Zürich 2016 und Thalwil 1956

März 2016. Der Aufruf Philipp Ruchs vom Theater am Neumarkt, vor Köppels Haus zu ziehen, um dort die bösen Geister auszutreiben, hat Edgar Schuler im Tages-Anzeiger dazu bewogen, darauf hinzuweisen, dass solche Aufforderungen in einer Tradition stehen: derjenigen „des Intellektuellen, der in seinen Polemiken nicht Worte, sondern Taten sprechen lässt. Und sei es nur, indem er in Kauf nimmt, dass andere an seiner Statt handeln.“

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Ungarnhilfe, Bahnhofplatz Zürich. Bild solidar suisse

Schuler weist auf 1956 hin. Nach der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn durch sowjetische Panzer ging eine Welle der Solidarität mit dem ungarischen Volk durch die Schweiz, die viele flüchtende Ungarinnen und Ungaren aufnahm. Der mit den Ereignissen in Ungarn einher gehende Antikommunismus war gross und wurde von der Presse bewirtschaftet. Edgar Schuler beschreibt, wie NZZ-Redaktor Ernst Bieri (Nachruf 2003 in der NZZ) damals die Adresse des Kommunisten Konrad Farner (HLS) veröffentlichte.

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NZZ, 13.11.1956, Morgenausgabe, Blatt 3

In der Lokalpresse wurden dann Inserate einer Aktion „Frei sein“ veröffentlicht: „Wir können und wollen unser Dorf von diesem Totengräber der Freiheit säubern“.

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Aus: Leimgruber Walter und Daniela Christen. 1992. Sonderfall? Die Schweiz zwischen Réduit und Europa. Ausstellung im Schweizerischen Landesmuseum Zürich. Begleitband. Zürich: Landesmuseum. S. 265. Bild vergrössern.

Farner und seine Familie wurden heftigst bedroht, eine erzürnte Menge rottete sich vor ihrem Haus zusammen, in den Läden wurden sie nicht mehr bedient usw. Sie waren gezwungen, ihr Haus vorübergehend zu verlassen. Die damalige Adressnennung wurde viel später (1980, vgl. unten) von der NZZ bedauert. Sie war aber kein Einzelfall, auch die Adresse von Marcel Brun, der Farner in Thalwil abgeholt hatte (und der später unter dem Pseudonym Jean Villain – HLS – bekannt wurde und 1961 in die DDR auswanderte) wurde genannt:

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NZZ, 21.11.1956, Abendausgabe, Blatt 13

Jakob Tanner hat 1986 offenbar geschrieben, dass damals die Kommunisten „pogromartigen Verfolgungen“ ausgesetzt gewesen seien.

2001 wendet sich die NZZ in einem Artikel  „Sprachgebrauch bei der Aufarbeitung von Vergangenem“ gegen die Verwendung des Begriffs „Pogrom“ in diesem Zusammenhang.