Akademgorodok

He Gans! meint Samir in der Nacht und gibt mir zu verstehen, dass wir jetzt wieder das Abteil wechseln müssen, weil Neueinsteigende auf ihrem Abteil beharren. Das H können die Russen kaum aussprechen und Hans-Jürg finden sie auch ziemlich schwierig, ich bin also meist „Gans“. Und Gans zügelt natürlich bereitwillig auch mitten in der Nacht seine Siebensachen ins nächste Coupé.
Wenn sich das Licht im Abteil verändert und ich erwache, ist das meist, weil wir einen langen Containerzug kreuzen. Computer und andere Waren aus China auf dem Weg nach Europa. Diesen Weg muss vor einigen Monaten auch mein iPad von China in die Schweiz genommen haben (vgl. das interessante Feature der New York Times über die New Silk Road)
Novosibirsk, die Hauptstadt Sibiriens empfängt mich am Morgen mit Schneetreiben und Schneematsch. Die Stadt zählt rund 1.5 Mio Einwohner. Sie wurde beim Bau der Transsibirischen Eisenbahn westlich des Ob‘ gegründet, weil man das Gebiet als für die Brücke über den Ob‘ geeignet ansah. Östlich hätten, wie mir heute Ivan, ein Indigener aus Nordsibirien erzählt, schon immer „Ureinwohner“ („ja, wir nennen uns so“) gewohnt.
Untergebracht bin ich bei Lisa, Deutschlehrerin und Fremdenführerin, in einem der letzten kleinen Holzhäuser im Zentrum von Novosibirsk. 20140326-222947.jpgIvan wohnt auch hier, er studiert an der hiesigen Technischen Universität Elektroingenieur, hat kürzlich ein jähriges Praktikum in Regensburg abgeschlossen und spricht besser Deutsch als ich.
Seine Mutter ist Direktorin einer Schule in Yakutsk, vier Flugstunden entfernt, im Norden Sibiriens. Er kennt Hochschulwesen und Volksschule bestens, begleitet mich den ganzen Tag und gibt mir unermüdlich Auskunft.
Mit Metro und Bus fahren wir Richtung Akademgorodok, übersetzt dem „Städtchen der Wissenschaft“.
Auf dem Weg sehen wir uns aber noch das Eisenbahnmuseum an, in dem Lokomotiven und Rollmaterial aus allen Zeiten der russischen Eisenbahngeschichte stehen.
20140326-223059.jpgAuch ein Gefängniswagen ist zu sehen, mit dem bis 1969 Gefangene in den Gulag transportiert wurden.
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Danach bringt uns der Bus nach Akademgorodok. Es ist weit mehr als ein Städtchen, sondern eine Universitätsstadt, etwas Dreiviertelstunden von Novosibirsk entfernt. Wenn man sich die – nie höher als die Birken gebauten – Plattenbauten wegdenkt und Backsteingebäude hinzu, könnte man auch an einer Ostküstenuni der USA sein.
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Akademgorodok entstand 1957 als sibirischer Standort der Akademie der Wissenschaften. Hier sind unterdessen vierzehn wissenschaftliche Institute und die Novosibirsker Universität angesiedelt. Der Campus steht in einem Birkenwald am Rand des riesigen Stausees, der Obsker Meer genannt wird. Etwa 70’000 Einwohner leben in diesem Wissenschaftsstädtchen, das eine offene, internationale Atmosphäre mit vielen Kaffees mit WiFi, kulturellen Veranstaltungen, studentischen Treffpunkten ausstrahlt. Die Institute und die Uni hier haben einen guten Ruf, man spricht vom Silicon Valley des Ostens.20140326-223707.jpg
Ivan erklärt mir das Hochschulsystem aus seiner Sicht. Mit 17/18 Jahren endet die für alle obligatorische 11-jährige Schulzeit mit einer Schulabschlussprüfung, auf die man sich die zwei Jahre vor Abschluss in der Schule und mit Nachhilfestunden intensiv vorbereitet. Die Abschlussprüfung entscheidet darüber, an welche Hochschulen man zugelassen wird und vor allem auch, ob man die Hochschule gebührenfrei besuchen kann oder eine für viele prohibitive Studiengebühr bezahlen muss. Sie beträgt etwa 500 Euro pro Semester, ist für die meisten Einkommen also sehr hoch. Die Elitehochschulen wie die Lomonosov-Universität in Moskau haben das Privileg, diese Schulabschlussprüfungen nicht anzuerkennen (weil die Lehrpersonen ja geholfen haben könnten, abschreiben möglich ist usw.), diese Unis dürfen eigene Aufnahmeprüfungen durchführen. Neben den Hochschulen kann man auch eine „Mittelhochschule“ absolvieren, die z.B. Krankenpflegende, Handwerker/innen usw. ausbilden und von denen Passerellen in die Universitäten bestehen.
20140326-223812.jpgBei den Zwischenprüfungen an der Uni besteht immer die Gefahr, dass man sein Stipendium (das mit der Gebührenbefreiung einhergeht) oder im schlechtesten Fall sogar die Gebührenbefreiung verliert. Man kann die Zwischenprüfungen aber wiederholen, die Professoren legen den Wiederholungstermin jeweils autonom fest. (Solche Wiederholungen, davon sagt Ivan nichts, können natürlich eine Eingangstüre für an Korruption grenzende Nachhilfestunden sein, die dann zur Vorbereitung der Wiederholungsprüfung genommen werden müssen).
Interessant ist, dass die Ergebnisse der Zwischenprüfungen in der Regel einen Tag später bekannt sind. Ivan konnte es in Deutschland kaum glauben, dass die Korrekturen drei bis vier Wochen dauerten.
Momentan werden auch in Russland ECTS- und Bolognasystem eingeführt. An der Technischen Uni wurde der Diplomstudiengang zu Gunsten von Bachelor- (4 Jahre) und Masterstudiengängen (2 Jahre) abgeschafft.
Bologna heisst aber nicht, dass ein dreistufiges System von Studienabschlüssen eingeführt würde, das vierstufige System mit dem Titel „Kandidat“, für den auch 3 – 5 Jahre investiert werden müssen und erst dann dem Doktorat soll beibehalten werden.
Die Lehrpersonen werden an Pädagogischen Universitäten ausgebildet. Nach dem Mittelschulabschluss dauert das in der Regel 5 Jahre. Weil auch in Russland eher Lehrpersonenmangel herrscht, könne man „nicht richtig streng sein“. Schon in den unteren Klassen gibt es ein Fachlehrersystem. In den Naturwissenschaften ist es sehr schwierig, überhaupt Lehrpersonen zu finden, man macht deshalb bei den Anstellungen verschiedenste Kompromisse.
Besondere Schwierigkeiten haben die ländlichen Gebiete wie z.B. Nordsibirien, man versucht deshalb die Lehrpersonen mit Prämien in solche Gebiete zu ziehen und sie dort zu halten. Es gibt z.B. einen „nördlichen Koeffizient“, d.h. je schwieriger die Lebensbedingungen, desto höher der Lohn. Zusätzlich gibt es weitere Prämien, wer es z.B. 5 Jahre als Lehrerin oder Lehrer in Nordsibirien ausgehalten hat, bekommt einen erheblichen Zuschuss, um sich dort eine Wohnung zu kaufen.
Auch in anderen Berufen ist es schwierig, die Leute auf dem Land zu halten. Obwohl z.B. Fachleute für „Mining“ gesucht sind (Kohle, Gas, Erdöl, Diamanten) findet eine Wanderbewegung Richtung grosse Städte wie Novosibirsk statt.

Nach unserer Besichtigungstour durch Akademgorodok trinken wir einen Kaffee. Ivan erzählt, wie schwierig es mit der Bürokratie an seiner Uni gewesen sein, bis er das Praktikum in Deutschland habe machen können. Und dann erzählt er auch noch ein Müsterchen über die Schweiz. Er hätte auch noch die Möglichkeit eines Praktikums in einer Firma in Basel gehabt. Dort hätte er freie Unterkunft gehabt und 500 Franken pro Monat verdient. Um die Stempel der kantonalen und eidgenössischen Migrationsbehörden zu bekommen, hätte er aber 2000 Franken verdienen müssen. Er habe dann die Firma angefragt, ob sie ihn bei den Ämtern unterstützen könnten, damit er die Bewilligung trotzdem bekomme. Die Auskunft lautete: Nein, wir setzen auf Eigeninitiative. Es ist ihm dann gelungen, den Nachweis zu erbringen, dass er über genügend Mittel verfügt, aber jetzt hätte die Firma gemäss einem Stagiere-Abkommen beweisen müssen, dass sie keinen gleichwertigen Kandidaten aus dem Inland (bzw. damals wohl aus dem EU-Raum) hatte. Ivan hat sich dann für das Praktikum in Bayern entschieden, er hat dort mehr verdient und wurde in jeder Beziehung von Firma und Ämtern bestens unterstützt. Unser Bild im Ausland gibt mir schon zu denken, die einen lachen, wenn sie Schweiz hören und sagen „Oh, Bank, Bank“ oder „Milliarda“, die anderen machen solche Erfahrungen.

Anschliessend sehen wir uns das Obsker Meer an, das Kraftwerk generiert zwar viel Strom, aber das Ökosystem wurde durch viele Überschwemmungen, Klimawechsel usw. gehörig durcheinander gebracht.
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Interessant auch die russische Tagesschau – für einmal übersetzt durch Ivan. Es ist eine fast hundertprozentig andere Geschichte, die über die Ukraine erzählt wird als diejenige, die ich in den Schweizer Zeitungen lese. Ivan, der auch denkt, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, versteht nicht, dass die westlichen Sender so personifizieren. Man höre immer nur Putin, Putin, Putin. Es sie aber überhaupt nicht nur der Präsident, der so denke und die Richtung vorgebe.

Durch Kasachstan nach Sibirien

20140325-220112.jpgWieder in der kasachischen Eisenbahn. Mit mir im Abteil fahren eine junge, rundliche Kasachin, die die eher störende Angewohnheit hat, auch mitten in der Nacht sehr laut zu telefonieren und Adlet, ein 28-jähriger – auch etwas rundlicher – Banker. Er hilft mir, das Bett zu machen, es sei eine kasachische Tradition, den alten Leuten zu helfen…
Adlet ist eigentlich aus Almaty, muss jetzt aber, um bei seiner russischen Bank Karriere zu machen, zwei, drei Jahre auf dem Aussenposten in Semey, nahe der russischen Grenze arbeiten. Frau und Kinder (ein- und siebenjährig) bleiben in Almaty, er besuche sie so alle zwei Monate. Ferien habe man in der Privatwirtschaft 24 Tage, Regierungsangestellte hätten zwei Monate.
Am Morgen ist die Steppe wieder leicht schneebedeckt. Viel Schnee fällt aber nie, die Gegend ist sehr niederschlagsarm und das Wasser verdunstet schnell.
Weil es draussen kalt aussieht, lässt sich der Wagenbegleiter nicht lumpen und heizt den Wagen auf 36 Grad hoch. Die Bahnwagen werden einzeln geheizt mit einem Kohlenofen pro Wagen, an den Ofen sind die Zentralheizungsröhren für die Abteile und der Samowar angeschlossen. Ich bin pflotschnass. scheine aber der einzige zu sein, der diese Hitze ungemütlich findet.20140325-220246.jpg
In Semey steigen meine Mitreisenden aus, Samir aus Tatarstan, der auch so aussieht, wie man sich einen Tataren vorstellt, steigt zu und begrüsst mich mit sehr kräftigem Handschlag. Er reagiert wie die meisten Menschen, denen ich in den Zügen begegne: sie meinen, ich hätte ein ähnliches Schicksal wie sie und die Arbeit verschlage mich in so unwirtliche Gegenden. Dass ich Tourist bin, können sie nicht recht verstehen (falls sie Ferien haben und es sich leisten können, fliegen sie an einen Strand in der Türkei oder Malaysia). Dass ich alleine unterwegs bin, finden sie erst recht unverständlich.
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Richtung Grenze wird die Steppe ab und zu unterbrochen durch lichte Föhren- und Birkenwälder.
Unser Zug braucht gegen 5 Stunden für das Passieren der Grenze zwischen Kasachstan und Russland. In Kasachstan schnüffeln Hunde durch den Zug, alle Deckenverkleidungen werden wieder abgeschraubt und mit Teleskoptaschenlampen wird in alle Winkel geleuchtet. Die Pässe werden gescannt (Windows XP…), schliesslich fahren wir weiter zum russischen Grenzbahnhof, wo die gleichen Kontrollen nochmals vorgenommen werden. Schweizer scheinen hier sehr selten vorbeizukommen. Der nette Grenzbeamte kommt aus Kaliningrad, dem früheren Königsberg und kann recht gut Deutsch. Er muss mich nach Grund und Zielen dieser Reise befragen. Das dauert – aber er freut sich, dass mich der Osten interessiert. Den Schweizer Pass mit all den Kantonswahrzeichen findet er sehr schön und er bittet darum, ihn zu Weiterbildungszwecken auch den Kollegen zeigen zu dürfen. Dann verschwindet er damit und nach etwa einer Stunde beginne ich nervös zu werden – aber er bringt ihn dann mit guten Wünschen zurück.
Samir und ich müssen jetzt noch das Abteil wechseln, in unserem hat die Elektroinstallation das Aschrauben der Deckenverkleidung nicht überstanden, es brennt deshalb kein Licht mehr und unterdessen ist es dunkel geworden. Schliesslich fahren wir los, wir sind jetzt im Oblast Altay, in Sibirien.
20140325-220602.jpg Sibirien, dieses riesige Gebiet war ursprünglich sehr lose von einheimischen Völkern besiedelt. Von Russland aus erfolgte über viele Jahrhunderte eine „Sickerwanderung“ (zwischen 1670 und 1870 etwa 6 Millionen Einwanderer). Ab Mitte 19. Jh. wurden Bauern gezielt nach Sibirien umgesiedelt, um den Bevölkerungsdruck in den Schwarzerdegebieten zu begegnen (1871 – 1916 mehr als 9 Mio).
Mit der Transsib (erbaut 1892 – 1905) wurden solche Umsiedlungen einfacher – die Bahn ermöglichte aber auch den ab 1920 durch das Sowjetregime forcierten Abbau der Bodenschätze und die Industrialisierung. Die nächste Welle Umsiedler waren dann auch Bergleute, Bau- und Fabrikarbeiter, 8 Mio zwischen 1926 und 1956 (vgl. Goehrke, Strukturgeschichte S. 34 – 53, 217f.)
Noch etwa 13 Stunden bis Novosibirsk – es scheint eine kalte Nacht bevorzustehen, das Wagenpersonal ist schon wieder am Einheizen…

Bildung in Kasachstan

Vor meiner Abreise nach Russland versuche ich, mir einen Überblick über das kasachische Bildungssystem zu verschaffen. Einen Überblick geben das Osteuropa-Asienportal oder die kasachische Botschaft in Berlin.
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Ein Artikel in der Zeit entspricht allerdings eher den Eindrücken, die ich heute habe. Es ist zwar tatsächlich ein Anliegen des Regimes, Bildung zu fördern. Aufwind haben aber weniger die öffentlichen Einrichtungen als elitäre und teure Privatschulen, Nachhilfestudios usw.
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Die Privatschule Kekil, bei der ich vorbeigehe, gibt (per Google auf Deutsch übersetzt) einen guten Einblick in ihre Programme.

20140324-151911.jpgMit einer Abschlussklasse eines Gymnasiums fahre ich mit einer abenteuerlichen Seilbahn auf den Kok-Tobe, den Hausberg Almatys. Alle wollen nach Abschluss der obligatorischen 12 Schuljahre studieren, an möglichst prestigeträchtigen Universitäten, aber niemand will Lehrer werden. Mein Ansehen sinkt, als sie erfahren, dass ich Lehrpersonen ausbilde. „Ah, only education“, meint sogar ihr Lehrer. Neben dem geringen Ansehen des Lehrberufs liegt das Problem auch bei der Geringschätzung der beruflichen Ausbildung, wie z.B. die deutsche Fachstelle für internationale Jugendarbeit schreibt:
„Was jedoch fehlt ist eine entsprechende Wertschätzung und Anerkennung der beruflichen Ausbildung. Sie wird nicht als gleichwertig angesehen, sondern ist aktuell ein wenig attraktives „Nebengleis“ der Bildungsbemühungen.“
Man versucht zwar Gegensteuer zu geben (vgl. Deutsches Bundesinstitut für Berufsbildung BIBB, PDF), meine Gespräche mit den Mittelschülern und ihrem Lehrer stimmen mich aber skeptisch.

Mir wird auch wieder bewusst, wie wichtig internationale Anerkennung ist. Wenn Miss Universum den Kok-Tobe besucht, man die Winteruniversidade 2017 ausrichten kann, wird das überall stolz vermerkt.
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Ich nehme an, dass bis spätestens zur Universidade die Menschen in den ärmlichen Behausungen unter der Seilbahn weiter an den Stadtrand verdrängt werden.
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Und jetzt also wieder nach Russland. Ich verlasse Kasachstan mit einem eher optimistischen Gefühl, es scheint mir möglich, dass die Transition nach Naserbajew gelingt, die Gesellschaft ist verhältnismässig offen und inklusiv, Geld ist dank der Rohstoffe vorhanden, die junge Generation hat grossen Arbeitseifer und den Willen, das Land weiterzubringen.
In Usbekistan sehe ich das weniger optimistisch, dort ist bei einem Machtwechsel die Möglichkeit von weiteren und erheblichen Unruhen und/oder noch grösserer Unterdrückung und/oder religiös motivierten Zusammenstössen m.E. durchaus vorhanden. Es täte mir sehr Leid, ich wünsche diesen netten, fröhlichen, fleissigen Menschen eine schöne Zukunft mit Partizipation und Menschenrechten.
Aber solche Einschätzungen nach so kurzer Zeit und so punktuellen Eindrücken abzugeben, ist natürlich vermessen.
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Dem früheren Aralsee entlang nach Usbekistan

Während der Nacht fahren wir dem entlang, was früher mal der Aralsee war. Er ist unterdessen bis auf einen kleinen extrem salzhaltigen Rest ausgetrocknet, weil die beiden Zuflüsse für die Bewässerung der Baumwollfelder so intensiv genutzt wurden, dass praktisch kein Wasser mehr in den See fliesst. Eine ökologische Katastrophe, die sich noch verschärfen wird (vgl. einen Reisebericht und eine Analyse über die Gefahr von Kriegen um das Wasser in der Region (ETH).
Ich sehe auch nichts vom Kosmodrom in Baikonur, an dem wir ebenfalls vorbeifahren, die Territorialrechte gehören hier Russland.
20140316-224315.jpgDie Landschaft ist jetzt nicht mehr schneebedeckt, steppen- und wüstenartig. Entlang der Bahngeleise Dromedare, kleine Steppenpferde, Rinder, Schafe, Esel. Ich verstehe wenn ich die Landschaft betrachte, warum „Pastoralnomaden“ mit ihren Tieren über das Land ziehende Nomaden für Zentralasien so wichtig waren. An eine Landwirtschaft an einem festen Standort ist nicht zu denken. In den bewässerten Oasenstädten erfolgte dann der Austausch zwischen Nomaden und dem sesshaften Bevölkerungsteil.
Im Zug wird es bald ungemütlich, auch wenn es noch 8 Stunden bis Taschkent geht. Teppiche werden zusammengerollt, es wird gewischt und gibt nichts mehr zu essen. Die fliegenden Händler lassen laut Musik abspielen, eine Mischung von lokalen Instrumenten und Tonfolgen und westlichem Rhythmus. Die Schienen werden von leeren Petflaschen und anderen Plasticabfällen gesäumt.
Der kasachische und usbekische Zoll brauchen zusammen sicher vier Stunden für die Kontrollen. Die Usbeken nehmen die Wagen regelrecht auseinander, Deckenverkleidungen werden aufgeschraubt, alle Hohlräume abgeklopft. Bei all dem sind sie nett, lachen und geben mir Tipps, welches Schaschlik ich in Taschkent essen soll.
3500 km haben wir seit Moskau zurückgelegt als wir abends in Taschkent ankommen. Die Hauptstadt von Usbekistan hat 2.8 Mio Einwohner (Usbekistan insgesamt hat ca 29 Mio). Die Stadt liegt in einer grossen Oase. Ein grosses Erdbeben zerstörte 1966 weite Teile der Stadt. Mein erster Eindruck beim Abendspaziergang sind Monumentalbauten an langen breiten Präsentierstrassen mit viel Bäumen. Den Zirkus finde ich und in der Altstadt den Basar und eine Medrese (theologische Hochschule). Gut, wieder mal eine Dusche und ein Bett, das nicht die ganze Nacht rüttelt zu haben.
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Kasachische Steppe

Um vier Uhr hält der Zug wieder, diesmal am kasachischen Grenzbahnhof. Die hübsche Grenzbeamtin hat einen stechenden Blick. Auch ein Hündchen schnüffelt herum und sucht wohl nach Sprengstoff. Als der Zug dann wieder fährt und ich eingeschlafen bin, kommt um sechs nochmals ein Uniformierter, will den Pass sehen und bedeutet mir, das iPod nicht einfach so auf dem Tisch liegen zu lassen.
Die Landschaft draussen ist jetzt flach und weiss in weiss. Die verschneite Steppe geht nahtlos in den weissen Himmel über, durchbrochen nur durch Strom- und Telefonleitungen und Zäunen gegen die Schneeverwehungen.
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Kasachstan hätte landschaftlich natürlich noch mehr zu bieten, vgl. z.B. hier.
Gegen acht steigen in Aqtöbe viele neue Passagiere zu. Kasakhi: Frauen mit Kopftüchern, Männer mit Fellmützen, Kinder mit Handys… Es wird auch auf den Korridoren lebendig, SIM-Karten werden verkauft, Nescafé, Esswaren, Schmuck, Souvenirs, vakuumierte Fische, schöne Wollsachen. транс азиа steht auf den Güterwagen – Trans Asia. Ich bin in Asien.
Die Kasakhi im Abteil kommen schnell miteinander ins Gespräch, bedauern, dass sie nicht auch mit mir reden können. Die Fotos auf dem iPad vermögen sie aber zu überzeugen, dass ich nicht ganz allein auf der Welt bin…
Die Menschen in den am Zug vorbeiziehenden Dörfern ziehen ihre Lasten auf Schlitten, man sieht kaum Autos ab und zu einen alten Lada.
Am Abend kommt ein Mann, wohl etwas jünger als ich, mit Bart, wie man sich einen kasachstanischen Muslim vorstellt mit zwei Frauen in mein Abteil. Wir palavern etwas rum, wer jetzt wo schlafe – und natürlich gebe ich meine Liege unten auf damit die beiden Frauen unten schlafen können. „Wo die Gebetsstunde dich erreicht, sollst du das Gebet verrichten und das ist ein Masdschid“, sagt gemäss meinem Reiseführer der Koran. Und so verwandelt mein Mitreisender unser Abteil in einen Masdschid, vergewissert sich kurz, ob die Richtung gegen Mekka etwa stimmt und verrichtet dann mit einer Art Sprechgesang und dem sich vor Gott Niederwerfen sein Gebet. Die beiden Frauen und ich sitzen auf der Liege gegenüber und schauen zu.
Es sieht so aus, wie wenn er seine von Vorvätern und Vätern weitergegebene Religion pflegte. Von den 70 Jahren, während denen der Islam während der Sowjetzeit weitgehend unterdrückt wurde, merkt man nichts.
Nachts um zwei steigen die drei wieder aus.20140316-224213.jpg