Himmelsaltar, Lamakloster, Konfuzius-Tempel

Powersightseeing in Beijing. Ich kann mir vorstellen, dass meine Notizen dazu etwas langfädig sind. Ich brauche sie als Erinnerungshilfe, um später das Ganze nachzubearbeiten, aber bitte fühlt euch nicht verpflichtet, alles zu lesen.
Am Morgen besuche ich den benachbarten Tian Tan (Himmelsaltar, Temple of Heaven). Der Park ist am frühen Morgen sehr belebt. Alle Arten von Frühgymnastik in Gruppen: traditionelles Quigong, Tänze mit Schwertern, Kreisel peitschen, poppige Tänze, höchst anmutige Paartänze, in denen das Paar mit den Armen Flugbewegungen macht und sich umkreist. Kalligraphie. Gemeinsames Singen. Musikproben.
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Und dann etwas, das ich nicht verstehe, ich kann es mir eigentlich nur als Heiratsmarkt erklären, aber vielleicht ist diese Vorstellung völlig falsch. Mittelalterliche Männer und Frauen sitzen auf Hockern und Mäuerchen mit einem Steckbrief vor sich auf dem Boden, meist, wie es mir scheint von jungen Frauen. Auf diesen Steckbriefen in Sichtmäppchen stehen Körpergrösse, Jahrgang, manchmal das Gewicht, immer eine Telefonnummer, verschiedenste Notizen, ab und zu ist auch ein Foto dabei. Andere Männer und Frauen im gleichen Alter gehen vorbei, schauen sich die Steckbriefe an, beginnen manchmal ein Gespräch.
Das Leben im Park ist ebenso interessant wie der Himmelsaltar, ein sehr harmonisches, völlig rundes schönes Bauwerk, ganz auf den Himmel, das Yang ausgerichtet, deshalb auch die blauen Ziegel. Hier brachte der Kaiser als Himmelssohn bei einer genau vorgeschriebenen Zeremonie seine Opfer für den Himmel dar. Er bat um gute Ernte und um Regen. Im Norden der Stadt gibt es einen „Erdaltar“, auf das Ying ausgerichtet. Dort ist alles eckig statt rund, Ziegel sind erdfarben und die Anzahl Stufen zum Altar ist gerade, nicht ungerade wie hier.
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Mit der Metro fahre ich dann in den Norden, zum Lamakloster Yonghe Gong. Es wurde 1744 von den Mandschu-Kaisern (Qing-Dynastie) gegründet, auch mit dem Ziel, das annektierte Tibet günstig zu stimmen, in dem man zeigte, dass der Lama-Buddhismus geachtet werde. Mittelpunkt ist eine riesige, aus einem einzigen Baum geschnitzte Buddha-Statue. Es hat nicht viele Tourgruppen hier, aber recht viele Gläubige, die mit Räucherstäbchen vor den verschiedenen Buddha-Statuen beten.
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Auch im Norden der Stadt liegt der Konfuziustempel und die frühere kaiserliche Hochschule („Imperial College“), an der auch die so wichtigen Beamtenprüfungen abgenommen wurde.
Der wirtschaftliche Erfolg, den Ost- und Südostasien haben, wird gerne konfuzianischen Tugenden zugeschrieben. Als ich vor zwei Jahren in Guangzhou an der Normal University den Partnerschaftschaftsvertrag unterschrieben hatte, bekam ich eine Konfuziusfigur geschenkt. Die angestrebten 100 Institute, die China zur Verbreitung seiner Kultur und seines Gedankengutes weltweit einrichtet, heissen Konfuzius-Institute. Konfuzius, unter Mao kurz aus dem öffentlichen Gedankengut verbannt, erlebt eine Renaissance, sein Leben und seine Lehre werden wieder erforscht und verbreitet.
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Er lebte 551 – 479 v.Chr. und wurde dann um 1300 (?) „kanonisiert“, d.h. für anbetungswürdig angesehen. Tempel wurden geschaffen und Beamte verpflichtet, ihm zu huldigen, hat er doch – neben seiner Erziehungslehre – auch viele Herrscher von seinen Ansichten über gute Regierungstätigkeit und Verwaltung zu überzeugen versucht (und ist allerdings meist damit gescheitert, weil die damaligen Herrscher sich durch Geschenke wie schönen Pferden und schönen Frauen – im Museum in dieser Reihenfolge aufgeführt – gerne vom Pfad des tugendhaften Regierens abbringen liessen). Insofern macht die Rückbesinnung auf Konfuzius sicher Sinn.
Auch seine Erziehungsgrundsätze sind interessant, ich erfahre verschiedenes Neues. Er gründete z.B. die erste „Privatschule“ in China, weil er sich weigerte, nur Adelige zu unterrichten, sondern fand, alle hätten ein Anrecht auf Schulung. Auch lehrte er seine Schüler (vom Anrecht von Mädchen auf Bildung lese ich nichts) etwas erst, wenn sie selbst die Lösung nicht finden konnten. Schliesslich wird ihm auch nachgesagt, dass er trotz dem Grundsatz der „filial piety“ blinde Unterwerfung den Eltern gegenüber nicht billigte, er fand, man solle ihnen auch widersprechen, wenn sie Ungerechtes verlangten. Ich sammle ziemlich Material, das ich weiterverabeiten können werde. Leben und Werk sind sicher etwas verherrlichend dargestellt hier, aber informativ und gut aufbereitet. Zur Wirkungsgeschichte komme ich leider nicht mehr, die Aufsichtsperson findet, es sei jetzt genug, sie mache Feierabend (das schliesse ich jedenfalls aus ihrem wilden Gestikulieren und dann freundlichen Lächeln, als ich das Haus verlasse).
Im Norden der Stadt esse ich etwas, auch hier eingeschossige Häuser, viele Leute unterwegs, viele Läden mit vielseitigen Auslagen, man leistet sich ab und zu etwas. Ich beginne zu verstehen, was gemeint ist, wenn jeweils von der explodierenden Mittelklasse in Asien geschrieben wird. Diese Leute gehören nicht zu den Reichen, die mit ihren Lamborghinis und Range Rovern beim Peking-Entenlokal vorfahren, aber sie haben mehr Geld zur Verfügung, als das ihre Familien je hatten und sie sind optimistisch, dass ihr Kind (bzw. jetzt mit der weiteren Lockerung der Einkindpolitik) ihre Kinder ein besseres Leben haben werden als sie. 1980 haben die Leute hier zum Essen warmes Wasser getrunken, Tee konten sie sich nicht leisten. Als ich das gestern bei der Teedegustation erzählt habe, meinte die junge Verkäuferin, ich mache einen Scherz.
Das heisst nicht, dass es nicht auch in Beijing noch sehr viele, sehr arme Leute gibt, die gezwungen sind, unter prekärsten Verhältnissen zu leben. Gerade vor meinem Hotel befindet sich eine Abfalltrennungsanlage auf der Strasse und in einem kleinen Hinterhof. Die Männer kommen mit ihren Transporttrishaws angeradelt, mit dem Inhalt von Abfalleimern, die sie in der Stadt leeren, auf der Ladefläche. Dann trennen sie den Müll von Hand: Karton wird aussortiert und auf einen kleinen Lastwagen geladen, Pet-Flaschen, Organisches. Sie arbeiten auch mitten in der Nacht, scheinen einfach mal kurz am Arbeitsort zu schlafen und arbeiten dann weiter. Ich wage nicht, mir ihr „Zuhause“ vorzustellen.