Sonntag in Salvador

Lange nach Mitternacht treffen Elisabeth und Andi ein, wir treffen sie am Sonntagmorgen in der Lobby. Gemeinsam schlendern wir zum Largo do Pelourinho. In der Nossa Senhora do Rosário dos Pretos ist ein Gottesdienst – wie im Reiseführer steht mit Candomblé-Elementen – im Gang, über den Largo ziehen andere christliche Gruppierungen, die ihre Lieder mit einem Lautsprecherwagen verstärken.

Evangelikale Gruppierungen sind in den letzten Jahren in Brasilien sehr stark gewachsen (→ NZZ).

In den Gassen ist aber auch das Trommeln von Jugendlichen mit ihrem Mestre zu hören. Die Jugendgruppe der Banda Swing do Pelo (→ YouTube) macht so quasi Vortragsübungen.Am Nachmittag fahren wir dann nach Barra an den Stadtstrand, wo sich eng zusammengepfercht halb Salvador vergnügt. (Foto: Aristides Baptista/Agência A Tarde)Gegen Abend – vor Caipi und Nachtessen – besuchen wir den Übungsraum der Filhos de Gandhy, eines berühmten Karnevals-Bloco. Er wurde 1949 gegründet, als der Karneval noch rein „europäisch“ war, d.h. keine Perkussionsgruppen, keine afro-brasilianische Musik.  Mit dem Namen Gandhi sollte die Gewaltfreiheit unterstrichen werden (→ Salvador Central).

MAM und Fahrt nach Itaparica

MIt dem Elevador Lacerda fahren wir in die Unterstadt und gehen dann durch eine eher zweifelhafte Gegend zum MAM (→ Museu de Arte Moderna), das am Meer in einer alten Zuckermühle untergebracht ist. Leider ist das Museum bis auf weiteres geschlossen, aber die Anlage anzuschauen lohnt sich trotzdem und die Bar mit Blick auf das Meer ist geöffnet. Zuckerrohr war für die Entwicklung Bahias sehr wichtig und ist es – mit ökologischen Folgen – noch heute (→ Brot im Tank).

Danach nehmen wir ein Schiff nach Itaparica. Auf der Überfahrt sind wir mit der Alternative zum Zuckerrohrtreibstoff Ethanol, mit Erdöl konfrontiert. Dutzende Tanker warten, um in der Raffinerie Landulpho Alves, eine der Raffinerien der Petrobras be- oder entladen zu werden.

Dass Salvador eine Stadt mit mehr als 3 Millionen Einwohner ist, haben wir bisher erst auf der Fahrt vom Flughafen bemerkt, auf dem Schiff wird uns die Grösse wieder bewusst.

Praça da Sé

Wir schlendern über die Praça da Sé, den Platz des ersten Bischofssitzes, der in den 30-er Jahren einer Tramschleife weichen musste, (→ Wikipedia port.). Ein Denkmal haben hier der erste Bischof, der nach seiner Absetzung vermutlich von Ureinwohnern verspeist wurde (→ Country Studies for the Library of Congress),

der geschleifte Bischofssitzund Zumbi von Palmares. Zumbi war der letzte Anführer des Quilombos Palmares. Quilombos waren Dörfer, die von geflohenen Sklaven im Hinterland gegründet wurden. Diese Siedlungen wurden flächen- und einwohnermässig oft sehr gross und konnten über Jahrzehnte Bestand haben, bevor sie von den Truppen (bzw. Banden) der Kolonialherren ausgehoben werden konnten. Palmares zählte bis zu 30’000 Einwohner, Zumbi war sein letzter Anführer. Er wurde am 20. November 1695 geköpft, der 20. November ist heute der „Tag des schwarzen Selbstbewusstseins“. (→ Black History Heroes)

 

Igreja e Convento de São Francisco

Zwischen 1703 und 1723 wurden Kloster und Barockkirche São Francisco gebaut. (→ Barock in Brasilien, Kulturstiftung der Bank Itau, portugiesisch) Eine goldene Kirche sollte es werden, die da mit viel Sklavenarbeit errichtet wurde. Tatsächlich ist sie überfrachtet mit goldplatinierten Figuren und Ornamenten. „Ein Feuerwerk an Verzierungen“, wie der Reiseführer schreibt.

Die meisten Figuren entsprechen dem portugiesisichen Geschmack der Zeit, beim Chorgestühl haben wir den Eindruck, dass die afrikanischen Arbeiter stärker auch ihre eigene Kunst verwirklichen konnten.Der Kreuzgang ist mit Azujelo-Bildern aus Portugal verziert, die Bilder haben holländischen Ursprung und stellen das Teatro Moral de la Vida Humana darstellen. (→ De zeventiende eeuw. (Zs.) Beschreibung in englisch)

Nossa Senhora do Rosàrio dos Pretos

„A casa é sua“ begrüsst uns ein freundlicher Angestellter, als wir als erstes am Morgen am Largo do Pelourinho die Kirche Nossa Senhora do Rosário dos Pretos (rechts im Bild) anschauen. Sie wurde im 18. Jahrhundert für (und natürlich von) Sklaven erbaut. Verehrt werden vor allem schwarze Heilige.

Viele Heilige haben auch eine Entsprechung in der afro-brasilianischen Candomblé-Religion. Die heilige Barbara z.B., die in der Kirche ebenfalls verehrt wird, ist im Candomblé Iansã. (→ Handout u.a. über Candomblé von der University of Texas at Austin, PDF)

Am Kirchenausgang die in Salvador omnipräsenten Fitinhas. In früheren Zeiten wählte der Gläubige das Band mit der Farbe des Orixás (Candomblé-Gottheit), „dem er untergeordnet war beziehungsweise des Orixás , dessen man an dem Tag gedachte. Mit drei Knoten wurde das Band am rechten Handgelenk angebracht. Für jeden Knoten konnte sich der Empfänger etwas wünschen. Das Band durfte nicht mehr entfernt werden, und wenn es von alleine abfiel, waren die drei Wünsche erfüllt.“ (Wikipedia)

São Salvador da Bahia de Todos os Santos

Während einer Studienreise letztes Jahr (Stationen der Reise) hatte mich Brasilien fast elektrisiert. Salvador wollte ich kennen lernen, seit ich „Dona Flor und ihre zwei Ehemänner“ von Jorge Amado gelesen hatte. Die Neuausgabe seiner „Werkstatt der Wunder“ (NZZ) verstärkte diesen Wunsch noch.

Beim Eindunkeln sind Manuela und ich jetzt in Salvador da Bahia gelandet. Der Taxifahrer findet die Pousada Bouqueirão im zentralen Stadteil Santo Antônio im zweiten Anlauf. Von unserem Balkon Blick auf Unterstadt und Hafen. Wir spazieren Richtung Pelourinho, bestellen in einem Innenhof Moqueca und Caipirinha, hören einer Sängerin zu und sind schon sehr weit von Zürich entfernt.

Auf dem Rückweg sehen wir beim Tor zu einer Lagerhalle ein Plakat „A melhor sexta de Salvador“ – die beste Freitagnachtmusik Salvadors. Die überall üblichen Plasticstühle, fröhliche Zuhörer, die sich alle kennen und guter, lauter Samba-Reggae. Nach einigen Stücken drohen wir trotz der vielen Dezibel aber einzuschlafen, der Jetlag holt uns ein.

 

MOOCeara – ein verspätetes Geschäftsmodell

Ich hab’s wieder nicht geschafft, Schritt zu halten mit dem mmc13-Programm. Als der Wochenrückblick eintrudelt, merke ich, dass es jetzt wohl zu spät ist für ein Geschäftsmodell. Ich schreibe trotzdem ein paar Gedanken auf; auch um einige Ideen in meinem Kopf mal irgendwo festzuhalten.

Hippies und Realist/innen?

Beim Lesen des Wochenrückblicks von Andrea Brücken fällt mir die Unterscheidung zwischen «erfahrbaren Realitäten» und «moralisch ehrenwertem Engagement» auf. Anja Lorenz kommentiert dann u.a., dass sie – zugegebenermassen überspitzt – beim Hangout den Gedanken «alles Hippies» hatte.

Unabhängig davon hatte ich den Hippie-Gedanken als ich die Impulsbeiträge über die Coursera-Geschäftsmodelle las. Die ersten cMOOCs wären dann so etwas wie das Goa der 1970-er Jahre gewesen, das dann aber bald von der Reiseindustrie entdeckt wurde. Diese stellte riesige Hotelkästen (profitorientierte x- und andere MOOCs) an die ehemals zauberhaften Strände. Das Bild greift aber wohl etwas zu kurz…

MOOCs in die BRICs

Ich merke aber, dass ich – wohl auch wegen des M für «massive» im Begriff MOOC – eigentlich ganz andere Zielgruppen im Auge habe. Zielgruppen, die wenig Zugang zu Bildung und die deshalb auch ökonomisch wenig Chancen haben. Deshalb scheinen mir die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China), aber auch Afrika ein ideales Einsatzgebiet für MOOCs zu sein. «Massive» ist dort wirklich gefragt und auch bitter nötig. Die bisher einzige Schweizer Uni, die bei Coursera mitmacht, die EPFL (ETH Lausanne) setzt nicht von ungefähr auf das Format MOOC, sie sieht Chancen, damit den afrikanischen Markt zu erschliessen. Es wird ihr dabei nicht um Profit, wohl aber um den «war for talents» gehen.

Vorgeschichte zu meinem Geschäftsmodell

Ich hatte letzten Herbst Gelegenheit, verschiedene Bildungsinstitutionen in Brasilien zu besuchen. Das Land ist einerseits enorm im Aufbruch, die Jugendlichen wollen alle etwas erreichen, am liebsten einen Hochschulabschluss, sie sind bereit, dafür hart zu arbeiten. Auf der anderen Seite ist es sehr schwierig, die Aufnahmeprüfung in eine der guten staatlichen Hochschulen zu bestehen – wer nicht eine teure Privatschule besucht hat, hat wenig Chancen, die Aufnahmeprüfung, das „Vestibular“ zu bestehen. Weil die meisten dieser Jugendlichen sich eine private Hochschule (Privathochschulen machen etwa 80% des Hochschulangebotes aus) nicht leisten können, werden viele von ihnen nicht Gelegenheit haben, zum Aufschwung des Landes beizurtragen und von ihm zu profitieren, sie werden sich weiterhin in der informellen Wirtschaft mit Teilzeitjobs durchschlagen müssen.

Die Regierung ist sich dessen bewusst,  es wird z.B. viel investiert in «Digital Inclusion Centers». In jeder Provinzstadt sollen die Einwohnerinnen und Einwohner Zugang zum Internet erhalten und mit Hilfe der Kommunikationstechnologien Projekte aufziehen, um Lebensstandard und Lebensqualität in den betreffenden Kommunen zu verbessern. Im Gliedstaat Ceará (im Norden Brasiliens, nahe am Äquator gelegen) ist eine beeindruckende Dichte solcher Centers entstanden oder im Entstehen begriffen:

 

Hier möchte ich anknüpfen mit meinem

Geschäftsmodell «MOOCeará»

Ziel: In Form von MOOCs werden verschiedenste Kurse angeboten, die sonst nur in Hochschulen besucht werden können. Es ist möglich, diese Kurse einfach gratis zu belegen oder sich die Teilnahme durch das Absolvieren von Prüfungen (Portfolios o.ä.) mit einem Zertifikat bestätigen zu lassen. Diese Zertifikate sollen Zugang zu Beschäftigungen ermöglichen, für die sonst Hochschulabsolventen angestellt werden.

Partnerschaften müssten mit der Organisation, die die Digital Inclusion Centers betreibt, einer Hochschule mit digitalem und didaktischem Sachverstand, die auch Lehrpersonen ausbildet, einer NPO oder Stiftung, Staat und Gliedstaat eingegangen werden. Evtl. könnte die Gründung einer gemeinsamen Fernhochschule ins Auge gefasst werden.

Aktivitäten: Verschiedene Kurse (zu starten wären mit einigen Pilotkursen) müssen entwickelt und durchgeführt, die Betreuung und die Prüfungen (Portfolio, Verifizierung durch Präsenzkolloquien o.ä.) ebenfalls organisiert und durchgeführt werden.

Ressourcen: Als Produzenten und Facilitators kommen Dozierende bzw. Fachlehrpersonen in Frage, die ausgewählt und angestellt werden müssen. Da der Grossteil des Personals an den privaten Hochschulen lediglich im Stundenlohn angestellt ist, ist hier ein Markt vorhanden, gute Leute können ausgewählt werden.  Ergänzt werden sollte das Personal durch Studierende im Lehramt, die sich durch ein solches längeres Praktikum eine zusätzliche Befähigung (als Ferncoach o.ä.) erwerben könnten. Damit kann hoffentlich ein Lawineneffekt erreicht werden, die so ausgebildeten Lehrpersonen werden eigene MOOCs entwickeln und ermöglichen. Damit das klappt, muss eine gute Weiterbildung und Betreuung der Dozierenden und Studierenden sichergestellt werden.

Beziehungen zu den Teilnehmenden: Die Lerninhalte sind für alle frei verfügbar im Netz, Betreuung durch die Community, d.h. die Mitstudierenden und die Facilitators. Weil Internet in vielen Haushalten nicht vorhanden ist, muss der Zugang via die Digital Inclusion Centers sichergestellt werden.

Kanäle sind also das Web und die Digital Inclusion Centers.

Teilnehmende: wie beschrieben die bildungshungrigen, aber unterprivilegierten Jugendlichen und Erwachsenen, die es nicht an eine staatliche Hochschule schaffen und die sich eine private nicht leisten können. Sie alle müssen solche MOOCs teilzeitlich absolvieren können, da sie zum Familieneinkommen beitragen müssen. Wegen der freien Verfügbarkeit können natürlich auch andere Anbieter von den Inhalten profitieren.

Die Kosten für Entwicklung Produktion, Beratung, Infrastruktur, Personal wären wohl beträchtlich, ich würde ganz grob für das erste Betriebsjahr eine Zahl im oberen sechsstelligen Eurobereich schätzen. Je mehr Geld, je mehr MOOCs. Durch zahlenmässig wenige Pilot-MOOCs könnten die Kosten zu Beginn natürlich auch tiefer gehalten werden. Volkswirtschaftlich gesehen geht die Rechnung sicherlich auf. Brasilien kommt in einen Fachleute-Engpass, wenn es sich weiterhin leistet, nur verhältnismässig wenigen den Zugang zu guter höherer Bildung zu ermöglichen.

Finanzierung: Ich kann mir vorstellen, dass Gliedstaat und Staat von der Projektidee überzeugt werden könnten. Durch die Arbeit von Praktikant/innen (die durch eine gute Betreuung und ein Zertifikat als Ferncoach ebenfalls einen Mehrwert haben) könnten Kosten gesenkt werden. Möglich – und wohl schneller als der Weg über die staatlichen Instanzen – wäre auch, Stiftungen für das Vorhaben zu begeistern. Brasilianische Unternehmen übernehmen traditionell auch Aufgaben für die Gesellschaft (Kultur, Sport, medizinische Betreuung usw.) und sie führen einen Teil ihrer Gewinne aus Gründen der Steueroptimierung häufig in Stiftungen ab. Es wäre also durchaus denkbar, die nötigen Finanzen via eine solche Stiftung aufzutreiben. Stiftung und Stiftung finanzierende Unternehmung hätten – neben der Steuerersparnis – auch einen Reputationsgewinn.

Ich habe diese Idee einfach mal entwickelt, weil ich das Potenzial von MOOCs gerade in solchen Ländern als hoch einschätze. Wichtig scheint mir, dass das Ganze im Land entwickelt und durchgeführt wird. Wenn die jeweilige Lernkultur und Lebensweise nicht berücksichtigt wird, erreicht man wieder nur eine Bildungselite.

Falls sich so etwas verwirklichen lässt, seid ihr alle herzlich zu einem Caipirinha eingeladen… 😉