Primarschule Fukushima

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Reiko, die mal ein halbes Jahr an der PH Zürich als Gastdozentin verbracht hat und ihre Kolleginnen und Kollegen freuen sich sehr über meinen Besuch in Fukushima. Es war mir wenig bewusst, aber das Gebiet wird seit dem Reaktorunfall von Besucherinnen und Besuchern gemieden, mein Besuch wird auch deshalb sehr geschätzt.
Ich habe ausgiebig Gelegenheit, die der Uni angegliederte Primarschule, und die Lehrpersonenbildung an der Uni zu besuchen. Und ich verbringe jeden Abend in sehr netter Gesellschaft, esse rohen, geräucherten, luftgetrockneten, gesalzenen, gegrillten und gebratenen Fisch, Yakitori, Tempura und weitere exquisite Speisen, trinke Bier, ganz verschiedene Sake und Shochu aus Weizen, Buchweizen und Kartoffeln und bin einmal mehr völlig eingenommen von der Gastfreundschaft der Japanerinnen und Japaner und ihrer Herzlichkeit.
Hier einige Eindrücke von meinem Besuch in der Primarschule, die auch hier die Klassen 1 – 6 umfasst.

Organisation
614 Schülerinnen und Schüler, d.h. je um die 100 pro Jahrgang.
Die Klassengrösse nimmt wegen des Geburtenrückganges ab. In Japan beträgt sie in der Regel um die 35, in Fukushima liegt sie momentan darunter.
50 Lehrpersonen, alle arbeiten Vollzeit (d.h. viel mehr als das, was wir unter Vollzeit verstehen)
Viele der zusätzlich benötigten Angestellten werden mehr oder weniger auf freelance-Basis beigezogen. Die Köchinnen sind z.B. Mütter oder Frauen der Lehrpersonen
Die „affiliated school“ der Universität („Fuzoku“ Elementary School) ist auch zuständig für die Praktika der Studierenden des Studienganges Primarlehrperson der Uni Fukushima. Nächste Woche werden wieder 60 Studierende ihr 4-wöchiges Praktikum starten
Die Uni hat dementsprechend auch bei der Personalauswahl ein Mitspracherecht. Die Präfektur schlägt z.B zwei bis drei geeignete Personen für die Position der Schulleiterin, des Schulleiters vor und die Universität kann sich dann für jemanden dieser Kandidierenden entscheiden.
Die Schule ist beliebt, sie kann nicht alle Interessentinnen und Interessenten aufnehmen und führt deshalb eine Aufnahmeprüfung nach dem Kindergarten durch. Von den 130 Interessierten konnten letztes Jahr 105 aufgenommen werden. Der logische Weg nach der Fuzoku Elementary School der Uni Fukushima führt in die Fuzoku Junior High School. In der Regel schaffen fast alle Sechstklässlerinnen und Sechstklässler den Übertritt. Letztes Jahr konnten in die Junior High noch 40 weitere Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden.

Die Schule hat Fünftagewoche. Es gibt einen fixen Stundenplan für die ganze Schule. Am Morgen mit zwei 100-Minuten-Blöcken, am Nachmittag in der Regel mit zwei 45-Minuten-Lektionen und Zeit für Spielen, an dem sich auch die Lehrpersonen beteiligen. Im Stundenplan ist auch Zeit fürs Putzen des Schulhauses eingeplant (zwei Mal wöchentlich intensiv, drei Mal Besenreinigung). Es ist selbstverständlich, dass die Schülerinnen und Schüler selbst putzen. Die WC werden ebenfalls von Schülerinnen und Schülern nass aufgenommen, nach Schulschluss kommen werden sie aber von Putzfrauen nochmals intensiv geputzt.
Das Mittagessen nehmen die Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer ein. Sie holen ihr Essen in der Küche mit einem Wägelchen ab und zwei Schülerinnen oder Schüler schöpfen es dann ihren Mitschülerinnen und Mitschülern. In der ersten und zweiten Klasse helfen Kolleginnen und Kollegen aus oberen Klassen beim Ausgeben des Essens. Die Lehrpersonen essen ebenfalls im Klassenzimmer.
„Bibliotheksdienst“ haben ebenfalls Schülerinnen und Schüler. Sie gehen gekonnt mit den Scannern um und leihen ihren Mitschüler/innen Bücher aus.
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Die Bücherausgabe wird von Schülerinnen und Schülern betreut

Juku
Juku, d.h. Zusatzunterricht an privaten Institutionen nehmen sehr viele Schülerinnen und Schüler. Die Eltern erachten das angesichts der akademischen Berufswünsche ihrer Kinder (viele wollten Ärzte oder Ärztinnen werden) für nötig, damit sie später einmal die Aufnahmeprüfung in eine gute Universität bestehen. Auch finden die Eltern, angesichts der Globalisierung müssten die Kinder schon früh Englisch lernen. Die Englischlektionen ab 5. Klasse der Primarschule genügen ihnen nicht, sie seien vor allem aufs Hörverstehen und Sprechen ausgerichtet und in den Augen der Eltern zu spielerisch aufgebaut.

Unterricht
In einigem habe ich das Gefühl, einfach eine gute Schule zu sehen – unabhängig davon, ob das jetzt eine schweizerische oder eine japanische Schule ist. Anderes scheint mir kulturspezifisch zu sein.
In den Lektionsbesuchen fällt mir auf:

  • Das Verhältnis Lehrpersonen – Schülerinnen und Schüler ist herzlich. In den Pausen, wenn man zusammen spielt, klemmt ein Lehrer auch einmal eine Unterstufenschülerin unter die Arme, die Schulleiterin herzt eine andere Schülerin.
  • die Türen zu den Klassenzimmern – sofern überhaupt vorhanden – sind immer offen, z.T. sind die Klassenräume ganz offen, d.h. ohne Wand gegen den Korridor oder haben Fenster auch zum Korridor hin.
  • Einräder und damit das Halten der Balance haben ihren festen Platz an den Schulen und werden in den Pausen und im Sportunterricht verwendet (in Nara dachte ich, das sei eher eine Spezialität der dortigen Schule)
  • die Schülerinnen und Schüler sind konzentriert, die „time on task“ ist hoch
  • die Schülerinnen und Schüler hören sich gegenseitig gut zu, sie sind sogar konzentrierter dabei, wenn eine Klassenkameradin oder ein Klassenkamerad spricht als wenn die Lehrperson etwas erklärt
  • Ich habe den Eindruck, dass die Schülerinnen und Schüler nach einer relativ kurzen Sequenz des selbständigen oder kooperativen Arbeitens, des eigenständig nach Lösungen Suchens schnell zur richtigen Lösung für ein Problem hingeführt werden. „Scaffolding“ hat hier Priorität vor der eigenständigen Wissenskonstruktion. Dies macht den Unterricht recht effizient, wenn auch hier und dort wohl auf Kosten des tiefen Verstehens oder der eigenen Kreativität. Auch im Musikunterricht in Grossgruppen verläuft das Blockflötenspielen – in einer herzlichen Atmosphäre – ganz nach dem Vormachen-Nachmachen-Prinzip.

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Kalligraphie wird durch eine Fachlehrerin erteilt, die wegen ihrer besonderen Fähigkeiten das Lehrdiplom bekommen hat
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Der Musikunterricht entspricht im Unterschied zu vielen anderen Fächern wohl nicht ganz den schweizerischen musikdidaktischen Prinzipien – aber er findet statt
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Textiles Werken mit 32 Schülerinnen und Schülern
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Science-Lektion zum Thema Elektrizität
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Das Schreiben eines Aufsatzes wird mit einer Mindmap vorbereitet

Hausaufgaben
Es gibt keine „klassischen“ Hausaufgaben, in denen z.B. Rechenoperationen geübt oder Aufsätze geschrieben werden. Hausaufgaben gehen eher in Richtung, eine Fragehaltung aufzubauen, die eigenen Interessen und das eigene Potenzial besser kennen zu lernen. Reiko erklärt, dass ein Kind, das gerne draussen sei, also z.B. in den Wind stehe, versuche den Wind zu spüren und Fragen zusammenstelle: warum spüre ich den Wind, warum ist das so verschieden, wenn ich geschwitzt habe und wenn nicht, warum ist der Wind manchmal warm, manchmal kalt? Solche Fragen sollen die Kinder dann selbst zu beantworten suchen und die Antworten oder noch offene Fragen in die Schule mitbringen. Erwünscht sei auch, dass man z.B. zu Hause werke. Wenn man in der Schule das Nähen gelernt habe, solle man das zu Hause weiter üben, den Eltern komme bei der Entscheidung, mit welchem Werkstoff gearbeitet werden solle, eine wichtige Beratungsfunktion zu. Für die Ferien werden regelmässig Aufgaben gegeben wie „Erlebnisse malen“, „Insekten beobachten und die Beobachtungen festhalten“, „Tagebuch schreiben“, „Ein fotografisches Tagebuch zusammenstellen“.

Zusammenarbeit mit Eltern
Es existiert, wie überall in Japan eine PTA (Parents-Teacher-Association), die bei Schulanlässen mithilft, sich regelmässig trifft, Anregungen gibt usw. Eltern können nach Voranmeldung jederzeit in die Schule kommen und z.B. Unterricht beobachten. Es gibt institutionalisierte Gespräche mit Eltern, für die bestimmte Zeiträume vorgesehen sind (September, Dezember/Januar usw.). An dieser Schule finden die Elterngespräche in der Schule statt, es gibt aber viele Schulen, in denen die Lehrpersonen diese Gespräche bei der Familie zu Hause durchführen.

Lehrplan
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Seit der letzten Überarbeitung, die den Schülerinnen und Schüler mehr Freizeit hätte bringen sollen, wurde die Stundendotation wieder erhöht. Japanisch wurde gestärkt, ebenso Social Studies, Arithmetik und Science. Gekürzt wurde dagegen die Zeit für den von den Schulen selbst verantworteten fachübergreifenden Unterricht.
Sport heisst unverändert „Leibeserziehung“.
In den ersten beiden Schuljahren haben – das ist mir schon in Nara aufgefallen – die „Living Environment Studies“ ihren festen Platz. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich in diesen drei Jahreswochenstunden intensiv mit der Natur auseinander. Sie sind meistens draussen, beobachten die Natur, ziehen z.B. Frösche auf. ESD, d.h. Education for sustainable development hat an den Schulen einen festeren Platz als in der Schweiz. Die Grundlage wird in den „Living Environment Studies“ sehr handlungsorientiert gelegt, nachher wird das Thema in „Science“ weiterbearbeitet.
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Social Living Studies
Unter „Special Activities“ sind z.B. Planungsarbeiten für eine Exkursion, den Schuljahresabschluss usw. subsummiert.
Moralische Erziehung erinnert an einen stark gelenkten Lebenskunde-Unterricht. Es werden z.B. Situationen besprochen, in denen ein Kind, einen verbotenen Weg gehen will, weil das viel schneller gehe. Die Schülerinnen und Schüler argumentieren dann über Vor- und Nachteile und kommen natürlich zum Schluss, dass der verbotene Weg nicht eingeschlagen werden soll.
Im fächerübergreifenden Unterricht werden die drei Klassen eines Jahrgangs zusammengenommen und bearbeiten miteinander ein Thema. Eines ist „Sonnenblume“ ein weiteres – nicht überraschend für Fukushima – „Carry on“. Mach weiter, es muss weiter gehen, schaue optimistisch in die Zukunft ist der Tenor dieses Themas. Ein Jahr später heisst das Thema „Regenbogen“. Es geht um Verschiedenheit, wie sie in den Farben des Regenbogens zu finden ist, ein Verschiedenheit, die miteinander harmonieren muss – auch wie im Regenbogen. Auch dies ein sehr japanisches Thema, wie mir scheint.
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Carry on…
Schulleitung, Lehrpersonen
Schulleitungen werden von der Präfektur eingesetzt und von dieser auch wieder abberufen. Die Verweildauer an einer Schule beträgt zwischen einem und acht Jahren, spätestens dann wird man versetzt. Reiko erachtet eine Amtsdauer von drei bis vier Jahren als optimal. Sie wird entsprechend nächstes Jahr zurücktreten und dann wieder vollamtlich an der Uni tätig sein.
Auch Lehrpersonen werden von der Präfektur eingesetzt und allenfalls versetzt, wobei sie sich selbst für Stellen an anderen Schulen bewerben können.
Lehrpersonen arbeiteten – wie die meisten Japanerinnen und Japaner – extrem lange. Offiziell beginnt die Präsenzzeit an der Schule vor acht Uhr und endet um 18:00 Uhr. An anderen Schulen endet sie etwas früher, sie haben dafür keine dreiwöchige Sommerpause. Das heisst aber nicht, dass die Lehrpersonen um 18:00 Uhr nach Hause gehen, die meisten arbeiten bis 22:00 Uhr in der Schule weiter. Der Verwaltungsleiter (der auch so lange bleibt) muss dann jeweils mit dem Mikrophon alle auffordern jetzt nach Hause zu gehen.
Auch die drei Wochen Ferien werden von kaum jemandem eingezogen. Warum? „Das ist japanisches Denken“. Aber Reiko ist auch der Meinung, dass das nicht gesund sei. Sie sieht ein Hauptproblem darin, dass alle so sozialisiert sind, sämtliche Arbeiten, die anstehen auch zu erledigen. Und weil im Lehrberuf letztlich nie alles erledigt ist, arbeiten die Lehrpersonen weiter und weiter. (So ganz unbekannt kommt mir das ja nicht vor…) Schlafmangel sei ein grosses Problem. Einige werden dann tatsächlich krank und können nicht mehr arbeiten. Eine wichtige Herausforderung aller an der Schule Beteiligten sei zu lernen, Prioritäten zu setzen. Aber eben, das sei bei all den Anforderungen, die auch von Elternseite kämen, sehr schwierig. Zwei Personen auf der zweiten Führungsebene seien fast nur damit beschäftigt, das Telefon zu bedienen und Anliegen von Eltern zu bearbeiten. Zwei Mal im Monat sitzt die Schulleitung mit einer Beraterin zusammen und macht eine Art Supervision.
Die Lehrpersonen machen vier Mal im Jahr eine kollegiale Unterrichtsbeobachtung.
Ausspannen wäre wichtig. Mir fällt aber auch auf, wie die Vorstellung von Ausspannen völlig anders ist als in Europa. Sich wirklich gut zu erholen heisst z.B., eine Woche Ferien zu nehmen und nach Europa fliegen… Das ist mir schon in anderen Gesprächen aufgefallen. Die Zeit, sich zu erholen, wird extrem kleinräumig bemessen. Auch Erholung geht – wie alles hier – äusserst effizient vor sich.
Teilzeitarbeit ist für Lehrpersonen nicht möglich.
Reiko hatte in Zürich ähnliche Momente des Staunens wie ich in Japan. Die vielen Dozierenden und Lehrpersonen mit Teilzeitpensum sind ihr aufgefallen. Oder, dass man in der Schweiz das Gefühl habe, viel zu arbeiten; dabei gingen viele schon vor 17 Uhr nach Hause. „Aber das ist schweizerisches Denken“. Reiko fasst zusammen, dass in der Schweiz das übrige Leben wichtiger sei als die Arbeit. In Japan sei das genau umgekehrt.

Und ja, wie ich gestern beschrieben habe, ist auch der Kernkraftwerkunfall präsent.

1700 km und ein paar Learnings

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1700 km Bahnfahrt von Saga nach Fukushima. Trotz drei Mal umsteigen dauert das nur achteinhalb Stunden. Honshu ist im Flachland sehr dicht bebaut, über weite Strecken zubetoniert. Die Aussicht ist denn auch nicht sehr berauschend – Mt. Fuji taucht heute nicht auf – und mir bleibt etwas Zeit, mir im Hinblick auf die Schul- und Universitätsbesuche in Fukushima und Korea zu überlegen, was denn bis jetzt meine „Learnings“ bezüglich Schule sind.
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Wenn ich mich an das Angebots-Nutzungsmodell von Helmke und anderen (hier kopiert von der Uni Koblenz-Landau) anlehne und so nach Differenzen suche, so gibt es natürlich Unterschiede im Angebot. Viele Lehrpersonen unterscheiden sich von ihrer Philosophie und ihrem Engagement meines Erachtens aber nicht stark von Schweizer Lehrpersonen. Auch ihre Auffassung von gutem Unterricht ist nicht so verschieden. Die Art, wie sie Unterricht durchführen ist (bei gegen 40 Schülerinnen und Schüler) sicher etwas frontaler, es kann weniger individuell auf die einzelnen eingegangen werden, aber der Ablauf des Unterrichts folgt häufig Unterrichtschoreographien, die wir auch kennen. Es ist also meines Erachtens nicht das Angebot, das den grossen Unterschied ausmacht – obwohl wir natürlich fast reflexartig immer zuerst dort suchen. Unterschiede sind stärker in anderen Bereichen auszumachen.

(1) Der Kontext unterscheidet sich wesentlich. Die kulturellen Rahmenbedingungen sind in einer Kollektivgesellschaft ganz anders als in einer Individualgesellschaft. Allzu viel Individualismus ist nicht erwünscht, man lernt schon früh in der Familie und in der Gesellschaft, wie man sich zu benehmen hat, welches Verhalten erwünscht ist und welches Verhalten bestraft wird. Die Gesellschaft ist weniger permissiv, man kann es sich kaum leisten, unangenehm aufzufallen, sonst fällt man als Kind, als Jugendliche/r und als Erwachsene/r durch die Maschen. Dieser kontextuelle Faktor hat einen wesentlichen Einfluss auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler.
(2) Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass alle Schülerinnen und Schüler ein hohes Lernpotenzial haben, wenn sie sich nur entsprechend anstrengen. Faktoren wie Begabung, familiärer Hintergrund usw. werden viel weniger gewichtet. Anstrengung ist der Schlüssel zum Erfolg. Z.T. konfuzianisch, z.T. nachkriegs-demokratisch geprägt, ist das System sehr meritokratisch. Nur wer bei all den Aufnahmeprüfungen Erfolg hat, kommt weiter, d.h. wird in eine gute Junior High, eine gute High School, eine gute Universität aufgenommen und erhält schliesslich eine gute Stelle. Eine zweite Chance gibt es allenfalls nach einem Jahr, wenn man sich mehr angestrengt und strenger gelernt hat, nachher aber nicht mehr.
(3) Die Familie hat einen grossen Einfluss auf den Schulerfolg, in dem sie die Schulen finanziert und vor allem auch die ausserschulische Nachhilfe ermöglicht, d.h. z.B. einen guten Prüfungsvorbereitungskurs finanziert, eine gute Nachhilfe für ein weiteres Vorbereitungsjahr auf die Aufnahmeprüfung bezahlt usw. Dafür werden immense Summen ausgegeben, so viel, dass viele Eltern angeben, sich nicht mehr als ein Kind leisten zu können. Die meritokratische Ausrichtung wird dadurch natürlich ausgehebelt.
(4) Ich meine, dass die Familie dadurch einen sehr direkten Einfluss auf die Lernaktivitäten und vor allem auf das „ausser“schulische Lernen hat. Den Kindern und Jugendlichen ist bewusst, dass sich ihre Eltern finanziell und emotional stark für sie verausgaben (Das Beten von Eltern in den verschiedenen Tempeln und Schreinen vor den Prüfungen ist z.B. sehr verbreitet). Entsprechend stark unter Druck stehen die Schülerinnen, Schüler und Studierenden und entsprechend nutzen sie, falls sie dem Druck standhalten, vor allem vor Prüfungen auch sämtliche zur Verfügung stehenden Lernangebote.
(5) Das Lernen soll natürlich den Aufbau von fachlichen Kompetenzen und einer harmonischen Gesellschaft bewirken. Gemessen wird es aber fast ausschliesslich an Prüfungserfolg. Alles Lernen ist – mit allen Vor- und Nachteilen – stark auf dieses Ziel ausgerichtet. Die asiatischen Länder sind sich dabei sehr wohl bewusst, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht allein durch Auswendiglernen erreicht wird (dass aber Ehrgeiz, Selbstdisziplin, Verausgabungsbereitschaft und das Zurückstellen von persönlichen Bedürfnissen durchaus helfen). Entsprechend sind die Prüfungen so aufgebaut, dass z.B. Problemlösekompetenz nötig ist, um sie gut zu bestehen.

Dass das alles nicht für alle aufgeht, hat vor einem halben Jahr Abigail Haworth in einem süffigen Artikel im Guardian beschrieben: „Why have young people in Japan stopped having sex?“

Immer wieder interessante Einblicke in die Gesellschaft Japans gibt auch der in Kyoto lehrende amerikanische Soziologe Robert Moorehead in seinem Blog, in dem auch Studierende zu Wort kommen (vgl. auch gestrigen Eintrag).

In Tokio habe ich 8 Minuten, um umzusteigen. Der Zug kommt auch auf die Sekunde pünktlich an und für den Wechsel von einem Perron zum anderen braucht man 6 Minuten… Klappt also bestens. Nach Tokio wird es grüner, die Landschaft wirkt in der Präfektur Fukushima freundlicher. Aber mit dem Namen sind natürlich die Assoziationen an das grosse Erdbeben, den Tsunami, die Atomkatastrophe verbunden.
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Schule, Gesellschaft, Lehrpersonen

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Ergebnis der Schule: Unkreative Auswendiglernende oder kooperative Leistungsorientierte?
„Japanese education appears to be both first-class and uncreative. (…) At one end of the debate some observers point out, that Japanese education is geared producing students, who are good answering multiple-choice questions but who lack creativity and originality of thinking. (…)
At the other end, ethnographic researchers tend to point out its high standards, egalitarianism and meritocratic orientation (…) Some take a positive view of what they regard as the harmonious, group-cohesive and collectivist emphasis.“ meint Sugimoto in seiner Introduction to Japanese Society (2011, 151).
In Schulen gesehen habe ich eher das zweite, positive. Allerdings sind die Kooperationsschulen der Nara University of Education ja sicher gute Beispiele von Schulen. In Gesprächen ausserhalb der Uni bin ich auch viel mit der unkreativen, disziplinierenden und drillorientierten Seite der Schule konfrontiert worden.

Lehrpersonen als ausführende Beamte?
Im „Global Teacher Status Index“ der Varkey Gems Foundation (PDF), den mir ein koreanischer Kollege gemailt hat, wurde eine Stichprobe aus der Bevölkerung verschiedener Länder u.a. auch gefragt, welcher Beruf mit dem Lehrberuf am vergleichbarsten sei: Sozialarbeiter, Bibliothekar, Arzt, Krankenschwester, Lokaler Beamter. Während in der Schweiz und verschiedenen anderen Ländern der Lehrberuf am häufigsten in die Nähe der Sozialarbeit gesehen wurde, wurde er ausschliesslich in Japan in die Nähe von lokalen Beamten und ausschliesslich in China in die Nähe von Ärzten gesehen. Das zeigt sicher auch, dass bei der starken zentralen Steuerung Lehrpersonen in Japan häufig einfach als Ausführende angesehen werden. (PDF)

Gesellschaftliche Segmente und ihre Vorstellungen von Schule
Sugimoto (152) unterteilt vier „competing educational orientations“. Ich lehne mich im Folgenden an ihn an. (Kursiv sind Erfolge des jeweiligen Segmentes aufgezeigt):
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A: Marktorientierung, Neoliberalismus
Die Schulen sollen sich stärker am Markt orientieren und z.B. auch Elitebildung ermöglichen. Gefordert sind einerseits eine starke Leistungsorientierung, andererseits auch mehr Schülerzentriertheit, Problemlösungsorientiertheit, Kreativität, Individualität. Nur so kann man im globalen Wettbewerb, in der Wissensgesellschaft bestehen.
Das interdisziplinäre Fach „Integrierte Studien“ wurde auch auf Betreiben dieses Segments geschaffen. Schulleitende werden neu auch aus der Privatwirtschaft, nicht mehr zwingend aus dem Lehrberuf angestellt. Innerhalb von gewissen Grenzen wurde in den Städten das Wohnsitzprinzip für die Einteilung in die Schulen aufgehoben, Eltern haben z.T. auch bei den öffentlichen Schulen eine Wahl. Englisch beginnt häufig schon in den Primarschulen.

B: Geregelter Pluralismus
Eine gewisse Liberalisierung, die den Schulen mehr Freiheiten gibt, soll ermöglicht werden – bei gleichbleibend starker staatlicher Steuerung. Stärkere Betonung einer „ganzheitlichen Erziehung“, die auch soziale Erziehung und kritisches Denken mit einschliesst anstatt Überbetonung des mechanischen Auswendiglernens und sehr hohe zeitliche Belastung der Schülerinnen und Schüler
Ab 2002 erfolgte eine Senkung der Anzahl Lektionen um bis zu 30% und eine Verringerung der Hausaufgaben. Man wollte ein Schule mit weniger Druck und mehr Entwicklungsmöglichkeiten ausserhalb der Schule ermöglichen und führte deshalb auch die Fünftagewoche ein.
Leistungen sollten nicht mehr nur nach der Sozialnorm beurteilt werden, sondern anhand der Lernziele und der Lernfortschritte der Kinder und Jugendlichen.
Schulen konnten jetzt in gewissen Gebieten selbst Schwerpunkte setzen (Englisch u.a.). NPO konnten Privatschulen mit eigenen Schwerpunkten eröffnen.

C: Demokratische, egalitäre Ausrichtung, Ablehnung der Regierungspolitik
Hier sind meist auch die Lehrergewerkschaften positioniert. Gleichheit der Schulen ist eine Voraussetzung für Chancengerechtigkeit. Die Fixiertheit auf Prüfungen (Aufnahmeprüfungen usw.) soll überwunden werden, weil dadurch die Chancen sehr ungleich verteilt werden (Wer sich die Unterstützung der „Nachhilfeindustrie“ kaufen kann, hat bessere Chancen bei den Aufnahmeprüfungen).
Kreativität, Individualität, Problemlösefähigkeiten sollen für alle gefördert werden.
Man ist gegen teure Privatschulen, mit deren Hilfe man sich – bei entsprechenden finanziellen Mitteln – den Eintritt in eine gute Universität sichern kann.
Auch diese Fraktion kann teilweise Erfolge verbuchen, z.B. in dem Universitäten bei der Aufnahme nicht nur auf Prüfungsresultate und den zentralen Test (PDF) achten, sondern auch weitere Kriterien anwenden. Auch curricular und methodisch hat die Lehrerschaft immer wieder Erfolge und kann Neues einführen (Transferorientierung, Projekte u.a.)

D: Bewahrender Konservatismus
Die staatlich gesteuerte, gleiche Schulung für alle soll bewahrt werden, damit Staat und Gesellschaft möglichst homogen bleiben. Gleichheit wird durch das (nicht durch neoliberale und pluralistische Tendenzen gestörte) meritokratische System, durch Verpflichtung, Respekt, Arbeitsdisziplin ermöglicht. Dieses System hat – bevor es verwässert wurde – Japan etwa zwischen 1960 und 1980 grossen wirtschaftlichem Erfolg gebracht.
Die zu grossen Freiheiten, die Schülerinnen und Schüler heute haben, sind mit ein Grund, warum die Schulleistungen zurückgehen und Japan weniger Erfolg hat als früher.
Es braucht wieder mehr Kontrolle, Disziplin und Heimatliebe.
Erreicht werden konnte z.B., dass in den Schulen der Fahnenaufzug und bei festlichen Anlässen das Absingen der Nationalhymne wieder eingeführt wurde. Diese Fraktion hatte auch Erfolge bei der Zulassung von Geschichtslehrmitteln, in denen Japans Rolle im zweiten Weltkrieg krass beschönigt wird.
Die letzte curriculare Reform nahm vieles, das ab 2002 eingeführt worden war, wieder zurück und stärkte damit dieses gesellschaftliche Segment. Das Erziehungsministerium geht in seiner Zusammenfassung der neusten Reformen explizit darauf ein, dass einige frühere Projekte gescheitert sind (MEXT, PDF)

Mein Kollege muss das Nachtessen absagen, er wurde mit so vielen dringlichen Geschäften eingedeckt, dass ihm nichts anderes übrig bleibt als bis in alle Nacht zu arbeiten… Die Arbeitslast, die sehr viele – von Schülerinnen und Schülern bis zu Angestellten auf jeder Hierarchieebene – auf sich nehmen müssen, ist sehr gross. Entsprechend müde sehen die Leute im öffentlichen Verkehr und in den Bibliotheken der Unis aus.
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Jä nu, ich habe etwas ein schlechtes Gewissen, dass ich einen solchen Urlaub machen kann, während in Japan der soziale Druck so stark ist, dass kaum jemand mehr als eine Woche Ferien am Stück bezieht. Das National Museum, in dem ich noch nie war, besuche ich dann aber trotzdem über Mittag. Es zeigt eine Ausstellung über buddhistische Ikonen während der Kamakura-Zeit. Leider darf man nicht fotografieren, aber es ist umwerfend, wie den Künstlern des 13. Jahrhunderts Charakterisierungen von z.B. Zen-Meistern gelungen sind. Und es ist sehr interessant, zu sehen, welche Veränderungen der Buddhismus bei seinem Weg von Indien über China nach Japan erfuhr.
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Lehrer/innenbildung

Bild (c) Nara University of Education
Ich bin langsam sehr müde. Mehr als 10 Wochen neue Eindrücke und Informationen aufnehmen, mich ständig auf immer andere Situationen und Personen einstellen, mit Ungewissheiten umgehen, staunen, warten, Pläne ändern, mich durchsetzen. Gelassen und für Unerwartetes offen bleiben. So bereichernd es ist, es ist auch zehrend. Ich freue mich darauf, in fünf Wochen wieder zu Hause zu sein.

Aber vorerst befasse ich mich ausführlicher mit der nicht ganz einfach zu durchschauenden japanischen Lehrpersonenbildung. Interessant ist, dass ich nicht einfach jemanden fragen kann – Studierende wie Dozierende beginnen häufig zu rätseln, wenn ich sie nach dem japanischen System – das ja an sich zentral gesteuert ist – frage. Es scheint hier auch sehr viele lokale Spezifitäten und häufige Änderungen zu
Aus Murata/ Yamaguchi 233 ff. und Gesprächen entnehme ich:

  • Es gibt einen oder mehrere Lehrer/innenbildungsstudiengänge an jeder nationalen Universität
  • Lehrpersonenbildung ist an Colleges (d.h. zweijährigen Hochschulen, häufig ohne Forschung) und Universitäten möglich und natürlich an den häufig aus Zusammenschlüssen von früheren Colleges hervorgegangenen Universities of Education. Das Curriculum für die Lehrpersonenbildung muss zwingend vom Erziehungsministerium genehmigt werden.
  • Unter der DP, die 2009 – 2012 an der Macht war sollte das Lehrer/innenbildungssystem auf 6 Jahre umgestellt werden, nach dem Bachelorabschluss nach vier Jahren sollten also noch zweijährige „graduate schools“ für angehende Lehrpersonen eingeführt werden. Dies ist heute teilweise umgesetzt. Die Nara University of Education verfügt über eine solche Graduate School, die man mit einem Master abschliesst. Als Majors werden School Education und Subject Education angeboten. Ein Masterabschluss ist aber für die meisten Lehrberufe nicht zwingend. Je nachdem, ob man einen Bachelor- oder Masterabschluss hat, bekommt man einfach ein anderes Diplom mit anderen Verdienstmöglichkeiten.

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Quelle: Consortium for Policy Research in Education (PDF)

  • Nach der Diplomierung folgt eine zweijährige berufsbegleitende Phase
  • Primarschule: Ausbildung zur Klassenlehrperson, die alle Fächer erteilt (Ausnahmen gibt es: Musik, Kunst, Hauswirtschaft für die Fachlehrer/innenausbildungen angeboten werden). Eine Ausbildung zur Klassenlehrperson heisst nicht, dass alle Fächer gleich gewichtet werden. In der Regel bildet man sich in etwa drei Fächern eingehend aus.
  • Ab Sekundarstufe I erfolgt die Ausbildung zur Fachlehrperson, die lediglich ein Fach unterrichtet

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Bild (c) Nara University of Education

  • Wie schon erwähnt führen die Städte oder Präfekturen einen harten Selektionsprozess durch, mit Persönlichkeitstests, Assessments, Individual- und Gruppeninterviews, Probelektionen usw.
  • Die Uni bietet ein Supportsystem an, um die Studierenden auf die Selektion vorzubereiten, ebenso die Stadt Nara (für diejenigen, die in der Stadt unterrichten wollen, ist es praktisch unumgänglich, an Samstagen diese Support-Kurse auch zu besuchen, sonst haben sie kaum Chancen, eine Stelle zu bekommen)
  • Der Selektionsprozess erklärt sich mit der ständigen Abnahme der Schülerinnen- und Schülerzahlen

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Quelle: MEXT

  • Wer eine Anstellung bekommt, absolviert zuerst eine einjährige Probezeit.

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Bild (c) Nara University of Education

  • Die Berufseinführungsphase dauert 2 Jahre und ist intensiv: 10 Stunden pro Woche werden für schulinterne Weiterbildung eingeplant, d.h. Beratung durch Schulleitende und erfahrene Lehrpersonen. 25 Tage für externe Weiterbildung, die häufig durch private Anbieter durchgeführt wird.
  • Die Weiterbildung wird in vier Typen unterschieden
    • individuelle Weiterbildung, Weiterbildung in der Schule (z.B. Peer-Coaching, Unterrichtsbesuche bei erfahrenen Lehrpersonen), Weiterbildung durch verschiedene Anbieter (z.B. Angebote durch Forschungsinstitutionen, Umweltorganisationen usw.)
    • Weiterbildung durch die Anstellungsbehörde (spezielle Weiterbildungen für Lehrpersonen mit 5, 10 und 20 Jahren Erfahrungen, wobei diejenige nach 10 Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist Weiterbildungen, die mit einem Funktionswechsel (z.B. zum „leading support teacher“, „vice principal“, „principal“ usw. verbunden sind
    • Weiterbildung durch die Universität (zielt v.a. auf einen höheren akademischen Grad oder ein weiteres Diplom)
    • Weiterbildung durch die Universität, um alle 10 Jahre das Diplom zu erneuern (ein „Verfalldatum“ der Diplome wurde 2007 eingeführt).

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    Bild (c) Nara University of Education
    Das tägliche Leben an der Universität hier in Nara wird auch mit einem Blog und einer Facebookseite dargestellt
    Blog (durch Google recht und schlecht übersetzt)
    Facebook

    Am Nachmittag fahre ich mit einer deutschen Austauschstudentin und einer japanischen Studentin, die ein Gastsemester in Heidelberg plant an die Uni Osaka zum Deutschen Seminar, so der Dokumentarfilmer Einblick in seine Arbeit gibt. Die Uni verfügt über drei grosse Campi und viele „Schools“. Hier ist deutlich alles zwei, drei Schuhnummern grösser als an einer University of Education wie in Nara. Der Relationen sind ähnlich wie z.B. zwischen der Uni Zürich und der PH Zürich.

Schule, Gesellschaft, Lehrpersonenbildung (2)

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Meine Notizen sind wenig aufbereitet, die Zusammenfassungen und Schlüsse provisorisch und unvollständig. Sie dienen mir hier einfach als Gedächtnisstütze, um später weiter daran zu arbeiten.

Zentrale Steuerung, Schulbücher
Das Bildungssystem Japans ist – mit allen Vor- und Nachteilen – sehr zentral gesteuert vom Erziehungsministerium, das die Politik der jeweiligen Regierung, meist also der LDP umsetzt. Lehrpläne und Stundentafeln werden für ganz Japan erlassen. Auch die Lehrer/innenbildung ist über die Lizenzierung zentral gesteuert, wenn auch die einzelnen Universitäten einige Freiräume haben. Mit dem Fach bzw. dem Zeitraum für „integrierte Studien“ haben die Schulen Möglichkeiten bekommen, wenigstens während drei Lektionen pro Woche eigene Schwerpunkte zu setzen.
Besonders kontrovers diskutiert wird die zentrale Steuerung bei den Schulbüchern. Schulbücher müssen ein kompliziertes Verfahren durchlaufen, bevor sie zugelassen werden. Die Zulassung kann mit Auflagen zur Überarbeitung verknüpft werden. Anfangs des 21. Jahrhundert und wieder seit 2012 sind Geschichtsbücher ein grosses Thema. Japan wird vorgeworfen, Schulbücher zuzulassen, die die Aggressoren-Rolle Japans im zweiten Weltkrieg massiv herunterspielen.
Die Northeast Asian History Foundation in Korea zeigt das Problem auf, ebenso ein 2001 an der Stanford-University verfasstes Paper. Über die aktuellen Entwicklungen unter der Regierung Abe hat die taz letzthin berichtet.
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Nach der High School: Prüfungshölle und Hochschule oder Übertritt ins Arbeitssystem
Das Erziehungsministerium gibt einen Überblick über das Hochschulsystem in Japan (PDF).
Über die „Prüfungshölle“, durch die japanische Schülerinnen und Schüler gehen, liest man auch in europäischen Zeitungen immer wieder. Yoshio Sugimoto (An Introduction to Japanese Society, Cambridge: Cambridge University Press, 2011; 3. Aufl.) relativiert, nur ca. 50% eines Jahrgangs wechselten nach der Mittelschule an eine Universität: „One should bear in mind that about one half of Japan’s youth do not advance to four year universities and most make no preparation for university entrance examination, the well publicized „examination hell“ belongs to less than half of Japanese youth“ (128f.) Na ja, immer noch sehr viel.
Die Mittelschülerinnen und -schüler versuchen, an eine Universität, die in den Rankings möglichst hoch angesiedelt ist, aufgenommen zu werden – unabhängig davon, ob sie dort mit ihren Fähigkeiten und Interessen gut aufgehoben sind. Sie werden auch von ihren Eltern entsprechend angetrieben, da allgemein die Meinung vorherrscht, mit dem Besuch einer möglichst angesehenen Universität sei auch die Karriere gesichert, d.h. eine Stelle in einer grossen Unternehmung oder in der öffentlichen Verwaltung so gut wie sicher. (130f.)
Von den 50% eines Jahrganges, die – manchmal nach ein, zwei Jahren, in denen sie sich erneut auf eine Aufnahmeprüfung, bei der sie gescheitert sind vorbereiten – studieren, gelingt nur etwa 20% die Aufnahme an eine nationale oder regionale Universität. 80% besuchen eine private Universität, was für die Eltern mit z.T. sehr hohen Kosten verbunden ist. (Die jährlichen Kosten für ein Hochschulstudium belaufen sich etwa auf die Hälfte eines jährlichen Durchschnittseinkommens) (131, Sugimoto bezieht sich auf Zahlen des Erziehungsministeriums). Entsprechend wurden in letzter Zeit Anstrengungen unternommen, das – früher weitgehend inexistente – Stipendiensystem etwas auszubauen.

Wer nicht an die Hochschule wechselt, nimmt entweder eine kürzere Berufsausbildung in Angriff oder eine feste Stelle an. Diejenigen, denen das nicht gelingt, schlagen sich oft mit Teilzeitjobs oder temporären Beschäftigungen durch und hoffen auf eine spätere fixe Anstellung oder sie fallen durch die Maschen und werden zu NEET (Not in Education, Employment oder Training). Von ihnen ist in Japan momentan viel die Rede, vgl. WoZ. Interessant, dass der Übergang ins Beschäftigungssystem meist nicht durch Bewerbungen bei einem Arbeitgeber geschieht, sondern dass die Firmen mit den „placement counselors“ der Schulen Kontakt aufnehmen und ihnen die Bewerbungsunterlagen zukommen lassen. Die Beratungslehrperson setzt dann alles daran, die Schülerinnen und Schüler so zu platzieren, dass die Firmen zufrieden sind und die Bewerbungsunterlagen auch in Zukunft ihrer Schule (und nicht einer anderen) zukommen lassen. Entsprechend wichtig ist es also, die richtige High School zu besuchen und dort einen guten Eindruck zu hinterlassen, damit man auch einer guten Firma empfohlen wird (vgl. eine ältere Darstellung hier)
Die Zahl der jungen Erwachsenen, die direkt nach der High School ins Erwerbsleben übertreten, ist in den letzten Jahrzehnten allerdings massiv gesunken. Rund 44% der High School-Abgängerinnen und -Abgänger treten nicht an eine Universität oder ein 2-jähriges Junior College über, aber nur rund 16% nehmen direkt eine Arbeit auf.
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Quelle: MEXT
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Studierende stehen in der Mensa an, um nach dem Essen ihr Geschirr abzuspülen: auch eine Form von „Citizenship Education“.
Schattensystem (Nachhilfe)
Das alles führt zu einem eigentlichen Schatten-Bildungssystem: zwei Drittel der männlichen Studierenden besuchen nach Sugimoto Juku schools, d.h. Nachhilfeschulen, Coaching usw. in irgendeiner Form, um bei Prüfungen bestmöglich abzuschneiden. Zusammen mit dem Besuch der extracurricularen Aktivitäten ihrer Schulen (häufig wird die Teilnahme erwartet) führt dies zu einer drastischen Einschränkung der Freizeit.

Ranking
High Schools werden nach einem System, das „Hensachi“ genannt wird bewertet. Hensachi stellt die Aufnahmequote an Hochschulen dar. Schulen in der Mitte der Normalverteilung, haben ein Hensachi Rating von 50, solche mit einer Standardabweichung über dem Mittelwert eine von 60, mit einer Standardabweichung unter dem Mittelwert eine von 40. (Vgl. zur Methode und allgemein)

Bezüge zur Schweiz
Man lernt ja auch die Vorzüge des eigenen Bildungssystems wieder kennen, wenn man sich mit anderen befasst. Ein sehr grosser Asset des schweizerischen Systems ist sicher seine Durchlässigkeit. In Japan besteht nach einem Misserfolg in einer Aufnahmeprüfung die einzige Chance, doch noch einen erhofften Beruf aufnehmen bzw. in eine erhoffte möglichst gute Hochschule aufgenommen zu werden in einem Wartejahr mit erneuter Prüfungsvorbereitung. „Herrenlose Samurai“ nennt man die Schulabgängerinnen und -abgänger, die sich erneut auf die Prüfung vorbereiten. In der Schweiz gibt es immer wieder Möglichkeiten, Ausbildungen und Abschlüsse nachzuholen, neue Weichenstellungen vorzunehmen.
Auch die Berufsbildung, wie wir sie in der Schweiz kennen, wäre hier für viele sinnvoller als eine allgemeinbildende High School oder eine private Universität, für die es schwierig ist, die nötige Motivation aufzubringen.
Schliesslich ist das System der öffentlichen und bezahlbaren Hochschulbildung einem System mit privaten, teuren und zu einem rechten Teil wohl qualitativ nicht allzu hochstehenden „Universitäten“ vorzuziehen.
Es gibt hier in Japan auch ganze Schulholdings, gute private Hochschulen haben eigene High Schools als „Zubringer“, um so die Qualität ihrer Erstsemestrigen sicherzustellen. Solche Entwicklungen habe ich auch schon in anderen Ländern gesehen; wenn man die Rhetorik der ETH verfolgt, scheint sie manchmal auch solche Gedankenspiele zu machen.
Das japanische Bildungssystem sollte nach dem zweiten Weltkrieg weitgehend „meritokratisch“ neu aufgebaut werden. Weil es aber sehr vom Bildungsstand der Eltern und – wohl stärker als in der Schweiz – von den Finanzen der Eltern abhängt, welchen Bildungsabschluss Jugendliche und junge Erwachsene erreichen, sprechen manche von einer „Parentokratie“ (Sugimoto 2011, 152). Dass der Bildungsabschluss der Eltern der zuverlässigste Prädiktor für den Bildungserfolg der Kinder ist, gilt auch in der Schweiz, die Gefahr, dass auch der finanzielle Hintergrund ein noch wesentlicherer Prädiktor wird, besteht durchaus.
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Dorm for International Students

Schule, Gesellschaft, Lehrpersonenbildung (1)

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Mein Kollege Ikuta Shuji, Trustee und Vizepräsident der University of Education in Nara holt mich heute Morgen mit seiner Assistentin Kanako Hasuike im Hotel ab. Sie organisieren mir einen Zugriff auf das IT-Netz der Universität und einen Badge für die Bibliothek. Ikuta Shuji überlässt mir sein Professoren-Büro, er braucht es leider nur noch selten, da er meist in seinem Vizepräsidentenbüro arbeitet.
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Mein Problem ist oft, dass mich zu viel interessiert, d.h. fast alles, was mit Schule, Gesellschaft und Lehrpersonenbildung zu tun hat. Ich versuche, etwas auf meine neuen Themen zu fokussieren, d.h. Innovationen in Schule und Lehrer/innenbildung. Wichtig scheint mir die Frage, wie in Japan Themen wie Erziehung zu Kreativität, zu Problemlösefähigkeit, zu Innovationsvermögen angegangen werden. Auch „Citizenship Education“, wie wir sie in Singapore gesehen haben (dort wird sie unterdessen „Charaktererziehung“ genannt, hier in Japan „moralische Erziehung“), scheinen mir wichtig.

Ikuta Shuji schenkt mir eine gute – und neu überarbeitete – Einführung in das japanische Erziehungssystem. Yokua Murata und Mitsuru Yamaguchi: Education in Comtemporary Japan – System and Content. (Tokyo: Toshindo, 2010)

Überblicke geben auch die folgenden Webseiten:
– das Ministry of Education, Culture, Sports, Science and Technology MEXT
– das National Institute for Education Policy Research NIER

Ich lese mich ein und stosse u.a. auf die folgenden Themen:

Von der „Information Recipient Nation“ zur „Information Providing Nation“
(Murata/ Yamaguchi 2010, 13). Japan ist es wichtig – das habe ich auch in Tokio gesehen – das Image des Informationen aufnehmenden, kopierenden Landes endlich loszuwerden und als Informationen produzierendes und exportierendes Land wahrgenommen und geachtet zu werden. Hierzu passt z.B. auch die im Hinblick auf die Olympiade 2020 in Tokio vom Erziehungsministerium ausgearbeitete Skizze, wie sich die japanische Gesellschaft bis 2020 verändern soll
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Quelle: MEXT, PDF

Innovation und Werte sind die Leitworte für die Weiterentwicklung der Gesellschaft, sie sollen sich ergänzen, nicht behindern. In dieser Skizze wird auch deutlich, wie stark Japan durch den Geburtenrückgang, die alternde Gesellschaft gefordert ist: „Strategic creation of breathing space, while maintaining competitiveness in an aging society (a society in which people can continue taking on challenges throughout their lives)“ Es soll also neben der harten Arbeit auch noch etwas Raum zum Atmen geben, damit eine Gesellschaft des lebenslangen Lernens verwirklicht werden kann.

Life Long Learning
Die stetig sinkende Geburtenrate ist (zusammen mit der gewollt sehr kleinen Immigrationsrate) eine Hauptherausforderung Japans. MEXT schreibt denn auch mit einer gewissen Dringlichkeit: „In the midst of a dwindling birthrate and a population that is aging and shrinking, bringing out the skills and individuality of every person to the utmost extent and utilizing diverse human resources has become absolutely essential to Japan’s economy and society (…). (Quelle: MEXT)

LLL wird deshalb auch in Japan stark gepusht, den Gemeinden und Privaten kommen dabei wichtige Funktionen zu.

Communities
Mir fällt auch sonst auf, dass „Communities“ im Vergleich zur Schweiz hier viel häufiger als Erziehungspartner genannt werden: „Basically, school is no more the sole educational institution, but shares its educational function with local communities and families (Murata/ Yamaguchi 2010, 53). Auch MEXT erwähnt die Communities explizit, so soll die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Communities und Familien gefördert werden. (Quelle: MEXT)
In der Lehrerinnen- und Lehrerbildung wird diese Zusammenarbeit z.B. durch Formen des „Service Learning“, von Sozialeinsätzen der Studierenden schon früh angelegt.

Lehrpersonenbildung
Das NIER gibt einen Überblick (PDF)
Für jede Schulstufe gibt es drei Typen von Diplomen und jedes Diplom muss nach 10 Jahren erneuert werden. Obligatorisch sind – in Zusammenhang mit Citizenship Education wichtig – in der Lehrpersonenbildung auch Kurse über die Verfassung.
Sehr viele Absolventinnen und Absolventen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung können allerdings – auch nach einem oder zwei Wartejahren – gar nie im Beruf arbeiten, durchschnittlich ist auf 6.2 Bewerberinnen und Bewerber nur eine Stelle offen, was zu harten Selektionsverfahren führt.
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Schulreformen
Die Einführung der 5-Tage-Woche, die Reduktion der Lektionenzahl und die Einführung von „cross-curricular-studies“, die von den Schulen selbst verantwortet werden können, haben offenbar zu einem Leistungsrückgang geführt, so dass das Rad wenigstens teilweise wieder zurückgedreht wird. Die Lektionenzahl sieht heute in den verschiedenen Fächern und Klassen folgendermassen aus:
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Mit dem Ziel, die Wirtschaftsentwicklung wieder anzukurbeln wurde neu wieder eingeführt auch die

Moralische Erziehung
Hier ein paar Ausschnitte aus dem vom Ministerium bereitgestellten Lehrmittel. „Boys, be ambitious“ des bei uns kaum bekannten amerikanischen Universitätsgründers William S. Clark (Wikipedia engl.) soll – nicht nur individuell, sondern auch national – den Ehrgeiz anstacheln. Referenz sind neben den USA die beiden härtesten asiatischen Konkurrenten Korea und China.
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Nötig ist auch ein geregelter Tagesablauf (Materialien für Junior High):
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Innovation

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Ich verbringe den Tag im Miraikan, dem „National Museum of Emerging Science and Innovation (Nippon Kagaku Miraikan)“. Es liegt auf der künstlich aufgeschütteten Insel Odaiba und befasst sich mit Zukunft, mit Innovation, also mit Lieblingsthemen von mir.
Im Laufe des Besuchs revidiere ich meine „Düster“-Einschätzungen (vgl. vorgestrigen Blog-Eintrag) wenigstens teilweise. Was und wie hier ausgestellt wird, ist faszinierend. Das Museum richtet sich sowohl an Schülerinnen und Schüler ab Primarschulalter wie Erwachsene. Es zeigt Zukunftsperspektiven auf und führt in Grundlagen für Innovationen ein, „distributed cognition“ z.B. oder verschiedene Innovationsmethoden (Heuristik, d.h. „serendipity“, Assoziation, Integration, „alternative creativity, unconstrained by traditional values“ usw.). Die Bedeutung von Teamwork wird unterstrichen. Jede Methode wird mit Beispielen aus der Vergangenheit (Glühbirne, Post-it, Penicilin, Heissluftballon, Flugzeug, Relativitätstheorie), Tipps von Innovatoren (keine Innovatorin…) und Anwendungen für die Zukunft (Quanten-Computer, Morphing, Roboter) illustriert. Da ist z.B. eine Robbe zu sehen, die auf Berührungen reagiert und die in Heimen für Demenzkranke eingesetzt wird. Rührend, wie sie die Äuglein schliesst oder den Kopf schräg hält, wenn man sie entsprechend streichelt – und auch beängstigend.
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Problemlösen durch das Teilen von Informationen (in der Medizin, im Verkehr, in der Energie, der Musik) wird breit thematisiert. Schülerinnen und Schüler werden auch in Themen wie Empathie eingeführt. Ältere Schülerinnen und Schüler und Erwachsene befassen sich – immer mit der Hilfe von Freiwilligen, häufig Rentnerinnen und Rentnern – mit mathematischer Modellierung, einem Modell für das Internet, der Konstruktion von Robotern und mit Umwelttechnik.
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Auf ein schon länger nicht mehr richtiges Vorurteil eingehend wird auch aufgezeigt, welche Innovationen (und nicht einfach Kopien) in Japan entstanden sind. Beispiele reichen vom Walkman bis zu medizinischen Operationstechniken, dem Skytree und Flugzeugtechnologie.
Ich bin optimistischer (und habe viel Material bezüglich Innovationen gesammelt). Die japanische Fahne muss, was die „emerging sciences“ betrifft, wohl noch nicht so schnell zusammengefaltet werden, Zweifel habe ich wegen des „unconstrained by traditional values“. Das gesellschaftliche Korsett, all die Konventionen scheinen mir enorm eng zu sein – manchmal kann ein solcher Rahmen wohl eine Stütze sein, eine Unterstützung für das Problemösen ist er aber m.E. nicht.
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Studienreise mit der PH Zürich

In den letzten Tagen habe ich auf einem anderen Kanal gebloggt. Die Studienreise mit der PH Zürich war sehr ertragreich, ich habe die Etappen, bei denen ich dabei war (Guangzhou und Singapore) im PH-Blog beschrieben:

20140428-180620.jpgAm Ostersamstag bin ich von Yangshuo über Guilin nach Guangzhuo gereist und habe am Ostersonntag die Kolleginnen und Kollegen der PH, die aus Hongkong kamen, getroffen. Gemeinsam haben wir die Stadt erkundet: Den buddhistischen Guangxio-Tempel, die früher den Ausländern vorbehaltene Insel Shamian und die Altstadt.
20140428-180827.jpgWir konnten einen Besuch in einer der führenden Primarschulen machen
20140428-233126.jpg und wurden dann vom President und den Kolleginnen und Kollegen der South China Normal University begrüsst, die uns ihre Uni und die Lehrpersonenbildung vorstellten.
Interessant war auch der Besuch auf University Island, einer Insel im Pearl-River-Delta. Hier befinden sich 10 Hochschulen mit Wohngebäuden für Dozierende und Studierende und Freizeitmöglichkeiten.
Vor unserer Weiterreise besuchten wir ein schweizerisch-chinesisches Joint Venture: ABB Microunion.
20140428-232746.jpg Anschliessend flogen wir weiter nach Singapur. Zur Einführung und zur Nachbereitung hier ein paar Links zu Singapur und seinem Schulsystem.
Am ersten Tag in Singapur erkundeten wir den Stadtstaat
20140428-233456.jpg Danach folgte eine intensive Auseinandersetzung mit der Lehrpersonenbildung am National Institute of Education:
Zulassungsverfahren
Forschungsorientierung
– Grundausbildung der Lehrerinnen und Lehrer
– Weiterbildung
– das „Alignment“ von Politik – Lehrer/innenbildung und Schulen
– Vorstellungen vom Klassenzimmer der Zukunft
– Literatur über Lehrpersonenbildung als Abschiedsgeschenk
20140428-234227.jpgAm Tag vor unserer Abreise hatten wir Gelegenheit, eine Sekundarschule zu besuchen
Im letzten Eintrag danken wir auch unseren Kolleginnen Christine Bieri und Barbara Nafzger, die diese Reise organisiert und geleitet haben.

Himmelsaltar, Lamakloster, Konfuzius-Tempel

Powersightseeing in Beijing. Ich kann mir vorstellen, dass meine Notizen dazu etwas langfädig sind. Ich brauche sie als Erinnerungshilfe, um später das Ganze nachzubearbeiten, aber bitte fühlt euch nicht verpflichtet, alles zu lesen.
Am Morgen besuche ich den benachbarten Tian Tan (Himmelsaltar, Temple of Heaven). Der Park ist am frühen Morgen sehr belebt. Alle Arten von Frühgymnastik in Gruppen: traditionelles Quigong, Tänze mit Schwertern, Kreisel peitschen, poppige Tänze, höchst anmutige Paartänze, in denen das Paar mit den Armen Flugbewegungen macht und sich umkreist. Kalligraphie. Gemeinsames Singen. Musikproben.
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Und dann etwas, das ich nicht verstehe, ich kann es mir eigentlich nur als Heiratsmarkt erklären, aber vielleicht ist diese Vorstellung völlig falsch. Mittelalterliche Männer und Frauen sitzen auf Hockern und Mäuerchen mit einem Steckbrief vor sich auf dem Boden, meist, wie es mir scheint von jungen Frauen. Auf diesen Steckbriefen in Sichtmäppchen stehen Körpergrösse, Jahrgang, manchmal das Gewicht, immer eine Telefonnummer, verschiedenste Notizen, ab und zu ist auch ein Foto dabei. Andere Männer und Frauen im gleichen Alter gehen vorbei, schauen sich die Steckbriefe an, beginnen manchmal ein Gespräch.
Das Leben im Park ist ebenso interessant wie der Himmelsaltar, ein sehr harmonisches, völlig rundes schönes Bauwerk, ganz auf den Himmel, das Yang ausgerichtet, deshalb auch die blauen Ziegel. Hier brachte der Kaiser als Himmelssohn bei einer genau vorgeschriebenen Zeremonie seine Opfer für den Himmel dar. Er bat um gute Ernte und um Regen. Im Norden der Stadt gibt es einen „Erdaltar“, auf das Ying ausgerichtet. Dort ist alles eckig statt rund, Ziegel sind erdfarben und die Anzahl Stufen zum Altar ist gerade, nicht ungerade wie hier.
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Mit der Metro fahre ich dann in den Norden, zum Lamakloster Yonghe Gong. Es wurde 1744 von den Mandschu-Kaisern (Qing-Dynastie) gegründet, auch mit dem Ziel, das annektierte Tibet günstig zu stimmen, in dem man zeigte, dass der Lama-Buddhismus geachtet werde. Mittelpunkt ist eine riesige, aus einem einzigen Baum geschnitzte Buddha-Statue. Es hat nicht viele Tourgruppen hier, aber recht viele Gläubige, die mit Räucherstäbchen vor den verschiedenen Buddha-Statuen beten.
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Auch im Norden der Stadt liegt der Konfuziustempel und die frühere kaiserliche Hochschule („Imperial College“), an der auch die so wichtigen Beamtenprüfungen abgenommen wurde.
Der wirtschaftliche Erfolg, den Ost- und Südostasien haben, wird gerne konfuzianischen Tugenden zugeschrieben. Als ich vor zwei Jahren in Guangzhou an der Normal University den Partnerschaftschaftsvertrag unterschrieben hatte, bekam ich eine Konfuziusfigur geschenkt. Die angestrebten 100 Institute, die China zur Verbreitung seiner Kultur und seines Gedankengutes weltweit einrichtet, heissen Konfuzius-Institute. Konfuzius, unter Mao kurz aus dem öffentlichen Gedankengut verbannt, erlebt eine Renaissance, sein Leben und seine Lehre werden wieder erforscht und verbreitet.
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Er lebte 551 – 479 v.Chr. und wurde dann um 1300 (?) „kanonisiert“, d.h. für anbetungswürdig angesehen. Tempel wurden geschaffen und Beamte verpflichtet, ihm zu huldigen, hat er doch – neben seiner Erziehungslehre – auch viele Herrscher von seinen Ansichten über gute Regierungstätigkeit und Verwaltung zu überzeugen versucht (und ist allerdings meist damit gescheitert, weil die damaligen Herrscher sich durch Geschenke wie schönen Pferden und schönen Frauen – im Museum in dieser Reihenfolge aufgeführt – gerne vom Pfad des tugendhaften Regierens abbringen liessen). Insofern macht die Rückbesinnung auf Konfuzius sicher Sinn.
Auch seine Erziehungsgrundsätze sind interessant, ich erfahre verschiedenes Neues. Er gründete z.B. die erste „Privatschule“ in China, weil er sich weigerte, nur Adelige zu unterrichten, sondern fand, alle hätten ein Anrecht auf Schulung. Auch lehrte er seine Schüler (vom Anrecht von Mädchen auf Bildung lese ich nichts) etwas erst, wenn sie selbst die Lösung nicht finden konnten. Schliesslich wird ihm auch nachgesagt, dass er trotz dem Grundsatz der „filial piety“ blinde Unterwerfung den Eltern gegenüber nicht billigte, er fand, man solle ihnen auch widersprechen, wenn sie Ungerechtes verlangten. Ich sammle ziemlich Material, das ich weiterverabeiten können werde. Leben und Werk sind sicher etwas verherrlichend dargestellt hier, aber informativ und gut aufbereitet. Zur Wirkungsgeschichte komme ich leider nicht mehr, die Aufsichtsperson findet, es sei jetzt genug, sie mache Feierabend (das schliesse ich jedenfalls aus ihrem wilden Gestikulieren und dann freundlichen Lächeln, als ich das Haus verlasse).
Im Norden der Stadt esse ich etwas, auch hier eingeschossige Häuser, viele Leute unterwegs, viele Läden mit vielseitigen Auslagen, man leistet sich ab und zu etwas. Ich beginne zu verstehen, was gemeint ist, wenn jeweils von der explodierenden Mittelklasse in Asien geschrieben wird. Diese Leute gehören nicht zu den Reichen, die mit ihren Lamborghinis und Range Rovern beim Peking-Entenlokal vorfahren, aber sie haben mehr Geld zur Verfügung, als das ihre Familien je hatten und sie sind optimistisch, dass ihr Kind (bzw. jetzt mit der weiteren Lockerung der Einkindpolitik) ihre Kinder ein besseres Leben haben werden als sie. 1980 haben die Leute hier zum Essen warmes Wasser getrunken, Tee konten sie sich nicht leisten. Als ich das gestern bei der Teedegustation erzählt habe, meinte die junge Verkäuferin, ich mache einen Scherz.
Das heisst nicht, dass es nicht auch in Beijing noch sehr viele, sehr arme Leute gibt, die gezwungen sind, unter prekärsten Verhältnissen zu leben. Gerade vor meinem Hotel befindet sich eine Abfalltrennungsanlage auf der Strasse und in einem kleinen Hinterhof. Die Männer kommen mit ihren Transporttrishaws angeradelt, mit dem Inhalt von Abfalleimern, die sie in der Stadt leeren, auf der Ladefläche. Dann trennen sie den Müll von Hand: Karton wird aussortiert und auf einen kleinen Lastwagen geladen, Pet-Flaschen, Organisches. Sie arbeiten auch mitten in der Nacht, scheinen einfach mal kurz am Arbeitsort zu schlafen und arbeiten dann weiter. Ich wage nicht, mir ihr „Zuhause“ vorzustellen.

Terelj-Nationalpark, Mongolei

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Kurz nach vier Uhr weckt uns die Zugbegleiterin, um fünf sind wir in Ulaanbaatar. Sarah und der „Driver“ erwarten mich und fahren mich zu einem Apartment, wo ich duschen kann. Sarah kocht unterdessen Frühstück, dann fahren wir aus Ulaanbaatar Richtung Terelj-Nationalpark.

Sarah hat in U.B., wie sie die Hauptstadt nennt, Lebensmittelingenieurin studiert und anschliessend in Taiwan Business Administration. Momentan arbeitet sie – überqualifiziert – teilzeitlich für diesen Tour Operator. Es ist schwierig, ohne gute Beziehungen eine den Qualifikationen angemessene Arbeit zu finden. Sie zeigt mir die Nationaluniversität. Neben den nationalen Universitäten, die nur diejenigen Studierenden aufnehmen, die beim Abschlussexamen an der Mittelschule (es wird ein GPA berechnet, vgl. hier) gut abgeschlossen haben gibt es etwa hundert private Universitäten, die alle z.T. hohe Studiengebühren verlangen. Allgemein gilt für die privaten Universitäten die Faustregel: Je höher die Studiengebühr, desto besser die Uni. Daneben studieren viele Mongolinnen und Mongolen im Ausland, Taiwan als wichtigste Destination hat etwa 1000 mongolische Studierende.
Als Kind ging Sarah bis 1994 in eine russischsprachige Schule und sprach auch mit den Eltern russisch, beides war damals normal. Dann reisten, für die Schülerinnen und Schüler unerklärlich, plötzlich die russischen Lehrpersonen alle ab und die Schulen stellten auf mongolisch um. Unterdessen ist der russische Einfluss zwar noch vorhanden, das Land hat sich aber auch stark nach China, gegen den Westen und nach Korea orientiert.
Wir fahren zuerst an in der Zeit der „Volksrepublik“ durch die Sowjetunion erstellten Plattenbauten vorbei, etwas Industrie, dann Agglomerationssiedlungen, z.T. in Form von Ger-Dörfern. Die runden fensterlosen Jurten, die durch Wolle und Filz gut isoliert sind und die mit einem Holzofen, auf dem auch gekocht wird, beheizt werden, werden hier Ger genannt. Nach recht langer Fahrt durch die Vororte beginnt dann eine hüglige Steppenlandschaft mit einer geschlossenen Grasdecke, durchbrochen von Felsen und einzelnen Wäldern. Yak-, Kuh- Schaf-, Ziegen- und Pferdeherden.
Sarah erzählt lachend davon, dass man in Taiwan auch reite, aber auf sehr hohen Pferden. Man könne dort für ein, zwei Stunden ein Pferd mieten und es mit einer Bockleiter besteigen. In der Mongolei schwinge sich jedes Kind einfach auf ein Pferd, meist schon im Kindergartenalter. Die kleinen Steppenpferde (Przewalski-Pferde) waren für die Mongolei wohl das wichtigste Tier, einerseits als Handelsgut für den Handel mit China, andererseits als Garant für die Mobilität bei der nomadischen Kriegsführung (vgl. Jürgen Paul, Zentralasien, Pos. 312) Der so erfolgreiche (und brutale) „Mongolensturm“ im 13. Jahrhundert unter Dschingis Khan und seinen Nachfolgern, wäre ohne diese Pferde nicht denkbar gewesen. Das Gebiet, in denen die Mongolen gegnerische Heere besiegt und Herrscher unterworfen hatte, erstreckt sich über ganz Asien bis weit nach Europa, es umfasst 52 heutige Staaten.
Das Camp im Nationalpark besteht ebenfalls aus Gers, meine ist schön warm aufgeheizt. Wir steigen (bzw. stolpern wegen nicht optimalem Schuhwerk und eisigem Boden) auf einen Felsen hinter dem Camp und machen dann eine Wanderung über das Weideland, das von Nomaden, die von Frühling bis Herbst mit ihren Tieren unterwegs sind, genützt wird.
Am Nachmittag fahren wir zum „Schildkrötenfelsen“, im Tal ist der letzte Schnee am Schmelzen.
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Ein paar Kilometer weiter befindet sich ein buddhistisches Meditations- und Initiationszentrum. Tibet wurde 1240 von den Mongolen erobert, danach begann sich der Buddhismus durch buddhistische Lehrer von dort auch in der Mongolei zu verbreiten, er wurde ab dem 16. Jahrhundert stark gefördert. In den 1930-er Jahren wurde der Buddhismus dann durch eine Terrorwelle stalinistischen Typs (Jürgen Paul, Pos. 5402) stark unterdrückt, Klöster wurden geschlossen und zerstört, unschätzbare Kulturgüter gingen verloren. Die Mongolen bleiben aber an den Buddhismus gebunden und ab den 1990-er Jahren wurden wieder buddhistische Einrichtungen eröffnet. Das Meditationszentrum, das wir besuchen, wurde 1998 geweiht, es wurde auch durch den Dalai Lama besucht.
Der Weg führt an vielen Tafeln mit buddhistischen Lehren vorbei und dann über eine Hängebrücke zum Zentrum. Die Meditationsschüler meditieren auch auf den umliegenden Felsen.
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