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Pacific Worlds (9) – Asien, Amerika und das Zeitalter der Galeonen

Eine andere Sorte Pirat war Francis Drake. Das Ziel der britischen Krone, in deren Diensten er stand, war auch, sich das mächtige spanische Imperium zur Beute zu machen. Entsprechend griff seine Flotte spanische Siedlungen an und plünderte iberische Schiffe.

Der Galeonenhandel der Spanier florierte 1565 – 1815. Wegen gesunkenen Schiffen, ist man gut informiert über die Ladung der Schiffe, die in der einen Richtung aus Porzellan, Wachs, Elfenbein, Lackwaren und Seide, in der anderen hauptsächlich aus Silber und Gold bestand. Der Handel war das Herz der globalen Wirtschaft im Pazifik, Filippinos mussten Zwangsarbeit leisten, Spanier, Chinesen, Mestizen, malaiische Händler waren in den mit sehr grossen Profiten verbundenen Handel involviert. Ganze Kulturen nicht nur auf den Philippinen und in Mexiko, sondern auch unterwegs, auf Guam, den Marianen wurden durch den Handel transformiert, es fanden Zwangsumsiedlungen, Missionierungen statt, im ganzen Pazifik entstanden hybride Kulturen. Die Spanier expandierten auch nach Kalifornien, wo sie auf «indianische» Kulturen trafen, für die die Begegnungen letztlich der Anfang vom Ende waren. Transit und kulturelle Beeinflussung fand auch zwischen Mexiko und den Philippinen statt – während Manila aber ein pulsierendes multikulturelles Zentrum war, war Acapulco einfach ein heisser, stickiger Hafen, ein Warenumschlagsplatz, von wo aus die für Europa bestimmten Güter auf dem Landweg nach Veracruz geschickt wurden.

Eine Familie auf Guam mit Vorfahren aus den Philippinen. (Guempedia)

Der Galeonenhandel brachte auch Tausende von Sklaven  aus Mindanao und Indonesien. Ein Beispiel des Transits ist die bis heute in Mexiko verehrte Heilige Catarina de San Juan. Die Heilige, die damals Mirnha hiess, soll aus einer alten Mongolischen Familie stammend vor den Türken nach Westindien geflohen und dort von portugiesischen Sklavenhändlern gefangen genommen und nach Manila gebracht worden sein. Von einem spanischen Kapitän und seiner Frau gekauft gelangte sie nach Acapulcao, wo sie wegen ihres Aussehens und ihrer Kleider bewundert und als Chinesin angesehen wurde. Sie wurde Catarina getauft und erhielt eine katholische Erziehung, heiratete einen chinesischen Sklaven, schlief aber nie mit ihm sondern trat in ein Kloster ein. Ihre Frömmigkeit faszinierte Generationen, sie soll gemeinsam mit der Jungfrau Maria spanische Flotten in Hurikanen gerettet und den spanischen Soldaten Kraft im Kampf gegen englische und französische Piraten gegeben haben. Catarina wurde zur Stilikone der Mexikaner. (S. 124)

Mexikanisches Paar vor dem Brunnen mit dem Denkmal der Heiligen Catarina in Puebla (Poblanerias)

Im siebenjährigen Krieg (1756-63 ) konnten die Briten Manila zwei Jahre besetzen (S. 125), das Monopol Spaniens auf seinem spanischen See kam zu einem Ende, der Freihandel begann das merkantilistische System zu ersetzen. Gleichzeitig begann die lokale Mestizen-Elite in Manila, liberale Ideen zu übernehmen und sich für die Unabhängigkeit einzusetzen, direkter Handel zwischen der iberischen Halbinsel und Südostasien trug ab 1802 weiter zum Niedergang des Galeonen-Handels bei, 1825 fuhren die letzen Schiffe auf der Manila-Acapulco-Route.

Pacific Worlds (8) – Piraten und Plünderer

Attacking pirates on the China Coast circa 1820. Hong Kong Maritime Museum (Antiques Trade Gazette)

Entlang der chinesischen Küste, um Borneo, in der Sulu-See und der Strasse von Malakka tummelten sich Marodeure, Kidnapper, Mörder, die lose gesellschaftlich organisiert waren, aber keinerlei politischer Kontrolle unterstanden (kaizoku, wako) (S. 103). Die ursprünglich japanischen Piraten waren bald multinational zusammengesetzt, Mitglieder waren auch Chinesen, Koreaner, Personen aus ganz Südostasien. Neben Plünderungen waren viele auch im Sklavenhandel tätig. Seit den Zeiten von Zheng He gelang es China nicht mehr, seine Küsten wirksam zu schützen; das Verbot mit dem Ausland, speziell Japan Handel zu betreiben bewirkte wenig und bot Portugiesen und Holländern Möglichkeiten für den Zwischenhandel.

Auch die Philippinen als Ausgangspunkt des Galeonen-Handels waren unter Druck der Piraten, Zubringer mit Gewürzen von den Molukken und Lackwaren und Seide aus China waren willkommene Beute.

Taiwan, von den Portugiesen Formosa genannt, der ursprüngliche Ausgangspunkt der austronesischen Völkerwanderung war eine überlappende Zone von Piraten, Schmugglern, Händlern aus China, Japan und Europa. 1630 errichtete die VOC dort Fort Zeelandia, das ein wichtiger Handelsplatz mit Japan wurde, weil der Ming-Hof direkten Handel verboten hatte. Die Holländer begannen die Meerenge zu patrouillieren, aber gegen den mächtigen Clan von Zheng Zhilong hatten sie wenig auszurichten, so dass sie sich schliesslich mit ihm zusammentaten. Aber auch die chinesische Seite koalierte mit ihm und ernannte ihn zum «Patrouillierenden Admiral», so dass die Meere um Taiwan weitgehend unter seiner Kontrolle standen,

Sein Nachfolger Zheng Chenggong (Koxinga), der eine japanische Mutter hatte, blieb beim Machtwechsel zu den Manchus 1644 den Ming treu, besiegte die holländische Kolonie auf Taiwan und versuchte von dort aus, die Ming wieder an die Macht zu bringen. Heute wird er in Festland-China dafür verehrt, Taiwan zu chinesischem Territorium gemacht zu haben, auf Taiwan wird seine Herrschaft als Beweis für die frühe Unabhängigkeit Taiwans angesehen und in Japan bezieht man sich darauf, dass er halb Japaner war – eine Figur mit Hintergrund aus multiplen Welten, wie sie im Pazifik immer wieder vorkommt (S. 109).

Die Übergabe von Fort Zeelandia an Koxikgan, 10. Februar 1662. ( PD, Wikimedia)

Eine berühmte Piratin war auch Cheng I Sao, die sich ruchlos durchsetzte und es verstand, straflos und sehr reich alt zu werden.

Sehr viele Küsten- und Meeresbewohner wie das malaiische «Seevolk» der Orang Laut, lebte damals in ständiger Angst und marodierten im Dienste der lokalen Sultane ebenfalls. Die Holländer, die ständig unter Druck der Söldner des Sultans von Johor waren, sahen ihr Handelsnetz in Gefahr und attackierten die Region vom Meer aus. Thomas Stamford Raffles, der wenig später den Freihafen Singapur gründen sollte, schrieb, dass er sich nicht wundere, dass die unterdrückten Völker entweder apathisch oder zu ruchlosen Plünderern würden (S. 112).

Das Piratenwesen des 18. Jahrhunderts war Teil der damaligen globalen politischen Ökonomie. Es gab Küstenbewohnern die Möglichkeit, aus ihrem traditionellen Leben auszubrechen, gab den Handelmächten wie der VOC die Möglichkeit, noch mehr Zölle einzutreiben um Schutzpatrouillen zu finanzieren und führte dazu, dass – die Nachfrage nach Tee und damit Zucker war stark gestiegen – der Bedarf an Sklaven für die Zuckerrohrplantagen durch Iranunische Kidnapper in der Sulu-See und Mindanao bedient werden konnte.

Pacific Worlds (7) – Samurai, Priester und andere Machthaber

Da es wirtschaftlich auf den pazifischen Inseln nichts zu holen gab, wandte sich die VOC Richtung Japan. Die 100 Jahre von 1540 bis 1640 können als die hundert Schlüsseljahre für die Meere rund um Japan bezeichnet werden. Portugiesische Händler aus Macao, Jesuitenprieser aus Goa, holländische Händler aus Batavia, chinesische und vietnamesische Seefahrer, Tribute aus dem Königreich der Ryukyus, Konflikte um Korea und die spanischen Überfälle auf die Philippinen: all diese Geschichten drehten sich um Austausch zwischen Kulturen, um Aneignung und Abwehr, Vermischung und Verschmelzung. (S. 89)

Vietnam war geteilt zwischen dem Machbereich der Trinh im Norden und der Nguyen im Süden, Nagasaki auf Kyushu wurde zur Eintrittspforte für frühe portugiesische Händler, japanische Piraten griffen immer wieder die Ming-Häfen an, so dass diese schliesslich für japanische Schiffe geschlossen wurden, was wiederum Zwischenhändlern aus anderen Ländern Chancen gab. Die Portugiesen hatten sich im Perlfluss-Delta in China festgesetzt und wurden dort in Macao von den Chinesen offiziell akzeptiert. Bald gelang es ihnen, das Monopol für den Handel zwischen Macao und Nagasaki zu erlangen, sie waren die ersten, die Feuerwaffen in das im Bürgerkrieg liegende Japan brachten.

Kanō school: Southern Barbarians, six-panel folding screen, colours on paper, 16th–17th centuries (Paris, Musée des Arts Asiatiques-Guimet) . Pinterest

Für manche Japaner, die sich von den privilegierten buddhistischen Klöstern unterdrückt sahen, war der Katholizismus durchaus willkommen, 1563 konvertierte der Daimyo Sumitada und konnte so mit portugiesischer Hilfe seine Widersacher fast zwei Jahrzehnte in Schach halten.  Als er sich weiter bedroht fühlte, schenkte er Nagasaki den portugiesischen Jesuiten.

Das Chaos der kämpfenden Reiche in Japan wurde bis 1640 durch die drei aufeinander folgenden Reichseiniger Oda Nobunaga, Toyotomi Hideyoshi und Tokugawa Ieyasu behoben. Toyotomi Hideyoshi verbot die Praktizierung des Katholizismus – einerseits fürchtet er die Jesuiten wegen ihrern Kriegsschiffen, vor allem sah er eine innenpolitische Gefahr, falls Hunderttausende Japaner einem fremden Glauben folgen sollten.

Nach der Einigung wandte sich Hideyoshi Korea zu, wo die seit 1392 die Choson-Dynastie an der Macht war und sich durch die konfuzianische Erziehung und eine funktionierende Bürokratie und Landwirtschaft auszeichnete. Unter König Sejong wurde das Alphabet Hangul geschaffen, das aber von den privilegierten Klassen abgelehnt wurde. Hideyoshi startete den von 1592 – 1598 dauernden Imjin-Krieg und wollte den Einfluss der Ming ersetzen und die Beute an seine Samurai-Armeen verteilen (S. 95). Admiral Yi Sun-shin mit seinen «Schildkrötenbooten» besiegte die japanischen Eindringlinge aber mehrmals, so dass sie schliesslich zum Rückzug gezwungen wurden.  (Vgl. Reiseblogeinträge zu Seoul und die Blogeinträge zur Geschichte Koreas und zu Nagasaki)

Bis heute verehrt: Statuen von König Sejong und Admiral Yi Sun-shin in Seoul.

Auch wenn es Japan nicht gelang, so die Kontrolle über Ostasien zu erlangen, verschleppte es doch ein grosse Anzahl von Töpfern und anderen Kunsthandwerkern nach Japan, wo ein neuer Keramikstil entstand. (Vgl. z.B. Wikipedia en zur Karatsu Keramik). Aus dem kaolinreiche Ton wurde Porzellan gebrannt, das mit kobaltblauen Glasuren versehen zu einem wichtigen und verbreiteten Exportgut wurde.

In die Zeit der Imjin-Kriege file auch die Havarie einer Spanischen Galeone vor der japanischen Küste. Ein Mitglied der Besatzung prahlte damit, die Spanier würden Japan bald einnehmen, was zur Kreuzigung von 26 Christen in Nagasaki führte – sie werden heute noch als Martyrer angesehen.

1609 fiel das Inselkönigreich der Ryukyus unter japanische Dominanz, 1879 würde es als Okinawa ganz Japan einverleibt werden. Vorerst wurde es durch den Satsuma-Clan kontrolliert, entrichtete wegen der guten Handelsmöglichkeiten aber weiterhin auch an China Tribut.

VOC-Porzellan

Weil die VOC im Gegensatz zu Portugal nicht missionieren, wollte, entschied sich das Shogunat, auf Hirado eine holländische Faktorei zuzulassen, die schnell zur Konkurrenz für Portugiesen und Spanier wurde. 1633 und 1639 wurden dann die Sakoku-Edikte erlassen, Japan schloss sich – immer unter Wahrung eines Fensters in die übrige Welt – weitgehend ab, Japaner durften nicht mehr ausreisen und auch nicht mehr nach Japan zurückkehren. Der Handel und ein gewisser Informationsfluss wurde von den nun auf die künstliche Insel Deshima vor Nagasaki eingeschränkten Holländer und die Chinesen, die ebenfalls in Nagasaki ein Stadtviertel zugewiesen bekamen, sichergestellt. Das Christentum wurde blutig ausgemerzt, die Portugiesen zogen sich nach Macao, die Spanier nach Manila zurück.

Pacific Worlds (6) – Gewürze und Monopole

In Europa hatte ein Elite Zugang zu Gewürzen und anderen Luxusgütern wie Seide. Damit liessen sich enorme Gewinne erwirtschaften und der Handel war entsprechend heftig umkämpft. Portugal strebte das Monopol an, wurde aber in diesem Bestreben von den Sultanen bekämpft, immer wieder zurückgeworfen und verlor zunehmend an Einfluss.

1596 segelten die ersten niederländischen Schiffe nach Java, man begann mit Holz, Kaffee und Indigo zu handeln und plante, bald auch Einfluss auf die Gewürzinseln zu nehmen. 1602 wurde die VOC, die vereinigte niederländischen Ostindienkompanie gegründet, die von der holländischen Regierung mit dem Handelsmonopol und weitestgehenden politischen und militärischen Rechten ausgestattet wurde.

Mit Batavia, dem heutigen Jakarta entstand das südostasiatische Zentrum der VOC, das auch Drehscheibe für indische und chinesischen Händler wurde. Die VOC verteidigte ihre Interessen, in dem sie wenn nötig mit Söldnern sowohl die Sultane wie rivalisierende Europäer angriff. Grossbritannien, ebenfalls ein neuer Akteur in dieser Region tauschte in einem Vertrag das Monopol auf den Gewürzinseln gegen Neu-Amsterdam, das heutige Manhattan ein.

Das nun in den Händen der VOC liegende Monopol war begleitet von einem Massaker an 15000 Einwohnern Bandas und von tödlichem ökologischem Imperialismus: Die Inselbewohner wurden gezwungen, die für ihre Ernährung lebenswichtigen Sago-Palmen zu fällen, damit Gewürzbäume gepflanzt werden konnten – viel starben an Hunger. (S. 78) Die VOC konnte ihr Monopol bis 1800 halten und wachte darüber, dass z.B. nur Muskatnüsse ausgeführt wurden, die so präpariert waren, dass keine Samen in andere Gebiete gelangen konnten. Auch gegen Kapitäne aus anderen Nationen, die es wagten, das Monopol in Frage zu stellen, ging man rigoros vor.

In Batavia entstand eine Mischkultur, ein Kreuzungspunkt von Kulturen. Nach dem Massaker an den Chinesen wurden diese allerdings gezwungen, ausserhalb der Stadtmauern zu leben.

Batavia 1682 :Kreuzungspunkt der Kulturen (Spinnhaus für alleinstehende Frauen) (Universität Heidelberg)

 

Trotz der klaren Dominanz der VOC gab es immer wieder von den Sultanaten ausgehende Aufstände gegen die Holländer.

Auch holländische Schiffe umrundeten Südamerika und überquerten den Pazifik, wo sie z.B. Kontakt mit dem Königtum von Tonga hatten, aber keine Handelsinteressen ausmachten. Man war auf Gewürze und Seide fixiert.

Die Suche nach dem «grossen südlichen Kontinent» war immer noch nicht abgeschlossen. Man nahm an, er müsse existieren, um die Erde im Gleichgewicht zu halten. Zwischen 1642 und 1644 wurde er z.B. von Abel Janszoon Tasman gesucht, der nicht nur zum später nach ihm benannte Tasmanien segelte, sondern auch Kontakt mit Aotearoa (Neuseeland) und den Salamon-Inseln hatte. Die Maori, die aus Ost-Polynesien in Aotearoa eingewandert waren, hatten ein hoch stratifizierte Gesellschaft mit starken politischen und religiösen Führern. Götter, Helden und Vorfahren spielten eine wichtige Rolle im Alltag. Handelsmöglichkeiten ergaben sich aber kaum und der grosse südliche Kontinent war immer noch nicht gefunden.

G.F. Angas 1847: The New Zealanders, Implements and Domestic Economy. (The University of Auckland. )

Pacific Worlds (5) – Begegnungen im spanischen See

Die Besatzung der Eintracht von Willem Schouten und Jacob le Maire missversteht 1616 das Interesse der Inselbewohner bei Tafahia. (Wikipedia fr)

Die zyklischen Winde, nach dem Christuskind El Niño genannt, ermöglichten von Asien nach Amerika zu segeln, sie brachten je nach Stärke aber auch immer verheerende Klimaveränderungen mit Hunger auf den pazifischen Inseln, wenn Fischpopulationen sich verlagerten mit sich (S. 64). Der Galeonen-Handel wurde durch das spanische Imperium ermöglicht, das Silberminen in Peru und Mexico umfasste. Peru und Mexiko waren die Stützpunkte für die spanische Expansion in den Pazifik, dabei fanden Begegnungen auf den – nach König Salamon benannten – Salomoninseln und den – nach dem Vizekönig in Peru benannten – Marquesas statt. Beide Seiten versuchten bei solchen Begegnungen, die andere irgendwie einzuordnen, als verlorenes biblisches Volk, primitive Überlebende eines versunkenen Kontinents oder als Feinde von anderen Inseln oder zurückkehrende Vorfahren. Vorerst überlappten die beiden Welten nicht. Die heiligen Mächte der Inselbewohner und die katholische Mission der Spanier prallten aber bald aufeinander.

Beide Seiten sollten bald auch an Krankheiten sterben, gegen die sie keinerlei Abwehrstoffe entwickelt hatten: Malaria, Gelbfieber, Grippe, Masern, Pocken usw.

Auf anderen Inseln im heutigen Vanuatu wurde den Spaniern die Landung verweigert – später sollten sie für die Missionsbemühungen von verschiedenen christlichen Religionszweigen sehr empfänglich sein.

Hawai’i wurde interessanterweise von den Europäern noch nicht berührt. Die Machtverhältnisse in Europa änderten sich 1580 mit der Union von Spanien und Portugal und 1588 mit dem Desaster, das ihre Armada gegen England und Holland erlitt. Diese Seeschlacht war auch der Wendepunkt bezüglich Einfluss im Pazifik und Südostasien und der Beginn des Niederganges des spanischen Einflusses im Pazifik, der damals noch ein «spanischer See» war.

Begegnung auf den Marquesas. The great navigotors of the 18th century. (Projekt Gutenberg)

Pacific Worlds (4) – Iberische Ambitionen

Die Ming-Kaiser schauten wieder Richtung Festland, wo die Grenzen ihres Reiches in Gefahr waren. Auch die pazifische Welt wurde wieder kleinräumiger. Die Inselgruppen wurden autarker, die kulturellen und sprachlichen Unterschiede grösser. Die Zeit der transozeanischen Doppelhüllen-Kanus der Tonganer und Fidschianer war vorbei. (S. 50)

Im mittelalterlichen Europa konnte mit Gewürze wie Nelken, Pfeffer, Muskat enormer Gewinn gemacht werden, der Handel vollzog sich entlang der alten Seidenstrasse und wurde durch chinesische, indische, arabische Händler dominiert. Grund für die iberischen Mächte, alternative Wege für «Christus und Gewürze» zu finden. Im Vertrag von Tordesillas hatte der Papst die nicht-christliche Welt in einen spanischen und einen portugiesischen Teil aufgeteilt, der Weg der Portugiesen nach Osten stand aus ihrer Sicht offen.

Verträge von Tordessillas und Saragossa (Gayle Olson-Raymer)

Vasco da Gama kehrte von seiner ersten Reise mit Beweisen des Reichtums Indiens nach Lissabon zurück und wurde 1502 auf eine zweite geschickt, der weitere portugiesische Seefahrten bis Malakka folgten, während denen gemordet und gebrandschatzt und schliesslich 1511 durch Albuquerque das durch interne Machtkämpfe geschwächte Malakka erobert wurde. Es sollte 150 Jahre unter portugiesischer Kontrolle bleiben.

Gedächtnismünze, Portugal 1995. (Numista)

Auf den durch muslimische Händler dominierten Gewürzhandel (der schon in römischen Zeiten existierte) hatte der Stadtstaat Venedig in Europa weitgehend das Monopol. Portugal wollte dieses Monopol durch die Route um Afrika herum nun umschiffen. 1512 gelang es Serrão bis auf die Molukken vorzustossen.

Einige Jahre später überquerte der westwärts segelnde Magellan im Auftrag der spanischen Krone als erster Europäer den Pazifik – Jahrhunderte von Handel, Sklaverei, kulturellem Austausch und politischem Konflikt begannen. Nach der Durchquerung der heute seinen Namen tragenden Strasse, erreichten seine verbleibenden Schiffe ein grosses, ruhiges Meer, das er deshalb «Pazifik» nannte.

Ortelius-Karte von 1589 mit dem Flaggschiff Maggelans (die erste gedruckte Karte, die den Pazifik zeigt) (PD Wikimedia)

 

Magellan erreichte die heutigen Philippinen und wurde dort bei einem Konflikt zwischen einheimischen Stämmen getötet.

50 Jahre später kehrten die Spanier unter Miguel Lopez de Legazpi, von Mexiko aus auf der selben Route auf die Philippinen zurück (S. 59).

Mit Manila entstand eine Hafen- und Handelsstadt, in der bald eine Verflechtung von malaiischer, muslimischer und chinesischer Kultur vorherrschte. Chinesen aus Fujian und Kanton heirateten einheimische oder malaiische Frauen, die asiatischen und Mestizen-Gemeinschaften hatten Einfluss auf Wirtschaft und Kultur.

Kultur und Reichtum Manilas wurde ab 1565 wurde durch den Galeonen-Handel ermöglicht. Dank der El Niño-Winde konnten spanische Galeonen die «Volta» nach Mexiko segeln, wo in Acapulco Silber für den Handel mit China verladen wurde.

Mit den spanischen und portugiesischen Eroberungen ging immer eine katholische Mission einher, gegen sie wurde auf vielen philippinischen Inseln durch muslimische Kämpfer starker Widerstand geleistet.

Pacific Worlds (3) – Meerengen, Sultane und Schatzflotten

3) Meerengen, Sultane und Schatzflotten

Malakka an der gleichnamigen Strasse von Malakka entwickelte sich zu einer reichen und mächtigen Stadt; durch die Strasse von Malakka musste praktisch der ganze Handelsverkehr passieren: Schiffe mit Gewürzen von den Molukken, Gold aus Sumatra, Sandalholz aus Timor, Porzellan und Seide aus China, Webstoffe aus Gujarat und Koromandel in Indien. Die Stadt war um 1400 vom Srivijaya-Hindu-Prinz Paramesara gegründet worden, der auf der Flucht vor dem Majapahit-Imperium war.

Der bald entstehende Reichtum und die gute Lage zogen indische und chinesische Händler, Hindu-Gelehrte, javanische Künstler an. Hier kreuzten sich Buddhismus, Hinduismus Konfuziansmus und der Islam, der seit. 1526 unter den Moguln Südasien dominierte (S. 38).

Die Reisen des Abû Zayd (hier auf dem Euphrat), ein auch bei Matsuda aufgeführtes Beispiel für die Mobilität des Islam (© BnF, département des Manuscrits, arabe 6094, f. 68)

Die Nordküste Sumatras wurde von Muslimen aus Gujarat besiedelt, Ende des 15. Jahrhunderts übernahm der Herrscher Malakkas, der seinen Namen zu Iskandar Shah änderte, den islamischen Glauben. Von hier aus entstanden weitere Hafenstädte, die Küstensultanate. Ausser dem Inselstaat Bali, der hinduistisch blieb, war bald der ganze indonesische Archipel muslimisch geprägt. Teil seiner Anziehungskraft machte der Status der Muslime aus, Glauben, urbanes Leben und Wohlstand wurden eng mit dem Islam gekoppelt.

Auch der chinesische Admiral Zheng He, der mit einer gigantischen «Schatzflotte» Tribut im ganzen indischen Ozean bis an die Küste Afrikas einforderte, war Muslim. Durch Mitglieder seiner Flotte wurden koloniale Siedlungen gegründet, sie legten den Grundstein der chinesischen Bevölkerung Südostasiens und heirateten oft einheimische Frauen.

Zheng Hes Schiffe (im Vergleich die „Pinta“ von Kolumbus, Bild: Ships on Stamps)

Auch nachdem die Ming-Kaiser und ihre konfuzianischen Beamten eine Flotte nicht mehr für lohnenswert ansahen und sich vermehrt um die Grenzen im Landesinnern kümmern mussten, prägten diese Siedlungen die Geschichte Südostasiens weiter. (S. 47)

Pacific Worlds (2) Handelsringe und Imperien in den Fluten

2) Handelsringe und Imperien in den Fluten

Auf der Suche nach Nahrung und Unterschlupf reisten die Clans regelmässig von Insel zu Insel, sie sammelten Vogel- und Schildkröteneier, schnitten Pandanus-Blätter, fingen in Korallenriffen Fische und sammelten Kokosnüsse.  Es entstanden Handelsringe, in denen man Kokosnüsse und Gewobenes tauschte und sich gegenseitig dabei unterstützte, Stürme und Dürren zu überleben.

Nan Madol (Bild Wikipedia)

Handelsringe dienten aber auch politischen und spirituellen Zwecken, Häuptlingen wurde Tribut bezahlt. Auf Yap entstand ein zeremonielles Zentrum der Mächtigen, mit Steinterassen, Plattformen mit Wohnungen, Obstgärten und Feldern für Taro-Anbau. Entlang der Küste von Pohnpei breitete sich das spirituelle und megalithische Zentrum Nan Madol aus. Von hier aus herrschten laut Legende 1000 Adlige der Saudeleur-Dynastie. (S. 24)

Auch Tongatapu, das oft mit Stonehenge verglichen wird, zeugt von alten Zivilisationen.

Die Tonga-Inseln waren ebenfalls Zentrum eines «Imperiums» oder zumindest eines starken Handels- und Tributnetzwerks. Staatsoberhaupt war der Tu’i Tonga, der einem grossen königlichen Hof vorstand. Die Gesellschaft war stark stratifiziert, es gab zeremonielle Begleiter, Kriegsgefangene, Familienangehörige von niedrigem Rang und spezialisierte Handwerker wie Fischer, Schnitzer und Seefahrer. (S. 26) Der Handel, v.a. mit Fidji und Samoa war intensiv. Wie andere ozeanische Netzwerke war der Handel mit politischen Allianzen und Verwandtschaftsbeziehungen verknüpft. Mitglieder der Herrscherfamilien heirateten untereinander, was zu Abhängigkeiten und z.B. auch zum Aufstieg legendärer Herrscherinnen führt. Die bekannteste ist wohl Salamasina, die im späten 15. Jahrhundert alle samoanischen Inseln unter ihrer Herrschaft vereinte und wegen des 40 Jahre währenden Friedens verehrt wird (s. 28).

In Südostasien unterwarf China Korea und Vietnam, die Seidenstrasse florierte. Hinduismus und Buddhismus reisten mit Händlern und Mönchen, die arabische Halbinsel, Indien und Südostasien waren aber auch über das Wasser verbunden.

Der Handel aus den Gewürzinsel war weitgehend von indischen Händlern kontrolliert und auch die malaiischen Königtümer waren weit stärker von Indien als von China beeinflusst.

Mit dem Srivijaya-Imperium, deren dynamisches buddhistisches Zentrum bei Palembang auf Sumatra lag, flossen Buddhismus und Politik zusammen. Die Strasse von Malakka, zentral für die Handelsrouten wurde von hier aus kontrolliert, mit dem Handel ging auch ein Wissenstransfer einher.

Borobudur (Bild Gunawan Kartapranata, CC BY-SA 3.0)

Der Borobudur auf Java ist bis heute eindückliches Monument die Srivijaya-Kultur.

Den Mongolen unter Kublai Khan gelang die Invasion Javas nicht (wie sie auch nicht in Japan Fuss fassen konnten), auf Java wurde die Majapahit-Dynastie gegründet. Indonesien führt seinen Staat und seine territorialen Ansprüche bis heute auf das Majapahit-Imperium zurück.

Als Kultur einer Elite verbreitete sich der Islam entlang der Handelsrouten.

 

Pacific Worlds (1)

Bilder: Matsuda referiert unter den Bildern von Epeli Hau‘Ofa (1939 – 2009) und Teresia Teaiwa (1968-2017), Monographie Matsudas,  Alliance of Small Island States (ebenfalls von Matsuda gezeigt)

Die Applied History Lecture an der Uni Zürich «The Pacific and the Modern World” wurde im Dezember 2017 von Matt Matsuda (Rutgers University) eröffnet. Er gab einen reich bebilderten, beeindruckenden Überblick über die Geschichte des anderen Drittels der Welt, die Geschichte des Pazifiks. Und er gab mir Anlass, mich an meine Geschichte mit dem Pazifik zu erinnern.

Meine Geschichte und der Pazifik

Wenn ich an den Pazifik denke, so denke ich an den 6.6.66. Das Datum ist mir in Erinnerung, weil unsere Familie damals Erdbeerenkonfitüre einmachte, und ich als 11jähriger die Etiketten beschriftete. Konfitüre machen war eine schöne gemeinsame Arbeit und es war eine Herausforderung, die Konfitüre zu probieren, ohne sich die Zunge zu verbrennen. Am Vorabend hatte ich damit begonnen, Thor Heyerdahls «Kon Tiki» zu lesen. Das Buch fesselte mich sofort – und während ein Pfanne voller Konfitüre kochte und es weiter nichts zu tun gab, legte ich mich jeweils rasch aufs Bett und las weiter. Die Beschreibung von Heyerdahls Forschungsreise, mit der er zeigen wollte, dass die pazifischen Inseln von Südamerika her besiedelt worden waren, die Abenteuer auf dem selbstgebauten Floss, die Schwarzweissfotos faszinierten mich so, dass ich mich auch mehr als 50 Jahre später noch daran erinnere.

1974 sah ich «den Pazifik» dann von San Francisco aus das erste Mal. Robben, Brandung, Weite.

Beim Stichwort Pazifik denke ich auch an 1980, als ich mit einem Jumbo Jet voller japanischer Hochzeitspaare von Osaka nach Guam flog und dann als Passagier der stolzen Air Nauru weiter über Nauru nach Tarawa in Kiribati. Später besuchte ich die Fidji-Inseln und Apia und Pago Pago auf Samoa. Ich erinnere mich an das – heute versinkende – Tarawa-Atoll, die Bootsfahrten und Wanderungen, die Gespräche über Banaba. Ich denke an ein Holzpferdchen aus Japan, das ich einer alten Einwohnerin schenkte, weil ich nichts anderes dabei hatte – ich ärgerte mich lange über meine mangelnde Sensibilität; der von Japan begonnene pazifische Krieg hatte ja enormes Leid über ihre Generation gebracht. Sie hat das Pferdchen aber ohne weitere Regung entgegengenommen.

Te Whare Rūnanga (Meeting House), Bay of Islands. Bild: Waitingi Treaty Grounds

Viele Jahre später, 2004 besuchten wir mit unserer Familie die Bay of Island in Aotearoa Neuseeland, wo der Vertrag von Waitingi abgeschlossen wurde und die wir 2004 mit unserer Familie besuchten. Der Pazifik war mir sofort wieder nahe.

Ich habe das Wasser des Pazifiks nicht im Blut, aber bei der Lektüre von Matt Matsudas Buch hörte ich seine Wellen wieder rauschen.

We sweat and cry salt water, so we know that the Ocean is really in our blood – Teresia Teaiwa

«Pacific Worlds – A History of Seas, People and Cultures»

Ich orientiere mich im Folgenden an Matt Matsudas Ausführungen während der Vorlesung und vor allem an seiner eindrucksvollen Monographie  «Pacific Worlds – A History of Seas, People and Cultures» (Cambridge University Press, 2012), Positionsangaben aus dem Kindle-e-Book.

Der Pazifik lässt sich nicht als enorme Weite beschreiben, eher als «Assemblage» von Elementen: Siedlungen, Unterbrechungen, Verbindungen, Navigation, Migration. Epeli Hau’ofa hat den Ausdruck  «Sea of Islands» geprägt.

Die drei Regionen, Melanesien, Mikronesien und Polynesien und das maritime Südostasien wurden als Kulturräume von Europäern definiert, was zu Stereotypisierungen führt und das Translokale, Verflochtene, Verbindende zu wenig zur Geltung bringt.

Maritimes Südostasien, Mikronesien, Melanesien, Polynesien (S. 4)
1) Zivilisation ohne Zentrum

Während des glazialen Maximums im Pleistozän, als das Polareis viel mehr Fläche einnahm, war die Meereshöhe entsprechend niedriger, der Planet verfügte über mehr Landfläche. Wo heute Inseln sind, gab es Landbrücken, die die damaligen Migrationsbewegungen in die pazifische Region begünstigten.

Immer wieder werden Reste von Siedlungen entdeckt, die heute weit unter dem Meeresspiegel liegen.

Der – heute von Menschen verursachte – klimatische Wandel drängt die Menschen weiter zu Migration.

2006 mussten die Einwohner der Tegua-Inseln auf Vanuatu umgesiedelt werden, heute wird das Tarawa-Atoll nur noch durch ständige Sandaufschüttungen vor dem Untergang bewahrt.

Innerhalb der Lebenszeit der heute lebenden Generationen könnte die Heimat der Bewohner von Vanuatu, der Marshall-Inseln, Tuvalu, Kiribati und der Küstengebiete Papua Neuguineas im Meer versinken. (S. 13)

Sandsäcke zwischen Bairiki und Betio, Tarawa-Atoll. Bild aus einer eindrücklichen Fotoserie Vpm „Die Zeit“: Kiribati: Ein Südsee-Paradies versinkt (© 2013)

Grosse Migrationsbewegungen fanden um 4000 v.Chr. statt, als die Vorfahren der Chinesen entlang dem Gelben Fluss expandierten und einzelne Gruppen auf der koreanischen Halbinsel und auf der japanischen Hauptinsel Honshu zu siedeln begannen. Um 3000 v. Chr. migrierten Sammler, Fallensteller und Bauern mit Flossen aus dem heutigen China und Taiwan Richtung südostasiatische Inseln und bis auf die Korallenatolle Ozeaniens. Bewohnerinnen und Bewohner von den Osterinseln bis nach Madagaskar haben auf Grund solcher Migrationen gemeinsame «austronesische» Vorfahren. In dieser durch Wasser verbundenen Welt ist das Boot zentral, bis heute sind in vielen Sprachen die Begriffe für «Boot», «Sarg» und «kleinste politische Einheit» identisch.

Kultureller Lapita-Komplex, (S.19)

In der heutigen Region der melanesischen Inseln bildete sich durch wechselseitige Heiraten  ein  «kultureller Komplex» aus, der nach dem Keramikstil «Lapita» genannt wurde- Auf Grund von Funden von Lapita-Keramik kann man davon ausgehen, dass ein reger Austausch zwischen den Inseln herrschte.

Lapita-Töpferei (Te Ara – The Encyclopedia of New Zealand)

 

Visible Cities

Leonard Blussé hat im November 2017 an der Universität Zürich einen Vortrag über «The maritime prohibitions of China und Japan during the seventeenth century: a reassessment» gehalten. Er bezog sich dabei häufig auf sein Buch «Visible Cities: Canton, Nagasaki, and Batavia and the Coming of the Americans»1

Die drei Städte waren nicht nur durch Handelsrouten über das Südchinesische Meer miteinander verbunden, sondern auch durch den Umstand, dass sie alle stark von den globalen Transformationen Ende des 18. Jahrhunderts betroffen waren. Alle drei Städte beherbergten – bei aller kulturellen Verschiedenheit – Einwohner aus den Niederlanden und Fujian (S. x).

Blussés Buch entstand aus seinen «Edwin O. Reischauer Lectures» in Harvard. Er lehnte sich dabei wie auch in Zürich an die Braudels (Wikipedia) Dramaturgie an: Zuerst den Appetit mit einer Langzeitperspektive anregen, dann einen Hauptgang mit konjunkturellen Entwicklungen und schliesslich zum Dessert das Tun und Lassen von Individuen.

Ich fasse hier die Publikation von 2008 «Visible Cities» zusammen, alle Seitenzahlen beziehen sich darauf.
Den Titel borgte Blussé einerseits bei Italo Calvino. In seinem Roman «Invisible Cities» (deutsch: Die unsichtbaren Städte, Amazon) schildert der Erzähler Marco Polo dem mongolischen Grosskhan und chinesischen Kaiser Kublai Khan (Ostasieninstitut Hochschule Ludwigshafen) die verschiedensten Formen von Stadtleben in seinem grossen Reich. Im Grunde sind aber all die Erzählungen Marco Polos nur Variationen seines Heimwehs nach Venedig.

Andererseits gibt es über drei Städte Batavia (heute Jakarta), Kanton (Guangzhou) und Nagasaki so viel Archivmaterial und zahlreiche Bilder, dass man sie gut als «visible cities» bezeichnen kann. Von den Hafenstädten, in denen Ost und West aufeinandertrafen sind sie wohl die meist porträtierten.

Kapitel 1: Three Windows of Opportunity
Die maritime Sphäre

Handelsstädte entlang der Land- und Seewege waren Orte, an denen das Leben kosmopolitisch geprägt war, Orte, wo Reisende von weit weg sich trafen, um Güter und Gerüchte zu tauschen.

Blussé will in seinem Buch auch aufzeigen, dass die traditionellen Beziehungen Chinas und Japans zum maritimen Bereich bis heute geschichtsmächtig sind. Man muss sie kennen, um die globalen Auswirkungen der chinesischen und japanischen Geschichte in der frühen Neuzeit und bis in die Gegenwart zu verstehen. Im Südchinesischen, Ostchinesischen und Japanischen Meer prallen die Interessen der beiden Grossmächte China und Japan bis heute aufeinander.

Batavia, Kanton und Nagasaki waren Tore zu Java, China und Japan, sie waren gleichzeitig auch wichtige Knoten im Netzwerk, der grössten Handelsmacht in der Region, der «Verenigde Oost-Indische Compagnie (VOC)» )(4).

Guangzhou, das damals im Westen als Kanton bekannt war, war zusammen mit Macao der Anlaufhafen für ausländische Kaufleute im riesigen Quing-Reich.

Kanton, zweite Hälfte 17. Jh.. Aus: Johan Nieuhof, Het gezantschap der Neêrlandtsche Oost-Indische Compagnie, aan den grooten Tartarischen Cham, den tegenwoordigen Keizer van China (Amsterdam, 1665) , nach S. 40. Download des Buches bei archive.org

Nagasaki, wurde vom Tokugawa-Shogunat als einziger Hafen in Japan bestimmt, in dem chinesische und holländische Händler Handel treiben durften.

Deshima 1669, Koninklijke Bibliotheek, Den Haag.

Batavia schliesslich war der Knotenpunkt des Handelsimperiums der VOC und völlig vom Seehandel abhängig.

Batavia, zweite Hälfte 17. Jh.. Aus: Johan Nieuhof, Het gezantschap der Neêrlandtsche Oost-Indische Compagnie, aan den grooten Tartarischen Cham, den tegenwoordigen Keizer van China (Amsterdam, 1665) , nach S. 40 Download bei des Buches bei archive.org

Chinas Küstenprovinzen schliesslich, im Speziellen Fujian waren direkt oder indirekt die treibende Kraft für den gesamten Handel im chinesischen Meer.

Der zeitliche Rahmen
Portrait des 85jährigen Quianlong-Kaisers. PD, Wikimedia Commons

Die Zeit um 1790 war auch in China eine Krisenzeit mit grossen Überschwemmungen des Gelben Flusses und des Yangzi. Die Bevölkerung verdoppelte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von 140 auf 300 Millionen. Politisch war der Übergang vom sehr lange herrschenden Quianlong-Kaiser mit seiner korrupten Entourage zum Jiagquing-Kaiser schwierig.

In Japan verursachte die Eruption des Asama 1783 Missernten, Hungersnöte und Bauernaufstände. Die Nachfolger von Shogun Tokugawa Ieharu verfolgten eine strenge Austeritätspolitik, setzten moralische Normen durch und  schränkten den Überseehandel nochmals erheblich ein.

Auf dem indonesischen Archipel verlor die VOC ihre Hegemonie durch die grossen Verluste an Schiffen im vierten Englisch-Niederländischen Krieg (1780 – 1784) (Wikipedia), der Unterbruch der Verbindungen nach Asien während der napoleonischen Kriege führte dann zum Bankrott der VOC:

Aus einer globalen Perspektive betrachtet fanden in dieser Zeitperiode mit der Industriellen Revolution und der französischen Revolution simultan zwei Revolutionen statt und Adam Smith beschrieb das neue Paradigma der freien Marktwirtschaft, die zum Ende des Merkantilismus mit seinen Monopolen führen würde. Ein neues Informationszeitalter war am Entstehen, das Wissen über andere Zivilisationen auf anderen Kontinenten war in Europa an jedem Teetisch präsent. Britannien verlor sein erstes Imperium in der westlichen Hemisphäre und baute sich ein zweites in «Monsun-Asien» auf. Das russische Reich und die Vereinigten Staaten verschoben ihre «Frontier» ständig und erreichten den östlichen Rand Asiens.

Um 1800 veränderte sich der Seehandel in Südostasien und Ostasien massiv, 200 Jahre niederländische Kontrolle in den Meeren rund um den indonesischen Archipel waren zu Ende und ein spektakulärer Anstieg von Piraterie und von Eindringlingen, die nach neuen Handelsrouten suchten war zu beobachten (7).

«In short, the turn of the eighteenth into the nineteenth century was a period of global transition and changing overseas entanglements to which the regimes of China, Japan, and Java were forced to respond.» (8)
Chinesischer Überseehandel

Chinesische Dschunken besuchten Nanyang (d.h. die südlichen Meere) seit fast einem Jahrtausend (10), bevor Europäer in dieser Weltgegend anzutreffen waren. Die Dschunken verliessen die Küstenregionen Chinas jeweils vor dem Beginn der Monsun-Zeit um das chinesische Neujahr und kehrten nach dem Wechsel der Monsunwinde im Juni zurück. Zwischen Juli und Oktober war die Seefahrt wegen der Taifuns sehr gefährlich.

Monsun in Südostasien. Karte PD Wikimedia Commons. Monsunrichtungen: Reid 20152, S. 2

Anders als bei den europäischen Mächten üblich folgte die chinesische Flagge aber nicht dem Handel. Im Gegenteil wurden durch die Herrschenden immer wieder Verbote, für eine längere Zeit zu migrieren, ausgesprochen. Solche Verbote vermochten Handel und Migration aber jeweils nicht zu unterbinden. Die Verbote wurden in der Geschichtsschreibung zur Kenntnis genommen und auch die Tatsache, dass China keine Kolonialisierung im europäischen Sinn anstrebte führte dazu, dass die Bedeutung der schleichenden Expansion und wirtschaftlichen Durchdringung von Südostasien durch China von der westlichen Geschichtswissenschaft missverstanden und massiv unterschätzt wurde. (12)

In China selbst galt die Sorge nicht den Ausländern sondern der Tatsache, dass diese die chinesische Bevölkerung mit ihren Ideen beeinflussen könnten. Dass von den europäischen Mächten auch ganz andere Bedrohungen ausgingen, merkten die Manchu-Herrscher in China erst beim Beginn des Opiumkrieges 1839.

Der chinesische Überseehandel sollte denn nach Blussé auch nicht als ein Resultat des Tributsystems der kaiserlichen Regierungen, sondern als Resultat der Handelsmöglichkeiten, die sich für die Regionen entlang der südöstlichen chinesischen Küste ergaben, gesehen werden (14).

Die Politik der Zentralmacht in China schwankte zwischen einer Förderung des privaten Handels und des Versuchs, den Handel völlig zu monopolisieren und ins Tributsystem einzugliedern. Die Handel treibenden Chinesen wurden in diesen Zeiten als Eindringlinge, die das imperiale Ordnungssystem verletzten, gesehen.

In diesem Zusammenhang sieht Blussé auch die Flotten Zheng Hes, die unter dem Yongle-Kaiser (1403- 1424) nicht weniger als 37 «Länder» erreichten. Weil diese in der Folge regelmässig Gesandtschaften mit Tributzahlungen nach China schickten, sahen die frühen Ming-Kaiser keine Notwendigkeit zu weiteren Expeditionen. Stabilität war hergestellt, man konnte das Land wieder weitgehend isolieren, eine Politik, die haijin genannt wurde.

Verbote von Migration und Handel führten aber z.B. dazu, dass Handel treibende Chinesen aus Fujian trotz des Verbotes sich auf den sowohl Japan wie China gegenüber tributpflichtigen Ryukyu-Inseln etablieren und von dort aus einen blühenden Handel mit Südostasien und den gegeneinander mehr oder weniger abgeschotteten Reichen Japan und China treiben konnten.

Weil die Prohibitionspolitik in der Regel nicht funktionierte, versuchten die Herrscher, den privaten Handel in Bahnen zu lenken, der Hafen von Guangzhou spielte früh eine Rolle, da er Eingangstor für die Delegationen der tributzahlenden Länder war. Schliesslich wurde sogar den Portugiesen in Macao ein Handelsplatz zugewiesen.

Portugal und die VOC

Europäer sicherten sich Ende des 16. Jahrhunderts einen Anteil am Handel im südchinesischen Meer. Die Portugiesen segelten die Route nach Macao und dann weiter nach Nagasaki, die Holländer nach Batavia und die Spanier nach Manila. Seide und Porzellan aus China wurden so gegen japanisches Silber getauscht. Die Spanier brachten Silber aus Südamerika nach Manila, um damit für Europa bestimmte Güter wie Seide und Porzellan zu bezahlen.

Die 1602 gegründete VOC hatte von den Niederlanden weitreichende Privilegien bekommen, sie konnte östlich des Kaps der Guten Hoffnung Verträge schliessen und Krieg führen. Als die Holländer 1595 in Südostasien ankamen, waren die Handelsbeziehungen von China mit Spanien und Portugal schon gefestigt. Mit der Gründung von Batavia konnte aber ein wichtiger Knotenpunkt geschaffen werden, es gelang den Holländern in Monsun-Asien ein Handelsnetz zwischen den textilproduzierenden Regionen Indiens und den Gewürzinseln der Molukken aufzubauen und einen grossen Anteil am enorm profitablen Silber-für-Seide-Markt zwischen Japan und China 1639 schliesslich zu monopolisieren.

Verflochtener Handel. Beispiel des Seide-Silber-Baumwolle-Gewürzehandels. Bild: Museum Deshima, Nagasaki.

Holland stellte sich als Alternative zu den mittlerweile in Japan verhassten Portugiesen dar, in dem Holländer den Japanern z.B. versicherten, dass sie den Katholizismus genau so hassten, wie diese. Mit dem Monopol verbunden war allerdings die Schliessung des holländischen Handelspostens in Hirado und die Verschiebung des Handels auf die künstliche Insel Deshima in der Bucht von Nagasaki, auf der vorher die Portugiesen Handel getrieben hatten.

Verpacktes Porzellan mit dem Emblem der VOC (Deshima Museum, Nagasaki)

Die VOC profitierte auch sonst von der Isolierung Japans (kaikin ab 1636) , indem sie auf Handelsrouten zwischen Kambodscha, Vietnam, Siam und Formosa und Japan nun über das Handelsmonopol verfügte. Als sie schliesslich das portugiesische Malakka besetzte und so die Kontrolle über die Strasse von Malakka erhielt, wurde Holland zur dominierenden westlichen Macht in der Region.

Machtwechsel in China

Die Ablösung der Ming-Dynastie durch die das Reich erobernden Manchus brachte zwischen 1630 und 1680 ein halbes Jahrhundert Unruhen mit sich. In der gleichen Zeit führten die Versuche der VOC, China für den Handel weiter zu «öffnen» zu einer Ausbreitung von Piraterie und Schmuggel, da es nun möglich war, so gute Geschäfte mit den Holländern zu machen. In Manila, Nagasaki und Batavia entstanden wichtige «Chinatowns» . Das ursprünglich von den Portugiesen, dann den Holländern besetzte Formosa wurde, nachdem dort 1683 die letzten ausharrenden Ming-Getreuen geschlagen worden waren, Teil des chinesischen Reiches.

Die Manchu-Regierung erlaubte den privaten Handel ab 1683 wieder, was zu einem unerhörten Boom führte. Batavia und Nagasaki waren am stärksten davon betroffen und wurden von einer grossen Menge chinesischer Dschunken angesteuert.

In Batavia entband dies die Holländer davon, eigene Schiffe an Chinas Küste zu senden und dort hohe Zölle bezahlen zu müssen, die Stadt wurde nun wie von selbst mit Seide und anderen Handelsgütern beliefert. Der Boom führte aber auch zu einer grossen Migration aus den chinesischen Küstengebieten. Auch in Nagasaki wohnten bald 5000 Chinesen so dass die dortige Regierung beschloss, sie in einem Chinesischen Quartier (tojin machi) zu konzentrieren.

1717 verhängte der Kangxi-Kaiser, um der Auswanderung und der Piraterie Herr zu werden, wieder ein Überseehandelsverbot, das sich innerhalb Südostasiens aber kaum durchsetzen liess.

Tee und Kaffee

Der VOC wurde durch das Verbot aber klar, wie stark sie vom chinesischen Netzwerk abhängig war und sie begann zu «diversifizieren», in dem sie auf Java mit aus Yemen importierten Kaffeepflanzen Plantagen errichtete. Die Anpflanzung von Tee blieb vorerst ein gut gehütetes chinesisches Geheimnis. Tee konnte nur via Kanton erworben werden. Weil er möglichst frisch in Europa ankommen sollte, wurde der Handel via Batavia mehr und mehr zum Konkurrenznachteil, die VOC musste Kanton ab 1727 auch wieder direkt aus Europa anfahren.

Kapitel 2: Managing Trade across Cultures

Im zweiten Kapitel gibt uns Blussé Einblick in die drei Städte. Die Situation war für die VOC in Kanton und Nagasaki wo «the VOC was operating “among declared enemies and feigned friends.”» natürlich eine völlig andere als im unter seiner Kontrolle stehenden Batavia.

Batavia

Das von der VOC an handelsstrategisch zentraler Stelle auf Java angelegte Batavia war eine mutikulturelle Stadt, ein Mix aus europäischer Planung und lokaler Tradition, gegründet und regiert von der VOC, die mit ihren Lagerhäusern und Werften auch am meisten Platz einnahm.

Ein Schloss überragte Stadt und Hafen, holländische Segelschiffe (Dutch East Indiamen), chinesische Dschunken und Segelschiffe anderer westlicher Nationen ankerten im Hafen.

Im Handel würden häufig örtliche Gebräuche und Rituale übernommen, ansonsten hatten die Holländer für sich eine Bürgergesellschaft mit Stadthäusern, Spitälern, Gerichten, Kirchen usw. aufgebaut: Holland in den Tropen. Den für den Handel und als Arbeitskräfte wichtigen Chinesen wurden gleichartige Institutionen zugestanden.

Batavia entwickelte sich zu einem Magneten mit einer internationalen Einwohnerschaft. Holländer, asiatische Christen und Chinesen wohnten mit einer grossen Anzahl Sklaven innerhalb derselben Stadtmauer

In der Umgebung wurden «ethnic communities» mit Balinesen, Bugis, Maduresen angesiedelt, die bei Bedarf Truppen für die Holländer stellten.

Batavia 1765 mit chinesischen Dschunken. Tropenmuseum Amsterdam

Chinesische Schiffe waren bezüglich Zollgebühren stark privilegiert, der «chinesischer Korridor» brachte viele chinesische Produkte und billige Arbeitskräfte in grosser Zahl. Das Niederschlagen einer Revolte chinesischer Arbeiter auf umliegenden Zuckerplantagen weitete sich im Oktober 1740 zu einem Massaker an den in Batavia ansässigen Chinesen aus, das massive Pogrom ging unter dem Namen «Chinezenmord» in die Geschichte ein.

Chinezenmoord. Tropenmuseum Amsterdam, PD Wikimedia Commons

Weil das chinesische Kaiserreich die im Ausland lebenden Chinesen ohnehin als Verräter ansah, unterblieb eine heftige Reaktion, der für beide Seiten einträgliche Handel konnte weitergehen.

Wirtschaftlich begann der Niedergang Batavias mit der Entscheidung, VOC-Schiffe wieder direkt nach Kanton zu senden. Für die Dschunken war es dadurch nicht mehr attraktiv, mit ihrem Tee Batavia anzusteuern, der chinesichen Dschunkenhandel verlagerte sich auf Handelsplätze entlang der Küste Nanyangs wie Johor  (60).

Der Niedergang wurde aber auch durch die für die Gesundheit prekären Verhältnisse weiter vorangetrieben, kaum jemand wollte noch in der Stadt wohnen, nachdem die Sterbensrate am Ende des 18. Jahrhunderts auf über 30% gestiegen war, d.h. innert dreier Jahre starb eine ganze Stadtbevölkerung. Grösster Killer war die «Mal-aria», d.h. schlechte Luft, in der man die Ursache der Krankheit suchte. In Wirklichkeit fanden die  die Malaria übertragenden Mücken aber in den neu angelegten Fischzuchten wohl ideale Brutbedingungen vor und vermehrten sich rasant. Die «Königin des Ostens» war zum «Friedhof des Ostens» geworden.

Nagasaki

Die künstliche aufgeschüttete fächerförmige Insel Tsukishima bzw. Deshima und das chinesische Quartier tojin yashiki prägten das Bild Nagasakis

Nach Deshima waren 1636 die Portugiesen umgesiedelt worden, bevor sie 1639 völlig ausgewiesen wurden. Die Holländer konnten sie beerben, mussten ihre Faktorei aber vom in der Nähe gelegenenen Hirado auf die Insel Deshima verlegen, das so für 200 Jahre zum Fenster Japans zur westlichen Welt wurde.

Der Handel auf Deshima war relativ einseitig, indem die Japaner den Preis festlegten, umgekehrt aber auch sämtliche Waren eines Schiffes abnahmen.

Das Leben war eintönig, die Hofreise jedes Jahr nach Edo, um dem Shogun die Referenz zu erweisen war eine willkommene Abwechslung.

Deshima, 1824-1825. PD Wikimedia Commons

Auf Deshima bestand, abgesehen von Kontakten mit Kurtisanen, die nach Deshima gerufen werden konnten und dort zum Teil Jahre blieben, wenig Gelegenheit in Kontakt mit der Bevölkerung zu kommen, während der Hofreise war das einfacher, man konnte auch Abstecher z.B. nach Kyoto oder Osaka ins Theater unternehmen.

Die Beschreibung einer Hofreise durch den Leibarztes Engelbert Kaempfer3 ist die Bekannteste, es existieren aber viele weitere Beschreibungen der fast 120 Reisen.

Der Handel wurde ständig eingeschränkt, 1790 durfte nur noch ein holländisches Schiff und sieben chinesische Dschunken pro Jahr in Nagasaki anlegen. Auch der Export von Silber als wichtigstem Exportprodukt wurde schliesslich unterbunden, von den Edelmetallen wurde nur noch Kupfer exportiert.

Japanische Verbindungen nach Korea (über Tsushima) und mit Ryukyu existierten immer. Deshima war aber der einzige Hafen, an dem regelmässig Nachrichten aus der ganzen Welt gesammelt werden konnten. Befragungen der Neuankömmlinge ermöglichten Japan, von der amerikanischen und französischen Revolution zu erfahren. Die französische Invasion Hollands konnte lange Zeit verborgen gehalten werden: in Batavia wurden amerikanische, deutsche und dänische Schiffe gechartert, so wurde auf Deshima als einzigem Ort der Welt während der ganzen napoleonischen Phase die Fahne der Niederlande gehisst.

Rangaku, die «holländische Wissenschaft» war eine Folge dieses Fensters zum Westen. 1640 aus Neugier an der westlichen Medizin gestartet weitete sich im 18. Jahrhundert der Wissenstransfer aus, es bestand ein grosses Interesse an der westlichen Wissenschaft und Technologie. Martin Dusinberre hat 2017 während einer Ringvorlesung aufgezeigt, wie die holländische Wissenschaft Japan auch ermöglichte, sich aus der «Sinosphäre» zu lösen und z.B. durch die Annäherung an die westliche Medizin ein vom chinesischen unterschiedliches Welt- und Menschenbild zu entwickeln.

Utagawa Kunisada: Dietary Life Rules, 1850s, Lyon Collection. Der Künstler bezieht sich sowohl auf die traditionelle chinesische wie auf die westliche Medizin.
Kanton

Kanton präsentierte sich als befestigte Stadt am Pearl River. Es konnte von fremden Schiffen nur via den Fluss mit einem Lotsen erreicht werden, die Fahrt dauerte ein bis zwei Wochen, der Verkehr war also sehr gut kontrollierbar.

Ein Hong-Händler, der vom Kapitän angeheuert wurde, übernahm die Abwicklung aller Fomalitäten und wurde dafür auch verantwortlich gemacht. Daneben waren Lingos, d.h. Übersetzer unumgänglich.

Im Gegensatz zu Nagasaki spielte in Kanton die Konkurrenz. Das «Kanton-System» liess Raum für Konkurrenz unter den Handelsnationen und auch unter den chinesischen Händlern, die mit den Fremden handelten. Der Handel funktionierte einwandfrei, was auch seinen Preis hatte. In mexikanischen Dollars waren sehr hohe Hafengebühren zu bezahlen

Die Faktoreien (Handelsniederlassungen) der Handelsnationen waren luxuriös ausgestattet, in den 1780er Jahren waren die Faktoreien von Dänemark, Österreich, Schweden, Frankreich, Grossbritannien und Holland nebeneinander angesiedelt und man hatte trotz der Konkurrenz regen sozialen Austausch.

Auch sonst war das Leben für Ausländer recht angenehm, die Faktoreivorsteher (Supercargoes) hatten in der Regel von Februar bis Juli nichts zu tun und verbrachten die Zeit mit ihren Frauen oder Konkubinen in Macao.

William Daniell: View of the Canton Factories (1805 – 1810), PD, Wikimedia Commons

Der Handel in Kanton war wenig diversifiziert, sondern völlig von Tee dominert, da der Durst der Europäer und Amerikaner nach dem nur hier erhältlichen Tee sehr gross war. Diese Gier sollte nicht nur die Geschichte Asiens verändern, der Profit aus dem Tee-Handel sollte auch die englische Eroberung Indiens ermöglichen und mit der Boston Tea Party einer der Auslöser des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges sein.

Tee wurde ursprünglich mit Silber bezahlt, weil China an keinen anderen westlichen Waren interessiert was. Die sich so ständig verschlechternde Aussenhandelsbilanz der westlichen Handelsnationen, vor allem Grossbritanniens führte zum massenhaften Anbau von Opium in Bengalen und schliesslich zu den Opiumkriegen, der Erniedrigung Chinas durch das Aufzwingen des Importes von Opium und den ungleichen Verträgen. Die damaligen Geschehnisse wirken bis heute nach.

It is indeed ironic that Britain, the nation that prided itself on having first exposed the excrescences of the American slave trade (in which it had been by far the greatest participant) after it had lost the American colonies, from the moment that its so-called second empire in India was taking shape, was engaged in the master planning of another kind of enslavement in Asia: opium addiction. (65)

Mit dem Teehandel verknüpft war auch der Porzellanhandel. Durch den Tee vor Stössen geschützt konnte das in Europa beliebte chinesische Porzellan nach Europa und in die USA verschifft werden.

Während der Besetzung der Niederlande durch Frankreich konnten holländische Schiffe nicht mehr nach Kanton fahren – ihr Platz wurde nur zu gerne von den Vereinigten Staaten eingenommen, die mit ihren kleineren aber schnellen Segelschiffen Kanton bald in grosser Zahl ansteuerten. (62)

Kanton war aber nicht nur für den Überseehandel wichtig, es war auch Umschlagplatz für die Dschunken, die Reis aus Siam und viele andere tropische Produkte aus ganz Südostasien brachten.

Schliesslich war Kanton auch Ausgangspunkt für viele chinesische Migranten. Die gegen die Migration gerichteten Regeln des Quing-Hofes waren immer schwieriger durchzusetzen. Um die schnelle Ausbreitung von Chinatowns in der ganzen Region zu verhindern, wurde noch versucht, Frauen an der Auswanderung zu hindern. Hakka-Frauen, deren Füsse nicht, wie sonst in China üblich, gebunden waren, gelang es aber immer häufiger, durch die Kontrollen zu schlüpfen (57) und chinesische Männer heirateten in Südostasien einheimische Frauen.

From this point on, migrants and sojourners became South China’s most important export product. Carl Trocki has pointed out that this led to the birth of a system of offshore production that included the financing and transportation of settlers and the subsequent management of the trade in items produced and consumed by the Chinese migrants to Southeast Asia. (57)

Dirk Hoerder schreibt über die chinesische «Diaspora»:

Ihre Erfahrung in Südostasien reichte vom Ghetto-Leben in Batavia und Manila bis hin zur leichten Mischehe und zum Aufkommen philippinischer mestizos und indonesischer peranakan. Wenn die Präsenz von Frauen zunahm, setzte in den nanyang Gemeinschaftsbildung und Re-Sinisierung ein, während die Rückwanderung abnahm. Die wichtige oder gar beherrschende Rolle ethnisch-chinesischer Zwischenhändler in bestimmten Wirtschaftssektoren führte wiederholt zu Antisinismus und gewalttätigen Übergriffen.(Hoerder 2012 Pos 10565) 4 .
Kapitel 3: Bridging the Divide

Im letzten Kapitel, dem «Dessert» bringt Blussé «Human Touch» in seine Vorlesung, etwa in dem er über das Schicksal der «Pinda chinezen» (Erdnuss-Chinesen) in Rotterdam erzählt, chinesische Seeleute, die während der grossen Rezession in den 1930er-Jahren mitten auf einer Reise entlassen worden waren, so in Rotterdam strandeten, ein «Chinatown» gründeten und sich mit dem Verkauf von Erdnüssen durchschlugen. Bis heute gibt es in Rotterdam ein Vielzahl von chinesischen Restaurants, die von den Nachfahren dieser Chinesen gegründet wurden.

Ankunft eines holländischen Schiffes in Nagasaki, frühes 19. Jh. Kawahara Keiga (1786 – nach 1860), Museum Deshima, Nagasaki.

Er erzählt von Geliebten und gemeinsamen Kindern, die die Holländer in Nagasaki zurücklassen mussten. Von Beschreibungen der christlichen Gepflogenheiten auf Batavia, die von einem chinesischen Gelehrten «puzzled by the strange behavior» (73) beschrieben wurden. Von den japanischen Schiffbrüchigen der Kodayu, die über Irkutsk und St. Petersburg schliesslich Japan wieder erreichten, nur um dort wegen ihres Wissens von ihren Angehörigen isoliert zu werden (75). Von japanischen Versuchen, selbst grosse Segelschiffe zu bauen, von geglückten und missglückten Gesandtschaftsreisen an den Hof des Kaisers nach Peking.

Zwei Personen werden besonders dargestellt. Andreas Everardus van Braam Houckgeest (1739-1801), den Blussé mit Voltaires Candide vergleicht. Ein Lebemann und Macher zwischen den Welten. Faktoreivorsteher in Kanton, Unterstützer der amerikanischen Revolution, der in die USA übersiedelte und dort fast seine ganze Familie wegen Diphterie verlor, der dann erneut «Supercargo» in Kanton werden konnte, eine Gesandtschaftsreise zum Thronjubiläum des Quianlong-Kaisers nach Peking unternahm und darüber ein zweibändiges Werk schrieb, das nur als einbändige Raubkopie verbreitet wurde, der eine 40 Jahre jüngere Frau aus der Kapprovinz heiratete und nach einigen Reisen in Deutschland schliesslich 1801 in Holland starb.

Der zweite ausführlich Dargestellte ist Hendrik Doeff (1777-1835) der während der ganzen napoleonischen Zeit auf Deshima amtierende Faktoreivorsteher, der in dieser Zeit Respekt und Liebe für die japanische Kultur entwickelte, ein Wörterbuch verfasste und dann 1817 Geliebte und Kind in Nagasaki zurücklassen musste und seine gesamte Sammlung an Schriften und Kunstgegenständen aus Japan bei einem Schiffsuntergang verlor. Sehr spät im Leben erst, als Franz von Siebold und einer seiner Nachfolger auf Deshima ein japanisch-holländisches Wörterbuch veröffentlichten, das wohl ein Plagiat Doeffs auf Deshima zurückgelassener Notizen war, verfasste Doeff mit seinen Recollections einen Bericht über seine Erfahrungen in Japan.

In seinem Epilog spricht Blussé von der neu entstehenden Ordnung in  den südostasiatischen Meeren. Ende des 18. Jahrhundert wurde das bisherige System durch Piraten, Schmuggler und Kleinhändler zum Einsturz gebracht, ohne dass sich vorerst ein neues durchsetzte. Erst mit der Gründung von Singapur durch Raffles entstand eine neue Situation:

Thomas Stamford Raffles’s brilliant decision to articulate the changing global trade with the expanding overseas Chinese economy by establishing a new kind of emporium, the free port of Singapore, was the first step in that new direction. And when from 1842 Hong Kong, Shanghai, Yokohama, Kobe, and all the other treaty ports followed, a new situation in international trade indeed emerged. (100)

1 Blussé, Leonard. 2008. Visible Cities. Canton, Nagasaki, and Batavia and the Coming of the Americans.Cambridge MA.: Harvard University Press.
2 Reid, Anthony. 2015. A History of Southeast Asia – Critical Crossroad. Malden, MA.
3Kämpfer, Engelbert. 1777-1779. Engelbert Kämpfers weyl. D.M. und hochgräfl. Lippischen Leibmedikus Geschichte und Beschreibung von Japan. http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-48618 (ZB Zürich, e-rara, PD NC)
4 Hoerder, Dirk. 2012. Migration und Zugehörigkeiten. In: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege“ von Jürgen Osterhammel, Emily S. Rosenberg, Akira Iriye, Andreas Wirthensohn, Thorsten Schmidt, Thomas Atzert, Annabel Zettel.