Gestern ist ein grosser Teil der Lehrerschaft der „Attached Elementary School of Gwangju National University of Education“ zu meinem Vortrag gekommen. Heute holen mich der Vice-Principal und eine junge Englischlehrerin ab, um mir Schule und Unterricht zu zeigen.
Die Schule ist eine von nur 17 nationalen Primarschulen, d.h. in jeder Provinz bzw. grossen Stadt gibt es nur eine solche Schule. Und sie sei, wie mir alle überzeugt erklären, natürlich die beste „National School“
Science-Day mit Eltern und Behörden, Schulklasse, Wahlen ins Schulparlament (Bilder: Schule)
Auf alle Fälle ist die Schule äusserst begehrt. In der Provinz hat es 150 andere Primarschulen und drei Privatschulen. An die Attached School können alle Eltern aus Gwangju ihre Kinder anmelden und dann muss das Los bestimmen, wer aufgenommen werden kann. Das Verhältnis von Aufgenommenen zu Abgewiesenen beträgt 1:12.
Die Schulleiterin, die ich gestern auch schon kennengelernt habe, stellt mir bei einem grünen Tee ihre Schule vor. Als „attached school“ habe sie eine grosse Verpflichtung gegenüber den zukünftigen Lehrpersonen, die hier ihr Praktikum machen. Entsprechend publiziert der Lehrkörper auch rege. Der Bestseller ist das Buch „Flow of Learning – learning how to learn“, das die Lehrerinnen und Lehrer nun schon in vierter Auflage herausgegeben haben. Es ist ein Praxisbuch mit vielen Beispielen, wie die Schülerinnen und Schüler das Lernen lernen können, Lektionsplänen, theoretischen Hintergründen.
Aber auch das Curriculum und Lektionspläne werden publiziert. In Südkorea werden etwa 70% der Unterrichtszeit für die Ziele des nationalen Curriculums gebraucht, 30% können die Schulen und/oder Provinzen und die Lehrpersonen selbst Ziele setzen und Inhalte festlegen.
Bestseller, vom Schulteam geschrieben
Die Schule hat 528 Schülerinnen und Schüler der Klassen 1 – 6. Die Klassengrösse beträgt meist unter 24, national liegt der Durchschnitt momentan noch bei 27, mit sinkender Tendenz.
Der Lehrkörper ist – anders als an den anderen Schulen – überwiegend männlich. Das habe damit zu tun, dass sich viel mehr Männer bewerben würden, erklärt mir die Englischlehrerin. Für Frauen sei es dann halt doch etwas viel, manchmal mehrmals in der Woche bis Mitternacht in der Schule bleiben zu müssen.
Lehrkörper (Bild: Schule)
Die Lehrpersonen begleiten im ersten und zweiten Schuljahr ihre Klasse in allen Fächern, nachher unterrichten sie meist zwei Fächer, was überhaupt kein Problem sei. Allerdings gibt es hier keine Teilzeitlehrpersonen, die Stundenplanorganisation ist also einiges einfacher und die Lehrpersonen sind alle von etwa halb acht morgens bis am Abend in der Schule. Zwei Mal in der Woche findet nach dem Unterricht eine dreistündige Sitzung statt, in der man sich über Schülerinnen und Schüler, Curriculum, Schulanlässe und vor allem auch didaktische Themen austauscht. Von all diesen Sitzungen existieren Protokolle seit 1937, sie sind im schuleigenen Museum ausgestellt.
Kommunikationsübung im Englisch
Die Klassenzimmer haben alle Schiebewände gegen den Korridor hin, diese stehen an zwei Seiten ständig offen, niemand kümmert sich gross darum, wenn Besuch kommt, die Schülerinnen und Schüler und die Lehrpersonen arbeiten konzentriert weiter.
Die Lektionen sind methodisch auf hohem Niveau, ein Mix von verschiedenen Sozialformen, die Schülerinnen und Schüler unterstützen sich gegenseitig, die Lehrperson erklärt hie und da etwas. Im Englisch sehe ich ein Teamteaching mit einem koreanischen Lehrer und Ian, einem native speaker aus den USA, der jetzt schon das zweite Jahr hier unterrichtet und dem es sichtlich Spass macht.
Die Lehrpersonen zeigen mir auch stolz ihre Mitschau-Anlage, ein Klassenzimmer mit Einwegspiegel. Es werde zwei Mal pro Woche benutzt, entweder um Studierenden der Universität etwas zu zeigen oder auch, wenn das Team sich eine Lektion einer Kollegin oder eines Kollegen anschaut und sie nachher bespricht. Details können mit Kameras herangezoomt werden. Ich erzähle, dass wir auch mal so eine Einrichtung gehabt hätten – sie sei aber von den Lehrpersonen nicht sehr geschätzt und selten genutzt worden. Ganz verstehen das meine Gesprächspartner nicht.
Mitschauanlage
Pünktlich um viertel vor zwölf beginnt die Mittagspause. Die Schülerinnen und Schüler und die Lehrpersonen bleiben im Zimmer. Man kann jetzt Hausaufgaben machen, wenn nötig die Lehrerin etwas fragen und wer ein „Ämtli“ hat, erledigt dieses. Die Ämtli gehen weit, das Putzen des Klassenzimmers und der Korridore gehört dazu. Die Lehrpersonen helfen den Schülerinnen dabei.
Putzen
Danach gehen die Klassen mit ihrer Lehrperson gestaffelt in die Mensa zum Mittagessen. Freiwillige Mütter haben bei der Zubereitung eines ausgewogenen Mittagessens geholfen und schöpfen es jetzt. Die Lehrerin oder der Lehrer stellt sich nach dem Eingang zur Mensa auf und die Schülerinnen und Schüler kommen in Zweierkolonne in den Raum, verbeugen sich vor der Lehrperson, diese verbeugt sich zurück und dann holt man sich das Essen und sitzt mit der Lehrperson zusammen an den Tisch. Alles ist geht sehr ruhig und höflich zu und her, niemand ist laut oder rennt, aber es wird gelacht, gescherzt und diskutiert.
Mittagessen
Nach dem Essen spülen alle ihre Teller ab (d.h. die Tablette mit verschiedenen Einbuchtungen für die verschiedenen Gemüse, Reis, Fleisch, Suppe). Im zweiten Teil der Mittagspause werden dann verschiedene Freizeitangebote gemacht: Spiele, Sport. Die Angebote werden auch von den Lehrpersonen geleitet.
Englisch ist der Schule wichtig, weshalb sie ihre Schulzeitung ab und zu auch in Englisch herausgeben. Das ermöglicht einen guten Einblick in das doch etwas andere (veröffentlichte) Denken der Schülerinnen und Schüler.
Zwei Berichte von Schülerinnen
Auch bei diesem Besuch habe ich den Eindruck, es sei wesentlich auch die (ich würde sagen konfuzianisch geprägte) Kultur, die das Lernen beeinflusse. Es ist weniger das Lernangebot, das anders ist, als die Art wie es genutzt wird – an dieser Schule äusserst konzentriert. Namgi, mit dem ich mich anschliessend darüber austausche, geht noch etwas weiter. Er meint, es könnten halt doch „Meme“ am Werk sein (eine Art kulturelle Programme im Gehirn, die durch Nachahmung weiter gegeben werden) Ich habe mich bisher mit der umstrittenen, von Richard Dawkins geprägten Memetik (Viruses of the mind, 1976) nicht auseinandergesetzt und würde mich eher an Kognitionswissenschaften, Kulturgeschichte und Schulklima anlehnen.
Was zum Thema Schulklima sehr interessant ist: Jede Lehrperson darf maximal vier Jahre an einem Stück an der gleichen Schule tätig sein. Dann muss sie wechseln. Sie kann sich für eine andere Schule in der gleichen Provinz bewerben. Etwa 90% werden dann auch an die Stelle versetzt, für die sie sich beworben haben, 10% an eine andere Stelle. Nach einem Jahr kann man wieder wechseln, nach spätestens vier Jahren muss man wieder wechseln. Das gilt auch für Master-Teacher, die auch an der neuen Stelle ihr besonderes Pflichtenheft behalten. Schulleiter können maximal zwei Amtsdauern bleiben, weil die meisten erst nach 50 Schulleiterin oder Schulleiter werden, erfolgt anschliessend häufig die Pensionierung.
Namgi ist überzeugt, das Rotationsprinzip sei eine der wichtigsten Stärken des koreanischen Schulsystems. So könnten keine guten und schlechten Schulen entstehen. Alle müssten sich auch einmal in schwierigeren Gebieten die Zähne ausbeissen und täten das auch gerne. Niemand könne lange einfach an einer „bequemen“ Schule bleiben. Ausserdem erhalte man immer wieder die Chance und die Pflicht, einen Neuanfang zu machen, das wirke sehr belebend auf die Schulen und die Lehrpersonen.
Bericht einer Lehrperson in der Schulzeitung