Gedenkstätte zum Gwangju-Massaker

Die vier Tage in Gwangju werde ich etwa 18 Stunden am Tag lückenlos betreut. Namgi hat nichts dem Zufall überlassen und überall Lehrpersonen und andere Bekannte gebeten, für mich zu schauen. Dank der sehr grossen koreanischen Gastfreundschaft komme ich – neben Schul- und Universitätsbesuchen – auch dazu, als VIP die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt und der Region kennen zu lernen. Mir ist diese Sonderrolle etwas unangenehm. Ein Koreaner, der in den USA studiert hat und mich auch einen Tag begleitet meint aber: „It’s the Korean culture. When a guest comes, you make everything possible for him. Just relax“. Ok.

Nach den Schulbesuchen fahren mich zwei Lehrerinnen zum May 18th National Cemetery. Ein Leiter führt uns durch die Gedenkstätte, trinkt mit uns Saft und fordert meine Begleiterinnen immer wieder auf, mir alles zu erklären.
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Bild: Museum

Gwangju nennt sich stolz „Stadt der Demokratie und der Menschenrechte“. Die Region hier wurde von den Regierenden in Seoul meist links liegen gelassen und wird bis heute nicht mit Subventionen verwöhnt. Gwangju war also den Regierenden gegenüber immer skeptisch. Als 1979 Präsident Park, der das Land diktatorisch regiert hatte, ermordet wurde, hoffte man auf einen Übergang zur Demokratie. Stattdessen putschte aber das Militär und übernahm die Macht. Im ganzen Land gab es, meist von den Universitäten ausgehende, Demonstrationen.
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Alle historischen Bilder: 518.org
Das Militär verhängte am 17. Mai 1980 den Ausnahmezustand und schloss die Universitäten.
Am 18. Mai (darum wird überall nur von 518 gesprochen) kam es in Gwangju zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und Studierenden.
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Wegen der offensichtlich willkürlich angewendeten Gewalt des Militärs solidarisierten sich grosse Teile der Bevölkerung mit den Studierenden, Taxifahrer fuhren in einem Protestkonvoi durch die Stadt. Das Militär schoss wahllos in die Menge.
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Schliesslich konnte die Menge das Regierungsgebäude der Provinz besetzen, die Armee musste sich zeitweise zurückziehen, Blockaden wurden aufgestellt und die Bevölkerung bewaffnet. Am 24. Mai wurde Gwangju zur „befreiten Stadt“ erklärt.
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Das Kommando der US- und Koreatruppen unter US-General John Wickham hatte schon am 21. Mai eingewilligt, noch mehr koreanische Truppen zu mobilisieren, um Gwangju wieder unter Kontrolle zu bringen.
Verhandlungen wurden nur wenige Stunden geführt und scheiterten, am 27. Mai übernahm die Armee mit einer Truppenstärke von 20’000 Mann in einem blutigen Einsatz, bei dem Beteiligte und Unbeteiligte wahllos getötet wurden (Gwangju-Massaker), die Kontrolle über die Stadt wieder. Es sollte noch sieben Jahre bis zu den ersten freien Wahlen dauern.
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Eindrücklich ist, dass es danach möglich war, einen „National Cemetery“ zu schaffen, in den die sterblichen Überreste der damals Umgebrachten überführt wurden. Der „May 18th National Cemetery“ ist aber weit mehr als ein Friedhof, er ist eine grosse Gedenkstätte mit einem Denkmal und viel Symbolik, einer Gedenkhalle mit Fotos all der Getöteten, einem grossen Museum, das ausführlich, manchmal mit fast unerträglichen Dokumenten auf die Geschehnisse eingeht.
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Bild: Museum
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Auf dem Gelände hat es auch ein Kindermuseum, das wie ich finde altersgemäss das Klima und die Zeit von damals darstellt und die Kinder über Demokratie und Menschenrechte informiert und nachdenken lässt.
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Kim Dae Jung, der damals beinahe zum Tode verurteilt worden war, wurde 1997 Präsident Südkoreas, der einzige Präsident bisher aus dieser Region. Er hat die damaligen Befehlshaber, denen kurz vorher der Prozess gemacht worden war, begnadigt; ein Versuch, die Nation auszusöhnen.

Ich frage mich, ob und wann China einmal eine solche Gedenkstätte zu Tiananmen 1989 errichten wird. Die Anlage hier gibt mir etwas Hoffnung, dass auch jüngere Geschichte aufgearbeitet werden kann.

Nagasaki

Die Aussenquartiere von Saga sind von einem Kanalsystem durchzogen. Ein Paradies für Frösche. Und zwar für riesige. Ihr Quaken hört sich an wie eine Mischung aus Muhen von Kühen und dem Hupen einer Lokomotive. Ich schlafe dementsprechend so mittel…

Dann fahre ich mit dem Zug nach Nagasaki. Der Name der Stadt wird immer mit dem zweiten Abwurf einer Atombombe im August 1945 verbunden bleiben. Die Eindrücke aus Hiroshima sind mir aber noch so nahe, dass ich nicht zu den Gedenkstätten fahre.
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Ich bin bei früheren Reisen nach Asien darauf gestossen, dass Nagasaki lange das einzige Fenster Japans zur westlichen Welt war. Die niederländische VOC (vereinigte ostindische Compagnie) hatte hier auf der künstlich angelegten Insel Dejima im Hafen von Nagasaki ihre Niederlassung und auch die Chinesen hatten ein ihnen zugewiesenes Gebiet. Entsprechend lief praktisch der ganze Überseehandel Japans in den Jahren 1635 – 1854 über Nagasaki. Nach dem Verbot des Christentums 1635 waren die Portugiesen, die vorher mit Spanien den Handel dominiert hatten, in Japan nicht mehr geduldet. Die Konzession erhielten die protestantischen Niederländer, denen man eher zutraute, keine Mission zu betreiben.
Erst 220 Jahre später, 1854 verloren Dejima und Nagasaki ihre bisherige Bedeutung, weil die erzwungene Öffnung Japans auch die Öffnung anderer Häfen mit sich brachte.
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Ich habe in letzter Zeit David Mitchells „The Thousand Autumns of Jacob de Zoet“ zu lesen begonnen. Er beschreibt das Leben auf Dejima anschaulich. Der Rowohlt-Verlag hat einen Blog dazu geführt.
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Die Museen auf Dejima und das Museum für Geschichte und Kultur, die ich heute besuche, widmen sich schwergewichtig diesen 200 „goldenen Jahren“. Die Bibliothek der Diet (des japanischen Parlaments) hat zusammen mit der königlichen Bibliothek der Niederlande eine interessante Website mit vielen Quellen aus ihren Beständen gestaltet. Interessant ist auch ein Blick in die englische Wikipedia, die Rangaku beschreibt, die „Holländischen Studien“ bzw. das durch Japan zusammengetragene Wissen, das aus Kontakten zum Westen entstand.
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Zwischen den Museumsbesuchen schlendere ich zum Hafen und staune nicht schlecht, dort ein Kriegsschiff mit der Flagge, die die japanischen Streitkräfte im 2. Weltkrieg benutzt haben, zu sehen. Offenbar wurde die Flagge von der Marine der japanischen Selbstverteidigungskräfte übernommen, was begreiflicherweise immer wieder zu Verstimmungen der benachbarten und unter dieser Flagge bekämpften und unterjochten Länder führt.
Im Auftreten unterscheiden sich die „Self Defense Forces“ in nichts von einer normalen Streitmacht, erst recht nicht im Budget. Im Moment sind die Regierungsparteien LDP und New Komeito daran, sich jeden Dienstag zu treffen und einen Konsens zu suchen, ob der japanische Verfassungsartikel, der Japan Militäreinsätze verbietet, auch anders interpretiert werden könne…
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Im Gegensatz zu Dejima gibt es die damalige chinesische Niederlassung, die sich auf dem Festland befand und von der aus die Chinesen einen viel grösseren Spielraum, sich zu bewegen hatten, nicht mehr. Ein Chinatown mit einer recht grossen chinesischen Population existiert aber noch, Japanerinnen und Japaner schätzen Chinatown vor allem wegen des Essens. Der Einfluss Chinas auf Japan war aber kulturell sehr gross. Auch ein Konfuziustempel mit chinesischem Museum steht in Nagasaki. Man wird vor allem in den neuen Konfuzianismus eingeführt, in die Verbreitung der Lehre durch die Schüler von Konfuzius und dann die Ausbreitung nach Japan. Ihr sind verschiedene – leider nur japanisch beschriftete – Ausstellungsteile gewidmet. Es wird auch darauf hingewiesen, dass die Fähigsten (und nicht diejenigen mit der richtigen Abstammung oder den richtigen Beziehungen) gemäss der Lehre von Konfuzius Ämter im Staat übernehmen sollen. Vgl. zum japanischen Konfuzianismus auch eine Zusammenfassung von Klaus Antoni, Uni Tübingen)
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Zurück in Saga holt mich Noriko wieder ab. Sie hat auch bereits gewaschen und gekocht – es ist mir nicht ganz Recht, mich so zu bewirten zu lassen. Wir unterhalten uns dank Google-Übersetzer gut und kommen auf Themen, die mir hier immer wieder begegnen: Gender Gap, Männer, die sich praktisch nicht um die Familie kümmern, enorm hohe Schul- und Studienkosten der Kinder, kaum Freiheiten. Life in Japan is very strict. Aber die Frauen, denen ich begegne sind stark, sie haben Lebensfreude und Schalk.

Yokohama

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Wir fahren mit Japan Rail in die mit Tokio zusammengebaute Hafenstadt Yokohama. Ziel ist das Pressemuseum, in dem die 100-jährige Fotojournalistin Tsuneko Sasamoto Bilder aus ihrem langen Journalistinnenleben zeigt (Vgl. Tokyo Art Beat, Bilder: PD).
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Die Ausstellung ist für mich auch historisch interessant, weil sie einen guten Einblick in das Leben der „Celebrities“ vor und nach dem zweiten Weltkrieg und Einblicke in das Leben unter der amerikanischen Besatzung gibt. Mir war z.B. die grosse Zahl japanischer Kriegsgefangener bzw. unmittellbar nach dem Krieg in den von Japan besetzten Gebieten Gefangenen wenig bewusst. Nae erinnert sich noch an ehemalige Soldaten, die mehr als 10 Jahre nach Kriegsende aus sowjetischer Gefangenenschaft heimkehren konnten – sehr viele überlebten die Gefangenenlager allerdings nicht. (vgl. Wikipedia engl. Gefangene westlicher Alliierter, Gefangene der Sowjetunion)

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Nach der Fotoausstellung sehen wir uns auch die Geschichte der japanischen Presse an. Mir kommen dabei meine ersten Japaneindrücke wieder in den Sinn: Ein Silvabuch über Japan, das schon anfangs der 1960-er Jahre in unserem Büchergestell stand und dann später Bücher, in denen Japan im Zusammenhang mit der Olympiade in Tokio 1964 vorgestellt wurde. Ein schönes Buch aus Reispapier und Bilder der ersten Shinkansen-Züge sind mir in Erinnerung geblieben. Japan konnte sich mit dieser Olympiade und später der Weltausstellung 1970 in Osaka (wegen des Schweizer Pavillons wurde damals auch in der Schweiz viel darüber berichtet) und der Winterolympiade in Sapporo 1972 (Erinnerungsband „Schweizer siegten in Sapporo“) als Wirtschaftsmacht und friedliches Land neu positionieren. (Bilder ebay und Wikimedia).

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Auf dem Weg zum Hafen und ins Chinatown kommen wir an einem riesigen Haus, fast einem Palast mit der Aufschrift „Happy Science“ vorbei. Mir gefällt die Vorstellung einer fröhlichen Wissenschaft; Nae klärt mich aber darüber auf, dass es sich hier um eine neue Religion mit grossem Zulauf handelt. (Vgl. Wikipedia engl zu Happy Science und zu den neuen Religionen in Japan. Zu den Religionen in Japan allgemein: Uni Wien. Zu Shinto: Kokagakuin). Auch Religionen wie die Zeugen Jehovas haben in Japan einigen Zulauf.

20140511-194500.jpgDie Hikawa Maru, die zwischen 1930 und dem zweiten Weltkrieg zwischen Yokohama und Seattle verkehrte, dann als Spitalschiff und Repatriierungsschiff eingesetzt wurde und bis 1961 wieder auf der Pazifikroute fuhr, ist unterdessen in Yokohama fest verankert und eines der Wahrzeichen der Stadt. Ein anderes ist Chinatown, in dem immer noch viele Chinesinnen und Chinesen leben. Wir haben dort in einem Amusementcenter viel Spass, als wir eine Anregung von Naes Tochter aufnehmen und versuchen, in einer riesigen Kabine, Fotos von uns vor Zeitschriftencovers aufzunehmen. Aber bis wir alten Leute gemerkt haben, wo und wie wir als nächstes hin stehen sollen, hat es schon lange wieder geblitzt…