MOOCeara – ein verspätetes Geschäftsmodell

Ich hab’s wieder nicht geschafft, Schritt zu halten mit dem mmc13-Programm. Als der Wochenrückblick eintrudelt, merke ich, dass es jetzt wohl zu spät ist für ein Geschäftsmodell. Ich schreibe trotzdem ein paar Gedanken auf; auch um einige Ideen in meinem Kopf mal irgendwo festzuhalten.

Hippies und Realist/innen?

Beim Lesen des Wochenrückblicks von Andrea Brücken fällt mir die Unterscheidung zwischen «erfahrbaren Realitäten» und «moralisch ehrenwertem Engagement» auf. Anja Lorenz kommentiert dann u.a., dass sie – zugegebenermassen überspitzt – beim Hangout den Gedanken «alles Hippies» hatte.

Unabhängig davon hatte ich den Hippie-Gedanken als ich die Impulsbeiträge über die Coursera-Geschäftsmodelle las. Die ersten cMOOCs wären dann so etwas wie das Goa der 1970-er Jahre gewesen, das dann aber bald von der Reiseindustrie entdeckt wurde. Diese stellte riesige Hotelkästen (profitorientierte x- und andere MOOCs) an die ehemals zauberhaften Strände. Das Bild greift aber wohl etwas zu kurz…

MOOCs in die BRICs

Ich merke aber, dass ich – wohl auch wegen des M für «massive» im Begriff MOOC – eigentlich ganz andere Zielgruppen im Auge habe. Zielgruppen, die wenig Zugang zu Bildung und die deshalb auch ökonomisch wenig Chancen haben. Deshalb scheinen mir die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China), aber auch Afrika ein ideales Einsatzgebiet für MOOCs zu sein. «Massive» ist dort wirklich gefragt und auch bitter nötig. Die bisher einzige Schweizer Uni, die bei Coursera mitmacht, die EPFL (ETH Lausanne) setzt nicht von ungefähr auf das Format MOOC, sie sieht Chancen, damit den afrikanischen Markt zu erschliessen. Es wird ihr dabei nicht um Profit, wohl aber um den «war for talents» gehen.

Vorgeschichte zu meinem Geschäftsmodell

Ich hatte letzten Herbst Gelegenheit, verschiedene Bildungsinstitutionen in Brasilien zu besuchen. Das Land ist einerseits enorm im Aufbruch, die Jugendlichen wollen alle etwas erreichen, am liebsten einen Hochschulabschluss, sie sind bereit, dafür hart zu arbeiten. Auf der anderen Seite ist es sehr schwierig, die Aufnahmeprüfung in eine der guten staatlichen Hochschulen zu bestehen – wer nicht eine teure Privatschule besucht hat, hat wenig Chancen, die Aufnahmeprüfung, das „Vestibular“ zu bestehen. Weil die meisten dieser Jugendlichen sich eine private Hochschule (Privathochschulen machen etwa 80% des Hochschulangebotes aus) nicht leisten können, werden viele von ihnen nicht Gelegenheit haben, zum Aufschwung des Landes beizurtragen und von ihm zu profitieren, sie werden sich weiterhin in der informellen Wirtschaft mit Teilzeitjobs durchschlagen müssen.

Die Regierung ist sich dessen bewusst,  es wird z.B. viel investiert in «Digital Inclusion Centers». In jeder Provinzstadt sollen die Einwohnerinnen und Einwohner Zugang zum Internet erhalten und mit Hilfe der Kommunikationstechnologien Projekte aufziehen, um Lebensstandard und Lebensqualität in den betreffenden Kommunen zu verbessern. Im Gliedstaat Ceará (im Norden Brasiliens, nahe am Äquator gelegen) ist eine beeindruckende Dichte solcher Centers entstanden oder im Entstehen begriffen:

 

Hier möchte ich anknüpfen mit meinem

Geschäftsmodell «MOOCeará»

Ziel: In Form von MOOCs werden verschiedenste Kurse angeboten, die sonst nur in Hochschulen besucht werden können. Es ist möglich, diese Kurse einfach gratis zu belegen oder sich die Teilnahme durch das Absolvieren von Prüfungen (Portfolios o.ä.) mit einem Zertifikat bestätigen zu lassen. Diese Zertifikate sollen Zugang zu Beschäftigungen ermöglichen, für die sonst Hochschulabsolventen angestellt werden.

Partnerschaften müssten mit der Organisation, die die Digital Inclusion Centers betreibt, einer Hochschule mit digitalem und didaktischem Sachverstand, die auch Lehrpersonen ausbildet, einer NPO oder Stiftung, Staat und Gliedstaat eingegangen werden. Evtl. könnte die Gründung einer gemeinsamen Fernhochschule ins Auge gefasst werden.

Aktivitäten: Verschiedene Kurse (zu starten wären mit einigen Pilotkursen) müssen entwickelt und durchgeführt, die Betreuung und die Prüfungen (Portfolio, Verifizierung durch Präsenzkolloquien o.ä.) ebenfalls organisiert und durchgeführt werden.

Ressourcen: Als Produzenten und Facilitators kommen Dozierende bzw. Fachlehrpersonen in Frage, die ausgewählt und angestellt werden müssen. Da der Grossteil des Personals an den privaten Hochschulen lediglich im Stundenlohn angestellt ist, ist hier ein Markt vorhanden, gute Leute können ausgewählt werden.  Ergänzt werden sollte das Personal durch Studierende im Lehramt, die sich durch ein solches längeres Praktikum eine zusätzliche Befähigung (als Ferncoach o.ä.) erwerben könnten. Damit kann hoffentlich ein Lawineneffekt erreicht werden, die so ausgebildeten Lehrpersonen werden eigene MOOCs entwickeln und ermöglichen. Damit das klappt, muss eine gute Weiterbildung und Betreuung der Dozierenden und Studierenden sichergestellt werden.

Beziehungen zu den Teilnehmenden: Die Lerninhalte sind für alle frei verfügbar im Netz, Betreuung durch die Community, d.h. die Mitstudierenden und die Facilitators. Weil Internet in vielen Haushalten nicht vorhanden ist, muss der Zugang via die Digital Inclusion Centers sichergestellt werden.

Kanäle sind also das Web und die Digital Inclusion Centers.

Teilnehmende: wie beschrieben die bildungshungrigen, aber unterprivilegierten Jugendlichen und Erwachsenen, die es nicht an eine staatliche Hochschule schaffen und die sich eine private nicht leisten können. Sie alle müssen solche MOOCs teilzeitlich absolvieren können, da sie zum Familieneinkommen beitragen müssen. Wegen der freien Verfügbarkeit können natürlich auch andere Anbieter von den Inhalten profitieren.

Die Kosten für Entwicklung Produktion, Beratung, Infrastruktur, Personal wären wohl beträchtlich, ich würde ganz grob für das erste Betriebsjahr eine Zahl im oberen sechsstelligen Eurobereich schätzen. Je mehr Geld, je mehr MOOCs. Durch zahlenmässig wenige Pilot-MOOCs könnten die Kosten zu Beginn natürlich auch tiefer gehalten werden. Volkswirtschaftlich gesehen geht die Rechnung sicherlich auf. Brasilien kommt in einen Fachleute-Engpass, wenn es sich weiterhin leistet, nur verhältnismässig wenigen den Zugang zu guter höherer Bildung zu ermöglichen.

Finanzierung: Ich kann mir vorstellen, dass Gliedstaat und Staat von der Projektidee überzeugt werden könnten. Durch die Arbeit von Praktikant/innen (die durch eine gute Betreuung und ein Zertifikat als Ferncoach ebenfalls einen Mehrwert haben) könnten Kosten gesenkt werden. Möglich – und wohl schneller als der Weg über die staatlichen Instanzen – wäre auch, Stiftungen für das Vorhaben zu begeistern. Brasilianische Unternehmen übernehmen traditionell auch Aufgaben für die Gesellschaft (Kultur, Sport, medizinische Betreuung usw.) und sie führen einen Teil ihrer Gewinne aus Gründen der Steueroptimierung häufig in Stiftungen ab. Es wäre also durchaus denkbar, die nötigen Finanzen via eine solche Stiftung aufzutreiben. Stiftung und Stiftung finanzierende Unternehmung hätten – neben der Steuerersparnis – auch einen Reputationsgewinn.

Ich habe diese Idee einfach mal entwickelt, weil ich das Potenzial von MOOCs gerade in solchen Ländern als hoch einschätze. Wichtig scheint mir, dass das Ganze im Land entwickelt und durchgeführt wird. Wenn die jeweilige Lernkultur und Lebensweise nicht berücksichtigt wird, erreicht man wieder nur eine Bildungselite.

Falls sich so etwas verwirklichen lässt, seid ihr alle herzlich zu einem Caipirinha eingeladen… 😉

 

Gedanken zu „open“

Ich hinke dem aktuellen Wochenthema mehr als eine Woche hinterher… Trotzdem hier noch einige Gedanken zu «open».

Freier Zugang zur Bildung

Fahne der ersten zürcherischen Lehrerbildungsstätte, nach 1832. Wir verwenden heute andere Begrifflichkeiten – der Zugang zu Bildung für alle ist aber genauso wichtig geblieben

Freier Zugang zur Bildung ist ein Postulat der Aufklärung, das durch die ganze Diskussion um Open Access, Open Educational Ressources usw. wieder neuen Schwung bekommen hat.

Die dritte MOOC-Woche hat mir geholfen, meine Meinung zu Open Educational Ressources (OER) und CC-Lizenzen zu festigen. Mindestens was mit öffentlichen Geldern geschaffen wurde, sollte auch öffentlich zugänglich und verwendbar sein. Die verschiedenen Abstufungen der CC-Lizenzen helfen dabei, dass der Grad der Weiterverwendbarkeit kontrolliert werden kann. Dass jemand, der selbständig erwerbstätig ist, nicht all das Erarbeitete einfach frei zugänglich ins Netz stellen kann, leuchtet dabei ebenso ein.

Auch ausserhalb des kommerziellen Sektors wird es, immer wenn es um Persönlichkeitsschutz geht, nach wie vor Educational Ressources geben, die nicht frei zugänglich sind. Wir arbeiten in der Lehrpersonenbildung z.B. viel mit Clips von Schülerinnen und Schüler, deren Eltern lediglich das Einverständnis für eine eingeschränkte Nutzung im Rahmen der Ausbildung in einem LMS gegeben haben.

Bildung und Berechtigungen

Bildung ist häufig mit Berechtigungen verknüpft. Berechtigungen, einen gewissen Beruf ausüben, sich für eine bestimmte Stelle bewerben zu können zum Beispiel. Damit nicht nur der Zugang zu Bildung frei ist, sondern auch Bestätigungen, dass man über diese Bildung verfügt und entsprechende Berechtigungen erworben werden können, müssen die Gebühren für Prüfungen, Zertifizierungen usw. in einem finanziell vertretbaren Rahmen gehalten werden. Es nützt mir nichts, wenn ich mir viel Wissen und Können im Selbststudium und mit der Unterstützung von Communities erworben habe, aber dann die finanziellen Mittel nicht habe, um ein entsprechendes Examen abzulegen, mit dem meine Fähigkeiten zertifiziert werden. Vor allem in Ländern mit grossen Einkommens- und Bildungsunterschieden dürfte für viele das Geld, das für eine Zertifizierung, ein Examen usw. aufgebracht werden muss, ein grosses Problem sein. «Open» muss auch der Zugang zu Prüfungen sein.

Sich Lernziele setzen kann man nicht einfach

MOOCs können diesen freien Zugang erschweren, wenn sie sie das „jeder setzt sich seine Lernziele selbst“ zu sehr in den Vordergrund stellen. Sich in einer ungewohnten Lernumgebung wie einem MOOC zurechtzufinden, sich selbst realistische Lernziele zu setzen, verlangt ausgeprägte Lernstrategien. Diese müssen – je nach Lernstand von Teilnehmenden – zuerst aktualisiert werden. Eine Einführung in diese besondere MOOC-Form des selbstgesteuerten Lernens (z.B. durch eine «cognitive apprenticeship», einen vorgängigen Mini-MOOC usw.) könnte deshalb zum „open“ beitragen.

Digital Citizenship

Anlässlich der Abschiedsvorlesung von Heinz Moser hatte ich einige Quotes getwittert, u.a. auch, dass die Lehrpersonenbildung auf Digital Citizenship  vorbereiten solle. Mein Kollege vom Institut Unterstrass hat diese Forderung nun in einen Gegensatz zu einem Leserbrief gestellt, in dem offenbar eine Schule der 50-er Jahre gefordert wird.

Ausgehend von den Idealen der Aufklärung, von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit gehe ich wie die bildungstheoretische Didaktik Wolfgang Klafkis von „Selbstbestimmungsfähigkeit“, „Mitbestimmungsfähigkeit“, „Solidaritätsfähigkeit“ als Bildungszielen aus.

Das Internet gehört zu unseren Lebenswelten. Es ist wichtig und für das Lernen heute unabdingbar, kompetent mit ihm umgehen, selbst darüber bestimmen zu können, wie man es nutzt. Seit Web 2.0 bietet es verschiedenste Partizipationsmöglichkeiten, die sich noch erweitern werden und die Einfluss auf das Funktionieren der Demokratie haben. Schliesslich ermöglicht das Netz Informationen und Interaktionen, die zu mehr Mitmenschlichkeit, mehr Solidarität, aber auch Mobbing, Manipulation und Mitläufertum führen können.

Es ist deshalb m.E. unabdingbar, dass Kinder und Jugendliche auch „Digital Citizens“ werden, dass sie lernen, sich verantwortungsbewusst und ethisch im Web zu bewegen, daran und damit zu partizipieren. Wie sie das Internet nutzen, kann für sie und andere wegen der grossen Reichweite weitreichendere Konsequenzen haben als ihr Verhalten auf dem Pausenplatz.