

Nach eingehendem Studium von Literatur , Interviews mit Expertinnen und Experten (Helen Barrett und Diane Mayer) , der Teilnahme an entsprechenden Kongressen und einem Pilotstudiengang hat man sich für die flächendeckende Einführung von ePortfolios entschieden. Von Seiten der Studierenden gab es keinerlei Widerstände, bei den Dozierenden sei der Widerstand auch eher klein gewesen, weil man ja wirklich „Evidence“ habe, dass ePortfolios wirksam seien.
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Man ist jetzt daran, ePortfolios in sämtlichen Studiengängen einzuführen.
  • Christina muss mich auch hier nicht überzeugen. Die Vorteile von ePortfolios sind offensichtlich.
  • Die Studierenden stellen nicht nur für sich selbst ein Portfolio zusammen, sondern üben damit Zusammenarbeit. Das ePortfolio entsteht über drei Jahre und wird mit Peers, Dozierenden, „Critical Friends“ diskutiert.
  • Studierende üben damit auch die Arbeit mit „Personal Learning Environments“ bzw. Personal Learning Networks“, also das Sammeln, Organisieren, Reflektieren, Miteinander-Austauschen, Publizieren bzw. Kuratieren usw. von Materialien. Eine Fähigkeit, die heute für Lehrpersonen unabdingbar ist.
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Bild: Tektab
  • Der rote Faden durch das Studium wird deutlich, weil im ePortfolio verschiedenste Leistungsnachweise als Nachweise für erreichte „Learning Outcomes“ abgelegt bzw. verlinkt werden. Sowohl Dozierende wie Studierende verlieren so die Ausbildungsziele als Ganzes nicht aus den Augen. Dozierende sehen deutlicher, was die Studierenden in anderen Bereichen lernen.
  • Teile aus dem ePortfolio können für Bewerbungen usw. öffentlich gemacht werden. E-Portfolios sind somit auch eine Möglichkeit für die Studierenden, sich öffentlich als Profis darzustellen
  • Eportfolios dürften auch in der Schule und im „lebenslangen Lernen“ eine immer grössere Bedeutung bekommen, kann man doch hier die Kompetenzen, über die man verfügt, auch die ausserschulisch erworbenen, darstellen. Ganz bestimmt wird auch die Bedeutung der computerunterstützten Zusammenarbeit, des Austausches über grosse Distanzen in Zukunft noch wichtiger. Lehrpersonen sollten darin Expertinnen und Experten sein.
In Hong Kong wird „Mahara“  für die ePortfolios genutzt, die Plattform ist aber letztlich nicht wesentlich. Das Portfolio ist in verschiedene Bereiche unterteilt:
  • Artefakte können  zunächst in einen geschützten Bereich hochgeladen werden (Lektionspläne, Arbeitsblätter, korrigierten Arbeiten von Schülerinnen und Schülern, Prüfungen, Beobachtungsnotizen, Berichte von Praktikumslehrperson und Mentor/in, Reflektionen, Entwürfe zu Leistungsnachweisen usw.) Die Studierenden bestimmen selbst, wem sie Zugang zu diesen Unterlagen geben. Meist sind das Peers, „critical friends“ also z.B. Lehrpersonen, die man kennt oder hier in Hong Kong recht verbreitet: auch Eltern oder Verwandte usw. Man übt so die Zusammenarbeit miteinander ein, macht Kommentare, Vorschläge usw.
  • In einem „Arbeitsbereich“ werden die verschiedenen mit dem Praktikum zusammenhängenden Leistungsnachweise abgelegt. Zugang haben die auftraggebenden Dozierenden aus Fachdidaktik und Erziehungswissenschaften, die Praktikumslehrperson und die Mentorin. Für jedes Praktikum werden vier solche Nachweise verlangt, die alle 10 beabsichtigten Learning Outcomes (FEILOs) abdecken. Die Studierenden können einen fünften Nachweis abgeben (d.h. ins ihr elektronisches Portfolio laden), zu dem sie sich den Auftrag selbst geben. Die geschieht vor allem, wenn sie das Gefühl haben, mit den vier Aufträgen nicht genügend darstellen zu können, wie sie alle Learning Outcomes erreicht haben.
  • Im „Showcase“ werden schliesslich die „Beweise“, dass die verschiedenen Learning Outcomes erreicht wurden, entlang der 10 „FEILOs“, in Zürich wären es wohl die 12 Standards ,dargestellt. Die wichtigsten Elemente dabei sind die Lernberichte der Studierenden.

„Come on, just introduce it – everybody will love it“ meint Christina zu Schluss.

Berufspraktische Ausbildung in Hong Kong

classhkg.jpg(Bild HKIEd)

Mit Christina Wai Mui YU Christina Wai Mui YU habe ich zusammengearbeitet, als wir an der PH Zürich, am HKIEd, in Nara  (Japan) und in Gwangju  (Südkorea) alle daran waren, unsere Studiengänge neu zu gestalten. Wir hatten damals auf Einladung unseres Kollegen Ikuta in Nara eine Woche lang intensiv an Standards, Learning Outcomes, Portfolios, elektronischen Lernobjekten und Umsetzungsmöglichkeiten in der berufspraktischen Ausbildung gearbeitet.

Christina ist Direktorin des „School Partnership and Field Experience Office“  und so Mitglied der Schulleitung. Heute stellt sie mir vor, was in Hong Kong seit unserem letzten Treffen umgesetzt wurde. Beeindruckend.

Field Experience Intendended Learning Outcomes (FEILOs)
Die Berufspraktische Ausbildung wurde in Übereinstimmung mit den übergreifenden Zielen der Studiengänge gebracht (Attributes of the Graduate, Learning Framework , Generic Outcomes.
Das führte zur Definition von 10 „FEILOS“ d.h. Field Experience Learning Outcomes.
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Struktur
Das von vier auf fünf Jahre verlängerte Bachelor of Education Studium (Lehrberechtigung zwei bis drei Fächer in der Primarstufe bzw. zwei Fächer auf der Sekundarstufe I) bringt in den ersten Jahren je eine Einführung in die Schule mit Hospitationen, im dritten Jahr ein siebenwöchiges Blockpraktikum mit der Verpflichtung 6 – 8 Lektionen pro Woche z.T. im Teamteaching zu unterrichten und im letzten Jahr nochmals ein siebenwöchiges Praktikum mit der Verpflichtung, 10 – 12 Lektionen alleine zu unterrichten.
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Wir haben schon früher darüber diskutiert, aber wie die meisten meiner ausländischen Kolleginnen und Kollegen ist Christina nach wie vor der Meinung, dass Hospitationen mit Beobachtungsaufträgen, Interviews usw. in den ersten beiden Jahren wertvoller seien als bereits zu unterrichten. Man dürfe nicht unterschätzen, wie wichtig es sei, gute Lehrpersonen zu beobachten, ihnen vielleicht zu assistieren, sich mit ihnen und anderen Profis im Schulfeld auszutauschen. Man lasse ja angehende Ärztinnen und Ärzte auch nicht in den ersten Semestern schon operieren… Ich selbst neige auch immer mehr zu dieser Ansicht. All die vielen tausend Stunden, die man selbst als Schülerin oder Schüler erlebt hat, sind zu rezent, wenn man nicht einige Zeit auch heutige professionelle Lehrpersonen beobachtet, sich mit ihnen über ihr Berufsverständnis usw. unterhalten und darüber reflektiert hat.
Die Blockpraktika wurden in Hong Kong verlängert und – auch auf Grund unserer guten Erfahrungen mit dem Quartalspraktikum – auch Vor- und Nachbereitungstage eingeführt. Auch hier: In Hong Kong möchte man die Studierenden nicht verpflichten, mehr als ein halbes Pensum zu unterrichten. Das Reflektieren, das Sammeln von „Evidenz“, dass die Learning Outcomes auch erreicht worden sind für das ePortfolio sei wichtiger für die berufliche Entwicklung.
 In der Schweiz wollen die Studierenden möglichst bald möglichst viel unterrichten, die Praktikumslehrpersonen finden es wichtig und wir Dozierenden auch. Aber vielleicht würde sich die Diskussion, ob unsere Studis mehr Zeit für die Beobachtung erfahrener, guter Lehrpersonen haben sollten, doch einmal lohnen.

Fukushima University

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Natürlich: Die Katastrophe ist auch hier präsent. Die Uni hat ein „Fukushima Future Center for Regional Revitalization“ geschaffen, neun Projektteams arbeiten daran, die Region wieder aufzubauen. Die Angst sei aber nach wie vor präsent. Niemand wisse, ob und wann ein weiteres Erdbeben komme.
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Reiko gibt sich enorm Mühe, mir einen bestmöglichen Einblick in das Studium zur Lehrperson zu ermöglichen. So lädt sie an zwei Tagen eine Gruppe von Studierenden in ihr Büro an der Uni Fukushima ein, damit ich Fragen stellen und mir auch ein Bild aus Studierendenperspektive machen kann. Die Gespräche sind sehr interessant, auch wenn wir ab und zu an Sprachgrenzen stossen. Ich versuche, meine Notizen etwas zusammenzufassen:

Lehrerinnen- und Lehrerbildung an National Universities
Schon in Nara habe ich gehört, dass es für eine Schule wichtig sei, sowohl Absolventinnen und Absolventen einer „University of Education“ wie anderer Universitäten, die ebenfalls Lehrpersonen ausbilden, anzustellen.
Jetzt, wo ich mich intensiver mit den Lernangeboten in Fukushima befasse, leuchtet das ein.
Fukushima University ist eine nationale Universität mit verschiedenen Fakultäten. Das Angebot ist hier breiter, der Lehrberuf steht weniger im Zentrum. Auch wer Erziehung studiert, wählt vielleicht später einen völlig anderen Beruf und wer den Lehrberuf wählt, hat sich v.a. mit Zielstufe Primar oder Kindergarten, mit verschiedenen Fächern nicht sehr intensiv befasst, dafür einen breiten Horizont erworben.
Das System hat für die Dozierenden Nachteile, weil sich z.B. etwa die Hälfte der Studierenden nicht für didaktische Fragen interessieren, auch wenn sie eine entsprechende Veranstaltung belegen.

Aufnahme
Im Januar legen die Mittelschülerinnen und -schüler, die eine Universität besuchen wollen die zentrale Universitätsaufnahmeprüfung ab, die durch das Entrance Examination Center durchgeführt wird. (PDF).
Die einzelnen Universitäten legen fest, wie sie diese an der zentralen Prüfung erzielten Resultate verwenden wollen, z.B. welche in welchen Fächern die Prüfung abgelegt werden muss und welche Punktzahl nötig ist, damit man sich zur internen Aufnahmeprüfung anmelden kann.
Die Fukushima Universität verlangt mindestens 60% der 1200 möglichen Punkte, also momentan 720, während die Tokyo University etwa 1100 verlangt.
Je nach Uni werden noch Empfehlungsschreiben, Mittelschulzeugnisse usw. verlangt, danach wird man zu den universitätsinternen Prüfungen zugelassen, die einen allgemeinen und einen fachspezifischen Teil haben können.
Wer in Fukushima z.B. ein Studium an der „Faculty of Human Development and Culture“ (von dem meisten immer noch „Education“ genannt) mit dem Major Sport absolvieren möchte, hat einen Aufnahmeprüfungsteil zu bestehen, die sehr ähnlich ist wie die Fertigkeitsprüfung an der PH Zürich.
Die nationalen Universitäten haben zwei Prüfungssessionen, so dass man sich für zwei Aufnahmeprüfungen anmelden kann.
Die privaten Universitäten haben nochmals andere Prüfungstermine, man kann sich also auch dort noch für die Aufnahmeprüfung anmelden. Es gibt private Universitäten, die sehr hohe Anforderungen stellen, bei vielen ist das aber nicht der Fall und es besteht die Angst, dass diese Unis (mit dem Rückgang der Interessentinnen und Interessenten durch den Geburtenrückgang) die Anforderungen nochmals senken.

In Fukushima, wie an den meisten Universitäten hat jeder Studiengang („class“) hat eine vorher bestimmte Anzahl Studienplätze. „Sports Pursuit“ also z.B. 40, „Lifelong Sports“ 15 und „Arts and Culture“ ebenfalls 15 (vgl. die Studiengänge unten). Die Kandidierenden mit den besten Prüfungsergebnissen werden dann aufgenommen, häufig liegt die Aufnahmequote im einstelligen Prozentbereich.
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Vier Fakultäten, Studiengänge mit verschiedensten Wahlmöglichkeiten
Fukushima University verfügt über vier Fakultäten:

  • Faculty of Human Development and Culture. Die Fakultät hiess früher „Faculty of Education“. Bis 2005 machten auch alle, die an dieser Fakultät ein Studium absolvierten, einen Abschluss als Lehrperson. Unterdessen schliesst nur noch etwas die Hälfte der Studierenden mit einem Lehrdiplom ab.
  • Faculty of Administration and Social Sciences
  • Faculty of Economics and Business Administration
  • Faculty of Symbiotic Systems Science (mit Symbiotic Systems Science ist eine Symbiose von Menschen, Natur und Industrie gemeint, hier werden bewusst humanwissenschaftliche und naturwissenschaftliche Ansätze verbunden)

Der Uni ist es wichtig, dass Studierende einer Fakultät auch Veranstaltungen anderer Fakultäten besuchen. Wie ich heraushöre ist dass den Studierenden allerdings etwas weniger wichtig.
In der Uni-Broschüre wird das das mit folgendem Curriculumaufbau dargestellt:
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  • „Studium Generale“ mit z.B. Fremdsprachen, ICT, Friedenserziehung
  • Selbstorganisiertes Studium, hierzu gehören z.B. selbst organisierte Praktika
  • Spezialisiertes Studium, der eigentlichen Kern mit den Veranstaltungen des gewählten Fachs (es ist immer von „Major“ die Rede, die meisten wählen aber nur ein Fach, d.h. einen „Minor“ gibt es nicht)
  • Lehrveranstaltungen innerhalb des Clusters (d.h. meist der Fakultät)
  • Frei wählbare Veranstaltungen, die aus anderen Fächern gewählt werden sollen. Quelle: Uni-Broschüre (PDF)

Faculty of Human Development and Culture: Lehrdiplome in drei verschiedenen „Majors“
Die Fakultät, in der die Lehrerinnen- und Lehrerbildung beheimatet ist, möchte „educators“ in einem weiteren Sinn ausbilden, als auch Personen, die nachher z.B. im Personal- oder Weiterbildungswesen, als Sportlehrerinnen und -lehrer, Sozialarbeitende, Juku-Lehrpersonen, Beamte, NGO-, Bank- und Medienleute usw.
Abschlüsse als Lehrpersonen kann man erwerben für

  • Kindergarten (Generalist/in)
  • Primarschule (Generalist/in)
  • Junior High (ein Fach)
  • High School (ein Fach)
  • Sonderpädagogik

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Das heisst aber nicht, dass die Studiengänge den Lehrdiplomen entlang aufgebaut sind. Man kann folgende Studiengänge (Classes) wählen:
Major in Human Development

  • „Learning Support Class“ (hier studieren in der Regel angehende Primarlehrpersonen)
  • Education Research Class
  • Human Science Class
  • Special Needs Class (angehende Sonderklassenlehrpersonen. Inklusion habe ich in Nara gesehen, hier werden Kinder mit besonderen Bedürfnissen aber eher separiert)
  • Child Education Support Class (v.a. von angehenden Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen belegt)

Major in Cultural Exploration

  • Language and Culture Classes (auch von angehenden Jr High und High School-Lehrpersonen belegt)
  • Local Community Life and Culture Classes
  • Mathematical Science Class (v.a. angehende Jr High und Highschool-Lehrpersonen)

Major in Sports and Arts (hier studieren viele Studierende mit dem Ziel Primar-, Junior High, und Highschool)

  • Sports Pursuit Class
  • Lifelong Sports Class
  • Art and Culture Class

Studienverlauf
Die ersten beiden Jahre des vierjährigen Studiums sind relativ hoch strukturiert. Ein Stundenplan kann dann etwa so aussehen.
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Quelle: Uni-Broschüre (PDF)
Im dritten und vierten Jahr werden aber viel weniger Veranstaltungen besucht, das Lernen für die Abschlussprüfungen und das Schreiben der Diplomarbeit ist dann im Vordergrund, im 4. Studienjahr belegt man nur noch etwa zwei Veranstaltungen.
Die Uni schreibt vor, dass man nicht über 24 Punkte pro Semester belegen darf. 1 Punkt entspricht einer Semesterwochenstunde.
Das Semester dauert 15 Wochen, dazu kommt eine Prüfungswoche pro Semester. In den Zwischensemestern wird gelernt, z.T. gibt es Studierendenvereine, die das gemeinsame Lernen organisieren.
Die meisten Studierenden tragen etwas zur Finanzierung ihres Studiums bei, d.h. sie arbeiten z.B. zwei Mal pro Woche von 17 Uhr bis ein Uhr nachts in einem Restaurant.

Berufsziel und Studium haben einen sehr losen Zusammenhang
Beim Gespräch mit den Studierenden und Reiko wird mir klar noch klarer, was ich eigentlich wusste und nochmals in Nara erfahren habe: Auch in den erziehungswissenschaftlichen Studiengängen haben Studium und Berufsziel keinen sehr grossen Zusammenhang. Diese Tendenz ist in den „Universities of Education“ etwas weniger stark als in den „National Universities“. Für die Studierenden ist es einfach wichtig, ein Studium abzuschliessen. Während die drei Frauen, mit denen ich gestern gesprochen habe, gerne Lehrerin werden möchten, verstehen die beiden Männer heute meine Frage nicht ganz. Sie sind in der „Sports Pursuit Class“, möchten aber nach Studienabschluss in einem Privatunternehmen, z.B. einer Bank arbeiten. Studium und spätere Arbeit sind für sie nicht verbunden. Das Studium dient der Erweiterung des Horizonts, dem Verfolgen der eigenen Interessen, es ist auch eine Transitionsphase zwischen der harten Mittelschule und der wieder harten Arbeitswelt. Es ist wichtig, an einer guten Universität studiert zu haben – die Phase der Berufsfindung findet aber während des Studiums statt und nicht vorher, man studiert also nicht auf ein Berufsziel hin, sondern eher, um eigene Interessen zu verfolgen und sich klar zu werden, welchen Beruf man ergreifen möchte.

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Beschäftigungsaussichten
Die Aussichten sind sowohl für Lehrpersonen (wegen des Geburtenrückgangs) wie für die übrigen Berufe (wegen der noch nicht überwundenen Wirtschaftskrise) leider nicht sehr gut, d.h. beim Übergang in den Beruf findet nochmals eine starke Selektion statt. Die angehenden Lehrerinnen und Lehrer absolvieren Prüfungen der Präfektur, in der sie tätig sein wollen, die angehenden Banker z.B. Persönlichkeitstests, Interviews und Assessments, bei denen die Sozialkompetenz im Vordergrund steht.

Ich könnte noch lange mit Studierenden und Dozierenden sprechen und in der Bibliothek lesen. Reiko wüsste auch, welche Vorlesung ich hier halten könnte. An Plänen für eine nächste Reise mangelt es nicht. Aber ich muss bald weiter, ich möchte das Wochenende noch in Tokio verbringen, bevor ich nach Korea, meiner letzten Station auf dieser Reise, weiterfliege.

Schattenseiten

Nach der Sitzung mit Ikuta treffe ich mich mit Maiko Tateishi, die hier als lecturer und Forscherin arbeitet und daneben ehrenamtlich in einer NPO Kinder und Jugendliche mit Problemen betreut. Ich habe Maiko bei einem früheren Besuch in Nara kennengelernt. Meist sprüht sie nur so vor Energie, heute scheint sie auch etwas müde zu sein von der vielen Arbeit. Die Arbeit, die liegen bleibt, weil sie sich Zeit für mich nimmt, wird sie sicher über das Wochenende erledigen müssen Ich habe bis jetzt niemanden kennen gelernt in Japan, der oder die nicht m.E. ungesund viel arbeitet.
Wir sprechen denn zuerst auch über Probleme von Kindern und Jugendlichen in Japan. Konkret nennt sie Bullying in den Schulen, das ein grosses Problem sei und auch zu Absentismus, oft über sehr lange Zeit führe. In der Lehrpersonenbildung legt sie darum Wert darauf, die Studierenden auf Konflikte unter Kindern vorzubereiten. Japanerinnen und Japaner (und also auch die Lehrpersonen) sind so sozialisiert, dass Konflikte nicht sein dürfen. Lehrerinnen und Lehrer haben also weggeschaut, wenn unter Schülerinnen und Schülern Konflikte, Quälereien usw. aufkamen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Opfer wie Täter werden so allein gelassen, so dass sich das Bullying ständig weiter steigern kann. Dies kann zum vollständigen sozialen Rückzug (Hikkimori) führen, die Kinder und Jugendlichen getrauen sich nicht mehr in die Schule, oft nicht einmal aus ihrem Zimmer.
Es sei keine einfache Arbeit, das Mindset der Lehrpersonen hier zu ändern, damit sie präventiv tätig sein können, meint Maiko.
In Zusammenhang mit dem ökonomischen Knick seit den 90-er Jahren, den Japan noch nicht überwunden hat, sind auch die NEET ein grosses Thema. Jugendliche und jungen Erwachsene, die wenig Selbstwertgefühl haben, gar nicht mehr versuchen, eine Stelle zu finden, sich nur noch in einer virtuellen Welt bewegen. Hier ein paar Links zur Thematik:

Career Education
Das Erziehungsministerium will die Problematik mit „career education“ in den Griff bekommen.
The term „career development“ means the entire „process of achieving one’s own life to live by playing one’s unique role in society.“
Die Ziele wurden national folgendermassen definiert
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Quelle MEXT (PDF)

Es wurden zwölf zu erreichende Kompetenzen definiert (z.B. „Verstehen anderer Standpunkte“, „realistische Selbsteinschätzung“, „zusammenarbeiten können“, „Konflikte lösen können“, „höflich sein“) und ein Lehrplan und Unterrichtsmaterialien von der Kindergartenstufe bis zur Sekundarstufe II geschaffen.

Das „Teacher Education Center for the Future Generation“ hat diese 12 Kompetenzen geschickt aufgenommen und bei der Einführung eines Praktikums, bei dem Studierende Lehrpersonen als Assistent/innen unterstützen, erhoben, welche dieser 12 Kompetenzen dank des Praktikums gefördert werden. Es sind lediglich zwei Kompetenzbereiche, in denen die Schülerinnen und Schüler dank dieser Unterstützung signifikante Fortschritte machen (Im Bereich „Verstehen anderer Standpunkte“ und im Bereich „Höflichkeit“). Schlussfolgerung: es braucht weitere Praktika mit anderen Schwerpunkten, um die Schülerinnen und Schüler auch in den anderen Kompetenzbereichen wirksam zu fördern.

Freiwillige in den Schulen
Das oben erwähnte Praktikum ist geschaffen worden, weil die Studierenden sehr wenig berufspraktische Ausbildung haben (obwohl die Uni sehr gute „affiliated schools“ hat, d.h. Schulen auf jeder Stufe, die auch organisatorisch zur Uni gehören). Ausgangspunkt war der Auftrag, Freiwillige (d.h. Rentner, middle-age-Mütter, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen) auszubilden, damit diese als Assistent/innen in den aus finanziellen Gründen sehr grossen Klassen (meist gegen 40 Schülerinnen und Schüler) eingesetzt werden können. Ein solches Ausbildungskonzept mit zwei Stufen („child partner“ und „child supporter“) wurde mit anderen Hochschulen zusammen ausgearbeitet und implementiert.
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Beratungszentrum für die Freiwilligen
Man kam nun auf die Idee, auch Studierende als „Freiwillige“ einzusetzen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, etwas mehr Erfahrung in der Schule zu sammeln. Maiko organisiert diese Kurzausbildung auch für die Studierenden und erhebt die Daten, welche Kompetenzen damit gefördert werden.
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Kurzausbildungskonzept für die Freiwilligenarbeit in der Schule

Publikationen
Während die Nara University of Education in vielem – durchaus positiv – der früheren seminaristischen Ausbildung gleicht (Klassenbetrieb, Tierhaltung auf dem Gelände, gemeinsame Projekte und Studienschwerpunkte usw.), ist sie in diesem Bereich wirklich universitär. Es ist klar, dass „publish or perish“ gilt, die Hochschule und die Institute haben eigene Journals, die Dozierenden publizieren regelmässig, meist über eng mit ihrer Arbeit zusammenhängende Forschungsresultate. Das Motto könnte in etwa sein: „Without data, you are just another person with an opinion“ (wie Amanda Ripley Schleicher zitiert). The smartest kids in the world, New York: Simon and Schuster 2013, 18). Als ich erzähle, dass ich noch eine Woche an die University of Education in Fukushima fahren werde, zückt Maiko sofort das Journal der dortigen Universität und zeigt, woran sie dort gerade arbeiten.
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Publizieren ist wichtig
Freitagabend, ich muss mich von den Leuten hier und von Nara verabschieden. Die Assistentin von Ikuta schenkt mir noch einen Fächer und ein Pack Bonbons für die Reise und lässt mich sichtlich ungern ziehen. Ich fahre auch nicht gerne weg, hier in Nara haben sie eine ähnliche Wellenlänge, ähnliche Vorstellungen davon, was gute Lehrpersonenbildung ist. Dazu gehören auch – und das habe ich hier die ganze Woche immer wieder gespürt – Herz und Humor.

Lehrer/innenbildung – Debriefing in Nara

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Praktisch alle Studierenden kommen mit dem Velo von den Dorms zu den Lehrveranstaltungen
Gemeinsamkeiten – Unterschiede
Die Woche hier an der Nara University of Education geht dem Ende entgegen. Ikuta Shuji kommt für ein Abschlussbriefing vorbei.
Ein grosser Unterschied zwischen unseren beiden Institutionen ist, dass in Nara die Zahl der Aufgenommenen der Zahl der verfügbaren Studienplätze entspricht. Dies macht die Planung um vieles einfacher.
Obwohl in Japan in der Primarschule das Klassenlehrerprinzip vorherrscht (Ausnahmen Musik, Künste, Hauswirtschaft), wählen die Studierenden ein Hauptfach, für das sie einen Grossteil ihrer Studienzeit benötigen. Drei Nebenfächer kommen hinzu. Für die Sekundarstufen I und II studiert man lediglich ein Fach.
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Quelle: Nara University of Education (PDF)
Es gelingt der Uni recht gut, Ihre Abgängerinnen und Abgänger in der Schule zu platzieren, allerdings sind unter „Teacher“ subsummiert auch viele temporäre und v.a. viele Teilzeitstellen. Wer keine Stelle in einer Volksschule findet, weicht häufig in den florierenden Juku-, d.h. Nachhilfebereich aus.
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Quelle: Nara University of Education (PDF)
Auch die Masterstudiengänge sind eine Möglichkeit, sich nicht sofort um eine Stelle kümmern zu müssen. Die Graduate School ist allerdings eher ein Sorgenkind für Ikuta. Neben den Masterstudiengängen wurden für die amtierende Lehrerschaft eigens „Professional Degree“-Studiengänge eingeführt, die teilzeitlich und berufsbegleitend besucht werden können. Diese Möglichkeit wird aber den Lehrpersonen von der Präfektur nur sehr zögerlich gewährt (gerade drei Studierende sind amtierende Lehrpersonen). Ikuta muss nach dem Debriefing an eine weitere Sitzung mit der Präfektur zu diesem Thema eilen.
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Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen
Neueren Datums ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Lehrer/innenbildungshochschulen. An den mittlerweile über 50 Online-Angeboten beteiligen sich sehr viele Hochschulen. Im Angebot hat es nicht nur e-Learning-Einheiten, sondern auch klassische Seminare und Vorlesungen, die von einer Hochschule angeboten und live an die anderen Hochschulen übertragen werden. Ein Vorlesungsraum wurde in Nara eigens mit der entsprechenden Technik ausgerüstet, so dass auch Fragen direkt Fragen gestellt werden können und man einander sieht.
Die Zusammenarbeit funktioniert aber auch im Forschungsbereich. Mit Kyoto und Osaka gemeinsam wurde ein „Teacher Education Center for the Future Generation“ gegründet.
Die Arbeitsteilung unter den Unis wurde so festgelegt, dass man sich in Nara schwergewichtig mit undergraduate studies, in Osaka mit graduate studies (Master und PhD) und in Kyoto mit Weiterbildung beschäftigt.
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Die Science-Dozierenden haben beschlossen, Ziegen zu halten. Diese werden sowohl von Studierenden wie von Primarschülerinnen und -schüler gehätschelt. Neckischerweise haben sie sie nach Primarlehrerpersonen getauft. So kann man problemlos sagen, Okubo sei heute wieder bockig…
Wir verabschieden uns nach dieser interessanten Diskussion. Ich hoffe, Ikuta wieder zu sehen, sei es in Nara, Hongkong oder Zürich. Wir sind aber beide nicht sicher, wann es das nächste Mal sein wird, seine Funktion erlaubt ihm kaum mehr, ins Ausland zu reisen und auch ich werde wohl in nächster Zeit nicht gerade wieder nach Nara reisen kommen. Schade.
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Schülerinnen auf dem Heimweg von der „affiliated school“ auf dem Campus

Lehrer/innenbildung

Bild (c) Nara University of Education
Ich bin langsam sehr müde. Mehr als 10 Wochen neue Eindrücke und Informationen aufnehmen, mich ständig auf immer andere Situationen und Personen einstellen, mit Ungewissheiten umgehen, staunen, warten, Pläne ändern, mich durchsetzen. Gelassen und für Unerwartetes offen bleiben. So bereichernd es ist, es ist auch zehrend. Ich freue mich darauf, in fünf Wochen wieder zu Hause zu sein.

Aber vorerst befasse ich mich ausführlicher mit der nicht ganz einfach zu durchschauenden japanischen Lehrpersonenbildung. Interessant ist, dass ich nicht einfach jemanden fragen kann – Studierende wie Dozierende beginnen häufig zu rätseln, wenn ich sie nach dem japanischen System – das ja an sich zentral gesteuert ist – frage. Es scheint hier auch sehr viele lokale Spezifitäten und häufige Änderungen zu
Aus Murata/ Yamaguchi 233 ff. und Gesprächen entnehme ich:

  • Es gibt einen oder mehrere Lehrer/innenbildungsstudiengänge an jeder nationalen Universität
  • Lehrpersonenbildung ist an Colleges (d.h. zweijährigen Hochschulen, häufig ohne Forschung) und Universitäten möglich und natürlich an den häufig aus Zusammenschlüssen von früheren Colleges hervorgegangenen Universities of Education. Das Curriculum für die Lehrpersonenbildung muss zwingend vom Erziehungsministerium genehmigt werden.
  • Unter der DP, die 2009 – 2012 an der Macht war sollte das Lehrer/innenbildungssystem auf 6 Jahre umgestellt werden, nach dem Bachelorabschluss nach vier Jahren sollten also noch zweijährige „graduate schools“ für angehende Lehrpersonen eingeführt werden. Dies ist heute teilweise umgesetzt. Die Nara University of Education verfügt über eine solche Graduate School, die man mit einem Master abschliesst. Als Majors werden School Education und Subject Education angeboten. Ein Masterabschluss ist aber für die meisten Lehrberufe nicht zwingend. Je nachdem, ob man einen Bachelor- oder Masterabschluss hat, bekommt man einfach ein anderes Diplom mit anderen Verdienstmöglichkeiten.

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Quelle: Consortium for Policy Research in Education (PDF)

  • Nach der Diplomierung folgt eine zweijährige berufsbegleitende Phase
  • Primarschule: Ausbildung zur Klassenlehrperson, die alle Fächer erteilt (Ausnahmen gibt es: Musik, Kunst, Hauswirtschaft für die Fachlehrer/innenausbildungen angeboten werden). Eine Ausbildung zur Klassenlehrperson heisst nicht, dass alle Fächer gleich gewichtet werden. In der Regel bildet man sich in etwa drei Fächern eingehend aus.
  • Ab Sekundarstufe I erfolgt die Ausbildung zur Fachlehrperson, die lediglich ein Fach unterrichtet

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Bild (c) Nara University of Education

  • Wie schon erwähnt führen die Städte oder Präfekturen einen harten Selektionsprozess durch, mit Persönlichkeitstests, Assessments, Individual- und Gruppeninterviews, Probelektionen usw.
  • Die Uni bietet ein Supportsystem an, um die Studierenden auf die Selektion vorzubereiten, ebenso die Stadt Nara (für diejenigen, die in der Stadt unterrichten wollen, ist es praktisch unumgänglich, an Samstagen diese Support-Kurse auch zu besuchen, sonst haben sie kaum Chancen, eine Stelle zu bekommen)
  • Der Selektionsprozess erklärt sich mit der ständigen Abnahme der Schülerinnen- und Schülerzahlen

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Quelle: MEXT

  • Wer eine Anstellung bekommt, absolviert zuerst eine einjährige Probezeit.

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Bild (c) Nara University of Education

  • Die Berufseinführungsphase dauert 2 Jahre und ist intensiv: 10 Stunden pro Woche werden für schulinterne Weiterbildung eingeplant, d.h. Beratung durch Schulleitende und erfahrene Lehrpersonen. 25 Tage für externe Weiterbildung, die häufig durch private Anbieter durchgeführt wird.
  • Die Weiterbildung wird in vier Typen unterschieden
    • individuelle Weiterbildung, Weiterbildung in der Schule (z.B. Peer-Coaching, Unterrichtsbesuche bei erfahrenen Lehrpersonen), Weiterbildung durch verschiedene Anbieter (z.B. Angebote durch Forschungsinstitutionen, Umweltorganisationen usw.)
    • Weiterbildung durch die Anstellungsbehörde (spezielle Weiterbildungen für Lehrpersonen mit 5, 10 und 20 Jahren Erfahrungen, wobei diejenige nach 10 Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist Weiterbildungen, die mit einem Funktionswechsel (z.B. zum „leading support teacher“, „vice principal“, „principal“ usw. verbunden sind
    • Weiterbildung durch die Universität (zielt v.a. auf einen höheren akademischen Grad oder ein weiteres Diplom)
    • Weiterbildung durch die Universität, um alle 10 Jahre das Diplom zu erneuern (ein „Verfalldatum“ der Diplome wurde 2007 eingeführt).

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    Bild (c) Nara University of Education
    Das tägliche Leben an der Universität hier in Nara wird auch mit einem Blog und einer Facebookseite dargestellt
    Blog (durch Google recht und schlecht übersetzt)
    Facebook

    Am Nachmittag fahre ich mit einer deutschen Austauschstudentin und einer japanischen Studentin, die ein Gastsemester in Heidelberg plant an die Uni Osaka zum Deutschen Seminar, so der Dokumentarfilmer Einblick in seine Arbeit gibt. Die Uni verfügt über drei grosse Campi und viele „Schools“. Hier ist deutlich alles zwei, drei Schuhnummern grösser als an einer University of Education wie in Nara. Der Relationen sind ähnlich wie z.B. zwischen der Uni Zürich und der PH Zürich.

Schule, Gesellschaft, Lehrpersonenbildung (1)

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Mein Kollege Ikuta Shuji, Trustee und Vizepräsident der University of Education in Nara holt mich heute Morgen mit seiner Assistentin Kanako Hasuike im Hotel ab. Sie organisieren mir einen Zugriff auf das IT-Netz der Universität und einen Badge für die Bibliothek. Ikuta Shuji überlässt mir sein Professoren-Büro, er braucht es leider nur noch selten, da er meist in seinem Vizepräsidentenbüro arbeitet.
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Mein Problem ist oft, dass mich zu viel interessiert, d.h. fast alles, was mit Schule, Gesellschaft und Lehrpersonenbildung zu tun hat. Ich versuche, etwas auf meine neuen Themen zu fokussieren, d.h. Innovationen in Schule und Lehrer/innenbildung. Wichtig scheint mir die Frage, wie in Japan Themen wie Erziehung zu Kreativität, zu Problemlösefähigkeit, zu Innovationsvermögen angegangen werden. Auch „Citizenship Education“, wie wir sie in Singapore gesehen haben (dort wird sie unterdessen „Charaktererziehung“ genannt, hier in Japan „moralische Erziehung“), scheinen mir wichtig.

Ikuta Shuji schenkt mir eine gute – und neu überarbeitete – Einführung in das japanische Erziehungssystem. Yokua Murata und Mitsuru Yamaguchi: Education in Comtemporary Japan – System and Content. (Tokyo: Toshindo, 2010)

Überblicke geben auch die folgenden Webseiten:
– das Ministry of Education, Culture, Sports, Science and Technology MEXT
– das National Institute for Education Policy Research NIER

Ich lese mich ein und stosse u.a. auf die folgenden Themen:

Von der „Information Recipient Nation“ zur „Information Providing Nation“
(Murata/ Yamaguchi 2010, 13). Japan ist es wichtig – das habe ich auch in Tokio gesehen – das Image des Informationen aufnehmenden, kopierenden Landes endlich loszuwerden und als Informationen produzierendes und exportierendes Land wahrgenommen und geachtet zu werden. Hierzu passt z.B. auch die im Hinblick auf die Olympiade 2020 in Tokio vom Erziehungsministerium ausgearbeitete Skizze, wie sich die japanische Gesellschaft bis 2020 verändern soll
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Quelle: MEXT, PDF

Innovation und Werte sind die Leitworte für die Weiterentwicklung der Gesellschaft, sie sollen sich ergänzen, nicht behindern. In dieser Skizze wird auch deutlich, wie stark Japan durch den Geburtenrückgang, die alternde Gesellschaft gefordert ist: „Strategic creation of breathing space, while maintaining competitiveness in an aging society (a society in which people can continue taking on challenges throughout their lives)“ Es soll also neben der harten Arbeit auch noch etwas Raum zum Atmen geben, damit eine Gesellschaft des lebenslangen Lernens verwirklicht werden kann.

Life Long Learning
Die stetig sinkende Geburtenrate ist (zusammen mit der gewollt sehr kleinen Immigrationsrate) eine Hauptherausforderung Japans. MEXT schreibt denn auch mit einer gewissen Dringlichkeit: „In the midst of a dwindling birthrate and a population that is aging and shrinking, bringing out the skills and individuality of every person to the utmost extent and utilizing diverse human resources has become absolutely essential to Japan’s economy and society (…). (Quelle: MEXT)

LLL wird deshalb auch in Japan stark gepusht, den Gemeinden und Privaten kommen dabei wichtige Funktionen zu.

Communities
Mir fällt auch sonst auf, dass „Communities“ im Vergleich zur Schweiz hier viel häufiger als Erziehungspartner genannt werden: „Basically, school is no more the sole educational institution, but shares its educational function with local communities and families (Murata/ Yamaguchi 2010, 53). Auch MEXT erwähnt die Communities explizit, so soll die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Communities und Familien gefördert werden. (Quelle: MEXT)
In der Lehrerinnen- und Lehrerbildung wird diese Zusammenarbeit z.B. durch Formen des „Service Learning“, von Sozialeinsätzen der Studierenden schon früh angelegt.

Lehrpersonenbildung
Das NIER gibt einen Überblick (PDF)
Für jede Schulstufe gibt es drei Typen von Diplomen und jedes Diplom muss nach 10 Jahren erneuert werden. Obligatorisch sind – in Zusammenhang mit Citizenship Education wichtig – in der Lehrpersonenbildung auch Kurse über die Verfassung.
Sehr viele Absolventinnen und Absolventen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung können allerdings – auch nach einem oder zwei Wartejahren – gar nie im Beruf arbeiten, durchschnittlich ist auf 6.2 Bewerberinnen und Bewerber nur eine Stelle offen, was zu harten Selektionsverfahren führt.
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Schulreformen
Die Einführung der 5-Tage-Woche, die Reduktion der Lektionenzahl und die Einführung von „cross-curricular-studies“, die von den Schulen selbst verantwortet werden können, haben offenbar zu einem Leistungsrückgang geführt, so dass das Rad wenigstens teilweise wieder zurückgedreht wird. Die Lektionenzahl sieht heute in den verschiedenen Fächern und Klassen folgendermassen aus:
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Mit dem Ziel, die Wirtschaftsentwicklung wieder anzukurbeln wurde neu wieder eingeführt auch die

Moralische Erziehung
Hier ein paar Ausschnitte aus dem vom Ministerium bereitgestellten Lehrmittel. „Boys, be ambitious“ des bei uns kaum bekannten amerikanischen Universitätsgründers William S. Clark (Wikipedia engl.) soll – nicht nur individuell, sondern auch national – den Ehrgeiz anstacheln. Referenz sind neben den USA die beiden härtesten asiatischen Konkurrenten Korea und China.
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Nötig ist auch ein geregelter Tagesablauf (Materialien für Junior High):
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Museen und die Pädagogische Hochschule

Es riecht deutlich nach angebrannten Blinis, Zeit aufzustehen. Der Küchentisch Ist dann aber bereits besetzt mit drei Mietern, die in der zweiten Etage wohnen. Ja, sie koche ihnen jeden Tag Frühstück und oft auch das Abendessen, meint Galina. Sie lebt von Vermietungen und solchen Kostgängern, obwohl sie Ingenieurin ist.
Zuerst befasse ich mich heute mit der Geschichte und dann mit der Lehrerinnen- und Lehrerbildung.
Die Stadt hat ein sehr aktives Tourismusbüro, das z.B. Wege durch die Stadt ausgeschildert hat. 20140403-122000.jpg20140403-122107.jpg
Ich gehe zuerst ins 130. Distrikt. Um einen Ersatz für die ständig niederbrennenden Holzhäuser zu schaffen, hat die Stadt dieses Quartier wieder aufbauen lassen bzw. zum Teil die alten Häuser renoviert. Allgemein ist man in Irkutsk stolz darauf und hat mir empfohlen, mir das Viertel anzusehen. Meinem Geschmack entspricht das Resultat nicht, es scheint mir so etwas wie ein Alpenvillage-Outlet herausgekommen zu sein, auch wenn in den Häusern z.T. interessante Läden und Museen zu finden sind. Aber Geschmäcker sind verschieden, es müssen ja nicht alle unsere Vorliebe für Authentizität teilen. Als einziger Besucher weit und breit werde ich – auch wenn ich betone, kein Russisch zu sprechen – durch all die Museumsräume geführt und im nächsten Stock an den nächsten Museumsführer weitergereicht. Ich bedaure es, die Sprache nicht zu beherrschen, die Geschichte der verschiedenen sibirischen Gouverneure, der Gebietsabtretungen des Amurgebiets von China an Russland sind interessant. Die naturkundliche Abteilung zeigt eine grosse Reliefkarte Sibiriens und vielen guten Filmen über die Natur. Die Landschaft zwischen Altai und Sachalin ist enorm schön und vielfältig, das Gegenteil der grossen Einöde, als die wir uns früher Sibirien immer vorgestellt haben.
Hier gibt es auch ein Experimentarium, das naturwissenschaftliche Phänomene erfahren lässt.
Die historische Abteilung des ethnographischen Museums vermittelt mir anschliessend einen guten Einblick in das frühere Leben der indigenen Evenken, Burjaten und Karagassen.
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In der Ausstellung über die Sowjetzeit fehlt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stalinismus völlig. Es fällt mir dann anhand einiger Fotos über die neuere Geschichte auf, wie bei uns im kollektiven Gedächtnis die Bilder von Gorbatschow oder von Jelzin vor dem weissen Haus in Moskau haften geblieben sind. Über die nachfolgenden sehr schwierigen Jahre war ich aber wenig informiert. Jahre, in denen nichts mehr sicher war, z.T. jeder Verdienst und jede soziale Sicherheit ausblieb, an manche Orte kein Bus mehr fuhr und viel Staatsbesitz verscherbelt wurde (die heutigen Oligarchen profitieren davon). Die Wertschätzung, die der Regierung Putin entgegengebracht wird, hat sicher auch damit zu tun, dass sie wieder mehr Stabilität und Selbstwertgefühl ermöglicht hat.
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Danach besuche ich die Hochschulen. An der Staatlichen Universität stehen die Studierenden gerade an, um zu laminierten Ausweisen zu kommen. Der Studienbetrieb scheint mir nicht anders als an unseren Unis zu sein.
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Die baikalsche ökonomische Uni macht auf riesigen Plakaten in der Stadt auf ihre Weiterbildungen und Zweitausbildungen aufmerksam. Mit einem zusätzlichen Abschluss in Oekonomie werde man die Karriereleiter so richtig schön erklimmen (was vermutlich nicht ganz falsch ist).
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In der Pädagogischen Universität vermittelt mir die nette Dame am Eingang (die dort Kästlischlüssel entgegennimmt, Studierende fragt, warum es bei ihnen piepse, wenn sie den Detektorbogen durchschreiten und mich nicht einfach herumspazieren lassen will) eine Dozentin vom English Department.
Sie ist gerne bereit, mir die Lehrpersonenbildung etwas zu erläutern. Die Institution sei keine Universität mehr, sondern Fakultät der Akademie. Es gebe halt ständig Reformen und diese würden nicht immer zum Besseren führen…
Die meisten Studierenden sind beim Eintritt zwischen 17 und 18 Jahre alt, die Mehrheit junge Frauen. In wenigen Fächern wie Informatik sind die Männer in der Überzahl. Die Studierenden kommen fast ausschliesslich aus Ostsibirien. Die PH hat Hostels und Dormitories, wo die Studierenden wohnen können.
Man hat von einem 5-jährigen Diplomstudiengang auf ein sechsjähriges System (4 Jahre zum Bachelor, zwei zum Master) umgestellt. Während man im Diplomstudiengang noch zwei affine Fächer studieren konnte (z.B. Russisch und Literatur), ist jetzt nur noch das Studium eines Faches möglich. Nein, das würde die Eltern natürlich nicht stören, wenn ihr Kind 9 Lehrpersonen habe, das sei doch normal.
Aufgenommen werden alle, die über eine Mittelschulabschlussprüfung verfügen, das Studium ist auch für alle gebührenfrei. Ausnahmen gibt es bei besonders beliebten Fächern, im Moment sind das aber nur Informatik und Schulpsychologie (man kann sich hier auch zur Schulpsychologin ausbilden). In diesen Fächern spielt das übliche System, je nach Prüfungsnote beim Mittelschulabschluss gibt es eine Studiengebührenbefreiung.
Die PH bildet auch Arbeitslehrerinnen und -lehrer aus. Dieses Fach wird an der Volksschule nach Geschlechtern getrennt unterrichtet, die Mädchen und jungen Frauen lernen Textiles Werken und Hauswirtschaft, die Knaben Werken mit anderen Werkstoffen und do-it-yourself-Techniken. Das wird auch so bleiben.
Die Berufspraktische Ausbildung nimmt ebenfalls einen wichtigen Stellenwert ein, die Studierenden werden langsam an den Beruf herangeführt, im ersten Jahr werde nur beobachtet, dann werden kleine Aufträge, einzelne Lektionen übernommen. Im dritten Jahr hat die Begleitung bei extracurricularen Aktivitäten einen wichtigen Stellenwert. Studierende begleiten Schülerinnen und Schüler auf Exkursionen in andere Städte, in Ferienlager usw. Sehr wichtig ist das dreimonatige Praktikum im vierten Studienjahr, hier übernehmen Studierende ein volles Pensum (unter Supervision). Sie können wählen, ob sie das in ihrer Heimatregion oder in Irkutsk und Umgebung tun möchten.
Nach Studienabschluss übernehmen leider nur 40 – 50% eine Stelle. Viele heiraten und sind dann nicht mehr oder in einem anderen Beruf tätig, andere werden z.B. Verkäuferin. Andere wollten wahrscheinlich gar nicht unbedingt Lehrerin werden. Ob sie das Studium gewählt haben, weil die Anforderungen im Vergleich zu anderen Studien weniger hoch sind, wie ich nachfrage, lässt sie offen. Das nur knapp die Hälfte in den Beruf übertreten, trägt natürlich zum Lehrermangel bei. Die Zentralregierung gibt besonders betroffenen Regionen Geld, um z.B. mehr Lohn zu zahlen, beim Wohnungskauf finanziell zu helfen usw. Ein gleiches Programm existiert auch für Ärztinnen und Ärzte.
Meine Auskunftsperson freut sich über diejenigen, die im Beruf bleiben. Einmal jährlich kommen alle zu einer Reunion an die PH zurück. Das gibt Gelegenheit, neue Entwicklungen auszutauschen, Feedback zu geben und immer auch ein grosses Fest.
Beim Rundgang durchs Gebäude sehe ich kleinere Vorlesungs- und Seminarräume und die Büros der Dozierenden. Jede Fachschaft hat ein Büro mit etwa fünf Arbeitsplätzen und wird von einer Sekretärin unterstützt. Auf den Gängen und an den Fenstersimsen sind fröhliche Studentinnen am Arbeiten, die mir lachend zuwinken.20140403-123531.jpg

Schulen in Niterói und São Gonçalo

Zum Abschluss begleiten uns Direktor Manoel und sein Vize Rogério in drei Schulen in São Gonçalo, die Stadt auf der anderen Seite der Bucht, in der der Lehrer/innenbildungscampus FFP der UERJ steht und die über eine Million Einwohner hat. Zuerst besuichen wir die Schule «CE Conselheiro Macedo Soares», 1900 Schülerinnen und Schüler der Ensino Fundamental und der Ensino Médio. Dazu am Abend Kurse für Erwachsene in Technik und Verwaltung.

Die Schüler/innenzahl in der Ensino Médio ist deutlich kleiner als in den unteren Klassen. Schülerinnen und Schüler, die eine Arbeit finden, hören in der Regel sofort mit der Schule auf. Drei Studentinnen der FFP begleiten uns, sie sind zwei Tage pro Woche hier, hospitieren und haben Beobachtungsaufträge.

Wir sehen eine Lektion zum Thema Rassismus. Entgegen dem auf Gilberto Freyre zurückgehenden Wunschbild der ethnischen Demokratie, in der alle Ethnien gleich behandelt werden und gleich wichtig für Brasilien sind (→ Uni Wien), ist Rassismus in Brasilien präsent und ein grosses Problem (→ RacismReview, Wikipedia, Bsp. eines Blogs). Die 28 Jugendlichen hören ihrer Lehrerin zu und diskutieren engagiert mit. Es werden Beispiele von Rassismus erzählt, Diskriminierungen, die die Schülerinnen und Schüler selbst erlebt haben. Die Lehrerin macht historische Exkurse, z.B. in die Politik nach der Abolition, als versucht wurde, durch Immigration Brasilien wieder „weisser“ zu machen. Diskutiert wird auch über Quoten für Schwarze z.B. an Bildungsinstitutionen, die Meinungen, ob das sinnvoll sei, gehen bei den Jugendlichen auseinander.

Zum Schluss schauen die Schülerinnen und Schüler TED-Talk von Chimamanda Adichie: «Die Gefahr einer einzigen Geschichte» an. Die Schriftstellerin erzählt eindrücklich aus ihrem Leben und wie wichtig es sei, viele verschiedene Geschichten über Personen und Länder zu hören, um sich ein Bild machen zu können.

Unterdessen wartet das Kollegium der CIEP 411 in São Gonçalo schon auf uns.CIEP steht für «Centros Integrados de Educação Pública». Mit diesen von Niemeyer entworfenen und als Ganztagesschulen konzipierten Schulen sollte eine Bildungsoffensive lanciert werden, Strassenkinder sollten durch die lange Betreuungszeit eine Heimat bekommen, die Schulen zum Zentrum der Gemeinde, des Stadtkreises werden.Aus politischen und finanziellen Gründen wurde die Idee aber nicht mit Vehemenz weiterverfolgt (→ Artikel in Brazzil), die Schulen sind nur noch teilweise Ganztagesschulen, für den Unterhalt fehlt das Geld, aus finanziellen Gründen können sie auch ihre Funktion als Quartier- bzw. Stadtteilzentrum nur beschränkt wahrnehmen. Ein Gesundheitsamubuatorium, das mehrere Jahre stillgelegt war, steht bei unserem Besuch immerhin kurz vor der Wiedereröffnung.Aber die Lehrpersonen sind engagiert (Kunststück, wir haben sie ausgebildet, meinen Manoel und Rogério), die Schülerinnen und Schüler bei der Sache. Wir haben den Eindruck, dass sie wirklich lernen wollen. Bildung ist die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg, auch wenn die Karten sehr unfair verteilt: Die teuren Privatschulen, die nur von Schülerinnen und Schülern mit vermögenden Eltern besucht werden können, bieten die ungleich besseren Voraussetzungen, um in eine gute Universität aufgenommen zu werden. Trotzdem: Mit solch engagierten Lehrpersonen müsste doch etwas zu machen sein, wenn es dem Land gelänge, mehr Finanzen für die Bildung bereitzustellen. Die teure Bolsa Familia kann die Grundlage legen, dass die Schule besucht wird. Damit der Schulbesuch auch erfolgreich ist, müssen aber die Schulen besser ausgestattet und finanziert werden. CIEP wäre da ein vielversprechender Anfang gewesen, schade, dass die Regierungen seither die Prioritäten anders gesetzt haben.

Nach dem Mittagessen in São Gonçalo steht uns fast ein Staatsempfang bevor. Im Ginasio Municipal Presidente Castello Branco erwartet uns ein Spalier mit Blasmusik, Dudelsackgruppe, Artistinnen.Wir werden wiederum von Studentinnen und ihrer Professorin begleitet, die hier ein Projekt durchführen und uns stolz die auf Postern zusammengestellten Forschungsresultate zeigen.Die Schule hat sich auch mit dem bereitgestellten Essen, dem Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen, der Einladung für einen Professor, der aus Benin eingewandert ist und französisch spricht, stark ins Zeug gelegt. Auch sie kämpft mit fehlenden Ressourcen; die Stimmung ist gut, für uns aber schwierig einzuschätzen.Obwohl wir noch lange mit dem Kollegium plaudern, kommen wir noch ohne grossen Stau zurück nach Rio.

Forschungskolloquium

Beim hervorragenden Mittagessen bei Rogério und Cristiane erfahren wir einiges über das ENADE, das Exame Nacional de Desempenho de Estudantes, dem sich die Schülerinnen und Schüler der höheren Klassen unterziehen müssen, das aber vor allem für die Schulen finanzielle Auswirkungen hat. Weil es für die Schülerinnen und Schüler relativ egal ist, wie sie abschneiden, braucht es viel Überzeugungsarbeit, um sie für dieses Examen zu motivieren.

Heute sind wir früh genug und kommen gut über die Brücke, um über den Kooperationsvertrag zu diskutieren. Der Vertrag ist leider nicht unterschriftsreif, das Uni-Rektorat und wir sind uns nicht einig über den Gerichtsstand. Schade, ich hätte ihn noch gerne selbst unterschrieben.

Das Forschungskolloquium anschliessend ist eine Herausforderung, da die von Professor/innen und z.T. Studierenden vorgestellten Projekte von hoher Qualität sind und bei der Übersetzung auf Englisch natürlich die Feinheiten des Fachvokabulars auf der Strecke bleiben. Auch sind Foucault und Derrida ja auch auf Deutsch nicht leicht verständlich, geschweige denn in aus dem Portugiesischen übersetzten Englisch. Leichter verständlich ist das das Video zum 40-Jahr-Jubiläum, der FFP, das extra für uns auf Englisch übersetzt wurde (→ Youtube).

Verschiedene Forschungsprojekte finden sich hier (→ Website), auch die Facebook-Seite über das Masterprogramm kann vielleicht einen Einblick zur Vielfalt der Programme geben. Wir erhalten u.a. einen Einblick in die Forschungstätigkeiten der Grupo Vozes (Geschichte der Schulen in São Gonçalo), der Forschungsgruppen Wissensgesellschaft und Kultur, Verbindung Schule – Lehrpersonenbildung, Citizenship und Alphabetisierung, und eines studentischen Projektes zur Mathematikdidaktik und zum den Zusammenhängen von Shakespeare und dem teatro do oprimido von Augusto Boal. Die meisten Projekte haben eine emanzipatorische Zielsetzung: Freire, E.P. Thompson und und Bakhtin werden zitiert.

Was uns beeindruckt ist die Zusammenarbeit zwischen Studierenden, Professorinnen und Schulen. Jede Professorin arbeitet für ihr Projekt mit Schulen zusammen, an denen auch die mitarbeitenden Studierenden ihre Studien machen und ihre Arbeiten schreiben. Die Arbeit von Professorinnen und Studierenden ist dabei in den Schulen sehr präsent, es werden Posters aufgehängt, man ist mit dem Kollegium im Gespräch über die Projekte.

Auch Barbaras Vortrag über die Verbindung der praktischen und theoretischen Anteile an der PH Zürich gelingt gut, Studierenden und Dozierenden sind die verschiedenen Wissensformen, über die wir sprechen vertraut, sie stellen interessante Fragen zur Lehrpersonenbildung in der Schweiz und wären sehr interessiert an einem Austausch.