Ich schaue etwas irritiert, als in der Bahn vom Flughafen nach Seoul eine Gruppe junger Leute laut schwatzt und lacht. Einige telefonieren sogar. Undenkbar in Japan. Auch fast von einem orangen Taxi mit einem kurzärmligen Taxifahrer, der etwas aus einem Starbucks-Plasticbecher schlürft, gestreift zu werden, finde ich nach einem Monat Japan schockierend. Taxifahrer fahren dort ihre schwarzen Limousinen mit den weissen Sitzüberzügen defensiv, sie tragen einen Anzug, eine Schirmmütze und weisse Handschuhe.
Mir wird klar, warum man in Japan zwar häufig von Asien gesprochen hat, das eigene Land aber eigentlich nicht dazu zählte.
Aber jetzt bin ich in Seoul und damit wieder in Asien, einem aufstrebenden und improvisierenden Asien mit grossen Einkommensunterschieden. Einem Asien, mit riesigen Strassen, die kaum zu überqueren sind, Obdachlosen die in Unterführungen schlafen, Garküchen, Musik aus Ghettoblastern, Märkte auf Strassen und Plätzen, daneben Hochhäusern der Banken und grossen Unternehmen, alten Palästen, riesigen Verwaltungsgebäuden.
Ich muss mich hier erst einfinden.
Das Land steht noch stark unter dem Eindruck der Sewol-Katastrophe, überall gelbe Bänder als Zeichen der Solidarität mit den Opfern.
Die Aufarbeitung des Fährunglücks hat auch viel Korruption zu Tage fördert und man ist daran, diese entschlossener als auch schon zu unterbinden. Auch die Korruption der vornehmeren Art: Nach ihrer Pensionierung werden Vize-Erziehungsminister z.B. meist Universitätspräsidenten. Dies hält dann die Behörden davon ab, die betreffende Universität genauer zu kontrollieren, man kann ja einem ehemaligen hohen Funktionär, einer solchen Respektsperson nicht misstrauen. Die koreanische Gesellschaft ist sehr hierarchisch, formelle und informelle Hierarchien nicht zu beachten, ist fast nicht möglich. Ich erinnere mich daran, dass diese Hierarchie ein Thema bei den Flugunfällen koreanischer Airlines war: Der Co-Pilot wagte nicht, dem Captain zu widersprechen, auch wenn das ins Desaster führte, vgl. die Hong Konger South China Morning Post).
Aber die Tatsache, dass so viele Jugendliche beim Fährunglück ertrunken sind, auch weil sie einfach den Anweisungen der Erwachsenen vertraut haben und viel zu lange auf der Fähre geblieben sind, hat das Land hier durchgeschüttelt. Man versucht, die gefährliche „eine-Hand-wäscht-die-andere-Tendenz“ zu reduzieren. Hohe Beamte sollen also nicht mehr gut bezahlte Uni-Präsidenten werden und dafür ihre Unis vor Eingriffen des Ministeriums schützen (vgl. Korea Herald: Returned officials banned from top college posts)
Das Unglück wird auch politisch ausgenutzt. Am Donnerstag sind Kommunalwahlen, ein arbeitsfreier Tag (was zur Folge hat, dass ich meine Gewerkschafts-, Schul- und Universitätsbesuche auf übernächste Woche verschieben musste). In diesen Wahlen werden auch die Superintendents für die Schulgemeinden gewählt, also unter anderem der Schul-Superintendent für die 10-Millionen-Stadt Seoul. Ein sehr einflussreicher Posten, der in aller Regel von Personen besetzt wird, die auch „Education“ studiert und Erfahrungen im Schulbereich haben.
Der momentane Amtsinhaber in Seoul (aus der gleichen Partei wie Präsidentin Park, der Versagen bei der Sewol-Krise angelastet wird), findet, man müsse dringend mehr Geld für „Safety Education“ zur Verfügung stellen, dafür will er die kostenlosen School Lunchs abschaffen. (vgl. Korean Herald).
Interessant auch die Interviews mit den Gegenkandidaten (hier und hier).
Am Abend verbrenne ich mir in einem koreanischen Restaurant mit irgendetwas Siedendheissem in einer ansonsten lauwarmen Suppe ziemlich heftig den Mund. Danach telefoniere ich mit meinem Kollegen, dem früheren Präsidenten der University of Education in Gwangju. Er brieft mich für die Besuche bei Lehrergewerkschaft und Zeitung, für die Vorlesung im Kollegium und für ein Seminar mit Studierenden (von dem ich bis jetzt nichts wusste). Er braucht auch den Volltext meiner Vorlesung – da kommt noch etwas Arbeit auf mich zu.