Grosse Mauer

Ich möchte Beijing nicht verlassen, ohne auf der chinesischen Mauer gewesen zu sein. „The Great Wall“ liegt 70 Kilometer und mehr nördlich von Beijing. Ich habe darum gestern eine „Private Tour“ gebucht, weil mir andere Reisende vom öffentlichen Touristenbus abgeraten haben (es werde hineingequetscht, was irgendwie ginge, wer sich keinen Sitz- oder Stehplatz ergattere, könne nicht mitfahren) und weil ich nicht in einen Tourbus mit Shop-Besuchen und Rischkafahrten wollte. Das war keine gute Idee. Ich werde von Song, der eigentlich sympathischen und intelligenten Guide belehrt, dass das eine sehr billige Tour sei und dass das Unternehmen nur zu seinem Gewinn komme, wenn ich all die drei Factories und die Teeoper besuche und immer auch etwas kaufe. Ihr Lohn bestehe mehr oder weniger aus der Kommission, die sie für meine Einkäufe bekomme und meinem Trinkgeld.
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In der ersten Factory werden Cloisonne-Vasen hergestellt, nur lässt man mir kaum Zeit, das anzusehen, ich soll möglichst viel Zeit im Shop verbringen. Ich lasse das über mich ergehen und kaufe nichts, obwohl mir die Leute ja eigentlich Leid tun. Am Nachmittag, bereits wieder im Norden Beijings, reicht es mir dann aber, als ich 40 Minuten in einem Seidenshop verbringen soll, die Aufenthaltszeit wird genau gestoppt. Ich stehe auf und sage, ich nähme jetzt die U-Bahn zurück ins Hotel. Song ist ziemlich verzweifelt und den Tränen nahe, so dass ich natürlich nicht gehe. Mein Ärger ist jetzt aber so deutlich, dass sie telefoniert und dann eine Factory und die Teeoper streichen kann.
Weil ich trotzdem nichts kaufe, sitzen wir einfach herum und sie erzählt von ihrer bevorstehenden Hochzeit im August. Sie muss in ihrem Heimatdorf mindestens 1000 Gäste einladen, das sei das absolute Minimum. Alle Gäste bringen 500 Yuan als Geschenk, so dass die Hochzeit damit bezahlt werden kann. Nur wird man selbst an so viele Hochzeiten eingeladen und muss als Gastgeschenk auch wieder 500 Yuan bringen, dass das Ganze am Schluss dennoch teuer ist. Nicht heiraten ist auch keine Lösung – dann muss man an all den Hochzeiten, zu denen man eingeladen ist, Geschenke zahlen, bekommt aber selbst keine Geschenke.
Schade, dass diese junge Frau, die Englisch studiert hat, bei einem solchen Tourveranstalter arbeiten muss. Es enttäuscht mich, dass ich hier wieder so auf der Hut sein muss. In Osteuropa, Zentralasien, Sibirien hatte ich nie das Gefühl, man wolle mich irgendwie übers Ohr hauen, aber hier muss ich wieder aufpassen, nicht in Touristenfallen zu geraten.
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Die Grosse Mauer bei Mutianyu ist aber den Ärger schon wert. Die Gegend in diesem Abschnitt ist sehr hügelig, so dass man erahnen kann, wie die Mauer sich weit in der Ferne auf den Hügelkämmen verliert. Leider ist es sehr dunstig, so dass ich praktisch keine Fotos machen. Man kann mit einem Sessellift hinauffahren und mit einer Rodelbahn wieder ins Tal hinunter. Ich nehme den Sessellift, damit ich auf der Mauer mehr Zeit habe. Sie ist stellenweise sehr steil und die Stufen sind sehr hoch, so dass all die Touristen recht ins Schnaufen kommen.
Der Bau der Mauer wurde vom ersten chinesischen Kaiser (259 – 210 v. Chr.), der die verschiedenen „Königreiche“ Chinas einte, in Angriff genommen und sollte als Schutz gegen die Reitervölker aus der Steppe dienen. Sie wurden dann in der Han-Dynastie, nachdem sie die Hunnen besiegt hatte, ab 127 v. Chr. restauriert und weiter ausgebaut. Es wurden jetzt auch viele Befestigungen gebaut, die Mauer reichte bis weit in die Wüste, hatte eine Länge von etwa 10’000 Kilometern und war ein wichtiger Schutz für die Seidenstrasse. Eine Renaissance erlebte sie dann in der Ming-Dynastie ab. Diese verlegte die Hauptstadt 1368 in das grenznahe Beijing, weshalb der Grenzschutz stark ausgebaut werden musste und sogar eine innere und eine äussere Mauer entstanden.
Die Mandschu (Qing-Dynastie), die schliesslich die kurz vorher gestürzte Ming-Dynastie ablösten, sollen 1644 durch ein geöffnetes Tor ins Landesinnere gelangt sein. Ein General, der gegen den Sturz der Ming war und die Mandschu als das kleinere Übel auf dem Kaiserthron ansah, hatte den entsprechenden Befehl gegeben. Unter den Mandschu dehnte sich das Reich weiter nach Norden aus, die Mongolei wurde einverleibt. Die Mauer stand jetzt nicht mehr an der Grenze und verlor damit ihre Daseinsberechtigung als Schutzwall.
Man spricht von der Mauer auch als grosses Grab. Hunderttausende zur Zwangsarbeit Verpflichtete starben bei der Errichtung der Mauer in den verschiedenen Epochen. Von den – je nach Zählung – zwischen 9000 und 20000 Kilometern Mauer ist ein Grossteil in einem schlechten Zustand oder sogar abgetragen, bis jetzt konnten erst touristisch interessante Teile restauriert werden.
Vgl. UNESCO (wobei die Unesco unbegreiflicherweise schreibt, man könne die Mauer auch vom Mond sehen, was sicher nicht stimmt), China Radio International und Kristian Büsch.