Stadtentwicklung konkret

Den „Masterplan“ für die Stadtentwicklung habe ich vor drei Tagen als riesiges Modell gesehen. Seine Umsetzung erlebe ich heute in einem Quartier westlich des Zentrums.
In den „alten“, Strassen mit den engen zweigeschossigen Häusern spielt sich viel Leben auf der Strasse ab. Die Wäsche ist entlang dem Trottoirrand und im Hof zum Trocknen aufgehängt. Neben der Wäsche hängen Käfige mit zwitschernden Wellensittichen. Der Wasserverkäufer mit seinen Plasticcontainern und der Altmetallsammler fahren mit ihren Trishaws durch die Strassen und klingeln. Die Läden und Handwerksbuden im Parterre verkaufen alles auf sehr kleinem Raum. Eisenwaren, Mercerieartikel, Baubedarf, Möbel, Fahrräder und Elektroroller, Lebensmittel mit frischem Obst und Gemüse, Haushaltbedarf, Schildkröten. Dazwischen spielen alte Männer Brettspiele. Viele stehen vor den Essbuden an, in denen das Essen frisch zubereitet wird. Gegessen wird an Tischen auf dem Gehsteig oder der Koch packt das Gericht in eine Box und man nimmt es mit nach Hause. Kaum Autos, aber viele Velos und Roller. Alte Leute werden in Rollstühlen geschoben oder am Arm durch die Strassen geführt. Die Kinder sind in der Schule.
20140415-182425.jpg
20140415-182452.jpg
Zwei Strassenzüge weiter hat der Masterplan seine Wirkung bereits entfaltet, ein ganzes Quartier ist plattgewalzt.
20140415-182512.jpg
Und nochmals zwei Strassenzüge weiter sieht man, was hier bald auch entstehen wird.
20140415-182532.jpg
Der Verlust an Quartierleben, Gemeinschaft und Kultur ist bei solchen Abbruchaktionen immens. Aber schwarz-weiss zu denken, ist auch falsch. Die Bausubstanz in den alten Quartieren ist meist so schlecht, dass an eine Sanierung nicht gedacht werden kann, die hygienischen Verhältnisse sind prekär, alles ist sehr eng – Jungverheiratete müssen häufig bei den Eltern des Mannes wohnen, Privatheit gibt es kaum. Da ist eine Zweizimmerwohnung mit Bad und WC in einem gesichtslosen Hochhaus in der Agglomeration häufig wirklich eine Steigerung der Lebensqualität.

in anderen Quartieren sind gut erhaltene Steinhäuser aus den 1920-er Jahren restauriert und der Zara-Prada-Häagen Dazs-Sushi-Welt übergeben worden, oder es sind sehr hochpreisige „Mansions“ entstanden. In diesem Quartier wohnte früher auch der spätere Premier und wichtige Weggefährte Maos, Tschou En Lai, hier war das Hauptquartier der Kommunistischen Partei und hier fanden nach dem Sieg gegen Japan Verhandlungen zwischen der kommunistischen Partei und der Kuomintang statt. Mit Hilfe der USA, so die Darstellung in der kleinen Ausstellung in diesem Haus, habe die Kuomintang aber die Vorbereitungen zum Bürgerkrieg während der ganzen Verhandlungszeit vorangetrieben. Einen Bürgerkrieg, den sie ja dann verloren und sich nach Taiwan zurückziehen mussten.
Kissinger, der später die Pingpong-Diplomatie China gegenüber eingeleitet hat, äusserte sich sehr bewundernd über Tschou En Lai: „one of the two or three most impressive men I have ever met“ (vgl. zu Tschou En Lai allgemein und zum Zitat PBS). Ich glaube, in seinem „On China“ schreibt Kissinger, Tschou En Lai habe jeweils eine Stimmung wie Sonnenaufgang verbreiten können.
20140415-183013.jpg
Der Flughafen Pudong ist mehr als 60 km ausserhalb Shanghais. Ich mache mich also früh auf den Weg. Das wäre nicht nötig gewesen, ich habe nicht damit gerechnet, dass man von der Metro in eine Magnetschwebebahn umsteigen kann, die dann mit Tempo 430 zum Flughafen Pudong hinausrast. Etwas benommen von diesem Tempo checke ich nach Guilin ein. Morgen möchte ich dann weiter nach Yangshuo.
20140415-183143.jpg