Machtkämpfe, Lehrergewerkschaften, Master-Teacher

Am Morgen fahre ich zum Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer KFTA.

Ein sehr mächtiger Verband, das sieht man schon dem Gebäude und der Empfangshalle an.
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Mein Kollege Park, Namgi, ehemaliger Präsident der Gwangju University of Teacher Education, den ich aus Hongkong und Nara kenne, ist Chair des von der KFTA geführten KIEP (Korean Institute for Education Policy). Er hat mir deshalb ein paar Termine beim Dachverband organisiert.

Jung, Un-Soo von der Korean Education Weekly, die einmal wöchentlich mit einer Auflage von über 200’000 erscheint und Kim, Jae-Cheol, der Director External Relations machen ein Interview mit mir. Die Sache ist recht heikel, weil ich natürlich auch nach meiner Meinung zum Fährenunglück und zu Safety Education gefragt werde. Das Thema wird hier noch so lange omnipräsent bleiben, bis die sterblichen Überreste der 16 Schülerinnen und Schüler, die noch irgendwo in der gesunkenen Fähre vermutet werden, geborgen sind. Bereits zwei Taucher sind bei der Suche nach den Körpern ums Leben gekommen.
Der stellvertretende Schulleiter, der die Exkursion organisiert hat, hat sich das Leben genommen.
Der neben der KFTA zweite grosse Player, der die Lehrpersonen vertritt, die Gewerkschaft KTU (Korean Teachers Union), hat Präsidentin Park wegen der Katastrophe frontal angegriffen: „“President Park Geun-hye must confess to neglecting her duties and take responsibility“ und sich bei den getöteten Schülerinnen und Schüler für die falsche Erziehung entschuldigt: „We are sorry that we did not teach you to question and disobey suspicious orders,” (…) “We are sorry for forcing you to just memorize answers. We feel guilty that we did not teach [the students] to be active in a dangerous situation“ (Korea Joongang Daily).
Tatsächlich haben ja viele Schülerinnen und Schüler die Fähre nicht verlassen, weil sie auf eine entsprechende Anweisung von Erwachsenen, was jetzt zu tun sei, gewartet haben. Das ist für die ganze Nation begreiflicherweise schwierig zu verarbeiten.

Andere Themen im Interview sind der mangelnde Respekt den Lehrpersonen gegenüber und die Examen. Disziplinprobleme und Prüfungsdruck sind grosse Probleme auch für die KFTA, wie ein Blick in eine ihrer Broschüren zeigt (alle Bilder KFTA)
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Auch mit „Happy Education“ soll Abhilfe geschaffen werden, man möchte eine „ganzheitlichere“ Erziehung erreichen, alle Sinne ansprechen, auch fröhlich sein miteinander.
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Wenn man Bilder von 1973 und heute vergleicht, hat sich in den letzten 40 Jahren schon sehr viel verändert.
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Eine grosse Ehre ist, dass ich danach auch vom Generalsekretär Baek, Bok-Sun, der uns auch zum Mittagessen einlädt und vom Präsidenten Ahn, Yang-Ok empfangen werde. Der Präsident wird von den etwa 180’000 Mitgliedern direkt gewählt, das Amt ist politisch sehr begehrt und die Wahlkämpfe sind jeweils heftig.

Die Stimmung ist aber gedämpft. Die Lokalwahlen haben der militanteren KTU grosse Erfolge gebracht. (Die Zentralregierung will die KTU sogar verbieten, weil sie sich weigert, Lehrpersonen, die wegen Missachtung der Trennung von Politik und Schule (man spricht hier vom „Neutralitätsgebot“) entlassen wurden, auszuschliessen. Ein Gericht hat das aber vorerst unterbunden).
13 von 17 Superintendents gehören jetzt der national in Opposition stehenden Partei NPAD (New Politics Alliance for Democracy) an oder stehen ihr nahe. Und, für die KFTA besonders schmerzhaft: 8 der neu gewählten Superintendents waren einmal Mitglied der KTU. Man sieht den Einfluss der KFTA schwinden und hat die Befürchtung, es entstehe jetzt ein für die Bildung verheerendes Seilziehen zwischen der Zentralregierung mit der konservativen Partei Saenuri um Präsidentin Park und den liberalen (d.h. hier: linken) School-Superintendents in den Provinzen und Städten. School-Lunches, Privatschulen (d.h. wie weit werden vollständig privat finanzierte Eliteschulen, die direkte Zubringer zu den besten Unis sind noch zugelassen) und der Grad der Innovationen sind die Hauptstreitpunkte.
Namgi Park hat einen Artikel geschrieben, der am Wochenende publiziert wurde und in dem er die beiden Seiten zur Zusammenarbeit zu Gunsten von Schülerinnen und Schüler aufruft.

Nach dem ausgezeichneten koreanischen Mittagessen (man isst hier viel Gemüse und Fisch) fahre ich mit Namgi mit dem Bus knapp 4 Stunden nach Gwangju an seine Universität, wo ich meine Vorlesung halten soll. Er erwähnt ein paar Mal, es sei halt keine gute Zeit für eine solche Veranstaltung, Prüfungen und so… Kommt mir bekannt vor. Der Saal ist dann aber sehr gut gefüllt und die Zuhörerinnen und Zuhörer sind an meinen Ausführungen zum schweizerischen Schulsystem und zur Lehrpersonenbildung interessiert, hören aufmerksam zu und stellen die richtigen Fragen. (Was denn der Vorteil der Migration für die Schweiz sei, es könne doch nicht nur eine Herausforderung sein…)
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Anschliessend gehen wir noch mit einigen Mitgliedern der Uni und einigen „Master-Lehrerinnen“ kalte Nudeln essen. Das System „Master-Teacher“ wurde hier 2008 eingeführt, weil man Lehrpersonen, die nicht Karriere als Schulleiterin oder Schulleiter machen möchten, eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung geben wollte. Das System ist sehr kompetitiv, wie alles hier: d.h. man muss die besten Mitarbeitendenbeurteilungen haben und sich um eine Stelle als Master-Teacher bewerben. Wer aber Erfolg hat erhält ein um 40% reduziertes Pensum:

„Once selected as a master teacher, existing teaching hours will be reduced by 40% so that the remainder of the time can be utilized for participation in teacher training programs and implementation of various activities. Selected master teachers will not only conduct classes in their assigned schools but also support other teachers to improve teaching through coaching and supervision, developing teaching and learning and curriculum evaluation methods, performing the teacher ability development assessment, and offering training or mentoring programs for new teachers.“ (Education in Korea, S. 50).

Tönt gut. Und die Frauen machen mir einen sehr guten Eindruck, sie haben ein sehr hohes Commitment und sind bestens ausgebildet. Sie bringen ihre Schulen mit Sicherheit weiter.

In Korea machen die Lehrpersonen sogar etwas mehr Ferien als in Japan. Meine Sitznachbarin erzählt von einer 25-tägigen Europareise letzten Sommer. Sie hat mit ihrer Familie in Österreich ein Auto gemietet, wollte nach Mailand fahren und es war ihr nicht bewusst, dass ihr österreichisches Mietauto keine schweizerische Autobahnvignette hatte. Ihre Erinnerung an die Schweiz ist also das Aufhalten durch die Polizei, eine empfindliche Busse und der Kauf einer Vignette. Aber es sei ein schönes Land.