Im Hardsleeper durch die Gobi

Der Zug Nummer vier kommt aus Moskau und ist vor der letzten Etappe durch die Wüste Gobi nach Beijing schon eine Woche unterwegs. Dem chinesischen Wagen, in dem meine Liege ist, ist das ziemlich deutlich anzumerken, alles strotzt vor Dreck und Staub. Auch die Liegen sind kaum gepolstert, statt einer Matratze wie in den russischen Zügen bekommen wir einfach eine Wolldecke, die auf die Sitzfläche gelegt werden kann. „Hard sleeper“ nennen sie diese Wagenklasse glaub in China. Mir macht vor allem der Staub zu schaffen – geschwollene Augen und Schwierigkeiten zu atmen. Meine mongolischen Mitreisenden legen sich sofort nach dem Einsteigen am frühen Morgen wieder hin um vorzuschlafen, die Nacht wird wegen Zollformalitäten und Wechsel der Drehgestelle auf die chinesische Spurweite wohl kurz werden.
Auf den Weg in den Speisewagen durchquere ich die Wagen mit den Zweibettabteilen, die alle sauber geputzt sind. Beim Betrachten der Abteile mit ihren schön gepolsterten Sitzen wünsche ich mir das erste Mal, ich hätte ein Bett in dieser Wagenklasse gebucht. Aber das gilt für eine von zehn Nächten, allgemein bin ich mit den Vierbettabteilen gut gefahren. Ich war am Morgen zwar jeweils nicht wirklich erholt, aber ich hatte viele gute Begegnungen, habe interessante und liebenswerte Leute kennen gelernt und viel erfahren über die Länder, durch die ich gereist bin.
Das Kontrastprogramm zum Hardsleeper ist der mongolische Speisewagen, er erinnert an eine vergangene Eisenbahnkultur. Goldfarbene Tischtücher, Wände und Raumteiler mit schönen Holzschnitzereien. Vor den sauber geputzten Fenstern geht die mongolische Steppe langsam in die Wüste Gobi über.
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Am Abend dann die Grenzkontrollen, zusätzlich müssen jetzt die Fahrgestelle gewechselt werden, wir haben also über vier Stunden Aufenthalt. Ich schlendere etwas durch den dunklen Grenzort Erlian, ein paar Lebensmittelläden sind noch geöffnet, ausser ein paar Transsib-Reisenden ist aber kaum jemand unterwegs. Nach ein Uhr fahren wir weiter Richtung Beijing.
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Terelj-Nationalpark, Mongolei

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Kurz nach vier Uhr weckt uns die Zugbegleiterin, um fünf sind wir in Ulaanbaatar. Sarah und der „Driver“ erwarten mich und fahren mich zu einem Apartment, wo ich duschen kann. Sarah kocht unterdessen Frühstück, dann fahren wir aus Ulaanbaatar Richtung Terelj-Nationalpark.

Sarah hat in U.B., wie sie die Hauptstadt nennt, Lebensmittelingenieurin studiert und anschliessend in Taiwan Business Administration. Momentan arbeitet sie – überqualifiziert – teilzeitlich für diesen Tour Operator. Es ist schwierig, ohne gute Beziehungen eine den Qualifikationen angemessene Arbeit zu finden. Sie zeigt mir die Nationaluniversität. Neben den nationalen Universitäten, die nur diejenigen Studierenden aufnehmen, die beim Abschlussexamen an der Mittelschule (es wird ein GPA berechnet, vgl. hier) gut abgeschlossen haben gibt es etwa hundert private Universitäten, die alle z.T. hohe Studiengebühren verlangen. Allgemein gilt für die privaten Universitäten die Faustregel: Je höher die Studiengebühr, desto besser die Uni. Daneben studieren viele Mongolinnen und Mongolen im Ausland, Taiwan als wichtigste Destination hat etwa 1000 mongolische Studierende.
Als Kind ging Sarah bis 1994 in eine russischsprachige Schule und sprach auch mit den Eltern russisch, beides war damals normal. Dann reisten, für die Schülerinnen und Schüler unerklärlich, plötzlich die russischen Lehrpersonen alle ab und die Schulen stellten auf mongolisch um. Unterdessen ist der russische Einfluss zwar noch vorhanden, das Land hat sich aber auch stark nach China, gegen den Westen und nach Korea orientiert.
Wir fahren zuerst an in der Zeit der „Volksrepublik“ durch die Sowjetunion erstellten Plattenbauten vorbei, etwas Industrie, dann Agglomerationssiedlungen, z.T. in Form von Ger-Dörfern. Die runden fensterlosen Jurten, die durch Wolle und Filz gut isoliert sind und die mit einem Holzofen, auf dem auch gekocht wird, beheizt werden, werden hier Ger genannt. Nach recht langer Fahrt durch die Vororte beginnt dann eine hüglige Steppenlandschaft mit einer geschlossenen Grasdecke, durchbrochen von Felsen und einzelnen Wäldern. Yak-, Kuh- Schaf-, Ziegen- und Pferdeherden.
Sarah erzählt lachend davon, dass man in Taiwan auch reite, aber auf sehr hohen Pferden. Man könne dort für ein, zwei Stunden ein Pferd mieten und es mit einer Bockleiter besteigen. In der Mongolei schwinge sich jedes Kind einfach auf ein Pferd, meist schon im Kindergartenalter. Die kleinen Steppenpferde (Przewalski-Pferde) waren für die Mongolei wohl das wichtigste Tier, einerseits als Handelsgut für den Handel mit China, andererseits als Garant für die Mobilität bei der nomadischen Kriegsführung (vgl. Jürgen Paul, Zentralasien, Pos. 312) Der so erfolgreiche (und brutale) „Mongolensturm“ im 13. Jahrhundert unter Dschingis Khan und seinen Nachfolgern, wäre ohne diese Pferde nicht denkbar gewesen. Das Gebiet, in denen die Mongolen gegnerische Heere besiegt und Herrscher unterworfen hatte, erstreckt sich über ganz Asien bis weit nach Europa, es umfasst 52 heutige Staaten.
Das Camp im Nationalpark besteht ebenfalls aus Gers, meine ist schön warm aufgeheizt. Wir steigen (bzw. stolpern wegen nicht optimalem Schuhwerk und eisigem Boden) auf einen Felsen hinter dem Camp und machen dann eine Wanderung über das Weideland, das von Nomaden, die von Frühling bis Herbst mit ihren Tieren unterwegs sind, genützt wird.
Am Nachmittag fahren wir zum „Schildkrötenfelsen“, im Tal ist der letzte Schnee am Schmelzen.
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Ein paar Kilometer weiter befindet sich ein buddhistisches Meditations- und Initiationszentrum. Tibet wurde 1240 von den Mongolen erobert, danach begann sich der Buddhismus durch buddhistische Lehrer von dort auch in der Mongolei zu verbreiten, er wurde ab dem 16. Jahrhundert stark gefördert. In den 1930-er Jahren wurde der Buddhismus dann durch eine Terrorwelle stalinistischen Typs (Jürgen Paul, Pos. 5402) stark unterdrückt, Klöster wurden geschlossen und zerstört, unschätzbare Kulturgüter gingen verloren. Die Mongolen bleiben aber an den Buddhismus gebunden und ab den 1990-er Jahren wurden wieder buddhistische Einrichtungen eröffnet. Das Meditationszentrum, das wir besuchen, wurde 1998 geweiht, es wurde auch durch den Dalai Lama besucht.
Der Weg führt an vielen Tafeln mit buddhistischen Lehren vorbei und dann über eine Hängebrücke zum Zentrum. Die Meditationsschüler meditieren auch auf den umliegenden Felsen.
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Warten in Nauschki

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Zwischen Irkutsk und Ulaanbaatar fahren Liia und Tadeusz aus Gdansk mit mir im Abteil. Ihre dreiwöchige Hochzeitsreise führt sie nach Sibirien, die Mongolei und China. Liia hat die ersten Jahre ihrer Kindheit in Kasachstan verbracht und ist dann mit ihrer Mutter nach Polen gezogen. Wir unterhalten uns sehr gut, die beiden reisen auch gerne und empfehlen mir Georgien als nächstes Reiseziel, das Land sei traumhaft schön. Sie fahren meist Platzkarty, d.h. die Wagenklasse, in denen die Liegen wie in einem Massenlager angeordnet sind. Das sei sehr abwechslungsreich. Ok., mit einer Schulklasse 12-jähriger oder mit Männern, die nach zu viel Alkohol eine Schlägerei beginnen wollten, könne es auch anstrengend werden, aber das Wagenpersonal habe seine Passagiere immer gut im Griff und man erlebe einiges.

Nach 16 Stunden fahrt kommen wir um 14 Uhr in Nauschki, dem Grenzbahnhof auf russischer Seite an. Hier werden wir etwa fünf Stunden Wartezeit haben.
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Nur unser Wagen wird später in den mongolischen Grenzbahnhof gezogen und dort an einen Zug nach Ulan Bator angehängt werden. Er wird hin und her rangiert und steht schliesslich allein auf dem Gleis.
Gespräch mit einem mongolischen Soldaten in Uniform. Er hat sich für acht Jahre zum Militärdienst verpflichtet und besucht die Militärakademie im Moskau. Jetzt hatte er 14 Tage Urlaub und ist zurück nach Hause gefahren. Die meiste Zeit seines Urlaubs verbringt er also im Zug. Ich frage ihn, ob er General werde, wenn er so lange im Militär sei. Im Moment ist er Sergeant, bald werde er Chief-Sergeant und schliesslich dann Leutnant. Im August ist seine Zeit in Moskau dann vorbei, dann werde er in der Mongolei irgendwo an der Grenze Dienst leisten. Sein Bahnwagen steht ebenfalls etwas verloren auf einem Gleis, er wird dann an den Zug, der zurück nach Irkutsk fährt angehängt.
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Als der Zug nach Irkutsk losfährt, versinkt der Bahnhof Nauschki in einen flimmernden Halbschlaf. Die Sonne brennt ziemlich kräftig. Ein paar Güterwagen werden noch von einer tutenden Lok hin- und hergeschoben, die Putzequipe, zwei Frauen und ein Mann, putzt hier und dort etwas zusammen und leert die Papierkörbe. Zollbeamte und Polizistinnen gehen geschäftig von einem Bahnhofsgebäude zum anderen. Bahnarbeiter mit orangen Vestons schwitzen unter ihren Pelzmützen. Die Zugbegleiterin lehnt in Freizeitkleidung in der Wagentüre und füttert die Bahnhofshunde. Ein grosser Schwarm Tauben zieht ab und zu über dem Bahnhofsgelände seine Runden. Auf der einen Wartebank lesen und dösen Liia und Tadeusz, auf der anderen ich.
Gegen Abend dann Zollkontrolle, der Wagen wird über die Grenze gezogen, die mit zwei hohen Gittern, Wachtürmen und einem leeren Streifen zwischen den Gittern sehr gut geschützt ist. Am mongolischen Grenzbahnhof wieder Zollkontrollen und gegen neun Uhr abends fahren wir dann schliesslich weiter Richtung Ulaanbaatar (russisch Ulan Bator). Der Speisewagen ist in Russland geblieben. Meine beiden Reisegefährten teilen ihre Teigtaschen mit mir.