Schule, Gesellschaft, Lehrpersonenbildung (1)

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Mein Kollege Ikuta Shuji, Trustee und Vizepräsident der University of Education in Nara holt mich heute Morgen mit seiner Assistentin Kanako Hasuike im Hotel ab. Sie organisieren mir einen Zugriff auf das IT-Netz der Universität und einen Badge für die Bibliothek. Ikuta Shuji überlässt mir sein Professoren-Büro, er braucht es leider nur noch selten, da er meist in seinem Vizepräsidentenbüro arbeitet.
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Mein Problem ist oft, dass mich zu viel interessiert, d.h. fast alles, was mit Schule, Gesellschaft und Lehrpersonenbildung zu tun hat. Ich versuche, etwas auf meine neuen Themen zu fokussieren, d.h. Innovationen in Schule und Lehrer/innenbildung. Wichtig scheint mir die Frage, wie in Japan Themen wie Erziehung zu Kreativität, zu Problemlösefähigkeit, zu Innovationsvermögen angegangen werden. Auch „Citizenship Education“, wie wir sie in Singapore gesehen haben (dort wird sie unterdessen „Charaktererziehung“ genannt, hier in Japan „moralische Erziehung“), scheinen mir wichtig.

Ikuta Shuji schenkt mir eine gute – und neu überarbeitete – Einführung in das japanische Erziehungssystem. Yokua Murata und Mitsuru Yamaguchi: Education in Comtemporary Japan – System and Content. (Tokyo: Toshindo, 2010)

Überblicke geben auch die folgenden Webseiten:
– das Ministry of Education, Culture, Sports, Science and Technology MEXT
– das National Institute for Education Policy Research NIER

Ich lese mich ein und stosse u.a. auf die folgenden Themen:

Von der „Information Recipient Nation“ zur „Information Providing Nation“
(Murata/ Yamaguchi 2010, 13). Japan ist es wichtig – das habe ich auch in Tokio gesehen – das Image des Informationen aufnehmenden, kopierenden Landes endlich loszuwerden und als Informationen produzierendes und exportierendes Land wahrgenommen und geachtet zu werden. Hierzu passt z.B. auch die im Hinblick auf die Olympiade 2020 in Tokio vom Erziehungsministerium ausgearbeitete Skizze, wie sich die japanische Gesellschaft bis 2020 verändern soll
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Quelle: MEXT, PDF

Innovation und Werte sind die Leitworte für die Weiterentwicklung der Gesellschaft, sie sollen sich ergänzen, nicht behindern. In dieser Skizze wird auch deutlich, wie stark Japan durch den Geburtenrückgang, die alternde Gesellschaft gefordert ist: „Strategic creation of breathing space, while maintaining competitiveness in an aging society (a society in which people can continue taking on challenges throughout their lives)“ Es soll also neben der harten Arbeit auch noch etwas Raum zum Atmen geben, damit eine Gesellschaft des lebenslangen Lernens verwirklicht werden kann.

Life Long Learning
Die stetig sinkende Geburtenrate ist (zusammen mit der gewollt sehr kleinen Immigrationsrate) eine Hauptherausforderung Japans. MEXT schreibt denn auch mit einer gewissen Dringlichkeit: „In the midst of a dwindling birthrate and a population that is aging and shrinking, bringing out the skills and individuality of every person to the utmost extent and utilizing diverse human resources has become absolutely essential to Japan’s economy and society (…). (Quelle: MEXT)

LLL wird deshalb auch in Japan stark gepusht, den Gemeinden und Privaten kommen dabei wichtige Funktionen zu.

Communities
Mir fällt auch sonst auf, dass „Communities“ im Vergleich zur Schweiz hier viel häufiger als Erziehungspartner genannt werden: „Basically, school is no more the sole educational institution, but shares its educational function with local communities and families (Murata/ Yamaguchi 2010, 53). Auch MEXT erwähnt die Communities explizit, so soll die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Communities und Familien gefördert werden. (Quelle: MEXT)
In der Lehrerinnen- und Lehrerbildung wird diese Zusammenarbeit z.B. durch Formen des „Service Learning“, von Sozialeinsätzen der Studierenden schon früh angelegt.

Lehrpersonenbildung
Das NIER gibt einen Überblick (PDF)
Für jede Schulstufe gibt es drei Typen von Diplomen und jedes Diplom muss nach 10 Jahren erneuert werden. Obligatorisch sind – in Zusammenhang mit Citizenship Education wichtig – in der Lehrpersonenbildung auch Kurse über die Verfassung.
Sehr viele Absolventinnen und Absolventen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung können allerdings – auch nach einem oder zwei Wartejahren – gar nie im Beruf arbeiten, durchschnittlich ist auf 6.2 Bewerberinnen und Bewerber nur eine Stelle offen, was zu harten Selektionsverfahren führt.
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Schulreformen
Die Einführung der 5-Tage-Woche, die Reduktion der Lektionenzahl und die Einführung von „cross-curricular-studies“, die von den Schulen selbst verantwortet werden können, haben offenbar zu einem Leistungsrückgang geführt, so dass das Rad wenigstens teilweise wieder zurückgedreht wird. Die Lektionenzahl sieht heute in den verschiedenen Fächern und Klassen folgendermassen aus:
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Mit dem Ziel, die Wirtschaftsentwicklung wieder anzukurbeln wurde neu wieder eingeführt auch die

Moralische Erziehung
Hier ein paar Ausschnitte aus dem vom Ministerium bereitgestellten Lehrmittel. „Boys, be ambitious“ des bei uns kaum bekannten amerikanischen Universitätsgründers William S. Clark (Wikipedia engl.) soll – nicht nur individuell, sondern auch national – den Ehrgeiz anstacheln. Referenz sind neben den USA die beiden härtesten asiatischen Konkurrenten Korea und China.
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Nötig ist auch ein geregelter Tagesablauf (Materialien für Junior High):
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