Von Konkurrenzorientierung zu „Individual Happiness“

20140608-185410-68050736.jpg
Das lange Wochenende geht dem Ende entgegen und alle müssen zurück nach Seoul. Alle KTX-Expresszüge sind ausgebucht, das habe ich schon vorgestern am Bahnhof erfahren. Platz habe ich nur noch in einem Kinowagen bekommen. Also: einsteigen, absitzen und dann werden sämtliche Fenster völlig verdunkelt, in der Mitte des Wagens wird eine Leinwand runtergelassen und der Film, dessen Länge ziemlich genau der Fahrzeit entspricht, beginnt.
Anstatt der schönen koreanischen Berglandschaft sehe ich also „The Trials of Cate McCall“.

Im Hotel in Seoul bereite ich mich auf die kommende Woche vor und vertiefe mich etwas ins koreanische Bildungssystem.
20140608-185447-68087953.jpg
Das Bildungsministerium legt eine informative Broschüre (ZIP) vor (Screenshots aus dieser Broschüre), in der auch die Beziehung zwischen ökonomischem Erfolg Südkoreas und Bildung dargestellt wird. Nur wegen des „Bildungsfiebers“, das es in Korea schon mehr als 700 Jahre gebe, sei es möglich gewesen, Südkorea so schnell aus den Ruinen des Koreakriegs aufzubauen.
20140608-191246-69166556.jpg
S. 2
Die Verschiebung vom ersten und zweiten zum dritten Sektor hat sich etwa gleich vollzogen wie in der Schweiz. Interessant, dass in Südkorea aber andere Schlüsse bezüglich Schulsystem gezogen wurden. Der Mittelschulbesuch wurde auf über 90% forciert. Der Besuch von Colleges und Universitäten lag 1980 noch bei 27.2%, 2012 bei 72%.
20140608-190151-68511822.jpg
S. 12
Die „Education for Creativity, High Tech and Quality“, für die wissensbasierte Gesellschaft wird also nicht mit einem dualen System angestrebt, sondern es wird zu einem sehr hohen Prozentsatz auf tertiäre Bildung in Higher Education Institutions (HEI) gesetzt. 80% dieser HEI sind privat.
20140608-190247-68567363.jpg
S.12
Entsprechend gross ist der Konkurrenzkampf, um an eine möglichst gute Universität, wenn möglich eine National University aufgenommen zu werden. Das Nadelöhr dabei ist der CSAT (College Scholastic Abilities Test), den praktisch alle Schülerinnen und Schüler der High Schools am Ende ihrer Schulzeit absolvieren. Ein Test, der das weitere Leben bestimmt (vgl. South China Morning Post). Er wird zentral durch das Korea Institute of Curriculum and Evaluation, KICE bereitgestellt.
Ein solcher Prüfungstag sieht dann folgendermassen aus:
20140608-191803-69483734.jpg
Aus der Broschüre „Education in Korea“ des KICE (PDF), S. 96
Das ganze Bildungssystem war bis jetzt wesentlich auf diesen Test ausgerichtet, der private Nachhilfesektor boomte, Schülerinnen und Schüler in der High School hatten praktisch keine Freizeit mehr.
Trotz der guten Resultate in internationalen Vergleichstests wie PISA und TIMSS, ist man auch in Korea der Auffassung, die unerwünschten Nebeneffekte des Tests wie Abwertung des „normalen“ Unterrichts zugunsten der Testvorbereitungen in der privaten Nachhilfe, Depressionen und Suizide, hohe Verschuldung der Eltern für Nachhilfe usw. seien zu gross. Ab diesem Jahr soll ein neuer CSAT eingeführt werden, der sich am neuen Curriculum orientiert und auf den man sich während der Schulzeit und mit Selbststudium mit Hilfe von z.B. Schulfernsehen vorbereiten können soll.
So hofft man, die Ziele des neuen Curriculums besser erreichen zu können. Ein wichtiges ist „individual happiness“.

Die Selbstkritik in einer Broschüre eines Ministeriums finde ich nicht selbstverständlich:
20140608-192023-69623905.jpg
20140608-190849-68929255.jpg
S. 20f.

Busfahrer und Buddhas

Der städtische Bus schafft die Strecke, für die im Fahrplan 56 Minuten eingeplant sind, locker in 35. Und ich denke, die Aufnahme von „safety education“ in den koreanischen Lehrplan sei vielleicht wirklich zu überlegen. Es müsste auch eine Lektion zu „Wie stoppe ich einen Busfahrer, der sich für einen Formel-1-Piloten und seinen Bus für einen Panzer hält“ dabei haben.

Ich habe mich auf dieser Reise aber praktisch immer sehr sicher gefühlt. Die heikelsten Situationen waren tatsächlich im Strassenverkehr. Bedroht habe ich mich gar nie gefühlt und ich hatte auch nie ein flaues Gefühl, wenn ich durch einzelne Gegenden oder Quartiere ging.

In den Prospekten von Gyeongju sieht der Bulguksa-Tempel, zu dem wir gerast sind, so aus:
20140607-212313-76993514.jpg
Obwohl ich früh unterwegs bin, ist die Aussicht heute etwa so:
20140607-212355-77035200.jpg
Die buddhistische Tempelanlage ist aber trotzdem sehenswert. Die Steinpagoden werden gerade repariert, aber die Tempel mit den Treppen, die den Weg zur Erleuchtung symbolisieren, sind sehr eindrücklich. In verschiedenen Hallen sind Mönche und andere Gläubige am Rezitieren von Sutren, das rhythmische Trommeln dazu verleiht dem Ort trotz der vielen Touristen etwas sehr Sakrales.
20140607-212441-77081182.jpg
Von hier führt ein etwa 3 Kilometer langer Wanderweg – oder eine 10 km lange Strasse – zum Seokgulam Grotto, einem buddhistischen Höhlentempel der auf das Jahr 751 zurückgeht. Der Tempel sieht auch nicht wie im Prospekt (unten) aus. Er ist momentan von viel Wellblech umhüllt, weil er restauriert wird. Lange Schlangen von Touristen pilgern trotzdem am Buddha vorbei, der normalerweise Richtung Ostküste und östliches Meer schaut. Es bleiben so etwa sieben Sekunden, um ihn anzusehen. Ende Juni sollen die Restaurationsarbeiten abgeschlossen sein. Die Gegend hier ist wirklich – und zu Recht – eine sehr beliebte Tourismusdestination. Es ist aber interessant, dass es sehr wenige Touristinnen und Touristen aus anderen Kontinenten hat, praktisch alle kommen aus Korea, China und Japan.
20140607-212533-77133727.jpg
Vom Höhlentempel aus führen viele Wanderwege durch den Nationalpark – ich gehe noch weitere 3 Kilometer bis zum Gipfel, nur ab und zu einige andere Wanderer. Ich geniesse es, etwas Platz zu haben.
20140607-212717-77237186.jpg

Eine Erbschaft für Bildung und Erziehung

20140606-212934-77374303.jpg
Ich miete ein Velo und fahre zuerst zu den Behausungen des „Gyeongju Choe Family Clan“. Ich verstehe nicht alles und reime mir folgendes zusammen: Der Familienname „Choe“ wurde als Ehrentitel vergeben und geht bis auf einen der sechs Stämme zurück, die dann das Königreich Sillah bildeten. Aus dem Gyeongju-Zweig dieser Familie bildeten sich insgesamt 27 Clans, viele ihrer Mitglieder trugen zum Gedeihen der Gesellschaft bei: der „Vater der koreanischen Literatur“, Generale, Erneuerer der Landwirtschaft, viele konfuzianische Gelehrte und in der 12. Generation Choe Jon, eine wichtige Figur im Widerstand gegen die Japaner. Er starb 1970 und vermachte sein Vermögen der Erziehung: He „had a forward-looking vision of modernizing Korea. He realized the importance of education and insisted on educating young students to be good leaders of modernizing Korea.“ Zwei Colleges, die heute die Yeongnam University hier in Gyeongsan bilden, wurden mit dem Vermögen Choe Jons finanziert. „Gyeongju Choe familiy has shown a good example of truly-rich men of Korea by contributing all of their wealth, that was inherited from their ancestors for the purpose of educating young students to help Korea fulfill the vision of modernization“. Das steht in der Broschüre, die mir ein Mitarbeiter der Yeongnam University auftreibt. Er ist sichtbar stolz auf die Choe-Familie. Ja, dieses Dorf gehöre – entsprechend dem Vermächtnis von Choe Jon – auch der Universität. Diejenigen, die nichts geerbt hätten „not a penny“, seien schon sehr enttäuscht gewesen, aber es sei doch ein enorm gutes Beispiel, der Gesellschaft den Reichtum zurückzugeben.
20140606-213030-77430519.jpg
Die alten Häuser stehen genau am richtigen Ort. Fluss vor sich, Berg im Rücken. Die auf konfuzianische Prinzipien zurückgehenden Leitsätze der Familie sind überall angeschlagen.
„Obsessed with Education“ stand gestern in der Korea Times. Ich erinnere mich daran, als ich mir dieses Dorf ansehe und ich denke es wieder, als ich am beginnenden Verkehrskollaps rund um das National Museum vorbeiradle. Auto an Auto wartet hier vor dem schon vollen Parkplatz, in jedem Eltern mit ihren Kindern, die sich dieses Museum und die Königsgräber ansehen wollen. Es ist kein Verkehrshaus wohlverstanden und keine Vergnügungspark, sondern einfach ein gut gemachtes Museum über die Geschichte und die Kultur Koreas.
20140606-213122-77482413.jpg
Aber Leute hat es jetzt definitiv zu viel, die Stadt ist völlig verstopft. Ich fahre Richtung Namsan-Berg, dort ist es schön ruhig.
Vor einem Königsgrab weit in den Hügeln sitzt ein anderer Mountainbiker und studiert aufmerksam eine Broschüre. Er komme von hier „and I am learning about our culture“ meint er. Das Wort „lernen“ wird hier – mindestens in der englischen Übersetzung – häufiger gebraucht als wir es brauchen. Auch „lehren“. Gestern meinte der Motelbesitzer: I will teach you about our motel and our town und zeigte mir dann, wie Licht, Airconditioning und Fernseher funktionieren und welche Sehenswürdigkeiten ich mir unbedingt ansehen müsse.
20140606-213213-77533357.jpg
Gegen Abend arbeite ich noch an meinem Paper für Gwangju und lasse danach in einem koreanischen Restaurant das Reis anbrennen, weil ich es zu früh in die auf dem Tisch mit einem Gasbrenner beheizte Pfanne mit den Hühnerinnereien gebe. Die Angestellten holen aber sofort ein neues Set und zeigen mir, wie das Ganze angerichtet werden muss.
20140606-213256-77576143.jpg

Politik und Grabhügel

20140605-221325-80005064.jpg
Mit einem Korail-Hochgeschwindigkeitszug und einer Lokalbahn fahre ich am Morgen von Seoul nach Gyeongju im Südosten der Halbinsel. Eine schöne, regenverhangene, bewaldete Hügellandschaft zieht vorbei. Dazwischen Städte und Reisfelder. Die 50 Millionen Einwohner Südkoreas leben zu über 80% in städtischen Gebieten, die meisten davon um Seoul. Die Bevölkerungsdichte ist dort eine der höchsten der Welt. Die Hügel und Wälder, durch die ich jetzt fahre (Südkorea ist zu zwei Drittel seiner Fläche bewaldet) wirken dagegen wohltuend ruhig.

20140605-221420-80060633.jpg
(Korea Times)
Die Bahnfahrt bringt etwas Zeit, um mich mit den gestrigen Lokalwahlen zu befassen. Während die Gouverneurswahlen keine grossen parteipolitischen Verschiebungen gebracht haben, hat sich bei den Erziehungschefs eine deutliche Verschiebung nach links ergeben. 13 der 17 Erziehungschefs der Provinzen und grossen Städte gehören jetzt eher linksgerichteten Parteien an, die national in der Opposition sind, im Vergleich zu lediglich sechs linken Erziehungschefs vor vier Jahren. Die Kommentatoren gehen davon aus, dass hier einerseits die Sewol-Katastrophe und die zögerliche Reaktion darauf durch die Regierungsparteien, aber auch eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem Schulsystem mitgespielt haben. Die Haltung des in Seoul gewählten linken Kandidaten beschreibt die Korea Times folgendermassen:
„During the lead-up to the election, Cho gave three core campaign pledges ― relieving the pain of students preparing for college entrance exams, guaranteeing their safety and health, and eradicating irrationality in education.
‚I will also strengthen education welfare and expand innovative schools,‘ he said.“

Interessant ist, dass in Korea, dass „obsessed with education“ sei, wie die Korea Times meint, Schulthemen auch z.B. bei Wahlen der Stadtpräsidenten eine wesentliche Rolle spielen. Der jetzt wiedergewählte liberale (d.h. eher linke) Stadtpräsident Park (so heissen allerdings sehr viele in Korea) war vor knapp zwei Jahren gewählt worden, nachdem sein konservativer Vorgänger zurückgetreten war, weil er sich gegen kostenlose Schulmittagessen wehrte, aber eine entsprechende Abstimmung verlor. Die Schul-Lunchs waren jetzt wieder Thema im Wahlkampf um das Stadtpräsidium. Die Berichterstattung zeigt einige Probleme der südkoreanischen Politik:
20140605-221639-80199082.jpg
(Korea Times)

  • Der konservative Herausforderer Chung schleudert mit Dreck (das tun die meisten), d.h. er meint, die Schul-Lunchs seien ohnehin giftig
  • Er ist steinreich, ihm gehört de facto Hyundai Heavy Industries: Die Verflechtungen bis Verfilzungen zwischen Politik und Wirtschaft sind sehr gross, wer Einfluss hat, hat es häufig in Wirtschaft und Politik
  • Gewählt wird nur, wer ein intaktes Familienleben hat. Die Frau hat also den Mann zu unterstützen und nicht im Ausland zu sein. Hier hat das Argument nicht verfangen. In einem anderen Fall (Schulsuperintendent) sackte der Spitzenkandidat aber auf den letzten Platz ab, nachdem seine nach der Scheidung mit der Mutter in den USA lebende Tochter auf Facebook gepostet hatte, er sei kein guter Vater gewesen und könne also auch kein guter Schulsuperintendent sein. (vgl. Korea Times)

Spannend. Ich werde den Präsidenten der mächtigen und jetzt nochmals gestärkten Lehrpersonengewerkschaft ja nächstens treffen.

In Gyeongju suche ich dann in strömendem Regen mein Hotel, weil es dem Taxifahrer nicht weit genug vom Bahnhof entfernt ist und er mich nicht mitnimmt. Die zweitklassigen (aber immer noch genug teuren) Hotels haben leider einen extremen Putzfimmel. Sie gehen mit so starken Putzchemikalien und Sprays hinter die Zimmer, dass ich immer gereizte Augen bekomme. Aber sonst ist es ok. Gyenongju, die alte Hauptstadt war an diesem verlängerten Wochenende praktisch ausgebucht und ich bin zufrieden, dass ich überhaupt etwas gefunden habe.

Gyeongju war fast 1000 Jahre lang die Hauptstadt der Silla-Dynastie und wurde nach dem Untergang der Dynastie dann im 14. Jahrhundert durch Seoul abgelöst. Die Stadt hat also Gräber, Paläste, Tempel aus einer 1000-jährigen Geschichte und ist UNESCO-Weltkulturerbe.
20140605-222001-80401561.jpg
Im National Museum versuche ich mir einen Überblick zu verschaffen, das tun ein paar hundert andere allerding gleichzeitig auch, so dass es etwas hektisch wird.

Ab 57 v. Chr. begann auf der koreani­schen Halbinsel die Periode der „Drei Königreiche“ Go­guryeo, Baekje und Silla. Während dieser Zeit wurde auch der Buddhismus in Korea eingeführt. China wurde einerseits bekämpft – der Einflussbereich der Drei Königreiche reichte bis weit in die Mandschurei – hatte andererseits aber immer auch einen grossen Einfluss auf Korea. Mit Hilfe der Tang-Dynastie gelang es Silla dann um 660 auch, ganz Korea unter seiner Herrschaft zu vereinigen.
China akzeptierte 735 die Unabhängigkeit Koreas, es begann eine Blütezeit mit regem kulturellem Austausch zwischen China und Korea, Herrschaftssystem und Verwaltung Koreas orientierten sich am absoluten Herrschaftssystem Chinas. Gyeongju war zu dieser Zeit eine der grössten Metropolen Asiens (vgl. Joachim Rau: Reisehandbuch Südkorea, Ostfildern: Dumont 2013, 30ff). Entsprechend majestätisch sind auch die ausgestellten Artefakte, Goldkronen aus den Gräbern, Goldschmuck, sehr kunstvolle Töpfereien, Buddhastatuen.
Aber halt etwas viel Leute.
20140605-222044-80444018.jpg
20140605-222124-80484169.jpg
Bei den „Tumuli“, den Grabhügeln für die Herrscher aus der Zeit der Drei Königreiche herrscht dann tatsächlich eine fast majestätische Stimmung. Die Tumuli verbinden sich sehr schön mit der Hügellandschaft um sie herum und auch das Regenwetter passt gut.
20140605-222210-80530320.jpg
20140605-222210-80530259.jpg

Namdaemun, Gyeongbokgung und so

20140604-222032-80432008.jpg
Gleich neben meinem Hotel liegt das frühere Südtor der Stadt. Auf der Karte heisst es Namdaemun, angeschrieben ist es als Sungyenum. Das Tor wurde 1398 erbaut und jeweils um 22 Uhr geschlossen und um vier Uhr wieder geöffnet. Das heute verloren im Verkehr stehende Tor verlor seine Funktion 1907, als die Japaner Korea zu ihrem Protektorat machten und die Stadtmauern einrissen. Während des Koreakriegs wurde es erneut stark beschädigt.
20140604-222126-80486729.jpg
Neben dem Stadthaus erstreckt sich die Anlage des ursprünglich im 15. Jahrhundert erbauten Deoksugung-Palastes, in dem die letzten Könige Koreas auch westliche Gebäude errichten liessen, um die Öffnung Koreas herauszustreichen.

Auf dem Boulevard, der zum Gyeongbokgung-Palast führt, stehen die Denkmäler von zwei Nationalhelden: König Sejong (1397 – 1450) und Admiral Yi Sun Shin (1545 – 1598). Unter den Denkmälern befindet sich eine grosse unterirdische Halle mit Ausstellungen zu den beiden Personen.
20140604-222328-80608954.jpg
Unter der Herrschaft König Sejongs wurden verschiedenste Verbesserungen für die Bevölkerung eingeführt. So gab er den Auftrag, das einfach zu erlernende koreanische Al­phabets Hangeul zu schaffen und förderte damit die Literalität stark. Er wird als ein starker Verfechter der Solidarität auch zu den nicht aristokratischen Schichten dargestellt – unter anderem führte er als erster eine Jahre dauernde Vernehmlassung durch, wie ein gerechteres Steuersystem eingeführt werden könne. Unter ihm wurden auch die Wissenschaften stark gefördert, Astronomie und Mathematik erlebten eine Blütezeit.
20140604-222227-80547465.jpg
Admiral Yi Sun Shin ist der Held des Imjin-Krieges, des Krieges, den Japan ab 1592 gegen Korea führte, um anschliessend gegen China vordringen zu können. Mit den von ihm entworfenen wendigen „Schildkrötenbooten“ und sehr geschickter Taktik konnte er trotz mehrfacher Übermacht der japanischen Marine diese mehrfach vernichtend schlagen. In einer der letzten Schlachten, bevor Japan sich zurückzog, wurde Yi tödlich verletzt. Er wird als grossartiger Stratege, gerechter, für alle seine Untergebenen sich einsetzender aber wenn nötig auch unerbittlich strafender Admiral dargestellt, der seine Position durch harte Arbeit und Ausdauer erreicht hatte, sich durch keine Rückschläge entmutigen liess und immer getreu den konfuzianischen Tugenden lebte.

20140604-222450-80690357.jpg
20140604-222601-80761645.jpg
20140604-222844-80924369.jpg
Gyeongbokgung, die weitläufigste und wohl schönste Palastanlage wurde 1395 durch den Gründer der letzten Dynastie, der Joseon-Dynastie fertiggestellt. Der am Fuss des Bukak-Berges erbaute „Palast der strahlenden Glückseligkeit“ wurde während der Invasionen durch Japan im 16. und 20. Jahrhundert zwei Mal fast vollständig zerstört. Etwa 300 der 500 Gebäude wurden wieder aufgebaut. Sehr schön, hier zu spazieren und zu sitzen – es hat auch genügend Platz.
20140604-223023-81023674.jpg
Unter Dichtestress gerate ich dagegen im an sich auch sehr interessanten Museum of Korean Folk Art, in dem der frühere Jahresablauf in der Bauerngesellschaft und der Lebenslauf der Menschen dargestellt wird. Aber die vielen Tourgruppen mit ihren Fähnchen und Lautsprechern gehen mir auf die Nerven. Es fällt mir jetzt auch auf, was die Differenz zwischen der japanischen einerseits und der koreanischen und auch chinesischen Dichte andererseits ist: hier ist es meistens laut. Man ruft ganz selbstverständlich laut durch die Räume, überall Gepiepse und Gebrumse aus irgendwelchen Geräten, laute Schulklassen. Für mich erhöht diese akustische Reizüberflutung den Stress ganz erheblich. Aber das Museum ist trotzdem sehr gut.

20140604-223147-81107814.jpgVorgestern habe ich geschrieben, Seoul liege in Asien. Die Quartiere, die ich gegen Abend durchstreife, könnten ebenso gut in San Francisco, Amsterdam, Sydney oder Rio liegen. Boutiquen und Galerien, Jugend und Schöngebliebene auf Einkaufstour, Latte Macchiato in umgebauten Lagerhallen mit Backsteinromantik. Die Stimmung ist gut, heute am Wahltag haben alle frei und flanieren durch die Gassen.

Geschichts- und Kriegsmuseen

20140603-230232-82952421.jpg
Es regnet in Seoul. Museumstag.
Das National Museum ist riesig – und es stellt die Geschichte Koreas bis zur japanischen Besetzung anfangs des 20. Jahrhunderts ausgezeichnet dar. Ich habe mich bis jetzt nur am Rand mit Korea befasst und erfahre viel Neues.
20140603-225805-82685857.jpg
Dass das Beamtenexamen, ähnlich wie in China, eine mehr als 1000-jährige Tradition hat etwa oder dass die koreanische Silbenschrift erfunden wurde, weil sich ein Herrscher Sorgen über die Illiteralität seiner Untertanen machte, die die chinesischen Schriftzeichen nicht beherrschten.
20140603-230101-82861741.jpg

20140603-230138-82898547.jpg
Es hat enorm viele Oberstufenschülerinnen und -schüler. Und die interessieren sich etwas weniger für die koreanische Geschichte. Sie sind entweder mit ihren Samsung-Handys beschäftigt, balgen und schreien herum oder machen mit ihren Regenschirmen Fechtwettkämpfe. Das scheint aber ihre Lehrpersonen und Museumsführerinnen nicht besonders zu stören.

20140603-230350-83030577.jpg
20140603-230642-83202002.jpg
Die Vorschülerinnen und -schüler im Kindermuseum sind dagegen noch ganz bei der Sache, erproben mit ihren Eltern die verschiedenen Musikinstrumente, suchen auf den alten Bildern die verschiedenen Tiere, schauen in einer Steinzeithütte dem Comicfilm über das damalige Leben zu. Eine didaktisch sehr gut gemachte Abteilung des Museums.

20140603-231059-83459223.jpg
Am Nachmittag dann das War Memorial Museum. Korea wurde eigentlich Opfer seiner Befreiung von der japanischen Besetzung am Ende des zweiten Weltkriegs.
20140603-230738-83258879.jpg
Befehl an die japanische Armee nach der Kapitulation
Die USA und die UdSSR hatten sich darauf geeinigt, das Land nördlich und südlich des 38. Breitengrades zu besetzen. Der Norden rüstete schnell auf und seine Armee marschierte – der kalte Krieg hatte begonnen und wurde hier zu einem heissen Stellvertreterkrieg – 1950 in den Süden ein.
20140603-231247-83567696.jpg
Bericht von General MacArthur
Es war mir nicht bewusst, dass Seoul in nur drei Tagen überrannt wurde und die mehr oder weniger nur für Polizeiaufgaben im Innern geschulte Armee Südkoreas trotz baldiger Unterstützung durch UN-Truppen, d.h. vor allem der USA bis ganz in den Süden in die Region um Busan zurückgedrängt wurde. In der Folge gelang es den südkoreanischen und US-Kräften unter McArthur, Nordkorea immer weiter zurückzudrängen, praktisch das ganze Land war jetzt in südkoreanischer Hand – die Wiedervereinigung in Griffnähe. Dann traten – eine früher abgegebene Zusicherung Maos umsetzend – die Truppen Chinas in den Krieg ein und drängten die überraschten UN/US- und die südkoreanischen Truppen in einem äusserst verlustreichen Winterkrieg wieder weit in den Süden zurück. Die Bevölkerung Seouls musste ein weiteres Mal fliehen, vorher waren schon Zehntausende Bewohner Nordkoreas gegen Süden geflohen und Zehntausende aus dem Süden (ein guter Teil der führenden Köpfe) in den Norden verschleppt worden. Die Gegenoffensive unter US-Führung hatte dann wieder Erfolg, zur grossen Frustration Südkoreas wurde aber schliesslich 1953 – ohne Mitwirken Südkoreas – ein Waffenstillstand unterzeichnet, der wieder den 38. Breitengrad als Grenze festlegte. Millionen waren tot, verletzt, heimatlos, Familien getrennt, das Land verwüstet und durch Kriegsverbrechen, auf beiden Seiten begangenen Massakern traumatisiert. Der Krieg ist offiziell bis heute nicht beendet. Südkorea, das bald nach dem Krieg wirtschaftlich erstarkte und – anders als im Museum dargestellt – lange von diktatorischen Regimes regiert wurde, hat im Norden einen äusserst unberechenbaren Nachbarn, dem es alles zutraut. In jeder U-Bahn-Station liegen Gasmasken bereit, um bei einem Angriff gewappnet zu sein.20140603-231531-83731755.jpg

Seoul liegt in Asien

20140602-214611-78371780.jpg
Ich schaue etwas irritiert, als in der Bahn vom Flughafen nach Seoul eine Gruppe junger Leute laut schwatzt und lacht. Einige telefonieren sogar. Undenkbar in Japan. Auch fast von einem orangen Taxi mit einem kurzärmligen Taxifahrer, der etwas aus einem Starbucks-Plasticbecher schlürft, gestreift zu werden, finde ich nach einem Monat Japan schockierend. Taxifahrer fahren dort ihre schwarzen Limousinen mit den weissen Sitzüberzügen defensiv, sie tragen einen Anzug, eine Schirmmütze und weisse Handschuhe.
Mir wird klar, warum man in Japan zwar häufig von Asien gesprochen hat, das eigene Land aber eigentlich nicht dazu zählte.
Aber jetzt bin ich in Seoul und damit wieder in Asien, einem aufstrebenden und improvisierenden Asien mit grossen Einkommensunterschieden. Einem Asien, mit riesigen Strassen, die kaum zu überqueren sind, Obdachlosen die in Unterführungen schlafen, Garküchen, Musik aus Ghettoblastern, Märkte auf Strassen und Plätzen, daneben Hochhäusern der Banken und grossen Unternehmen, alten Palästen, riesigen Verwaltungsgebäuden.
Ich muss mich hier erst einfinden.

20140602-215108-78668677.jpg
Das Land steht noch stark unter dem Eindruck der Sewol-Katastrophe, überall gelbe Bänder als Zeichen der Solidarität mit den Opfern.

Die Aufarbeitung des Fährunglücks hat auch viel Korruption zu Tage fördert und man ist daran, diese entschlossener als auch schon zu unterbinden. Auch die Korruption der vornehmeren Art: Nach ihrer Pensionierung werden Vize-Erziehungsminister z.B. meist Universitätspräsidenten. Dies hält dann die Behörden davon ab, die betreffende Universität genauer zu kontrollieren, man kann ja einem ehemaligen hohen Funktionär, einer solchen Respektsperson nicht misstrauen. Die koreanische Gesellschaft ist sehr hierarchisch, formelle und informelle Hierarchien nicht zu beachten, ist fast nicht möglich. Ich erinnere mich daran, dass diese Hierarchie ein Thema bei den Flugunfällen koreanischer Airlines war: Der Co-Pilot wagte nicht, dem Captain zu widersprechen, auch wenn das ins Desaster führte, vgl. die Hong Konger South China Morning Post).

Aber die Tatsache, dass so viele Jugendliche beim Fährunglück ertrunken sind, auch weil sie einfach den Anweisungen der Erwachsenen vertraut haben und viel zu lange auf der Fähre geblieben sind, hat das Land hier durchgeschüttelt. Man versucht, die gefährliche „eine-Hand-wäscht-die-andere-Tendenz“ zu reduzieren. Hohe Beamte sollen also nicht mehr gut bezahlte Uni-Präsidenten werden und dafür ihre Unis vor Eingriffen des Ministeriums schützen (vgl. Korea Herald: Returned officials banned from top college posts)

20140602-215248-78768495.jpg
Das Unglück wird auch politisch ausgenutzt. Am Donnerstag sind Kommunalwahlen, ein arbeitsfreier Tag (was zur Folge hat, dass ich meine Gewerkschafts-, Schul- und Universitätsbesuche auf übernächste Woche verschieben musste). In diesen Wahlen werden auch die Superintendents für die Schulgemeinden gewählt, also unter anderem der Schul-Superintendent für die 10-Millionen-Stadt Seoul. Ein sehr einflussreicher Posten, der in aller Regel von Personen besetzt wird, die auch „Education“ studiert und Erfahrungen im Schulbereich haben.
Der momentane Amtsinhaber in Seoul (aus der gleichen Partei wie Präsidentin Park, der Versagen bei der Sewol-Krise angelastet wird), findet, man müsse dringend mehr Geld für „Safety Education“ zur Verfügung stellen, dafür will er die kostenlosen School Lunchs abschaffen. (vgl. Korean Herald).

Interessant auch die Interviews mit den Gegenkandidaten (hier und hier).

Am Abend verbrenne ich mir in einem koreanischen Restaurant mit irgendetwas Siedendheissem in einer ansonsten lauwarmen Suppe ziemlich heftig den Mund. Danach telefoniere ich mit meinem Kollegen, dem früheren Präsidenten der University of Education in Gwangju. Er brieft mich für die Besuche bei Lehrergewerkschaft und Zeitung, für die Vorlesung im Kollegium und für ein Seminar mit Studierenden (von dem ich bis jetzt nichts wusste). Er braucht auch den Volltext meiner Vorlesung – da kommt noch etwas Arbeit auf mich zu.

Weiter

20140601-220150-79310352.jpg
Einen Monat habe ich in Japan verbracht und dabei sehr viel erlebt, mich wohl gefühlt unter all den netten Menschen. Einiges glaube ich etwas besser verstanden oder erfühlt zu haben. Anderes erschliesst sich mir nicht, wird mir wohl rätselhaft bleiben.

Nach einem Besuch im schön gebauten Nezu-Museum mit ästhetisch sehr ansprechenden und gut kuratierten Ausstellungen und einem frühlingsgrünen japanischen Garten verabschiede ich mich von Nae. Schade, dass wir uns nicht öfter zu einem Glas Wein oder Shochu treffen können.

Dann fahre ich in mein Flughafenhotel. Morgen früh fliege ich nach Korea. Letzte Etappe dieser Reise.
20140601-220227-79347869.jpg

Eine Reformschule

20140601-201944-73184987.jpg
Nae hat jeweils meinen Blog per Google auf Englisch übersetzt und gelesen und möchte meine Eindrücke vom japanischen Bildungssystem etwas erweitern. Sie meint, dass ich in Nara und Fukushima sehr gute öffentliche Schulen gesehen habe – Schulen allerdings, die ihre Schülerinnen und Schüler auslesen konnten, weil die „affiliated schools“ der Universitäten begehrt seien. Die Gemeindeschulen, die nicht auslesen können, hätten mit wesentlich grösseren Problemen zu kämpfen. Auch sie nennt die Probleme des Absentismus, des Mobbings, das sehr verbreitet sei und des sozialen Rückzugs, weil die Kinder und Jugendlichen Mobbing und/oder ständigen Wettbewerb und Druck nicht mehr aushielten. Die „affiliated schools“ der Universitäten hätten gute Lehrpersonen und könnten solchen Problemen begegnen, an verschiedenen öffentlichen Schulen sei das aber wenig der Fall. Sie ist nicht so sicher, ob die Präfekturen bei ihren Selektionsverfahren zur Anstellung der Lehrpersonen immer die richtigen einstellen. Häufig würden wohl Empfehlungen sehr stark gewichtet und Söhne oder Töchter von einflussreichen Eltern erhielten dann eine Stelle, auch wenn sie bei den verschiedenen Assessments nicht so gut abgeschnitten hätten.
Die Versetzungen von Schulleitenden und Lehrpersonen, die die Präfekturen anordnen können und auch häufig anordnen bewirkten oft Motivationsknicke sowohl bei Lehrpersonen wie bei Schülerinnen und Schülern. So könne es dann z.B. vorkommen, dass eine Musiklehrperson, die die Freude an der Musik gefördert und eine entsprechende Schulhauskultur aufgebaut habe, plötzlich durch jemanden ersetzt würde, der einfach verlangte, dass man die Lebensdaten von Beethoven und anderen Komponisten auswendig lerne.

Nae möchte mir eine Schule zeigen, die versucht, das Übel an der Wurzel zu packen, mit einem Schulprogramm, dass sich gegen Wettbewerbsdenken wendet, dafür Kreativität, Kooperation und Eigenverantwortung fördert. Die private Jiyonomori-Schule, die heute einen Tag der offenen Türe hat, liegt etwa eineinhalb Stunden von ihrem Wohnort entfernt. Hier hat ihr Sohn die High School besucht. Sie wollte ihm nach neun Jahren Public School einen freiheitlichen Mittelschulbesuch ermöglichen, der Kreativität und eigenständiges Denken fördert und nicht ständig diszipliniert. Ich habe den 25-jährigen fröhlichen jungen Mann, der in der Modebranche arbeitet kurz gesehen und denke, dass sie richtig entschieden hat.

So fahren wir am frühen Samstagmorgen durch Vororte und Wälder, an Sushi-Restaurants, Caterpillar-Vermietungen, Shinto-Schreinen, Bowling-Bahnen, Wasserreservoirs und Love-Hotels vorbei in die nächste Präfektur.

Direktor und Vizedirektor begrüssen die Angereisten in ihrer am Waldrand sehr schön gelegenen Schule. Die Besucherinnen und Besucher sind meist Eltern mit ihren Sechstklässlerinnen und Sechstklässern, die eine Schule für ihr Kind suchen. Einerseits wie mir scheint kreative und unkonventionelle, häufig etwas ältere Eltern, die aus Weltanschauungsgründen eine Schule mit Selbstverwirklichungspotenzial für ihr Kind suchen, andererseits wohl auch Eltern, deren Kinder Schwierigkeiten in der öffentlichen Schule haben und die sich deshalb nach einer Alternative umschauen.

Die Jiyonomori-Schule wurde 1985 gegründet. Sie verbindet Junior High School und High School, kann also sechs Jahre besucht werden, 3 Jahre während der obligatorischen und 3 Jahre während der nachobligatorischen Schulzeit. Das Schulteam empfiehlt denn auch, nicht erst in die High School einzutreten, sondern die Schule sechs Jahre zu besuchen – ihr Konzept brauche viel Zeit, da sei es wichtig, sechs Jahre zu haben. Es gibt Dormitories für Schülerinnen und Schüler, die unter der Woche dort wohnen, die meisten pendeln aber und verbringen bis zu zwei Stunden pro Weg (d.h. vier Stunden pro Tag) in Bahn und Bus.

Der Schulleiter geht auf die Gründung durch Yutaka Endo ein, der sich an der Bildungsphilosophie des Mathematikers Toyoma Kei (die ich beide nicht kenne) orientiert habe. Die Schule möchte bewusst ein Gegengewicht zu den andern wettbewerbs- und vergleichsorientierten Schulen setzen. Schülerinnen und Schüler sollen Zeit haben, sie sollen sich an sich selbst und ihrem Potenzial und nicht an anderen messen, und sie sollen nicht ständig mit Tests, Prüfungen, Ranglisten konfrontiert sein. Ausser der Eintrittsprüfung gibt es deshalb keinerlei Prüfungen. Ausser einmal im Jahr am Sporttag wird nie eine Rangliste erstellt.
Die Schule ist überzeugt, dass sich keine Lernfreude einstellen kann, wenn man ständig für Prüfungen lernt, dass eigenständiges Denken, Kooperation, Kreativität und Gestaltungsfreude nicht entfaltet werden, wenn man ständig unter Wettbewerbsdruck steht, mit anderen verglichen wird und für Tests und Prüfungen büffeln muss.
Freiheit und Autonomie werden gross geschrieben. Schülerinnen und Schüler dürfen sich deshalb auch kleiden, wie sie wollen, es gibt keine Schuluniformen, das Färben der Haare ist erlaubt und niemand misst nach, ob der Jupe maximal eine Handbreit über dem Knie endet.
Die Schule muss sich ans nationale Curriculum halten, sonst würde sie nicht akkreditiert, sie legt das Curriculum wie mir scheint aber so grosszügig wie möglich aus.
20140601-202644-73604297.jpg
Philosophie (c) Jiyunomori-Schule
Die Philosophie richtet sich

  • gegen Wettbewerb, Rankings
  • gegen Lernen für Tests, Prüfungen

Um das zu erreichen, orientiert sie sich an drei Pfeilern:

  • der Unterricht verfolgt das Ziel des Verstehens, des Begreifens (nicht des Auswendiglernens). Dazu ist viel Zeit nötig
  • Diese Zeit nimmt man sich beim Herstellen von „Werkstücken„, Schülerinnen und Schüler stellen etwas her, schreiben, führen etwas auf.
  • Drittes zentrales Element sind die „Lernberichte„, die die Schülerinnen und Schüler verfassen. Sie beschreiben in diesen Berichten, die die Zeugnisse ersetzen für jedes Fach detailliert, was sie in diesem Jahr gelernt haben. Die Lehrpersonen lesen die Berichte eingehend durch und treten so mit ihren Anmerkungen und Anregungen in Dialog mit den Schülerinnen und Schülern.

20140601-210332-75812823.jpg
Kooperation statt Konkurrenz
20140601-210527-75927710.jpg
20140601-210527-75927772.jpg
Verstehen und Begreifen
20140601-210722-76042188.jpg20140601-210722-76042253.jpgKreativität20140601-210203-75723645.jpg20140601-210203-75723755.jpgWerkstück Stuhl20140601-204500-74700947.jpgSchulberichte und Werkstück Auge

Der Schulleiter meint, er werde auch auf dem Rundgang nichts verstecken und das tut er auch nicht. Während viele Schülerinnen und Schüler engagiert am Lernen sind, dösen andere vor sich hin oder schlafen. Ja, alles brauche seine Zeit, meint der Schulleiter, am Anfang der sechs Jahre seien sich viele diese Freiheit nicht gewohnt und nutzten sie auch aus, manchmal sei Chaos. Aber die Klassen seien sich selbst ein gutes Korrektiv und wenn man niemanden dränge, würden bald alle mitmachen. Und wenn jemand mal nicht komme, weil er noch im Fluss am Schwimmen sei, so sei das für ihn wohl wichtig.
In einigen Räumen ist auch zu sehen, dass die Schule unter Geldmangel leidet, die Infrastruktur ist nicht so gut, wie ich sie an den Universitätsschulen gesehen habe.
Ein Werkstück zu machen, heisst im zweiten Oberstufenjahr dann z.B. einen Stuhl herzustellen. Das geht vom Fällen des Baumes bis zum fertigen Stuhl.
Auch bei den Textilien wird gleich vorgegangen, Wolle gekardet, mit Rädern und Spindeln, gesponnen, gefilzt und gefärbt, bis schliesslich ein Pullover entsteht.
20140601-202059-73259203.jpg
20140601-202200-73320379.jpg
20140601-202244-73364645.jpg
20140601-202346-73426654.jpg
20140601-202418-73458553.jpg
Werkstück im textilen Werken. Letztes Bild (c) Jiyunomori-Schule

Das Verhältnis der Jugendlichen zu den Lehrpersonen ist gut, man arbeitet gemeinsam an Projekten, reibt sich manchmal aneinander, zieht sich auch manchmal auch auf. Der kleinere Lohn als an der öffentlichen Schule wird durch mehr Freiheiten, die die Lehrpersonen haben aufgewogen.

Beim Eintritt nach der sechsten Klasse gibt es einerseits eine konventionelle Prüfung in Japanisch und Mathematik. Wesentliche Prüfungsteile sind aber das Mitmachen in einigen Lektionen, zu denen die Schülerinnen und Schüler dann einen Bericht schreiben und mit Kolleginnen und Kollegen darüber diskutieren müssen. Eine Art Assessment-Setting. Ich bringe die Aufnahmequote nicht in Erfahrung, Nae meint aber, dass wohl ein hoher Prozentsatz aufgenommen würde.

Ein Übertritt an eine nationale Universität nach der Jionomory-Schule ist schwierig, der Schnitt von der Wettbewerbslosigkeit in die grosse Konkurrenz ist dann doch zu hart. Viele private Universitäten nehmend die Abgängerinnen und Abgänger aber gerne auf, da es sich um sehr selbständige, kreative junge Leute handelt.

Ich bin froh, dieses Gegengewicht erlebt zu haben, wieder einmal eine mit viel Idealismus geführte Reformschule gesehen zu haben.
Dann ist Zeit, selbst in eine Sushi-Restaurant zu gehen und die Fisch-Reis-Seegras-Rollen vom Förderband zu fischen – dann haben sie aber meist schon einige Runden von Tisch zu Tisch hinter sich und sind nicht mehr so frisch. Besser man bestellt sie auf einem Touchscreen. Dann kommen sie nämlich auf einem zweiten Förderband per Spielzeugferrari genau zu unserem Tisch angerast und sind frischer…

Heute ist mir das Land wieder sehr sympathisch.