Gwangju National University of Education

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Bild GNUE
Am Morgen führt mich ein Assistent von Namgi in Krawatte und Anzug durch die Gwangju National University of Education. Er verbeugt sich dabei recht oft, auch vor meines Erachtens Gleichaltrigen und Gleichgestellten. Er müsse sich vor allen, die über ihm studiert hätten, verbeugen, das sei eine kulturelle Selbstverständlichkeit und auch Vorschrift, ob es das bei uns gar nicht gäbe, meint er. Ja stimmt, wir schüttelten uns halt die Hand. Das wissen viele hier und recht unvermittelt wurde mir z.B. beim Verlassen eines Restaurants oder nach einem kurzen Gespräch in der Metro schon die Hand geschüttelt.
Die Uni hat etwa gleich viele Studierende wie die PH Zürich, ist aber flächen- und raummässig einiges grösser, einerseits haben die meisten Dozierenden ein grosses Einzelbüro, andererseits lebt etwa ein Drittel der Studierenden in Dormitories auf dem Campus. Auch die in der Stadt lebenden Studierenden haben ihren Lebensmittelpunkt auf dem Campus, Gemeinschaftsräume und Bibliothek sind 24 Stunden geöffnet und werden auch entsprechend genutzt.
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Reservation der Kojen in der Bibliothek
Viel mehr Wert wird auch auf Repräsentationsräume gelegt. Der Präsident empfängt mich, er hat, wie schon gestern der KFTA-Präsident ein riesiges Büro mit beeindruckenden Polstersesseln. Er macht mir einen sehr guten Eindruck, er forscht zu Klassenklima und empfindet die Präsidentenzeit als Chance, auch politisch Einfluss zu nehmen. Ich merke aber auch ihm an, dass das Wahlprozedere sehr herausfordernd ist: alle Interessengruppen, vom Stadtpräsidenten über das Ministerium bis zu den Studierenden können hier mitreden. Gleich muss er nach Seoul, wo er häufig zwei Mal pro Woche Sitzungen im Ministerium hat. Er hat für solche Zwecke einen Fahrer, dann kann er während der Fahrt im Auto arbeiten.

Selektion
Schon die Aufnahmeprüfung ist vielstufig und sehr selektiv, nur die 5% Besten aus den High Schools können sich überhaupt bewerben. Danach finden am Ende jedes Semesters Prüfungen statt und schliesslich nach 4 Jahren das Bachelor- (durch die Universität) und Lehrdiplom- (durch den Staat) -Examen und die Bewerbung um eine Stelle in einer Provinz oder Stadt, ebenfalls nochmals ein selektives Verfahren.

Curriculum
Das Undergraduate-Curriculum lässt viele Wahlmöglichkeiten. Jeweils nur einige Kurse für Basiswissen und -können müssen von allen besucht werden, dann stehen im allgemeinen und im spezialisierten Teil viele Wahlmöglichkeiten („Electives“) offen.

Berufspraktische Ausbildung haben die Studierenden insgesamt 10 Wochen: „Practicum is conducted for 10 weeks in total and is divided into Class Observation (1 week), Class Observation in Rural Villages, Islands and Isolated Areas (1 week), Work Practice (2 weeks), Teaching Practice (6 weeks) and Volunteer Teaching for the teacher trainees to acquire hands-on experience in a real school setting.“

Auch Primarlehrerinnen und Primarlehrer unterrichten (ausser in der ersten und zweiten Klasse) lediglich 2 – 3 Fächer, belegen also einen „Major“ und eins bis zwei „Minors“, was ein vertieftes Angebot natürlich einfacher macht.

Seit 1996 hat die Uni auch eine Graduate School, 20 verschiedene attraktive Master-Programme können gewählt werden, das reicht von Invention and Robotics Education über Early Childhood Education bis zu Elementary Ethics Education.

In Namgis Seminar zum „Classroom Management“ sind die zwanzig Studierenden sehr interessiert bei der Sache und erleichtert, dass auch die Schülerinnen und Schüler in der Schweiz manchmal Flausen im Kopf haben. Allzu weit kann ich aber nicht ausholen, Namgi muss heute in der letzten Doppelstunde des Semesters seinen Stoff noch fertig durchbringen und meint, ich würde sämtliche Fragen, die sie noch hätten, gerne per e-Mail beantworten.
Das Verhältnis Dozierende – Studierende ist gut, eine Mischung aus Kollegialität und grossem Respekt den Dozierenden gegenüber. Ein Respekt, der dann auch nach der Diplomierung anhält. Gestern waren sehr viele Alumni an meinem Vortrag, sie hatten ein sichtbar herzliches Verhältnis zu ihrem ehemaligen Hochschullehrer, behandelten ihn aber auch sehr respektvoll. Die Form der Lehrveranstaltung unterscheidet sich kaum von einem Seminar bei uns.

Museum of Education
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Klassenzimmer bis anfangs 20. Jh.
Die Universität verfügt auch über ein Museum of Education, Schulzimmer aus verschiedenen Epochen werden gezeigt, der Wandel der Schuluniformen durch die Zeit und auch die Schule während der japanischen Kolonialzeit, als die koreanische Sprache nicht gelehrt werden durfte.
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Die Unabhängigkeitsbewegung von Studierenden gegen die japanische Besetzung nahm ihren Anfang 1929 in Kämpfen zwischen japanischen und koreanischen Studenten in einem Zug in der Nähe von Gwangju
Eine Zeitlinie zeigt auch die verschiedenen Präsidenten (eine Präsidentin gab es noch keine), bis anhin durften alle nur für eine Amtszeit von vier Jahren wirken, damit sie nachher wieder problemlos als Professor weiterarbeiten konnten. Der entsprechende Paragraph wurde unterdessen geändert, der Wahlkampf sei aber so anstrengend, dass es vermutlich bei den vierjährigen Amtszeiten bleiben werde.

Kulturzentrum
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Bild GNUE
Der grosse Stolz der Uni ist das neue Cultural Center. Ein Bau mit 900-plätzigem Auditorium und permanenten Lernangeboten zu den Dokdo-Inseln und zur multikulturellen Erziehung.
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Dokdo (vgl. BBC), das auch von Japan beansprucht wird, die „Trostfrauen“ und die Besuche von Premierminister und Regierungsmitgliedern im Yasukuni-Schrein trüben das Verhältnis der beiden Staaten, die auch viele kulturelle Gemeinsamkeiten haben, wesentlich. Auf die japanische Besetzung und Unterdrückung bis ab Beginn des 20. Jahrhunderts bis 1945 wird man überall hingewiesen.
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Besuch von Schulklassen: 1. Film über die Dokdo-Inseln und warum sie zu Korea gehören, 2. Stafettenwettkampf, 3. Die siegreiche Gruppe darf an die Kletterwand mit dem Bild der Dokdo-Inseln
Auch auf dem Campus der Uni (die unter japansicher Besetzung 1923 als Lehrerseminar gegründet wurde) finden sich Denkmäler für Studierende und Dozierende, die sich gegen Japan aufgelehnt haben, im Kulturzentrum ist die Kletterwand dem Relief der Dokdo-Inseln versehen.

Das sehr gut und aufwändig gemachte Zentrum für multikulturelle Erziehung gibt den besuchenden Schulklassen einen Einblick in Lebensweise auf allen Erdteilen, das reicht von Speisen bis zu WC-Gewohnheiten.
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Besuche von Schulen in Zentren und Museen werden in der Regel von Freiwilligen, Studierenden oder Mitarbeitenden der Museen betreut. Sie sind auf die Gruppenarbeiten, Präsentationen, Wettkämpfe usw. vorbereitet. Die Lehrpersonen sind also hier entlastet und können entsprechend mehr Energie in die Vor- und Nachbereitung der Besuche investieren.

Weiter

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Einen Monat habe ich in Japan verbracht und dabei sehr viel erlebt, mich wohl gefühlt unter all den netten Menschen. Einiges glaube ich etwas besser verstanden oder erfühlt zu haben. Anderes erschliesst sich mir nicht, wird mir wohl rätselhaft bleiben.

Nach einem Besuch im schön gebauten Nezu-Museum mit ästhetisch sehr ansprechenden und gut kuratierten Ausstellungen und einem frühlingsgrünen japanischen Garten verabschiede ich mich von Nae. Schade, dass wir uns nicht öfter zu einem Glas Wein oder Shochu treffen können.

Dann fahre ich in mein Flughafenhotel. Morgen früh fliege ich nach Korea. Letzte Etappe dieser Reise.
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Eine Reformschule

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Nae hat jeweils meinen Blog per Google auf Englisch übersetzt und gelesen und möchte meine Eindrücke vom japanischen Bildungssystem etwas erweitern. Sie meint, dass ich in Nara und Fukushima sehr gute öffentliche Schulen gesehen habe – Schulen allerdings, die ihre Schülerinnen und Schüler auslesen konnten, weil die „affiliated schools“ der Universitäten begehrt seien. Die Gemeindeschulen, die nicht auslesen können, hätten mit wesentlich grösseren Problemen zu kämpfen. Auch sie nennt die Probleme des Absentismus, des Mobbings, das sehr verbreitet sei und des sozialen Rückzugs, weil die Kinder und Jugendlichen Mobbing und/oder ständigen Wettbewerb und Druck nicht mehr aushielten. Die „affiliated schools“ der Universitäten hätten gute Lehrpersonen und könnten solchen Problemen begegnen, an verschiedenen öffentlichen Schulen sei das aber wenig der Fall. Sie ist nicht so sicher, ob die Präfekturen bei ihren Selektionsverfahren zur Anstellung der Lehrpersonen immer die richtigen einstellen. Häufig würden wohl Empfehlungen sehr stark gewichtet und Söhne oder Töchter von einflussreichen Eltern erhielten dann eine Stelle, auch wenn sie bei den verschiedenen Assessments nicht so gut abgeschnitten hätten.
Die Versetzungen von Schulleitenden und Lehrpersonen, die die Präfekturen anordnen können und auch häufig anordnen bewirkten oft Motivationsknicke sowohl bei Lehrpersonen wie bei Schülerinnen und Schülern. So könne es dann z.B. vorkommen, dass eine Musiklehrperson, die die Freude an der Musik gefördert und eine entsprechende Schulhauskultur aufgebaut habe, plötzlich durch jemanden ersetzt würde, der einfach verlangte, dass man die Lebensdaten von Beethoven und anderen Komponisten auswendig lerne.

Nae möchte mir eine Schule zeigen, die versucht, das Übel an der Wurzel zu packen, mit einem Schulprogramm, dass sich gegen Wettbewerbsdenken wendet, dafür Kreativität, Kooperation und Eigenverantwortung fördert. Die private Jiyonomori-Schule, die heute einen Tag der offenen Türe hat, liegt etwa eineinhalb Stunden von ihrem Wohnort entfernt. Hier hat ihr Sohn die High School besucht. Sie wollte ihm nach neun Jahren Public School einen freiheitlichen Mittelschulbesuch ermöglichen, der Kreativität und eigenständiges Denken fördert und nicht ständig diszipliniert. Ich habe den 25-jährigen fröhlichen jungen Mann, der in der Modebranche arbeitet kurz gesehen und denke, dass sie richtig entschieden hat.

So fahren wir am frühen Samstagmorgen durch Vororte und Wälder, an Sushi-Restaurants, Caterpillar-Vermietungen, Shinto-Schreinen, Bowling-Bahnen, Wasserreservoirs und Love-Hotels vorbei in die nächste Präfektur.

Direktor und Vizedirektor begrüssen die Angereisten in ihrer am Waldrand sehr schön gelegenen Schule. Die Besucherinnen und Besucher sind meist Eltern mit ihren Sechstklässlerinnen und Sechstklässern, die eine Schule für ihr Kind suchen. Einerseits wie mir scheint kreative und unkonventionelle, häufig etwas ältere Eltern, die aus Weltanschauungsgründen eine Schule mit Selbstverwirklichungspotenzial für ihr Kind suchen, andererseits wohl auch Eltern, deren Kinder Schwierigkeiten in der öffentlichen Schule haben und die sich deshalb nach einer Alternative umschauen.

Die Jiyonomori-Schule wurde 1985 gegründet. Sie verbindet Junior High School und High School, kann also sechs Jahre besucht werden, 3 Jahre während der obligatorischen und 3 Jahre während der nachobligatorischen Schulzeit. Das Schulteam empfiehlt denn auch, nicht erst in die High School einzutreten, sondern die Schule sechs Jahre zu besuchen – ihr Konzept brauche viel Zeit, da sei es wichtig, sechs Jahre zu haben. Es gibt Dormitories für Schülerinnen und Schüler, die unter der Woche dort wohnen, die meisten pendeln aber und verbringen bis zu zwei Stunden pro Weg (d.h. vier Stunden pro Tag) in Bahn und Bus.

Der Schulleiter geht auf die Gründung durch Yutaka Endo ein, der sich an der Bildungsphilosophie des Mathematikers Toyoma Kei (die ich beide nicht kenne) orientiert habe. Die Schule möchte bewusst ein Gegengewicht zu den andern wettbewerbs- und vergleichsorientierten Schulen setzen. Schülerinnen und Schüler sollen Zeit haben, sie sollen sich an sich selbst und ihrem Potenzial und nicht an anderen messen, und sie sollen nicht ständig mit Tests, Prüfungen, Ranglisten konfrontiert sein. Ausser der Eintrittsprüfung gibt es deshalb keinerlei Prüfungen. Ausser einmal im Jahr am Sporttag wird nie eine Rangliste erstellt.
Die Schule ist überzeugt, dass sich keine Lernfreude einstellen kann, wenn man ständig für Prüfungen lernt, dass eigenständiges Denken, Kooperation, Kreativität und Gestaltungsfreude nicht entfaltet werden, wenn man ständig unter Wettbewerbsdruck steht, mit anderen verglichen wird und für Tests und Prüfungen büffeln muss.
Freiheit und Autonomie werden gross geschrieben. Schülerinnen und Schüler dürfen sich deshalb auch kleiden, wie sie wollen, es gibt keine Schuluniformen, das Färben der Haare ist erlaubt und niemand misst nach, ob der Jupe maximal eine Handbreit über dem Knie endet.
Die Schule muss sich ans nationale Curriculum halten, sonst würde sie nicht akkreditiert, sie legt das Curriculum wie mir scheint aber so grosszügig wie möglich aus.
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Philosophie (c) Jiyunomori-Schule
Die Philosophie richtet sich

  • gegen Wettbewerb, Rankings
  • gegen Lernen für Tests, Prüfungen

Um das zu erreichen, orientiert sie sich an drei Pfeilern:

  • der Unterricht verfolgt das Ziel des Verstehens, des Begreifens (nicht des Auswendiglernens). Dazu ist viel Zeit nötig
  • Diese Zeit nimmt man sich beim Herstellen von „Werkstücken„, Schülerinnen und Schüler stellen etwas her, schreiben, führen etwas auf.
  • Drittes zentrales Element sind die „Lernberichte„, die die Schülerinnen und Schüler verfassen. Sie beschreiben in diesen Berichten, die die Zeugnisse ersetzen für jedes Fach detailliert, was sie in diesem Jahr gelernt haben. Die Lehrpersonen lesen die Berichte eingehend durch und treten so mit ihren Anmerkungen und Anregungen in Dialog mit den Schülerinnen und Schülern.

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Kooperation statt Konkurrenz
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Verstehen und Begreifen
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Der Schulleiter meint, er werde auch auf dem Rundgang nichts verstecken und das tut er auch nicht. Während viele Schülerinnen und Schüler engagiert am Lernen sind, dösen andere vor sich hin oder schlafen. Ja, alles brauche seine Zeit, meint der Schulleiter, am Anfang der sechs Jahre seien sich viele diese Freiheit nicht gewohnt und nutzten sie auch aus, manchmal sei Chaos. Aber die Klassen seien sich selbst ein gutes Korrektiv und wenn man niemanden dränge, würden bald alle mitmachen. Und wenn jemand mal nicht komme, weil er noch im Fluss am Schwimmen sei, so sei das für ihn wohl wichtig.
In einigen Räumen ist auch zu sehen, dass die Schule unter Geldmangel leidet, die Infrastruktur ist nicht so gut, wie ich sie an den Universitätsschulen gesehen habe.
Ein Werkstück zu machen, heisst im zweiten Oberstufenjahr dann z.B. einen Stuhl herzustellen. Das geht vom Fällen des Baumes bis zum fertigen Stuhl.
Auch bei den Textilien wird gleich vorgegangen, Wolle gekardet, mit Rädern und Spindeln, gesponnen, gefilzt und gefärbt, bis schliesslich ein Pullover entsteht.
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Werkstück im textilen Werken. Letztes Bild (c) Jiyunomori-Schule

Das Verhältnis der Jugendlichen zu den Lehrpersonen ist gut, man arbeitet gemeinsam an Projekten, reibt sich manchmal aneinander, zieht sich auch manchmal auch auf. Der kleinere Lohn als an der öffentlichen Schule wird durch mehr Freiheiten, die die Lehrpersonen haben aufgewogen.

Beim Eintritt nach der sechsten Klasse gibt es einerseits eine konventionelle Prüfung in Japanisch und Mathematik. Wesentliche Prüfungsteile sind aber das Mitmachen in einigen Lektionen, zu denen die Schülerinnen und Schüler dann einen Bericht schreiben und mit Kolleginnen und Kollegen darüber diskutieren müssen. Eine Art Assessment-Setting. Ich bringe die Aufnahmequote nicht in Erfahrung, Nae meint aber, dass wohl ein hoher Prozentsatz aufgenommen würde.

Ein Übertritt an eine nationale Universität nach der Jionomory-Schule ist schwierig, der Schnitt von der Wettbewerbslosigkeit in die grosse Konkurrenz ist dann doch zu hart. Viele private Universitäten nehmend die Abgängerinnen und Abgänger aber gerne auf, da es sich um sehr selbständige, kreative junge Leute handelt.

Ich bin froh, dieses Gegengewicht erlebt zu haben, wieder einmal eine mit viel Idealismus geführte Reformschule gesehen zu haben.
Dann ist Zeit, selbst in eine Sushi-Restaurant zu gehen und die Fisch-Reis-Seegras-Rollen vom Förderband zu fischen – dann haben sie aber meist schon einige Runden von Tisch zu Tisch hinter sich und sind nicht mehr so frisch. Besser man bestellt sie auf einem Touchscreen. Dann kommen sie nämlich auf einem zweiten Förderband per Spielzeugferrari genau zu unserem Tisch angerast und sind frischer…

Heute ist mir das Land wieder sehr sympathisch.

Museum des Erziehungsministeriums

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Wieder in Tokio. Der netten Angestellten des mächtigen Erziehungsministeriums MEXT ist nicht ganz wohl, dass ich Schulbücher fotografiere, aber sie kann mir den Wunsch auch nicht abschlagen.
Ich bin der einzige Besucher im Museum des Erziehungsministeriums – was nicht weiter verwundert, ist doch auch kaum irgendwo publiziert, dass es dieses Museum gibt. Als das Ministerium vor ein paar Jahren neue Gebäude (hinten im Bild) bezog, hat man das alte Gebäude stehen lassen, das – seit 1933 unverändert so genutzte – Büro des Ministers zum Museum erklärt und durch ein paar Räume ergänzt, in denen die Geschichte des Schulwesens in Japan dokumentiert wird.
Lediglich die Überschriften sind auch englisch angeschrieben, so dass ich auf die Beamtin angewiesen bin, die mir das eine oder andere erklärt, aber auch nicht sehr gut Englisch spricht.

Mich würde auch der Neo-Konfuzianismus während der Shogunats-Zeit (Google-Books) interessieren, darüber ist aber kaum etwas in Erfahrung zu bringen. Beschrieben ist die Erziehung am Ende des Shogunats und während der Meiji-Restauration (vgl. MEXT), 1879 wurde das erste Erziehungsgesetz verabschiedet.
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Ich konzentriere mich auf die Illustrationen in den Schulbüchern, um die ja immer wieder heftig diskutiert wird.
Greifbar sind einige Büchlein aus den frühen 1940-er-Jahren, die für die damals besetzten Gebieten bestimmt waren und die die Rhetorik der Kriegsjahre etwas erahnen lassen:
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Es werden auch einige Bilder aus dem zweiten Weltkrieg gezeigt – eine viel bessere Quelle für diese Zeit ist das Showa-Dokumentationszentrum Showakan, das auch von vielen Schulklassen besucht wird (und dem offenbar ständig Subventionen gekürzt werden).
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Bilder MEXT und histclo.com (Evakuation von Schulkindern und Ausbildung als Flabhelferinnen)
Im MEXT-Museum dokumentiert wird dann die Neugliederung des Erziehungssystems während der amerikanischen Besatzungszeit (System 6-3-3-4 usw.). Wie stark auch darauf eingegangen wird, dass einige der amerikanischen Vorgaben nach dem Wiedererlangen der Souveränität wieder abgeschwächt wurden (Wiedereinführung von moralischer Erziehung, Stärkung von nationalem Gedankengut), kann ich nicht beurteilen.
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Hier ein paar Ausschnitte aus heutigen Büchern, in denen u.a. der Atombombenabwurf auf Hiroshima thematisiert wird. Andere Bilder aus dem zweiten Weltkrieg finde ich in diesem Lehrbuch nicht.
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Mir fällt auch wieder auf, sie anspruchsvoll es ist, drei Schriften und dann mit der ersten Fremdsprache noch eine vierte lernen zu müssen.
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„Lebenskundliches“ (Zest for Life) hat einen wichtigen Platz und wird sehr breit gefasst (Höflichkeit, Sauberkeit, wann es angemessen ist, Fernsehen zu schauen und wann nicht usw., woher die Lebensmittel kommen usw.).
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Fukushima University

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Natürlich: Die Katastrophe ist auch hier präsent. Die Uni hat ein „Fukushima Future Center for Regional Revitalization“ geschaffen, neun Projektteams arbeiten daran, die Region wieder aufzubauen. Die Angst sei aber nach wie vor präsent. Niemand wisse, ob und wann ein weiteres Erdbeben komme.
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Reiko gibt sich enorm Mühe, mir einen bestmöglichen Einblick in das Studium zur Lehrperson zu ermöglichen. So lädt sie an zwei Tagen eine Gruppe von Studierenden in ihr Büro an der Uni Fukushima ein, damit ich Fragen stellen und mir auch ein Bild aus Studierendenperspektive machen kann. Die Gespräche sind sehr interessant, auch wenn wir ab und zu an Sprachgrenzen stossen. Ich versuche, meine Notizen etwas zusammenzufassen:

Lehrerinnen- und Lehrerbildung an National Universities
Schon in Nara habe ich gehört, dass es für eine Schule wichtig sei, sowohl Absolventinnen und Absolventen einer „University of Education“ wie anderer Universitäten, die ebenfalls Lehrpersonen ausbilden, anzustellen.
Jetzt, wo ich mich intensiver mit den Lernangeboten in Fukushima befasse, leuchtet das ein.
Fukushima University ist eine nationale Universität mit verschiedenen Fakultäten. Das Angebot ist hier breiter, der Lehrberuf steht weniger im Zentrum. Auch wer Erziehung studiert, wählt vielleicht später einen völlig anderen Beruf und wer den Lehrberuf wählt, hat sich v.a. mit Zielstufe Primar oder Kindergarten, mit verschiedenen Fächern nicht sehr intensiv befasst, dafür einen breiten Horizont erworben.
Das System hat für die Dozierenden Nachteile, weil sich z.B. etwa die Hälfte der Studierenden nicht für didaktische Fragen interessieren, auch wenn sie eine entsprechende Veranstaltung belegen.

Aufnahme
Im Januar legen die Mittelschülerinnen und -schüler, die eine Universität besuchen wollen die zentrale Universitätsaufnahmeprüfung ab, die durch das Entrance Examination Center durchgeführt wird. (PDF).
Die einzelnen Universitäten legen fest, wie sie diese an der zentralen Prüfung erzielten Resultate verwenden wollen, z.B. welche in welchen Fächern die Prüfung abgelegt werden muss und welche Punktzahl nötig ist, damit man sich zur internen Aufnahmeprüfung anmelden kann.
Die Fukushima Universität verlangt mindestens 60% der 1200 möglichen Punkte, also momentan 720, während die Tokyo University etwa 1100 verlangt.
Je nach Uni werden noch Empfehlungsschreiben, Mittelschulzeugnisse usw. verlangt, danach wird man zu den universitätsinternen Prüfungen zugelassen, die einen allgemeinen und einen fachspezifischen Teil haben können.
Wer in Fukushima z.B. ein Studium an der „Faculty of Human Development and Culture“ (von dem meisten immer noch „Education“ genannt) mit dem Major Sport absolvieren möchte, hat einen Aufnahmeprüfungsteil zu bestehen, die sehr ähnlich ist wie die Fertigkeitsprüfung an der PH Zürich.
Die nationalen Universitäten haben zwei Prüfungssessionen, so dass man sich für zwei Aufnahmeprüfungen anmelden kann.
Die privaten Universitäten haben nochmals andere Prüfungstermine, man kann sich also auch dort noch für die Aufnahmeprüfung anmelden. Es gibt private Universitäten, die sehr hohe Anforderungen stellen, bei vielen ist das aber nicht der Fall und es besteht die Angst, dass diese Unis (mit dem Rückgang der Interessentinnen und Interessenten durch den Geburtenrückgang) die Anforderungen nochmals senken.

In Fukushima, wie an den meisten Universitäten hat jeder Studiengang („class“) hat eine vorher bestimmte Anzahl Studienplätze. „Sports Pursuit“ also z.B. 40, „Lifelong Sports“ 15 und „Arts and Culture“ ebenfalls 15 (vgl. die Studiengänge unten). Die Kandidierenden mit den besten Prüfungsergebnissen werden dann aufgenommen, häufig liegt die Aufnahmequote im einstelligen Prozentbereich.
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Vier Fakultäten, Studiengänge mit verschiedensten Wahlmöglichkeiten
Fukushima University verfügt über vier Fakultäten:

  • Faculty of Human Development and Culture. Die Fakultät hiess früher „Faculty of Education“. Bis 2005 machten auch alle, die an dieser Fakultät ein Studium absolvierten, einen Abschluss als Lehrperson. Unterdessen schliesst nur noch etwas die Hälfte der Studierenden mit einem Lehrdiplom ab.
  • Faculty of Administration and Social Sciences
  • Faculty of Economics and Business Administration
  • Faculty of Symbiotic Systems Science (mit Symbiotic Systems Science ist eine Symbiose von Menschen, Natur und Industrie gemeint, hier werden bewusst humanwissenschaftliche und naturwissenschaftliche Ansätze verbunden)

Der Uni ist es wichtig, dass Studierende einer Fakultät auch Veranstaltungen anderer Fakultäten besuchen. Wie ich heraushöre ist dass den Studierenden allerdings etwas weniger wichtig.
In der Uni-Broschüre wird das das mit folgendem Curriculumaufbau dargestellt:
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  • „Studium Generale“ mit z.B. Fremdsprachen, ICT, Friedenserziehung
  • Selbstorganisiertes Studium, hierzu gehören z.B. selbst organisierte Praktika
  • Spezialisiertes Studium, der eigentlichen Kern mit den Veranstaltungen des gewählten Fachs (es ist immer von „Major“ die Rede, die meisten wählen aber nur ein Fach, d.h. einen „Minor“ gibt es nicht)
  • Lehrveranstaltungen innerhalb des Clusters (d.h. meist der Fakultät)
  • Frei wählbare Veranstaltungen, die aus anderen Fächern gewählt werden sollen. Quelle: Uni-Broschüre (PDF)

Faculty of Human Development and Culture: Lehrdiplome in drei verschiedenen „Majors“
Die Fakultät, in der die Lehrerinnen- und Lehrerbildung beheimatet ist, möchte „educators“ in einem weiteren Sinn ausbilden, als auch Personen, die nachher z.B. im Personal- oder Weiterbildungswesen, als Sportlehrerinnen und -lehrer, Sozialarbeitende, Juku-Lehrpersonen, Beamte, NGO-, Bank- und Medienleute usw.
Abschlüsse als Lehrpersonen kann man erwerben für

  • Kindergarten (Generalist/in)
  • Primarschule (Generalist/in)
  • Junior High (ein Fach)
  • High School (ein Fach)
  • Sonderpädagogik

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Das heisst aber nicht, dass die Studiengänge den Lehrdiplomen entlang aufgebaut sind. Man kann folgende Studiengänge (Classes) wählen:
Major in Human Development

  • „Learning Support Class“ (hier studieren in der Regel angehende Primarlehrpersonen)
  • Education Research Class
  • Human Science Class
  • Special Needs Class (angehende Sonderklassenlehrpersonen. Inklusion habe ich in Nara gesehen, hier werden Kinder mit besonderen Bedürfnissen aber eher separiert)
  • Child Education Support Class (v.a. von angehenden Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen belegt)

Major in Cultural Exploration

  • Language and Culture Classes (auch von angehenden Jr High und High School-Lehrpersonen belegt)
  • Local Community Life and Culture Classes
  • Mathematical Science Class (v.a. angehende Jr High und Highschool-Lehrpersonen)

Major in Sports and Arts (hier studieren viele Studierende mit dem Ziel Primar-, Junior High, und Highschool)

  • Sports Pursuit Class
  • Lifelong Sports Class
  • Art and Culture Class

Studienverlauf
Die ersten beiden Jahre des vierjährigen Studiums sind relativ hoch strukturiert. Ein Stundenplan kann dann etwa so aussehen.
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Quelle: Uni-Broschüre (PDF)
Im dritten und vierten Jahr werden aber viel weniger Veranstaltungen besucht, das Lernen für die Abschlussprüfungen und das Schreiben der Diplomarbeit ist dann im Vordergrund, im 4. Studienjahr belegt man nur noch etwa zwei Veranstaltungen.
Die Uni schreibt vor, dass man nicht über 24 Punkte pro Semester belegen darf. 1 Punkt entspricht einer Semesterwochenstunde.
Das Semester dauert 15 Wochen, dazu kommt eine Prüfungswoche pro Semester. In den Zwischensemestern wird gelernt, z.T. gibt es Studierendenvereine, die das gemeinsame Lernen organisieren.
Die meisten Studierenden tragen etwas zur Finanzierung ihres Studiums bei, d.h. sie arbeiten z.B. zwei Mal pro Woche von 17 Uhr bis ein Uhr nachts in einem Restaurant.

Berufsziel und Studium haben einen sehr losen Zusammenhang
Beim Gespräch mit den Studierenden und Reiko wird mir klar noch klarer, was ich eigentlich wusste und nochmals in Nara erfahren habe: Auch in den erziehungswissenschaftlichen Studiengängen haben Studium und Berufsziel keinen sehr grossen Zusammenhang. Diese Tendenz ist in den „Universities of Education“ etwas weniger stark als in den „National Universities“. Für die Studierenden ist es einfach wichtig, ein Studium abzuschliessen. Während die drei Frauen, mit denen ich gestern gesprochen habe, gerne Lehrerin werden möchten, verstehen die beiden Männer heute meine Frage nicht ganz. Sie sind in der „Sports Pursuit Class“, möchten aber nach Studienabschluss in einem Privatunternehmen, z.B. einer Bank arbeiten. Studium und spätere Arbeit sind für sie nicht verbunden. Das Studium dient der Erweiterung des Horizonts, dem Verfolgen der eigenen Interessen, es ist auch eine Transitionsphase zwischen der harten Mittelschule und der wieder harten Arbeitswelt. Es ist wichtig, an einer guten Universität studiert zu haben – die Phase der Berufsfindung findet aber während des Studiums statt und nicht vorher, man studiert also nicht auf ein Berufsziel hin, sondern eher, um eigene Interessen zu verfolgen und sich klar zu werden, welchen Beruf man ergreifen möchte.

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Beschäftigungsaussichten
Die Aussichten sind sowohl für Lehrpersonen (wegen des Geburtenrückgangs) wie für die übrigen Berufe (wegen der noch nicht überwundenen Wirtschaftskrise) leider nicht sehr gut, d.h. beim Übergang in den Beruf findet nochmals eine starke Selektion statt. Die angehenden Lehrerinnen und Lehrer absolvieren Prüfungen der Präfektur, in der sie tätig sein wollen, die angehenden Banker z.B. Persönlichkeitstests, Interviews und Assessments, bei denen die Sozialkompetenz im Vordergrund steht.

Ich könnte noch lange mit Studierenden und Dozierenden sprechen und in der Bibliothek lesen. Reiko wüsste auch, welche Vorlesung ich hier halten könnte. An Plänen für eine nächste Reise mangelt es nicht. Aber ich muss bald weiter, ich möchte das Wochenende noch in Tokio verbringen, bevor ich nach Korea, meiner letzten Station auf dieser Reise, weiterfliege.

Rund um Aizu-Wakamatsu

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Die japanischen Kolleginnen und Kollegen meinen, ich solle auch die Natur der Präfektur Fukushima kennenlernen und sie empfehlen mir, nach Aizu-Wakamatsu zu fahren.
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Die Fahrt auf einer JR-Nebenlinie ist tatsächlich sehr schön, die Lokalbahn fährt neunzig Minuten durch eine frühlingsgrüne, bewaldete Hügellandschaft, dazwischen Reisfelder.
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Aizu-Wakamatsu ist vor allem wegen seiner Burg bekannt. Sie hat im Bürgerkrieg zwischen dem Tokugawa-Shogunat und den Meji-Reformern um den Kaiser eine wichtige Rolle gespielt, war sie doch der letzte Rückzugsort der Shogun-Treuen. Die Burg fiel 1868.
Der Fall von Aizu-Wakamatusu führte zu einer Vielzahl von rituellen Selbsttötungen („Seppuku“), am bekanntesten derjenige der Byokkotai, sehr junger Samurai, die sich alle das Leben nahmen, als sie das Schloss in Flammen wähnten. In der Stadt finden sich aber auch andere Gedenksteine, z.B. für Frauen, die ihre Kinder und sich selbst umbrachten, weil sie die Niederlage nicht erleben wollten. Entsprechend haben die damaligen faschistischen und Nazi-Regimes Italiens und Deutschlands Denkmäler gestiftet, um dieser Loyalität bis in den Tod die Ehre zu erweisen. Unheimlich.
Dass es auch anders ging, zeigt im Schloss eine Präsentation über Niijima Yae (Wikipedia engl.), eine der ersten relativ emanzipierten Frauen Japans. Sie hat als Tochter eines Samurai bei der Verteidigung der Burg mitgekämpft, später in Kyoto einen Japan-Amerikaner geheiratet, ist zum Christentum übergetreten und muss ein sehr autonomes Leben gegen viele Konventionen geführt haben.
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20140529-101040-36640054.jpgIn der Stadt hat es zwölf Sake-Brauereien. Reis- und Wasserqualität und das Klima sind ideal. Der heisse Sommer ermöglicht eine gute Reisernte, während des Brauprozesses im Winter ist es aber kalt und die für das Brauen benötigten Bakterien können sich nicht zu schnell vermehren. Ich komme an der Miyaizumi-Brauerei vorbei.
Die freundlichen Angestellten treiben mir einen Herrn vom Tourismusbüro auf, der mich dann durch die Brauerei führt und mir die verschiedenen Installationen für den Brauprozess zeigt (vgl. z.B. factsanddetails). Momentan ist praktisch nichts los, der Reis beginnt in den Reisfeldern erst zu wachsen. Die Sakebrauer, meistens Reisbauern haben auf den Feldern viel zu tun, sie wenden sich dann nach der Ernte der Sakeherstellung zu.

Es ist sehr interessant, Sake zu degustieren. Ich habe die letzten paar Abende ganz verschiedene Sake kennengelernt, der Geschmack ist vom Fermentierungs-, Brau- und Filterungsprozess abhängig und davon, wie stark die Reiskörner poliert, d.h. verkleinert wurden, bevor der Reis weiterverarbeitet wird.

Mit Bahn und Bus (eine Herausforderung weil alles nur japanisch angeschrieben ist) fahre ich dann aufs Bandai-Plateau im Bandai-Asahi-Nationalpark. Rund um Gohsiki-Numa hat es Sümpfe und fünf Seen, deren Wasser je verschieden aussieht, eine schöne, rund zweistündige Wanderung. Etwas Bewegung tut gut. Es steht ja wieder ein gutes Nachtessen mit viel rohem Fisch, zum dem mich Reiko einlädt, bevor.
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Primarschule Fukushima

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Reiko, die mal ein halbes Jahr an der PH Zürich als Gastdozentin verbracht hat und ihre Kolleginnen und Kollegen freuen sich sehr über meinen Besuch in Fukushima. Es war mir wenig bewusst, aber das Gebiet wird seit dem Reaktorunfall von Besucherinnen und Besuchern gemieden, mein Besuch wird auch deshalb sehr geschätzt.
Ich habe ausgiebig Gelegenheit, die der Uni angegliederte Primarschule, und die Lehrpersonenbildung an der Uni zu besuchen. Und ich verbringe jeden Abend in sehr netter Gesellschaft, esse rohen, geräucherten, luftgetrockneten, gesalzenen, gegrillten und gebratenen Fisch, Yakitori, Tempura und weitere exquisite Speisen, trinke Bier, ganz verschiedene Sake und Shochu aus Weizen, Buchweizen und Kartoffeln und bin einmal mehr völlig eingenommen von der Gastfreundschaft der Japanerinnen und Japaner und ihrer Herzlichkeit.
Hier einige Eindrücke von meinem Besuch in der Primarschule, die auch hier die Klassen 1 – 6 umfasst.

Organisation
614 Schülerinnen und Schüler, d.h. je um die 100 pro Jahrgang.
Die Klassengrösse nimmt wegen des Geburtenrückganges ab. In Japan beträgt sie in der Regel um die 35, in Fukushima liegt sie momentan darunter.
50 Lehrpersonen, alle arbeiten Vollzeit (d.h. viel mehr als das, was wir unter Vollzeit verstehen)
Viele der zusätzlich benötigten Angestellten werden mehr oder weniger auf freelance-Basis beigezogen. Die Köchinnen sind z.B. Mütter oder Frauen der Lehrpersonen
Die „affiliated school“ der Universität („Fuzoku“ Elementary School) ist auch zuständig für die Praktika der Studierenden des Studienganges Primarlehrperson der Uni Fukushima. Nächste Woche werden wieder 60 Studierende ihr 4-wöchiges Praktikum starten
Die Uni hat dementsprechend auch bei der Personalauswahl ein Mitspracherecht. Die Präfektur schlägt z.B zwei bis drei geeignete Personen für die Position der Schulleiterin, des Schulleiters vor und die Universität kann sich dann für jemanden dieser Kandidierenden entscheiden.
Die Schule ist beliebt, sie kann nicht alle Interessentinnen und Interessenten aufnehmen und führt deshalb eine Aufnahmeprüfung nach dem Kindergarten durch. Von den 130 Interessierten konnten letztes Jahr 105 aufgenommen werden. Der logische Weg nach der Fuzoku Elementary School der Uni Fukushima führt in die Fuzoku Junior High School. In der Regel schaffen fast alle Sechstklässlerinnen und Sechstklässler den Übertritt. Letztes Jahr konnten in die Junior High noch 40 weitere Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden.

Die Schule hat Fünftagewoche. Es gibt einen fixen Stundenplan für die ganze Schule. Am Morgen mit zwei 100-Minuten-Blöcken, am Nachmittag in der Regel mit zwei 45-Minuten-Lektionen und Zeit für Spielen, an dem sich auch die Lehrpersonen beteiligen. Im Stundenplan ist auch Zeit fürs Putzen des Schulhauses eingeplant (zwei Mal wöchentlich intensiv, drei Mal Besenreinigung). Es ist selbstverständlich, dass die Schülerinnen und Schüler selbst putzen. Die WC werden ebenfalls von Schülerinnen und Schülern nass aufgenommen, nach Schulschluss kommen werden sie aber von Putzfrauen nochmals intensiv geputzt.
Das Mittagessen nehmen die Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer ein. Sie holen ihr Essen in der Küche mit einem Wägelchen ab und zwei Schülerinnen oder Schüler schöpfen es dann ihren Mitschülerinnen und Mitschülern. In der ersten und zweiten Klasse helfen Kolleginnen und Kollegen aus oberen Klassen beim Ausgeben des Essens. Die Lehrpersonen essen ebenfalls im Klassenzimmer.
„Bibliotheksdienst“ haben ebenfalls Schülerinnen und Schüler. Sie gehen gekonnt mit den Scannern um und leihen ihren Mitschüler/innen Bücher aus.
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Die Bücherausgabe wird von Schülerinnen und Schülern betreut

Juku
Juku, d.h. Zusatzunterricht an privaten Institutionen nehmen sehr viele Schülerinnen und Schüler. Die Eltern erachten das angesichts der akademischen Berufswünsche ihrer Kinder (viele wollten Ärzte oder Ärztinnen werden) für nötig, damit sie später einmal die Aufnahmeprüfung in eine gute Universität bestehen. Auch finden die Eltern, angesichts der Globalisierung müssten die Kinder schon früh Englisch lernen. Die Englischlektionen ab 5. Klasse der Primarschule genügen ihnen nicht, sie seien vor allem aufs Hörverstehen und Sprechen ausgerichtet und in den Augen der Eltern zu spielerisch aufgebaut.

Unterricht
In einigem habe ich das Gefühl, einfach eine gute Schule zu sehen – unabhängig davon, ob das jetzt eine schweizerische oder eine japanische Schule ist. Anderes scheint mir kulturspezifisch zu sein.
In den Lektionsbesuchen fällt mir auf:

  • Das Verhältnis Lehrpersonen – Schülerinnen und Schüler ist herzlich. In den Pausen, wenn man zusammen spielt, klemmt ein Lehrer auch einmal eine Unterstufenschülerin unter die Arme, die Schulleiterin herzt eine andere Schülerin.
  • die Türen zu den Klassenzimmern – sofern überhaupt vorhanden – sind immer offen, z.T. sind die Klassenräume ganz offen, d.h. ohne Wand gegen den Korridor oder haben Fenster auch zum Korridor hin.
  • Einräder und damit das Halten der Balance haben ihren festen Platz an den Schulen und werden in den Pausen und im Sportunterricht verwendet (in Nara dachte ich, das sei eher eine Spezialität der dortigen Schule)
  • die Schülerinnen und Schüler sind konzentriert, die „time on task“ ist hoch
  • die Schülerinnen und Schüler hören sich gegenseitig gut zu, sie sind sogar konzentrierter dabei, wenn eine Klassenkameradin oder ein Klassenkamerad spricht als wenn die Lehrperson etwas erklärt
  • Ich habe den Eindruck, dass die Schülerinnen und Schüler nach einer relativ kurzen Sequenz des selbständigen oder kooperativen Arbeitens, des eigenständig nach Lösungen Suchens schnell zur richtigen Lösung für ein Problem hingeführt werden. „Scaffolding“ hat hier Priorität vor der eigenständigen Wissenskonstruktion. Dies macht den Unterricht recht effizient, wenn auch hier und dort wohl auf Kosten des tiefen Verstehens oder der eigenen Kreativität. Auch im Musikunterricht in Grossgruppen verläuft das Blockflötenspielen – in einer herzlichen Atmosphäre – ganz nach dem Vormachen-Nachmachen-Prinzip.

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Kalligraphie wird durch eine Fachlehrerin erteilt, die wegen ihrer besonderen Fähigkeiten das Lehrdiplom bekommen hat
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Der Musikunterricht entspricht im Unterschied zu vielen anderen Fächern wohl nicht ganz den schweizerischen musikdidaktischen Prinzipien – aber er findet statt
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Textiles Werken mit 32 Schülerinnen und Schülern
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Science-Lektion zum Thema Elektrizität
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Das Schreiben eines Aufsatzes wird mit einer Mindmap vorbereitet

Hausaufgaben
Es gibt keine „klassischen“ Hausaufgaben, in denen z.B. Rechenoperationen geübt oder Aufsätze geschrieben werden. Hausaufgaben gehen eher in Richtung, eine Fragehaltung aufzubauen, die eigenen Interessen und das eigene Potenzial besser kennen zu lernen. Reiko erklärt, dass ein Kind, das gerne draussen sei, also z.B. in den Wind stehe, versuche den Wind zu spüren und Fragen zusammenstelle: warum spüre ich den Wind, warum ist das so verschieden, wenn ich geschwitzt habe und wenn nicht, warum ist der Wind manchmal warm, manchmal kalt? Solche Fragen sollen die Kinder dann selbst zu beantworten suchen und die Antworten oder noch offene Fragen in die Schule mitbringen. Erwünscht sei auch, dass man z.B. zu Hause werke. Wenn man in der Schule das Nähen gelernt habe, solle man das zu Hause weiter üben, den Eltern komme bei der Entscheidung, mit welchem Werkstoff gearbeitet werden solle, eine wichtige Beratungsfunktion zu. Für die Ferien werden regelmässig Aufgaben gegeben wie „Erlebnisse malen“, „Insekten beobachten und die Beobachtungen festhalten“, „Tagebuch schreiben“, „Ein fotografisches Tagebuch zusammenstellen“.

Zusammenarbeit mit Eltern
Es existiert, wie überall in Japan eine PTA (Parents-Teacher-Association), die bei Schulanlässen mithilft, sich regelmässig trifft, Anregungen gibt usw. Eltern können nach Voranmeldung jederzeit in die Schule kommen und z.B. Unterricht beobachten. Es gibt institutionalisierte Gespräche mit Eltern, für die bestimmte Zeiträume vorgesehen sind (September, Dezember/Januar usw.). An dieser Schule finden die Elterngespräche in der Schule statt, es gibt aber viele Schulen, in denen die Lehrpersonen diese Gespräche bei der Familie zu Hause durchführen.

Lehrplan
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Seit der letzten Überarbeitung, die den Schülerinnen und Schüler mehr Freizeit hätte bringen sollen, wurde die Stundendotation wieder erhöht. Japanisch wurde gestärkt, ebenso Social Studies, Arithmetik und Science. Gekürzt wurde dagegen die Zeit für den von den Schulen selbst verantworteten fachübergreifenden Unterricht.
Sport heisst unverändert „Leibeserziehung“.
In den ersten beiden Schuljahren haben – das ist mir schon in Nara aufgefallen – die „Living Environment Studies“ ihren festen Platz. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich in diesen drei Jahreswochenstunden intensiv mit der Natur auseinander. Sie sind meistens draussen, beobachten die Natur, ziehen z.B. Frösche auf. ESD, d.h. Education for sustainable development hat an den Schulen einen festeren Platz als in der Schweiz. Die Grundlage wird in den „Living Environment Studies“ sehr handlungsorientiert gelegt, nachher wird das Thema in „Science“ weiterbearbeitet.
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Social Living Studies
Unter „Special Activities“ sind z.B. Planungsarbeiten für eine Exkursion, den Schuljahresabschluss usw. subsummiert.
Moralische Erziehung erinnert an einen stark gelenkten Lebenskunde-Unterricht. Es werden z.B. Situationen besprochen, in denen ein Kind, einen verbotenen Weg gehen will, weil das viel schneller gehe. Die Schülerinnen und Schüler argumentieren dann über Vor- und Nachteile und kommen natürlich zum Schluss, dass der verbotene Weg nicht eingeschlagen werden soll.
Im fächerübergreifenden Unterricht werden die drei Klassen eines Jahrgangs zusammengenommen und bearbeiten miteinander ein Thema. Eines ist „Sonnenblume“ ein weiteres – nicht überraschend für Fukushima – „Carry on“. Mach weiter, es muss weiter gehen, schaue optimistisch in die Zukunft ist der Tenor dieses Themas. Ein Jahr später heisst das Thema „Regenbogen“. Es geht um Verschiedenheit, wie sie in den Farben des Regenbogens zu finden ist, ein Verschiedenheit, die miteinander harmonieren muss – auch wie im Regenbogen. Auch dies ein sehr japanisches Thema, wie mir scheint.
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Carry on…
Schulleitung, Lehrpersonen
Schulleitungen werden von der Präfektur eingesetzt und von dieser auch wieder abberufen. Die Verweildauer an einer Schule beträgt zwischen einem und acht Jahren, spätestens dann wird man versetzt. Reiko erachtet eine Amtsdauer von drei bis vier Jahren als optimal. Sie wird entsprechend nächstes Jahr zurücktreten und dann wieder vollamtlich an der Uni tätig sein.
Auch Lehrpersonen werden von der Präfektur eingesetzt und allenfalls versetzt, wobei sie sich selbst für Stellen an anderen Schulen bewerben können.
Lehrpersonen arbeiteten – wie die meisten Japanerinnen und Japaner – extrem lange. Offiziell beginnt die Präsenzzeit an der Schule vor acht Uhr und endet um 18:00 Uhr. An anderen Schulen endet sie etwas früher, sie haben dafür keine dreiwöchige Sommerpause. Das heisst aber nicht, dass die Lehrpersonen um 18:00 Uhr nach Hause gehen, die meisten arbeiten bis 22:00 Uhr in der Schule weiter. Der Verwaltungsleiter (der auch so lange bleibt) muss dann jeweils mit dem Mikrophon alle auffordern jetzt nach Hause zu gehen.
Auch die drei Wochen Ferien werden von kaum jemandem eingezogen. Warum? „Das ist japanisches Denken“. Aber Reiko ist auch der Meinung, dass das nicht gesund sei. Sie sieht ein Hauptproblem darin, dass alle so sozialisiert sind, sämtliche Arbeiten, die anstehen auch zu erledigen. Und weil im Lehrberuf letztlich nie alles erledigt ist, arbeiten die Lehrpersonen weiter und weiter. (So ganz unbekannt kommt mir das ja nicht vor…) Schlafmangel sei ein grosses Problem. Einige werden dann tatsächlich krank und können nicht mehr arbeiten. Eine wichtige Herausforderung aller an der Schule Beteiligten sei zu lernen, Prioritäten zu setzen. Aber eben, das sei bei all den Anforderungen, die auch von Elternseite kämen, sehr schwierig. Zwei Personen auf der zweiten Führungsebene seien fast nur damit beschäftigt, das Telefon zu bedienen und Anliegen von Eltern zu bearbeiten. Zwei Mal im Monat sitzt die Schulleitung mit einer Beraterin zusammen und macht eine Art Supervision.
Die Lehrpersonen machen vier Mal im Jahr eine kollegiale Unterrichtsbeobachtung.
Ausspannen wäre wichtig. Mir fällt aber auch auf, wie die Vorstellung von Ausspannen völlig anders ist als in Europa. Sich wirklich gut zu erholen heisst z.B., eine Woche Ferien zu nehmen und nach Europa fliegen… Das ist mir schon in anderen Gesprächen aufgefallen. Die Zeit, sich zu erholen, wird extrem kleinräumig bemessen. Auch Erholung geht – wie alles hier – äusserst effizient vor sich.
Teilzeitarbeit ist für Lehrpersonen nicht möglich.
Reiko hatte in Zürich ähnliche Momente des Staunens wie ich in Japan. Die vielen Dozierenden und Lehrpersonen mit Teilzeitpensum sind ihr aufgefallen. Oder, dass man in der Schweiz das Gefühl habe, viel zu arbeiten; dabei gingen viele schon vor 17 Uhr nach Hause. „Aber das ist schweizerisches Denken“. Reiko fasst zusammen, dass in der Schweiz das übrige Leben wichtiger sei als die Arbeit. In Japan sei das genau umgekehrt.

Und ja, wie ich gestern beschrieben habe, ist auch der Kernkraftwerkunfall präsent.

Fukushima

Ich habe in Fukushima heute viele schöne und interessante Begegnungen und lerne eine tolle Schule kennen. Weil das Wort aber Assoziationen auslöst, zuerst dieser Beitrag:

Das Erdbeben und der anschliessende Tsunami vom 11. März 2011 kosteten laut meinem Lonely Planet-Reiseführer etwa 20’000 Menschen des Leben und verwüsteten das ganze Küstengebiet praktisch vollständig. Während in Japan meist vom „Great Eastern Earthquake“ zu lesen ist, steht in Europa „Fukushima“ als Chiffre für den darauf folgenden katastrophalen Unfall mit Kernschmelze im Kraftwerk Fukushima-Daiichi, den grössten AKW-Unfall seit Tschernobyl. Eine Zone von 20 km um das AKW ist bis heute unbewohnbar und wird es sicher noch lange bleiben. Zum Krisenmanagement Japans und seiner Art, Verantwortung gegenüber der Welt, die ja als Ganzes betroffen ist, zu übernehmen, gibt es viele Fragezeichen. So wird z.B. jetzt Grundwasser aus Fukushima, das unter „Grenzwerten“ liegt in den Pazifik geleitet (vgl. FAZ).

Auch in Japan ist „Fukushima“ noch fast täglich in den Nachrichten. Es geht um die Entsorgung des zur Kühlung verwendeten Wassers, um die Weigerung der Regierung, Aussagen, die der inzwischen verstorbene damalige Tepco-Präsident gegenüber der Untersuchungskommission machte, zu veröffentlichen (die Familie wolle das nicht…) und um den beschlossenen Wiedereinstieg Japans in die Atomkraft. Dieser wurde letzte Woche, als ein AKW wieder ans Netz wollte, durch einen Gerichtsbeschluss verzögert.

In der Präfekturhauptstadt Fukushima, 52 km von der Ruine des Kernkraftwerks entfernt, ist ausser Baulücken von den Erdbebenschäden nichts mehr zu sehen, präsent ist aber der Atomunfall.
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In der Primarschule der Universität, die ich besuche, wird die Strahlenbelastung ständig gemessen, sie liegt heute so um den in Deutschland als unbedenklich eingestuften Grenzwert (vgl. Wikipedia). In Japan wurden die Grenzwerte aber wesentlich höher definiert, d.h. die heutigen Werte sind tief, die Schulleiterin beginnt sich erst Sorgen zu machen, wenn sie etwa das doppelte betragen.
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Gemessen werden muss auch die Belastung des Essens. Je eine Probe aller angelieferten Esswaren wird puriert und dann wird die Belastung in einem Messgerät überprüft. Erst wenn die Probe als unbedenklich eingestuft wird, werden die Lebensmittel weiterverarbeitet.
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Vor dem Reaktorunfall war die Schule stolz darauf, ausschliesslich Lebensmittel aus der Präfektur zu verwenden. Heute ist das nicht mehr möglich. Der Kartenausschnitt zeigt, aus welchen Landesteilen welche Lebensmittel eingekauft werden.
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Indirekt hatte der Unfall auch Auswirkungen auf den Sportunterricht. Weil sich die Kinder wegen der Strahlenbelastung lange Zeit nicht mehr im Freien aufhalten durften, also kaum mehr Bewegung hatten, wurden viele fettleibig. Die Präfektur hat deshalb ein Bewegungsprogramm ausgearbeitet, dass von allen Schulen durchgeführt werden muss.
Und wie es mit der psychischen Belastung der Kinder sei, frage ich. Immerhin wurden über 100 Schülerinnen und Schüler aus der Evakuationszone hier eingeschult. Es gehe, meinen die Mitglieder der Schulleitung. Man höre, dass einige evakuierte Erwachsene unter Depressionen litten, die Kinder seien aber meist lebendig und fröhlich und erhielten von den Lehrpersonen und den Mitschülerinnen und -schülern immer eine Aufmunterung, wenn es ihnen mal nicht so gut gehe.

1700 km und ein paar Learnings

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1700 km Bahnfahrt von Saga nach Fukushima. Trotz drei Mal umsteigen dauert das nur achteinhalb Stunden. Honshu ist im Flachland sehr dicht bebaut, über weite Strecken zubetoniert. Die Aussicht ist denn auch nicht sehr berauschend – Mt. Fuji taucht heute nicht auf – und mir bleibt etwas Zeit, mir im Hinblick auf die Schul- und Universitätsbesuche in Fukushima und Korea zu überlegen, was denn bis jetzt meine „Learnings“ bezüglich Schule sind.
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Wenn ich mich an das Angebots-Nutzungsmodell von Helmke und anderen (hier kopiert von der Uni Koblenz-Landau) anlehne und so nach Differenzen suche, so gibt es natürlich Unterschiede im Angebot. Viele Lehrpersonen unterscheiden sich von ihrer Philosophie und ihrem Engagement meines Erachtens aber nicht stark von Schweizer Lehrpersonen. Auch ihre Auffassung von gutem Unterricht ist nicht so verschieden. Die Art, wie sie Unterricht durchführen ist (bei gegen 40 Schülerinnen und Schüler) sicher etwas frontaler, es kann weniger individuell auf die einzelnen eingegangen werden, aber der Ablauf des Unterrichts folgt häufig Unterrichtschoreographien, die wir auch kennen. Es ist also meines Erachtens nicht das Angebot, das den grossen Unterschied ausmacht – obwohl wir natürlich fast reflexartig immer zuerst dort suchen. Unterschiede sind stärker in anderen Bereichen auszumachen.

(1) Der Kontext unterscheidet sich wesentlich. Die kulturellen Rahmenbedingungen sind in einer Kollektivgesellschaft ganz anders als in einer Individualgesellschaft. Allzu viel Individualismus ist nicht erwünscht, man lernt schon früh in der Familie und in der Gesellschaft, wie man sich zu benehmen hat, welches Verhalten erwünscht ist und welches Verhalten bestraft wird. Die Gesellschaft ist weniger permissiv, man kann es sich kaum leisten, unangenehm aufzufallen, sonst fällt man als Kind, als Jugendliche/r und als Erwachsene/r durch die Maschen. Dieser kontextuelle Faktor hat einen wesentlichen Einfluss auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler.
(2) Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass alle Schülerinnen und Schüler ein hohes Lernpotenzial haben, wenn sie sich nur entsprechend anstrengen. Faktoren wie Begabung, familiärer Hintergrund usw. werden viel weniger gewichtet. Anstrengung ist der Schlüssel zum Erfolg. Z.T. konfuzianisch, z.T. nachkriegs-demokratisch geprägt, ist das System sehr meritokratisch. Nur wer bei all den Aufnahmeprüfungen Erfolg hat, kommt weiter, d.h. wird in eine gute Junior High, eine gute High School, eine gute Universität aufgenommen und erhält schliesslich eine gute Stelle. Eine zweite Chance gibt es allenfalls nach einem Jahr, wenn man sich mehr angestrengt und strenger gelernt hat, nachher aber nicht mehr.
(3) Die Familie hat einen grossen Einfluss auf den Schulerfolg, in dem sie die Schulen finanziert und vor allem auch die ausserschulische Nachhilfe ermöglicht, d.h. z.B. einen guten Prüfungsvorbereitungskurs finanziert, eine gute Nachhilfe für ein weiteres Vorbereitungsjahr auf die Aufnahmeprüfung bezahlt usw. Dafür werden immense Summen ausgegeben, so viel, dass viele Eltern angeben, sich nicht mehr als ein Kind leisten zu können. Die meritokratische Ausrichtung wird dadurch natürlich ausgehebelt.
(4) Ich meine, dass die Familie dadurch einen sehr direkten Einfluss auf die Lernaktivitäten und vor allem auf das „ausser“schulische Lernen hat. Den Kindern und Jugendlichen ist bewusst, dass sich ihre Eltern finanziell und emotional stark für sie verausgaben (Das Beten von Eltern in den verschiedenen Tempeln und Schreinen vor den Prüfungen ist z.B. sehr verbreitet). Entsprechend stark unter Druck stehen die Schülerinnen, Schüler und Studierenden und entsprechend nutzen sie, falls sie dem Druck standhalten, vor allem vor Prüfungen auch sämtliche zur Verfügung stehenden Lernangebote.
(5) Das Lernen soll natürlich den Aufbau von fachlichen Kompetenzen und einer harmonischen Gesellschaft bewirken. Gemessen wird es aber fast ausschliesslich an Prüfungserfolg. Alles Lernen ist – mit allen Vor- und Nachteilen – stark auf dieses Ziel ausgerichtet. Die asiatischen Länder sind sich dabei sehr wohl bewusst, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht allein durch Auswendiglernen erreicht wird (dass aber Ehrgeiz, Selbstdisziplin, Verausgabungsbereitschaft und das Zurückstellen von persönlichen Bedürfnissen durchaus helfen). Entsprechend sind die Prüfungen so aufgebaut, dass z.B. Problemlösekompetenz nötig ist, um sie gut zu bestehen.

Dass das alles nicht für alle aufgeht, hat vor einem halben Jahr Abigail Haworth in einem süffigen Artikel im Guardian beschrieben: „Why have young people in Japan stopped having sex?“

Immer wieder interessante Einblicke in die Gesellschaft Japans gibt auch der in Kyoto lehrende amerikanische Soziologe Robert Moorehead in seinem Blog, in dem auch Studierende zu Wort kommen (vgl. auch gestrigen Eintrag).

In Tokio habe ich 8 Minuten, um umzusteigen. Der Zug kommt auch auf die Sekunde pünktlich an und für den Wechsel von einem Perron zum anderen braucht man 6 Minuten… Klappt also bestens. Nach Tokio wird es grüner, die Landschaft wirkt in der Präfektur Fukushima freundlicher. Aber mit dem Namen sind natürlich die Assoziationen an das grosse Erdbeben, den Tsunami, die Atomkatastrophe verbunden.
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An der Küste

Frühstücksfernsehen. Eigentlich nicht mein Ding, aber mit der Übersetzung von Noriko ist es ganz interessant. Der Stammzellenforscher und Medizin-Nobelpreisträger Shinya Yamanaka erzählt anschaulich von seinen Forschungen und was er sich davon erhofft. Und er erzählt, wie er während seiner Forschungen in den USA oft den Song „a whole new world“ gehört habe. Der Song wird eingespielt, Moderatorin und Nobelpreisträger hören versonnen lächelnd zu und Yamanaka meint, ja dieses Lied habe ihn inspiriert, an seinen Forschungen dranzubleiben, etwas zur Verbesserung der Welt beitragen zu wollen. Inspiration – das Wort habe ich auf dieser Asienreise und früher in den USA immer wieder in Zusammenhang mit Forschung, mit dem Lehrberuf gehört. Auch wenn der Begriff vielleicht unterdessen etwas abgedroschen wirkt: etwas Inspiration würde uns auch in der Schweiz gut tun.

Ich weiss, das ist jetzt ein Widerspruch zu einem meiner ersten Blogeinträge aus Japan („Düster„). Ich verstehe die Art der losen Koppelung zwischen verschiedenen Gesellschaftssegmenten hier noch nicht annähernd.
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Nach der Käseschnitte und dem Kaffee fährt mich Noriko zum Bahnhof, mit dem Regionalzug durchquere ich die Hügellandschaft und steige an der Endstation in Karatsu aus. Karatsu liegt an der Meerenge zu Korea, es ist für seine Töpfereien berühmt und war ein wichtiger Verladehafen für Kohle. Hier leihe ich mir ein Velo aus und fahre der Küste entlang etwa 20 km bis Yobuko. Anfangs liegen rechts das Meer und links Reisfelder, mit der Zeit wird es hügelig und ich muss mich durch die frühlingshaften Wälder ziemlich abstrampeln.
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Yobuku ist ein Fischerdorf, hier legen die Fischerboote an und die Fischer trocknen Fische und Tintenfische an der Sonne, z.T. maschinell unterstützt, in dem die Fische wie auf einem Karussell durch die Luft gewirbelt werden. Einige Fische werden gerade gewürzt. Das Städtchen zeigt nochmals eine ganz andere Facette des Landes.
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Zurück in Karatsu besuche ich die frühere Residenz des Kohle-Magnaten Takatori. Eine sehr beeindruckende, an der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert gebaute Anlage. Ein Angestellter erklärt mir all die Details: die Holzschnitzereien in den Verbindungswänden, die Schatten auf die Wände werfen, die Malereien, die ihre Farbe wechseln, die grosse Grube unter dem Parkett der Noh-Bühne, damit bei den Aufführungen genügend Resonanz vorhanden ist. Mich beeindruckt an der traditionellen japanischen Architektur immer, wie innen und aussen verbunden werden, wie man durch geschicktes Verschieben der Wände immer einen schönen Blick auf die perfekten Gartenanlagen hat, wie einladend es ist, auf die Tatamimatten zu knien und einfach zu schauen. (PDF mit Beschreibung und Blog eines Ryokans mit Fotos).

Beim Nachtessen unterhalte ich mich mit Noriko über die „Ikumen“, wir würden wohl von den „neuen Vätern“ sprechen, Männer, die mehr Zeit für Familie und Kinder einsetzen. Ihre Einstellung dazu ist ambivalent, wie es z.B. auch in diesem Blogbeitrag eines Studenten zum Ausdruck kommt.