Bild GNUE
Am Morgen führt mich ein Assistent von Namgi in Krawatte und Anzug durch die Gwangju National University of Education. Er verbeugt sich dabei recht oft, auch vor meines Erachtens Gleichaltrigen und Gleichgestellten. Er müsse sich vor allen, die über ihm studiert hätten, verbeugen, das sei eine kulturelle Selbstverständlichkeit und auch Vorschrift, ob es das bei uns gar nicht gäbe, meint er. Ja stimmt, wir schüttelten uns halt die Hand. Das wissen viele hier und recht unvermittelt wurde mir z.B. beim Verlassen eines Restaurants oder nach einem kurzen Gespräch in der Metro schon die Hand geschüttelt.
Die Uni hat etwa gleich viele Studierende wie die PH Zürich, ist aber flächen- und raummässig einiges grösser, einerseits haben die meisten Dozierenden ein grosses Einzelbüro, andererseits lebt etwa ein Drittel der Studierenden in Dormitories auf dem Campus. Auch die in der Stadt lebenden Studierenden haben ihren Lebensmittelpunkt auf dem Campus, Gemeinschaftsräume und Bibliothek sind 24 Stunden geöffnet und werden auch entsprechend genutzt.
Reservation der Kojen in der Bibliothek
Viel mehr Wert wird auch auf Repräsentationsräume gelegt. Der Präsident empfängt mich, er hat, wie schon gestern der KFTA-Präsident ein riesiges Büro mit beeindruckenden Polstersesseln. Er macht mir einen sehr guten Eindruck, er forscht zu Klassenklima und empfindet die Präsidentenzeit als Chance, auch politisch Einfluss zu nehmen. Ich merke aber auch ihm an, dass das Wahlprozedere sehr herausfordernd ist: alle Interessengruppen, vom Stadtpräsidenten über das Ministerium bis zu den Studierenden können hier mitreden. Gleich muss er nach Seoul, wo er häufig zwei Mal pro Woche Sitzungen im Ministerium hat. Er hat für solche Zwecke einen Fahrer, dann kann er während der Fahrt im Auto arbeiten.
Selektion
Schon die Aufnahmeprüfung ist vielstufig und sehr selektiv, nur die 5% Besten aus den High Schools können sich überhaupt bewerben. Danach finden am Ende jedes Semesters Prüfungen statt und schliesslich nach 4 Jahren das Bachelor- (durch die Universität) und Lehrdiplom- (durch den Staat) -Examen und die Bewerbung um eine Stelle in einer Provinz oder Stadt, ebenfalls nochmals ein selektives Verfahren.
Curriculum
Das Undergraduate-Curriculum lässt viele Wahlmöglichkeiten. Jeweils nur einige Kurse für Basiswissen und -können müssen von allen besucht werden, dann stehen im allgemeinen und im spezialisierten Teil viele Wahlmöglichkeiten („Electives“) offen.
Berufspraktische Ausbildung haben die Studierenden insgesamt 10 Wochen: „Practicum is conducted for 10 weeks in total and is divided into Class Observation (1 week), Class Observation in Rural Villages, Islands and Isolated Areas (1 week), Work Practice (2 weeks), Teaching Practice (6 weeks) and Volunteer Teaching for the teacher trainees to acquire hands-on experience in a real school setting.“
Auch Primarlehrerinnen und Primarlehrer unterrichten (ausser in der ersten und zweiten Klasse) lediglich 2 – 3 Fächer, belegen also einen „Major“ und eins bis zwei „Minors“, was ein vertieftes Angebot natürlich einfacher macht.
Seit 1996 hat die Uni auch eine Graduate School, 20 verschiedene attraktive Master-Programme können gewählt werden, das reicht von Invention and Robotics Education über Early Childhood Education bis zu Elementary Ethics Education.
In Namgis Seminar zum „Classroom Management“ sind die zwanzig Studierenden sehr interessiert bei der Sache und erleichtert, dass auch die Schülerinnen und Schüler in der Schweiz manchmal Flausen im Kopf haben. Allzu weit kann ich aber nicht ausholen, Namgi muss heute in der letzten Doppelstunde des Semesters seinen Stoff noch fertig durchbringen und meint, ich würde sämtliche Fragen, die sie noch hätten, gerne per e-Mail beantworten.
Das Verhältnis Dozierende – Studierende ist gut, eine Mischung aus Kollegialität und grossem Respekt den Dozierenden gegenüber. Ein Respekt, der dann auch nach der Diplomierung anhält. Gestern waren sehr viele Alumni an meinem Vortrag, sie hatten ein sichtbar herzliches Verhältnis zu ihrem ehemaligen Hochschullehrer, behandelten ihn aber auch sehr respektvoll. Die Form der Lehrveranstaltung unterscheidet sich kaum von einem Seminar bei uns.
Museum of Education
Klassenzimmer bis anfangs 20. Jh.
Die Universität verfügt auch über ein Museum of Education, Schulzimmer aus verschiedenen Epochen werden gezeigt, der Wandel der Schuluniformen durch die Zeit und auch die Schule während der japanischen Kolonialzeit, als die koreanische Sprache nicht gelehrt werden durfte.
Die Unabhängigkeitsbewegung von Studierenden gegen die japanische Besetzung nahm ihren Anfang 1929 in Kämpfen zwischen japanischen und koreanischen Studenten in einem Zug in der Nähe von Gwangju
Eine Zeitlinie zeigt auch die verschiedenen Präsidenten (eine Präsidentin gab es noch keine), bis anhin durften alle nur für eine Amtszeit von vier Jahren wirken, damit sie nachher wieder problemlos als Professor weiterarbeiten konnten. Der entsprechende Paragraph wurde unterdessen geändert, der Wahlkampf sei aber so anstrengend, dass es vermutlich bei den vierjährigen Amtszeiten bleiben werde.
Kulturzentrum
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Der grosse Stolz der Uni ist das neue Cultural Center. Ein Bau mit 900-plätzigem Auditorium und permanenten Lernangeboten zu den Dokdo-Inseln und zur multikulturellen Erziehung.
Dokdo (vgl. BBC), das auch von Japan beansprucht wird, die „Trostfrauen“ und die Besuche von Premierminister und Regierungsmitgliedern im Yasukuni-Schrein trüben das Verhältnis der beiden Staaten, die auch viele kulturelle Gemeinsamkeiten haben, wesentlich. Auf die japanische Besetzung und Unterdrückung bis ab Beginn des 20. Jahrhunderts bis 1945 wird man überall hingewiesen.
Besuch von Schulklassen: 1. Film über die Dokdo-Inseln und warum sie zu Korea gehören, 2. Stafettenwettkampf, 3. Die siegreiche Gruppe darf an die Kletterwand mit dem Bild der Dokdo-Inseln
Auch auf dem Campus der Uni (die unter japansicher Besetzung 1923 als Lehrerseminar gegründet wurde) finden sich Denkmäler für Studierende und Dozierende, die sich gegen Japan aufgelehnt haben, im Kulturzentrum ist die Kletterwand dem Relief der Dokdo-Inseln versehen.
Das sehr gut und aufwändig gemachte Zentrum für multikulturelle Erziehung gibt den besuchenden Schulklassen einen Einblick in Lebensweise auf allen Erdteilen, das reicht von Speisen bis zu WC-Gewohnheiten.
Besuche von Schulen in Zentren und Museen werden in der Regel von Freiwilligen, Studierenden oder Mitarbeitenden der Museen betreut. Sie sind auf die Gruppenarbeiten, Präsentationen, Wettkämpfe usw. vorbereitet. Die Lehrpersonen sind also hier entlastet und können entsprechend mehr Energie in die Vor- und Nachbereitung der Besuche investieren.