Tauwetter

20140328-000957.jpgManchmal staune ich, dass ich jetzt diese Reise mache. Als Jugendlicher hatte ich eine grosse Weltkarte über meinem Bett hängen. Oft verfolgte ich darauf die Route von Europa in den Fernen Osten. Novosibirsk, das lag etwa in der Mitte – ich sehe es noch vor mir auf der Karte. 1979 verunmöglichte mir die sowjetische Invasion in Afghanistan dann, auf dem Landweg nach Asien zu reisen und ich flog direkt nach Indien. Und jetzt bin ich wirklich hier, Novosibirsk, es nennt sich auch das Zentrum Asiens. Schön. Ein Privileg. Und irgendwie unwirklich.
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Die „wegelose Zeit“ nannte man das Tauwetter in Sibirien. Wenn all die Naturwege zu Matsch werden, das Eis auf den Seen nicht mehr überquert werden kann, dann kommt man kaum noch von einem Ort zum anderen. Aber auch in der Grossstadt herrscht ein grosser Matsch und Dreck. Die Leute balancieren zwischen riesigen Pfützen, Eisflächen und Dreck.

20140328-001356.jpg20140328-001448.jpgIch besuche das Museum der Transsibirischen Eisenbahn. Der Mann an der Eingangstür, dessen einziges Fremdwort das deutsche „Ausweis!“ ist, lässt es meinetwegen extra öffnen, auch wenn ich lediglich eine Passkopie dabei habe und er mir meine Erklärung, der Pass sei im „Hotel Lisa“ nicht wirklich abnimmt. Aber – die Rolle ist für mich neu – die komischen Vögel kurz vor dem Rentenalter halten zusammen und lachen miteinander, als die Angestellte das Museum aufschliesst. Einige interessante Ausstellungsstücke vom früheren Transport mit dem Schlitten über Brückenbau bis zu den verschiedenen Uniformen, die das Bahnpersonal trug.

20140328-001638.jpgAm Nachmittag komme ich am Roerich-Zentrum (Website, russisch) vorbei. Nicolas Roerich (Wikipedia), sein Frau Helena (do.) und ihre beiden Söhne (do.) kannte ich nicht. Mir scheint, ihm gelingt in seinen Bildern eine Synthese der hier aneinander grenzenden Kulturen aus dem Zentralasien, dem Himalaya, Indien und Russland. Ob das auch für den philosophischen Unterbau gilt, kann ich schwer beurteilen. Die Familie hat durch diese Weltgegend mehrjährige Expeditionen unternommen. Auch in diesem Museum bin ich der einzige Besucher, ein Mitarbeiter nimmt sich zwei Stunden Zeit, um mir alles zu zeigen.

20140328-002226.jpgAm Abend nehmen mich die ältere Tochter Lisas, Aleksandra und Ivan mit zu einem Konzert mit keltischer Musik in einem verrauchten Klub. Die jüngere Tochter spielt Dudelsack und die verschiedensten Flöten. Etwa vier Gruppen, die Formationen wechseln ständig, spielen vom Irischen Folk bis zu ziemlich hartem Irischen Rock ein sehr gutes Programm. Viel Spielfreude und sehr hohes Niveau, man vergisst völlig, dass wir in Novosibirsk und nicht in Skibereen oder Dublin sind.