Schulen in Niterói und São Gonçalo

Zum Abschluss begleiten uns Direktor Manoel und sein Vize Rogério in drei Schulen in São Gonçalo, die Stadt auf der anderen Seite der Bucht, in der der Lehrer/innenbildungscampus FFP der UERJ steht und die über eine Million Einwohner hat. Zuerst besuichen wir die Schule «CE Conselheiro Macedo Soares», 1900 Schülerinnen und Schüler der Ensino Fundamental und der Ensino Médio. Dazu am Abend Kurse für Erwachsene in Technik und Verwaltung.

Die Schüler/innenzahl in der Ensino Médio ist deutlich kleiner als in den unteren Klassen. Schülerinnen und Schüler, die eine Arbeit finden, hören in der Regel sofort mit der Schule auf. Drei Studentinnen der FFP begleiten uns, sie sind zwei Tage pro Woche hier, hospitieren und haben Beobachtungsaufträge.

Wir sehen eine Lektion zum Thema Rassismus. Entgegen dem auf Gilberto Freyre zurückgehenden Wunschbild der ethnischen Demokratie, in der alle Ethnien gleich behandelt werden und gleich wichtig für Brasilien sind (→ Uni Wien), ist Rassismus in Brasilien präsent und ein grosses Problem (→ RacismReview, Wikipedia, Bsp. eines Blogs). Die 28 Jugendlichen hören ihrer Lehrerin zu und diskutieren engagiert mit. Es werden Beispiele von Rassismus erzählt, Diskriminierungen, die die Schülerinnen und Schüler selbst erlebt haben. Die Lehrerin macht historische Exkurse, z.B. in die Politik nach der Abolition, als versucht wurde, durch Immigration Brasilien wieder „weisser“ zu machen. Diskutiert wird auch über Quoten für Schwarze z.B. an Bildungsinstitutionen, die Meinungen, ob das sinnvoll sei, gehen bei den Jugendlichen auseinander.

Zum Schluss schauen die Schülerinnen und Schüler TED-Talk von Chimamanda Adichie: «Die Gefahr einer einzigen Geschichte» an. Die Schriftstellerin erzählt eindrücklich aus ihrem Leben und wie wichtig es sei, viele verschiedene Geschichten über Personen und Länder zu hören, um sich ein Bild machen zu können.

Unterdessen wartet das Kollegium der CIEP 411 in São Gonçalo schon auf uns.CIEP steht für «Centros Integrados de Educação Pública». Mit diesen von Niemeyer entworfenen und als Ganztagesschulen konzipierten Schulen sollte eine Bildungsoffensive lanciert werden, Strassenkinder sollten durch die lange Betreuungszeit eine Heimat bekommen, die Schulen zum Zentrum der Gemeinde, des Stadtkreises werden.Aus politischen und finanziellen Gründen wurde die Idee aber nicht mit Vehemenz weiterverfolgt (→ Artikel in Brazzil), die Schulen sind nur noch teilweise Ganztagesschulen, für den Unterhalt fehlt das Geld, aus finanziellen Gründen können sie auch ihre Funktion als Quartier- bzw. Stadtteilzentrum nur beschränkt wahrnehmen. Ein Gesundheitsamubuatorium, das mehrere Jahre stillgelegt war, steht bei unserem Besuch immerhin kurz vor der Wiedereröffnung.Aber die Lehrpersonen sind engagiert (Kunststück, wir haben sie ausgebildet, meinen Manoel und Rogério), die Schülerinnen und Schüler bei der Sache. Wir haben den Eindruck, dass sie wirklich lernen wollen. Bildung ist die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg, auch wenn die Karten sehr unfair verteilt: Die teuren Privatschulen, die nur von Schülerinnen und Schülern mit vermögenden Eltern besucht werden können, bieten die ungleich besseren Voraussetzungen, um in eine gute Universität aufgenommen zu werden. Trotzdem: Mit solch engagierten Lehrpersonen müsste doch etwas zu machen sein, wenn es dem Land gelänge, mehr Finanzen für die Bildung bereitzustellen. Die teure Bolsa Familia kann die Grundlage legen, dass die Schule besucht wird. Damit der Schulbesuch auch erfolgreich ist, müssen aber die Schulen besser ausgestattet und finanziert werden. CIEP wäre da ein vielversprechender Anfang gewesen, schade, dass die Regierungen seither die Prioritäten anders gesetzt haben.

Nach dem Mittagessen in São Gonçalo steht uns fast ein Staatsempfang bevor. Im Ginasio Municipal Presidente Castello Branco erwartet uns ein Spalier mit Blasmusik, Dudelsackgruppe, Artistinnen.Wir werden wiederum von Studentinnen und ihrer Professorin begleitet, die hier ein Projekt durchführen und uns stolz die auf Postern zusammengestellten Forschungsresultate zeigen.Die Schule hat sich auch mit dem bereitgestellten Essen, dem Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen, der Einladung für einen Professor, der aus Benin eingewandert ist und französisch spricht, stark ins Zeug gelegt. Auch sie kämpft mit fehlenden Ressourcen; die Stimmung ist gut, für uns aber schwierig einzuschätzen.Obwohl wir noch lange mit dem Kollegium plaudern, kommen wir noch ohne grossen Stau zurück nach Rio.

Niterói

Um dem Gedränge zu entgehen, fahren Manuela und ich mit der ersten Kabine am Morgen auf den Zuckerhut. Schöne Sicht, keine Leute und – nachdem wir einige Meter einem unscheinbaren Weg gefolgt sind: schöne Natur, Ruhe von der Grossstadt.

Nach dieser Atempause vom pausenlos dröhenden Verkehr stürzen wir uns aber auch wieder in die ständige Adrenalinschübe provozierende Stadt. Mit dem Bus fahren wir zum Praça XV, dann mit der Fähre nach Niterói und mit einem weiteren Bus zum MAC, dem von Oscar Niemeyer in den 1991 erbauten Museu de Arte Contemporânea de Niterói. Die Fahrt lohnt sich einerseits wegen Gebäude und Blick auf Rio de Janeiro, aber auch die Ausstellungen sind gut kuratiert. Die Hauptausstellung über Beuys zeigt auch sein politisches Engagement für die direkte Demokratie.

Die Rückfahrt mit dem Bus durch Niterói zieht sich in die Länge, der «Ciruclar» fährt im Zickzack durch die Stadt, die sich auch touristisch gerne als Schwesterstadt Rios sehen würde. Bevor wir wieder die Fähre nehmen, sehen wir uns noch den Caminho Niemeyer an. Gebäude, die Niemeyer in seiner letzten Schaffensperiode zeichnete, die aber alle bereits Renovierungen nötig haben.Auf der Rückfahrt gut sichtbar sind die Ölplattformen. Das vor Rio geförderte Öl trägt wesentlich zum relativen Reichtum dieses Bundesstaates bei. Seit Jahren schwelt ein Konflikt, ob dieses Ölgeld auch dem Staat Brasilien oder lediglich dem Gliedstaat Rio de Janeiro zu Gute kommen soll.

Spätabends kommt Barbara an – alle Zimmer in der WG sind jetzt belegt…