Primarschule in Gwangju, Südkorea

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Gestern ist ein grosser Teil der Lehrerschaft der „Attached Elementary School of Gwangju National University of Education“ zu meinem Vortrag gekommen. Heute holen mich der Vice-Principal und eine junge Englischlehrerin ab, um mir Schule und Unterricht zu zeigen.

Die Schule ist eine von nur 17 nationalen Primarschulen, d.h. in jeder Provinz bzw. grossen Stadt gibt es nur eine solche Schule. Und sie sei, wie mir alle überzeugt erklären, natürlich die beste „National School“
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Science-Day mit Eltern und Behörden, Schulklasse, Wahlen ins Schulparlament (Bilder: Schule)
Auf alle Fälle ist die Schule äusserst begehrt. In der Provinz hat es 150 andere Primarschulen und drei Privatschulen. An die Attached School können alle Eltern aus Gwangju ihre Kinder anmelden und dann muss das Los bestimmen, wer aufgenommen werden kann. Das Verhältnis von Aufgenommenen zu Abgewiesenen beträgt 1:12.

Die Schulleiterin, die ich gestern auch schon kennengelernt habe, stellt mir bei einem grünen Tee ihre Schule vor. Als „attached school“ habe sie eine grosse Verpflichtung gegenüber den zukünftigen Lehrpersonen, die hier ihr Praktikum machen. Entsprechend publiziert der Lehrkörper auch rege. Der Bestseller ist das Buch „Flow of Learning – learning how to learn“, das die Lehrerinnen und Lehrer nun schon in vierter Auflage herausgegeben haben. Es ist ein Praxisbuch mit vielen Beispielen, wie die Schülerinnen und Schüler das Lernen lernen können, Lektionsplänen, theoretischen Hintergründen.
Aber auch das Curriculum und Lektionspläne werden publiziert. In Südkorea werden etwa 70% der Unterrichtszeit für die Ziele des nationalen Curriculums gebraucht, 30% können die Schulen und/oder Provinzen und die Lehrpersonen selbst Ziele setzen und Inhalte festlegen.
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Bestseller, vom Schulteam geschrieben

Die Schule hat 528 Schülerinnen und Schüler der Klassen 1 – 6. Die Klassengrösse beträgt meist unter 24, national liegt der Durchschnitt momentan noch bei 27, mit sinkender Tendenz.

Der Lehrkörper ist – anders als an den anderen Schulen – überwiegend männlich. Das habe damit zu tun, dass sich viel mehr Männer bewerben würden, erklärt mir die Englischlehrerin. Für Frauen sei es dann halt doch etwas viel, manchmal mehrmals in der Woche bis Mitternacht in der Schule bleiben zu müssen.
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Lehrkörper (Bild: Schule)
Die Lehrpersonen begleiten im ersten und zweiten Schuljahr ihre Klasse in allen Fächern, nachher unterrichten sie meist zwei Fächer, was überhaupt kein Problem sei. Allerdings gibt es hier keine Teilzeitlehrpersonen, die Stundenplanorganisation ist also einiges einfacher und die Lehrpersonen sind alle von etwa halb acht morgens bis am Abend in der Schule. Zwei Mal in der Woche findet nach dem Unterricht eine dreistündige Sitzung statt, in der man sich über Schülerinnen und Schüler, Curriculum, Schulanlässe und vor allem auch didaktische Themen austauscht. Von all diesen Sitzungen existieren Protokolle seit 1937, sie sind im schuleigenen Museum ausgestellt.
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Kommunikationsübung im Englisch

Die Klassenzimmer haben alle Schiebewände gegen den Korridor hin, diese stehen an zwei Seiten ständig offen, niemand kümmert sich gross darum, wenn Besuch kommt, die Schülerinnen und Schüler und die Lehrpersonen arbeiten konzentriert weiter.
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Die Lektionen sind methodisch auf hohem Niveau, ein Mix von verschiedenen Sozialformen, die Schülerinnen und Schüler unterstützen sich gegenseitig, die Lehrperson erklärt hie und da etwas. Im Englisch sehe ich ein Teamteaching mit einem koreanischen Lehrer und Ian, einem native speaker aus den USA, der jetzt schon das zweite Jahr hier unterrichtet und dem es sichtlich Spass macht.

Die Lehrpersonen zeigen mir auch stolz ihre Mitschau-Anlage, ein Klassenzimmer mit Einwegspiegel. Es werde zwei Mal pro Woche benutzt, entweder um Studierenden der Universität etwas zu zeigen oder auch, wenn das Team sich eine Lektion einer Kollegin oder eines Kollegen anschaut und sie nachher bespricht. Details können mit Kameras herangezoomt werden. Ich erzähle, dass wir auch mal so eine Einrichtung gehabt hätten – sie sei aber von den Lehrpersonen nicht sehr geschätzt und selten genutzt worden. Ganz verstehen das meine Gesprächspartner nicht.
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Mitschauanlage
Pünktlich um viertel vor zwölf beginnt die Mittagspause. Die Schülerinnen und Schüler und die Lehrpersonen bleiben im Zimmer. Man kann jetzt Hausaufgaben machen, wenn nötig die Lehrerin etwas fragen und wer ein „Ämtli“ hat, erledigt dieses. Die Ämtli gehen weit, das Putzen des Klassenzimmers und der Korridore gehört dazu. Die Lehrpersonen helfen den Schülerinnen dabei.
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Putzen
Danach gehen die Klassen mit ihrer Lehrperson gestaffelt in die Mensa zum Mittagessen. Freiwillige Mütter haben bei der Zubereitung eines ausgewogenen Mittagessens geholfen und schöpfen es jetzt. Die Lehrerin oder der Lehrer stellt sich nach dem Eingang zur Mensa auf und die Schülerinnen und Schüler kommen in Zweierkolonne in den Raum, verbeugen sich vor der Lehrperson, diese verbeugt sich zurück und dann holt man sich das Essen und sitzt mit der Lehrperson zusammen an den Tisch. Alles ist geht sehr ruhig und höflich zu und her, niemand ist laut oder rennt, aber es wird gelacht, gescherzt und diskutiert.
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Mittagessen
Nach dem Essen spülen alle ihre Teller ab (d.h. die Tablette mit verschiedenen Einbuchtungen für die verschiedenen Gemüse, Reis, Fleisch, Suppe). Im zweiten Teil der Mittagspause werden dann verschiedene Freizeitangebote gemacht: Spiele, Sport. Die Angebote werden auch von den Lehrpersonen geleitet.

Englisch ist der Schule wichtig, weshalb sie ihre Schulzeitung ab und zu auch in Englisch herausgeben. Das ermöglicht einen guten Einblick in das doch etwas andere (veröffentlichte) Denken der Schülerinnen und Schüler.
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Zwei Berichte von Schülerinnen

Auch bei diesem Besuch habe ich den Eindruck, es sei wesentlich auch die (ich würde sagen konfuzianisch geprägte) Kultur, die das Lernen beeinflusse. Es ist weniger das Lernangebot, das anders ist, als die Art wie es genutzt wird – an dieser Schule äusserst konzentriert. Namgi, mit dem ich mich anschliessend darüber austausche, geht noch etwas weiter. Er meint, es könnten halt doch „Meme“ am Werk sein (eine Art kulturelle Programme im Gehirn, die durch Nachahmung weiter gegeben werden) Ich habe mich bisher mit der umstrittenen, von Richard Dawkins geprägten Memetik (Viruses of the mind, 1976) nicht auseinandergesetzt und würde mich eher an Kognitionswissenschaften, Kulturgeschichte und Schulklima anlehnen.

Was zum Thema Schulklima sehr interessant ist: Jede Lehrperson darf maximal vier Jahre an einem Stück an der gleichen Schule tätig sein. Dann muss sie wechseln. Sie kann sich für eine andere Schule in der gleichen Provinz bewerben. Etwa 90% werden dann auch an die Stelle versetzt, für die sie sich beworben haben, 10% an eine andere Stelle. Nach einem Jahr kann man wieder wechseln, nach spätestens vier Jahren muss man wieder wechseln. Das gilt auch für Master-Teacher, die auch an der neuen Stelle ihr besonderes Pflichtenheft behalten. Schulleiter können maximal zwei Amtsdauern bleiben, weil die meisten erst nach 50 Schulleiterin oder Schulleiter werden, erfolgt anschliessend häufig die Pensionierung.
Namgi ist überzeugt, das Rotationsprinzip sei eine der wichtigsten Stärken des koreanischen Schulsystems. So könnten keine guten und schlechten Schulen entstehen. Alle müssten sich auch einmal in schwierigeren Gebieten die Zähne ausbeissen und täten das auch gerne. Niemand könne lange einfach an einer „bequemen“ Schule bleiben. Ausserdem erhalte man immer wieder die Chance und die Pflicht, einen Neuanfang zu machen, das wirke sehr belebend auf die Schulen und die Lehrpersonen.
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Bericht einer Lehrperson in der Schulzeitung

Gwangju National University of Education

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Bild GNUE
Am Morgen führt mich ein Assistent von Namgi in Krawatte und Anzug durch die Gwangju National University of Education. Er verbeugt sich dabei recht oft, auch vor meines Erachtens Gleichaltrigen und Gleichgestellten. Er müsse sich vor allen, die über ihm studiert hätten, verbeugen, das sei eine kulturelle Selbstverständlichkeit und auch Vorschrift, ob es das bei uns gar nicht gäbe, meint er. Ja stimmt, wir schüttelten uns halt die Hand. Das wissen viele hier und recht unvermittelt wurde mir z.B. beim Verlassen eines Restaurants oder nach einem kurzen Gespräch in der Metro schon die Hand geschüttelt.
Die Uni hat etwa gleich viele Studierende wie die PH Zürich, ist aber flächen- und raummässig einiges grösser, einerseits haben die meisten Dozierenden ein grosses Einzelbüro, andererseits lebt etwa ein Drittel der Studierenden in Dormitories auf dem Campus. Auch die in der Stadt lebenden Studierenden haben ihren Lebensmittelpunkt auf dem Campus, Gemeinschaftsräume und Bibliothek sind 24 Stunden geöffnet und werden auch entsprechend genutzt.
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Reservation der Kojen in der Bibliothek
Viel mehr Wert wird auch auf Repräsentationsräume gelegt. Der Präsident empfängt mich, er hat, wie schon gestern der KFTA-Präsident ein riesiges Büro mit beeindruckenden Polstersesseln. Er macht mir einen sehr guten Eindruck, er forscht zu Klassenklima und empfindet die Präsidentenzeit als Chance, auch politisch Einfluss zu nehmen. Ich merke aber auch ihm an, dass das Wahlprozedere sehr herausfordernd ist: alle Interessengruppen, vom Stadtpräsidenten über das Ministerium bis zu den Studierenden können hier mitreden. Gleich muss er nach Seoul, wo er häufig zwei Mal pro Woche Sitzungen im Ministerium hat. Er hat für solche Zwecke einen Fahrer, dann kann er während der Fahrt im Auto arbeiten.

Selektion
Schon die Aufnahmeprüfung ist vielstufig und sehr selektiv, nur die 5% Besten aus den High Schools können sich überhaupt bewerben. Danach finden am Ende jedes Semesters Prüfungen statt und schliesslich nach 4 Jahren das Bachelor- (durch die Universität) und Lehrdiplom- (durch den Staat) -Examen und die Bewerbung um eine Stelle in einer Provinz oder Stadt, ebenfalls nochmals ein selektives Verfahren.

Curriculum
Das Undergraduate-Curriculum lässt viele Wahlmöglichkeiten. Jeweils nur einige Kurse für Basiswissen und -können müssen von allen besucht werden, dann stehen im allgemeinen und im spezialisierten Teil viele Wahlmöglichkeiten („Electives“) offen.

Berufspraktische Ausbildung haben die Studierenden insgesamt 10 Wochen: „Practicum is conducted for 10 weeks in total and is divided into Class Observation (1 week), Class Observation in Rural Villages, Islands and Isolated Areas (1 week), Work Practice (2 weeks), Teaching Practice (6 weeks) and Volunteer Teaching for the teacher trainees to acquire hands-on experience in a real school setting.“

Auch Primarlehrerinnen und Primarlehrer unterrichten (ausser in der ersten und zweiten Klasse) lediglich 2 – 3 Fächer, belegen also einen „Major“ und eins bis zwei „Minors“, was ein vertieftes Angebot natürlich einfacher macht.

Seit 1996 hat die Uni auch eine Graduate School, 20 verschiedene attraktive Master-Programme können gewählt werden, das reicht von Invention and Robotics Education über Early Childhood Education bis zu Elementary Ethics Education.

In Namgis Seminar zum „Classroom Management“ sind die zwanzig Studierenden sehr interessiert bei der Sache und erleichtert, dass auch die Schülerinnen und Schüler in der Schweiz manchmal Flausen im Kopf haben. Allzu weit kann ich aber nicht ausholen, Namgi muss heute in der letzten Doppelstunde des Semesters seinen Stoff noch fertig durchbringen und meint, ich würde sämtliche Fragen, die sie noch hätten, gerne per e-Mail beantworten.
Das Verhältnis Dozierende – Studierende ist gut, eine Mischung aus Kollegialität und grossem Respekt den Dozierenden gegenüber. Ein Respekt, der dann auch nach der Diplomierung anhält. Gestern waren sehr viele Alumni an meinem Vortrag, sie hatten ein sichtbar herzliches Verhältnis zu ihrem ehemaligen Hochschullehrer, behandelten ihn aber auch sehr respektvoll. Die Form der Lehrveranstaltung unterscheidet sich kaum von einem Seminar bei uns.

Museum of Education
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Klassenzimmer bis anfangs 20. Jh.
Die Universität verfügt auch über ein Museum of Education, Schulzimmer aus verschiedenen Epochen werden gezeigt, der Wandel der Schuluniformen durch die Zeit und auch die Schule während der japanischen Kolonialzeit, als die koreanische Sprache nicht gelehrt werden durfte.
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Die Unabhängigkeitsbewegung von Studierenden gegen die japanische Besetzung nahm ihren Anfang 1929 in Kämpfen zwischen japanischen und koreanischen Studenten in einem Zug in der Nähe von Gwangju
Eine Zeitlinie zeigt auch die verschiedenen Präsidenten (eine Präsidentin gab es noch keine), bis anhin durften alle nur für eine Amtszeit von vier Jahren wirken, damit sie nachher wieder problemlos als Professor weiterarbeiten konnten. Der entsprechende Paragraph wurde unterdessen geändert, der Wahlkampf sei aber so anstrengend, dass es vermutlich bei den vierjährigen Amtszeiten bleiben werde.

Kulturzentrum
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Bild GNUE
Der grosse Stolz der Uni ist das neue Cultural Center. Ein Bau mit 900-plätzigem Auditorium und permanenten Lernangeboten zu den Dokdo-Inseln und zur multikulturellen Erziehung.
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Dokdo (vgl. BBC), das auch von Japan beansprucht wird, die „Trostfrauen“ und die Besuche von Premierminister und Regierungsmitgliedern im Yasukuni-Schrein trüben das Verhältnis der beiden Staaten, die auch viele kulturelle Gemeinsamkeiten haben, wesentlich. Auf die japanische Besetzung und Unterdrückung bis ab Beginn des 20. Jahrhunderts bis 1945 wird man überall hingewiesen.
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Besuch von Schulklassen: 1. Film über die Dokdo-Inseln und warum sie zu Korea gehören, 2. Stafettenwettkampf, 3. Die siegreiche Gruppe darf an die Kletterwand mit dem Bild der Dokdo-Inseln
Auch auf dem Campus der Uni (die unter japansicher Besetzung 1923 als Lehrerseminar gegründet wurde) finden sich Denkmäler für Studierende und Dozierende, die sich gegen Japan aufgelehnt haben, im Kulturzentrum ist die Kletterwand dem Relief der Dokdo-Inseln versehen.

Das sehr gut und aufwändig gemachte Zentrum für multikulturelle Erziehung gibt den besuchenden Schulklassen einen Einblick in Lebensweise auf allen Erdteilen, das reicht von Speisen bis zu WC-Gewohnheiten.
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Besuche von Schulen in Zentren und Museen werden in der Regel von Freiwilligen, Studierenden oder Mitarbeitenden der Museen betreut. Sie sind auf die Gruppenarbeiten, Präsentationen, Wettkämpfe usw. vorbereitet. Die Lehrpersonen sind also hier entlastet und können entsprechend mehr Energie in die Vor- und Nachbereitung der Besuche investieren.

Machtkämpfe, Lehrergewerkschaften, Master-Teacher

Am Morgen fahre ich zum Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer KFTA.

Ein sehr mächtiger Verband, das sieht man schon dem Gebäude und der Empfangshalle an.
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Mein Kollege Park, Namgi, ehemaliger Präsident der Gwangju University of Teacher Education, den ich aus Hongkong und Nara kenne, ist Chair des von der KFTA geführten KIEP (Korean Institute for Education Policy). Er hat mir deshalb ein paar Termine beim Dachverband organisiert.

Jung, Un-Soo von der Korean Education Weekly, die einmal wöchentlich mit einer Auflage von über 200’000 erscheint und Kim, Jae-Cheol, der Director External Relations machen ein Interview mit mir. Die Sache ist recht heikel, weil ich natürlich auch nach meiner Meinung zum Fährenunglück und zu Safety Education gefragt werde. Das Thema wird hier noch so lange omnipräsent bleiben, bis die sterblichen Überreste der 16 Schülerinnen und Schüler, die noch irgendwo in der gesunkenen Fähre vermutet werden, geborgen sind. Bereits zwei Taucher sind bei der Suche nach den Körpern ums Leben gekommen.
Der stellvertretende Schulleiter, der die Exkursion organisiert hat, hat sich das Leben genommen.
Der neben der KFTA zweite grosse Player, der die Lehrpersonen vertritt, die Gewerkschaft KTU (Korean Teachers Union), hat Präsidentin Park wegen der Katastrophe frontal angegriffen: „“President Park Geun-hye must confess to neglecting her duties and take responsibility“ und sich bei den getöteten Schülerinnen und Schüler für die falsche Erziehung entschuldigt: „We are sorry that we did not teach you to question and disobey suspicious orders,” (…) “We are sorry for forcing you to just memorize answers. We feel guilty that we did not teach [the students] to be active in a dangerous situation“ (Korea Joongang Daily).
Tatsächlich haben ja viele Schülerinnen und Schüler die Fähre nicht verlassen, weil sie auf eine entsprechende Anweisung von Erwachsenen, was jetzt zu tun sei, gewartet haben. Das ist für die ganze Nation begreiflicherweise schwierig zu verarbeiten.

Andere Themen im Interview sind der mangelnde Respekt den Lehrpersonen gegenüber und die Examen. Disziplinprobleme und Prüfungsdruck sind grosse Probleme auch für die KFTA, wie ein Blick in eine ihrer Broschüren zeigt (alle Bilder KFTA)
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Auch mit „Happy Education“ soll Abhilfe geschaffen werden, man möchte eine „ganzheitlichere“ Erziehung erreichen, alle Sinne ansprechen, auch fröhlich sein miteinander.
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Wenn man Bilder von 1973 und heute vergleicht, hat sich in den letzten 40 Jahren schon sehr viel verändert.
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Eine grosse Ehre ist, dass ich danach auch vom Generalsekretär Baek, Bok-Sun, der uns auch zum Mittagessen einlädt und vom Präsidenten Ahn, Yang-Ok empfangen werde. Der Präsident wird von den etwa 180’000 Mitgliedern direkt gewählt, das Amt ist politisch sehr begehrt und die Wahlkämpfe sind jeweils heftig.

Die Stimmung ist aber gedämpft. Die Lokalwahlen haben der militanteren KTU grosse Erfolge gebracht. (Die Zentralregierung will die KTU sogar verbieten, weil sie sich weigert, Lehrpersonen, die wegen Missachtung der Trennung von Politik und Schule (man spricht hier vom „Neutralitätsgebot“) entlassen wurden, auszuschliessen. Ein Gericht hat das aber vorerst unterbunden).
13 von 17 Superintendents gehören jetzt der national in Opposition stehenden Partei NPAD (New Politics Alliance for Democracy) an oder stehen ihr nahe. Und, für die KFTA besonders schmerzhaft: 8 der neu gewählten Superintendents waren einmal Mitglied der KTU. Man sieht den Einfluss der KFTA schwinden und hat die Befürchtung, es entstehe jetzt ein für die Bildung verheerendes Seilziehen zwischen der Zentralregierung mit der konservativen Partei Saenuri um Präsidentin Park und den liberalen (d.h. hier: linken) School-Superintendents in den Provinzen und Städten. School-Lunches, Privatschulen (d.h. wie weit werden vollständig privat finanzierte Eliteschulen, die direkte Zubringer zu den besten Unis sind noch zugelassen) und der Grad der Innovationen sind die Hauptstreitpunkte.
Namgi Park hat einen Artikel geschrieben, der am Wochenende publiziert wurde und in dem er die beiden Seiten zur Zusammenarbeit zu Gunsten von Schülerinnen und Schüler aufruft.

Nach dem ausgezeichneten koreanischen Mittagessen (man isst hier viel Gemüse und Fisch) fahre ich mit Namgi mit dem Bus knapp 4 Stunden nach Gwangju an seine Universität, wo ich meine Vorlesung halten soll. Er erwähnt ein paar Mal, es sei halt keine gute Zeit für eine solche Veranstaltung, Prüfungen und so… Kommt mir bekannt vor. Der Saal ist dann aber sehr gut gefüllt und die Zuhörerinnen und Zuhörer sind an meinen Ausführungen zum schweizerischen Schulsystem und zur Lehrpersonenbildung interessiert, hören aufmerksam zu und stellen die richtigen Fragen. (Was denn der Vorteil der Migration für die Schweiz sei, es könne doch nicht nur eine Herausforderung sein…)
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Anschliessend gehen wir noch mit einigen Mitgliedern der Uni und einigen „Master-Lehrerinnen“ kalte Nudeln essen. Das System „Master-Teacher“ wurde hier 2008 eingeführt, weil man Lehrpersonen, die nicht Karriere als Schulleiterin oder Schulleiter machen möchten, eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung geben wollte. Das System ist sehr kompetitiv, wie alles hier: d.h. man muss die besten Mitarbeitendenbeurteilungen haben und sich um eine Stelle als Master-Teacher bewerben. Wer aber Erfolg hat erhält ein um 40% reduziertes Pensum:

„Once selected as a master teacher, existing teaching hours will be reduced by 40% so that the remainder of the time can be utilized for participation in teacher training programs and implementation of various activities. Selected master teachers will not only conduct classes in their assigned schools but also support other teachers to improve teaching through coaching and supervision, developing teaching and learning and curriculum evaluation methods, performing the teacher ability development assessment, and offering training or mentoring programs for new teachers.“ (Education in Korea, S. 50).

Tönt gut. Und die Frauen machen mir einen sehr guten Eindruck, sie haben ein sehr hohes Commitment und sind bestens ausgebildet. Sie bringen ihre Schulen mit Sicherheit weiter.

In Korea machen die Lehrpersonen sogar etwas mehr Ferien als in Japan. Meine Sitznachbarin erzählt von einer 25-tägigen Europareise letzten Sommer. Sie hat mit ihrer Familie in Österreich ein Auto gemietet, wollte nach Mailand fahren und es war ihr nicht bewusst, dass ihr österreichisches Mietauto keine schweizerische Autobahnvignette hatte. Ihre Erinnerung an die Schweiz ist also das Aufhalten durch die Polizei, eine empfindliche Busse und der Kauf einer Vignette. Aber es sei ein schönes Land.

Von Konkurrenzorientierung zu „Individual Happiness“

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Das lange Wochenende geht dem Ende entgegen und alle müssen zurück nach Seoul. Alle KTX-Expresszüge sind ausgebucht, das habe ich schon vorgestern am Bahnhof erfahren. Platz habe ich nur noch in einem Kinowagen bekommen. Also: einsteigen, absitzen und dann werden sämtliche Fenster völlig verdunkelt, in der Mitte des Wagens wird eine Leinwand runtergelassen und der Film, dessen Länge ziemlich genau der Fahrzeit entspricht, beginnt.
Anstatt der schönen koreanischen Berglandschaft sehe ich also „The Trials of Cate McCall“.

Im Hotel in Seoul bereite ich mich auf die kommende Woche vor und vertiefe mich etwas ins koreanische Bildungssystem.
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Das Bildungsministerium legt eine informative Broschüre (ZIP) vor (Screenshots aus dieser Broschüre), in der auch die Beziehung zwischen ökonomischem Erfolg Südkoreas und Bildung dargestellt wird. Nur wegen des „Bildungsfiebers“, das es in Korea schon mehr als 700 Jahre gebe, sei es möglich gewesen, Südkorea so schnell aus den Ruinen des Koreakriegs aufzubauen.
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S. 2
Die Verschiebung vom ersten und zweiten zum dritten Sektor hat sich etwa gleich vollzogen wie in der Schweiz. Interessant, dass in Südkorea aber andere Schlüsse bezüglich Schulsystem gezogen wurden. Der Mittelschulbesuch wurde auf über 90% forciert. Der Besuch von Colleges und Universitäten lag 1980 noch bei 27.2%, 2012 bei 72%.
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S. 12
Die „Education for Creativity, High Tech and Quality“, für die wissensbasierte Gesellschaft wird also nicht mit einem dualen System angestrebt, sondern es wird zu einem sehr hohen Prozentsatz auf tertiäre Bildung in Higher Education Institutions (HEI) gesetzt. 80% dieser HEI sind privat.
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S.12
Entsprechend gross ist der Konkurrenzkampf, um an eine möglichst gute Universität, wenn möglich eine National University aufgenommen zu werden. Das Nadelöhr dabei ist der CSAT (College Scholastic Abilities Test), den praktisch alle Schülerinnen und Schüler der High Schools am Ende ihrer Schulzeit absolvieren. Ein Test, der das weitere Leben bestimmt (vgl. South China Morning Post). Er wird zentral durch das Korea Institute of Curriculum and Evaluation, KICE bereitgestellt.
Ein solcher Prüfungstag sieht dann folgendermassen aus:
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Aus der Broschüre „Education in Korea“ des KICE (PDF), S. 96
Das ganze Bildungssystem war bis jetzt wesentlich auf diesen Test ausgerichtet, der private Nachhilfesektor boomte, Schülerinnen und Schüler in der High School hatten praktisch keine Freizeit mehr.
Trotz der guten Resultate in internationalen Vergleichstests wie PISA und TIMSS, ist man auch in Korea der Auffassung, die unerwünschten Nebeneffekte des Tests wie Abwertung des „normalen“ Unterrichts zugunsten der Testvorbereitungen in der privaten Nachhilfe, Depressionen und Suizide, hohe Verschuldung der Eltern für Nachhilfe usw. seien zu gross. Ab diesem Jahr soll ein neuer CSAT eingeführt werden, der sich am neuen Curriculum orientiert und auf den man sich während der Schulzeit und mit Selbststudium mit Hilfe von z.B. Schulfernsehen vorbereiten können soll.
So hofft man, die Ziele des neuen Curriculums besser erreichen zu können. Ein wichtiges ist „individual happiness“.

Die Selbstkritik in einer Broschüre eines Ministeriums finde ich nicht selbstverständlich:
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S. 20f.

Eine Erbschaft für Bildung und Erziehung

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Ich miete ein Velo und fahre zuerst zu den Behausungen des „Gyeongju Choe Family Clan“. Ich verstehe nicht alles und reime mir folgendes zusammen: Der Familienname „Choe“ wurde als Ehrentitel vergeben und geht bis auf einen der sechs Stämme zurück, die dann das Königreich Sillah bildeten. Aus dem Gyeongju-Zweig dieser Familie bildeten sich insgesamt 27 Clans, viele ihrer Mitglieder trugen zum Gedeihen der Gesellschaft bei: der „Vater der koreanischen Literatur“, Generale, Erneuerer der Landwirtschaft, viele konfuzianische Gelehrte und in der 12. Generation Choe Jon, eine wichtige Figur im Widerstand gegen die Japaner. Er starb 1970 und vermachte sein Vermögen der Erziehung: He „had a forward-looking vision of modernizing Korea. He realized the importance of education and insisted on educating young students to be good leaders of modernizing Korea.“ Zwei Colleges, die heute die Yeongnam University hier in Gyeongsan bilden, wurden mit dem Vermögen Choe Jons finanziert. „Gyeongju Choe familiy has shown a good example of truly-rich men of Korea by contributing all of their wealth, that was inherited from their ancestors for the purpose of educating young students to help Korea fulfill the vision of modernization“. Das steht in der Broschüre, die mir ein Mitarbeiter der Yeongnam University auftreibt. Er ist sichtbar stolz auf die Choe-Familie. Ja, dieses Dorf gehöre – entsprechend dem Vermächtnis von Choe Jon – auch der Universität. Diejenigen, die nichts geerbt hätten „not a penny“, seien schon sehr enttäuscht gewesen, aber es sei doch ein enorm gutes Beispiel, der Gesellschaft den Reichtum zurückzugeben.
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Die alten Häuser stehen genau am richtigen Ort. Fluss vor sich, Berg im Rücken. Die auf konfuzianische Prinzipien zurückgehenden Leitsätze der Familie sind überall angeschlagen.
„Obsessed with Education“ stand gestern in der Korea Times. Ich erinnere mich daran, als ich mir dieses Dorf ansehe und ich denke es wieder, als ich am beginnenden Verkehrskollaps rund um das National Museum vorbeiradle. Auto an Auto wartet hier vor dem schon vollen Parkplatz, in jedem Eltern mit ihren Kindern, die sich dieses Museum und die Königsgräber ansehen wollen. Es ist kein Verkehrshaus wohlverstanden und keine Vergnügungspark, sondern einfach ein gut gemachtes Museum über die Geschichte und die Kultur Koreas.
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Aber Leute hat es jetzt definitiv zu viel, die Stadt ist völlig verstopft. Ich fahre Richtung Namsan-Berg, dort ist es schön ruhig.
Vor einem Königsgrab weit in den Hügeln sitzt ein anderer Mountainbiker und studiert aufmerksam eine Broschüre. Er komme von hier „and I am learning about our culture“ meint er. Das Wort „lernen“ wird hier – mindestens in der englischen Übersetzung – häufiger gebraucht als wir es brauchen. Auch „lehren“. Gestern meinte der Motelbesitzer: I will teach you about our motel and our town und zeigte mir dann, wie Licht, Airconditioning und Fernseher funktionieren und welche Sehenswürdigkeiten ich mir unbedingt ansehen müsse.
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Gegen Abend arbeite ich noch an meinem Paper für Gwangju und lasse danach in einem koreanischen Restaurant das Reis anbrennen, weil ich es zu früh in die auf dem Tisch mit einem Gasbrenner beheizte Pfanne mit den Hühnerinnereien gebe. Die Angestellten holen aber sofort ein neues Set und zeigen mir, wie das Ganze angerichtet werden muss.
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Politik und Grabhügel

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Mit einem Korail-Hochgeschwindigkeitszug und einer Lokalbahn fahre ich am Morgen von Seoul nach Gyeongju im Südosten der Halbinsel. Eine schöne, regenverhangene, bewaldete Hügellandschaft zieht vorbei. Dazwischen Städte und Reisfelder. Die 50 Millionen Einwohner Südkoreas leben zu über 80% in städtischen Gebieten, die meisten davon um Seoul. Die Bevölkerungsdichte ist dort eine der höchsten der Welt. Die Hügel und Wälder, durch die ich jetzt fahre (Südkorea ist zu zwei Drittel seiner Fläche bewaldet) wirken dagegen wohltuend ruhig.

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(Korea Times)
Die Bahnfahrt bringt etwas Zeit, um mich mit den gestrigen Lokalwahlen zu befassen. Während die Gouverneurswahlen keine grossen parteipolitischen Verschiebungen gebracht haben, hat sich bei den Erziehungschefs eine deutliche Verschiebung nach links ergeben. 13 der 17 Erziehungschefs der Provinzen und grossen Städte gehören jetzt eher linksgerichteten Parteien an, die national in der Opposition sind, im Vergleich zu lediglich sechs linken Erziehungschefs vor vier Jahren. Die Kommentatoren gehen davon aus, dass hier einerseits die Sewol-Katastrophe und die zögerliche Reaktion darauf durch die Regierungsparteien, aber auch eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem Schulsystem mitgespielt haben. Die Haltung des in Seoul gewählten linken Kandidaten beschreibt die Korea Times folgendermassen:
„During the lead-up to the election, Cho gave three core campaign pledges ― relieving the pain of students preparing for college entrance exams, guaranteeing their safety and health, and eradicating irrationality in education.
‚I will also strengthen education welfare and expand innovative schools,‘ he said.“

Interessant ist, dass in Korea, dass „obsessed with education“ sei, wie die Korea Times meint, Schulthemen auch z.B. bei Wahlen der Stadtpräsidenten eine wesentliche Rolle spielen. Der jetzt wiedergewählte liberale (d.h. eher linke) Stadtpräsident Park (so heissen allerdings sehr viele in Korea) war vor knapp zwei Jahren gewählt worden, nachdem sein konservativer Vorgänger zurückgetreten war, weil er sich gegen kostenlose Schulmittagessen wehrte, aber eine entsprechende Abstimmung verlor. Die Schul-Lunchs waren jetzt wieder Thema im Wahlkampf um das Stadtpräsidium. Die Berichterstattung zeigt einige Probleme der südkoreanischen Politik:
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(Korea Times)

  • Der konservative Herausforderer Chung schleudert mit Dreck (das tun die meisten), d.h. er meint, die Schul-Lunchs seien ohnehin giftig
  • Er ist steinreich, ihm gehört de facto Hyundai Heavy Industries: Die Verflechtungen bis Verfilzungen zwischen Politik und Wirtschaft sind sehr gross, wer Einfluss hat, hat es häufig in Wirtschaft und Politik
  • Gewählt wird nur, wer ein intaktes Familienleben hat. Die Frau hat also den Mann zu unterstützen und nicht im Ausland zu sein. Hier hat das Argument nicht verfangen. In einem anderen Fall (Schulsuperintendent) sackte der Spitzenkandidat aber auf den letzten Platz ab, nachdem seine nach der Scheidung mit der Mutter in den USA lebende Tochter auf Facebook gepostet hatte, er sei kein guter Vater gewesen und könne also auch kein guter Schulsuperintendent sein. (vgl. Korea Times)

Spannend. Ich werde den Präsidenten der mächtigen und jetzt nochmals gestärkten Lehrpersonengewerkschaft ja nächstens treffen.

In Gyeongju suche ich dann in strömendem Regen mein Hotel, weil es dem Taxifahrer nicht weit genug vom Bahnhof entfernt ist und er mich nicht mitnimmt. Die zweitklassigen (aber immer noch genug teuren) Hotels haben leider einen extremen Putzfimmel. Sie gehen mit so starken Putzchemikalien und Sprays hinter die Zimmer, dass ich immer gereizte Augen bekomme. Aber sonst ist es ok. Gyenongju, die alte Hauptstadt war an diesem verlängerten Wochenende praktisch ausgebucht und ich bin zufrieden, dass ich überhaupt etwas gefunden habe.

Gyeongju war fast 1000 Jahre lang die Hauptstadt der Silla-Dynastie und wurde nach dem Untergang der Dynastie dann im 14. Jahrhundert durch Seoul abgelöst. Die Stadt hat also Gräber, Paläste, Tempel aus einer 1000-jährigen Geschichte und ist UNESCO-Weltkulturerbe.
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Im National Museum versuche ich mir einen Überblick zu verschaffen, das tun ein paar hundert andere allerding gleichzeitig auch, so dass es etwas hektisch wird.

Ab 57 v. Chr. begann auf der koreani­schen Halbinsel die Periode der „Drei Königreiche“ Go­guryeo, Baekje und Silla. Während dieser Zeit wurde auch der Buddhismus in Korea eingeführt. China wurde einerseits bekämpft – der Einflussbereich der Drei Königreiche reichte bis weit in die Mandschurei – hatte andererseits aber immer auch einen grossen Einfluss auf Korea. Mit Hilfe der Tang-Dynastie gelang es Silla dann um 660 auch, ganz Korea unter seiner Herrschaft zu vereinigen.
China akzeptierte 735 die Unabhängigkeit Koreas, es begann eine Blütezeit mit regem kulturellem Austausch zwischen China und Korea, Herrschaftssystem und Verwaltung Koreas orientierten sich am absoluten Herrschaftssystem Chinas. Gyeongju war zu dieser Zeit eine der grössten Metropolen Asiens (vgl. Joachim Rau: Reisehandbuch Südkorea, Ostfildern: Dumont 2013, 30ff). Entsprechend majestätisch sind auch die ausgestellten Artefakte, Goldkronen aus den Gräbern, Goldschmuck, sehr kunstvolle Töpfereien, Buddhastatuen.
Aber halt etwas viel Leute.
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Bei den „Tumuli“, den Grabhügeln für die Herrscher aus der Zeit der Drei Königreiche herrscht dann tatsächlich eine fast majestätische Stimmung. Die Tumuli verbinden sich sehr schön mit der Hügellandschaft um sie herum und auch das Regenwetter passt gut.
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Eine Reformschule

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Nae hat jeweils meinen Blog per Google auf Englisch übersetzt und gelesen und möchte meine Eindrücke vom japanischen Bildungssystem etwas erweitern. Sie meint, dass ich in Nara und Fukushima sehr gute öffentliche Schulen gesehen habe – Schulen allerdings, die ihre Schülerinnen und Schüler auslesen konnten, weil die „affiliated schools“ der Universitäten begehrt seien. Die Gemeindeschulen, die nicht auslesen können, hätten mit wesentlich grösseren Problemen zu kämpfen. Auch sie nennt die Probleme des Absentismus, des Mobbings, das sehr verbreitet sei und des sozialen Rückzugs, weil die Kinder und Jugendlichen Mobbing und/oder ständigen Wettbewerb und Druck nicht mehr aushielten. Die „affiliated schools“ der Universitäten hätten gute Lehrpersonen und könnten solchen Problemen begegnen, an verschiedenen öffentlichen Schulen sei das aber wenig der Fall. Sie ist nicht so sicher, ob die Präfekturen bei ihren Selektionsverfahren zur Anstellung der Lehrpersonen immer die richtigen einstellen. Häufig würden wohl Empfehlungen sehr stark gewichtet und Söhne oder Töchter von einflussreichen Eltern erhielten dann eine Stelle, auch wenn sie bei den verschiedenen Assessments nicht so gut abgeschnitten hätten.
Die Versetzungen von Schulleitenden und Lehrpersonen, die die Präfekturen anordnen können und auch häufig anordnen bewirkten oft Motivationsknicke sowohl bei Lehrpersonen wie bei Schülerinnen und Schülern. So könne es dann z.B. vorkommen, dass eine Musiklehrperson, die die Freude an der Musik gefördert und eine entsprechende Schulhauskultur aufgebaut habe, plötzlich durch jemanden ersetzt würde, der einfach verlangte, dass man die Lebensdaten von Beethoven und anderen Komponisten auswendig lerne.

Nae möchte mir eine Schule zeigen, die versucht, das Übel an der Wurzel zu packen, mit einem Schulprogramm, dass sich gegen Wettbewerbsdenken wendet, dafür Kreativität, Kooperation und Eigenverantwortung fördert. Die private Jiyonomori-Schule, die heute einen Tag der offenen Türe hat, liegt etwa eineinhalb Stunden von ihrem Wohnort entfernt. Hier hat ihr Sohn die High School besucht. Sie wollte ihm nach neun Jahren Public School einen freiheitlichen Mittelschulbesuch ermöglichen, der Kreativität und eigenständiges Denken fördert und nicht ständig diszipliniert. Ich habe den 25-jährigen fröhlichen jungen Mann, der in der Modebranche arbeitet kurz gesehen und denke, dass sie richtig entschieden hat.

So fahren wir am frühen Samstagmorgen durch Vororte und Wälder, an Sushi-Restaurants, Caterpillar-Vermietungen, Shinto-Schreinen, Bowling-Bahnen, Wasserreservoirs und Love-Hotels vorbei in die nächste Präfektur.

Direktor und Vizedirektor begrüssen die Angereisten in ihrer am Waldrand sehr schön gelegenen Schule. Die Besucherinnen und Besucher sind meist Eltern mit ihren Sechstklässlerinnen und Sechstklässern, die eine Schule für ihr Kind suchen. Einerseits wie mir scheint kreative und unkonventionelle, häufig etwas ältere Eltern, die aus Weltanschauungsgründen eine Schule mit Selbstverwirklichungspotenzial für ihr Kind suchen, andererseits wohl auch Eltern, deren Kinder Schwierigkeiten in der öffentlichen Schule haben und die sich deshalb nach einer Alternative umschauen.

Die Jiyonomori-Schule wurde 1985 gegründet. Sie verbindet Junior High School und High School, kann also sechs Jahre besucht werden, 3 Jahre während der obligatorischen und 3 Jahre während der nachobligatorischen Schulzeit. Das Schulteam empfiehlt denn auch, nicht erst in die High School einzutreten, sondern die Schule sechs Jahre zu besuchen – ihr Konzept brauche viel Zeit, da sei es wichtig, sechs Jahre zu haben. Es gibt Dormitories für Schülerinnen und Schüler, die unter der Woche dort wohnen, die meisten pendeln aber und verbringen bis zu zwei Stunden pro Weg (d.h. vier Stunden pro Tag) in Bahn und Bus.

Der Schulleiter geht auf die Gründung durch Yutaka Endo ein, der sich an der Bildungsphilosophie des Mathematikers Toyoma Kei (die ich beide nicht kenne) orientiert habe. Die Schule möchte bewusst ein Gegengewicht zu den andern wettbewerbs- und vergleichsorientierten Schulen setzen. Schülerinnen und Schüler sollen Zeit haben, sie sollen sich an sich selbst und ihrem Potenzial und nicht an anderen messen, und sie sollen nicht ständig mit Tests, Prüfungen, Ranglisten konfrontiert sein. Ausser der Eintrittsprüfung gibt es deshalb keinerlei Prüfungen. Ausser einmal im Jahr am Sporttag wird nie eine Rangliste erstellt.
Die Schule ist überzeugt, dass sich keine Lernfreude einstellen kann, wenn man ständig für Prüfungen lernt, dass eigenständiges Denken, Kooperation, Kreativität und Gestaltungsfreude nicht entfaltet werden, wenn man ständig unter Wettbewerbsdruck steht, mit anderen verglichen wird und für Tests und Prüfungen büffeln muss.
Freiheit und Autonomie werden gross geschrieben. Schülerinnen und Schüler dürfen sich deshalb auch kleiden, wie sie wollen, es gibt keine Schuluniformen, das Färben der Haare ist erlaubt und niemand misst nach, ob der Jupe maximal eine Handbreit über dem Knie endet.
Die Schule muss sich ans nationale Curriculum halten, sonst würde sie nicht akkreditiert, sie legt das Curriculum wie mir scheint aber so grosszügig wie möglich aus.
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Philosophie (c) Jiyunomori-Schule
Die Philosophie richtet sich

  • gegen Wettbewerb, Rankings
  • gegen Lernen für Tests, Prüfungen

Um das zu erreichen, orientiert sie sich an drei Pfeilern:

  • der Unterricht verfolgt das Ziel des Verstehens, des Begreifens (nicht des Auswendiglernens). Dazu ist viel Zeit nötig
  • Diese Zeit nimmt man sich beim Herstellen von „Werkstücken„, Schülerinnen und Schüler stellen etwas her, schreiben, führen etwas auf.
  • Drittes zentrales Element sind die „Lernberichte„, die die Schülerinnen und Schüler verfassen. Sie beschreiben in diesen Berichten, die die Zeugnisse ersetzen für jedes Fach detailliert, was sie in diesem Jahr gelernt haben. Die Lehrpersonen lesen die Berichte eingehend durch und treten so mit ihren Anmerkungen und Anregungen in Dialog mit den Schülerinnen und Schülern.

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Kooperation statt Konkurrenz
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Verstehen und Begreifen
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Der Schulleiter meint, er werde auch auf dem Rundgang nichts verstecken und das tut er auch nicht. Während viele Schülerinnen und Schüler engagiert am Lernen sind, dösen andere vor sich hin oder schlafen. Ja, alles brauche seine Zeit, meint der Schulleiter, am Anfang der sechs Jahre seien sich viele diese Freiheit nicht gewohnt und nutzten sie auch aus, manchmal sei Chaos. Aber die Klassen seien sich selbst ein gutes Korrektiv und wenn man niemanden dränge, würden bald alle mitmachen. Und wenn jemand mal nicht komme, weil er noch im Fluss am Schwimmen sei, so sei das für ihn wohl wichtig.
In einigen Räumen ist auch zu sehen, dass die Schule unter Geldmangel leidet, die Infrastruktur ist nicht so gut, wie ich sie an den Universitätsschulen gesehen habe.
Ein Werkstück zu machen, heisst im zweiten Oberstufenjahr dann z.B. einen Stuhl herzustellen. Das geht vom Fällen des Baumes bis zum fertigen Stuhl.
Auch bei den Textilien wird gleich vorgegangen, Wolle gekardet, mit Rädern und Spindeln, gesponnen, gefilzt und gefärbt, bis schliesslich ein Pullover entsteht.
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Werkstück im textilen Werken. Letztes Bild (c) Jiyunomori-Schule

Das Verhältnis der Jugendlichen zu den Lehrpersonen ist gut, man arbeitet gemeinsam an Projekten, reibt sich manchmal aneinander, zieht sich auch manchmal auch auf. Der kleinere Lohn als an der öffentlichen Schule wird durch mehr Freiheiten, die die Lehrpersonen haben aufgewogen.

Beim Eintritt nach der sechsten Klasse gibt es einerseits eine konventionelle Prüfung in Japanisch und Mathematik. Wesentliche Prüfungsteile sind aber das Mitmachen in einigen Lektionen, zu denen die Schülerinnen und Schüler dann einen Bericht schreiben und mit Kolleginnen und Kollegen darüber diskutieren müssen. Eine Art Assessment-Setting. Ich bringe die Aufnahmequote nicht in Erfahrung, Nae meint aber, dass wohl ein hoher Prozentsatz aufgenommen würde.

Ein Übertritt an eine nationale Universität nach der Jionomory-Schule ist schwierig, der Schnitt von der Wettbewerbslosigkeit in die grosse Konkurrenz ist dann doch zu hart. Viele private Universitäten nehmend die Abgängerinnen und Abgänger aber gerne auf, da es sich um sehr selbständige, kreative junge Leute handelt.

Ich bin froh, dieses Gegengewicht erlebt zu haben, wieder einmal eine mit viel Idealismus geführte Reformschule gesehen zu haben.
Dann ist Zeit, selbst in eine Sushi-Restaurant zu gehen und die Fisch-Reis-Seegras-Rollen vom Förderband zu fischen – dann haben sie aber meist schon einige Runden von Tisch zu Tisch hinter sich und sind nicht mehr so frisch. Besser man bestellt sie auf einem Touchscreen. Dann kommen sie nämlich auf einem zweiten Förderband per Spielzeugferrari genau zu unserem Tisch angerast und sind frischer…

Heute ist mir das Land wieder sehr sympathisch.

Museum des Erziehungsministeriums

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Wieder in Tokio. Der netten Angestellten des mächtigen Erziehungsministeriums MEXT ist nicht ganz wohl, dass ich Schulbücher fotografiere, aber sie kann mir den Wunsch auch nicht abschlagen.
Ich bin der einzige Besucher im Museum des Erziehungsministeriums – was nicht weiter verwundert, ist doch auch kaum irgendwo publiziert, dass es dieses Museum gibt. Als das Ministerium vor ein paar Jahren neue Gebäude (hinten im Bild) bezog, hat man das alte Gebäude stehen lassen, das – seit 1933 unverändert so genutzte – Büro des Ministers zum Museum erklärt und durch ein paar Räume ergänzt, in denen die Geschichte des Schulwesens in Japan dokumentiert wird.
Lediglich die Überschriften sind auch englisch angeschrieben, so dass ich auf die Beamtin angewiesen bin, die mir das eine oder andere erklärt, aber auch nicht sehr gut Englisch spricht.

Mich würde auch der Neo-Konfuzianismus während der Shogunats-Zeit (Google-Books) interessieren, darüber ist aber kaum etwas in Erfahrung zu bringen. Beschrieben ist die Erziehung am Ende des Shogunats und während der Meiji-Restauration (vgl. MEXT), 1879 wurde das erste Erziehungsgesetz verabschiedet.
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Ich konzentriere mich auf die Illustrationen in den Schulbüchern, um die ja immer wieder heftig diskutiert wird.
Greifbar sind einige Büchlein aus den frühen 1940-er-Jahren, die für die damals besetzten Gebieten bestimmt waren und die die Rhetorik der Kriegsjahre etwas erahnen lassen:
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Es werden auch einige Bilder aus dem zweiten Weltkrieg gezeigt – eine viel bessere Quelle für diese Zeit ist das Showa-Dokumentationszentrum Showakan, das auch von vielen Schulklassen besucht wird (und dem offenbar ständig Subventionen gekürzt werden).
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Bilder MEXT und histclo.com (Evakuation von Schulkindern und Ausbildung als Flabhelferinnen)
Im MEXT-Museum dokumentiert wird dann die Neugliederung des Erziehungssystems während der amerikanischen Besatzungszeit (System 6-3-3-4 usw.). Wie stark auch darauf eingegangen wird, dass einige der amerikanischen Vorgaben nach dem Wiedererlangen der Souveränität wieder abgeschwächt wurden (Wiedereinführung von moralischer Erziehung, Stärkung von nationalem Gedankengut), kann ich nicht beurteilen.
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Hier ein paar Ausschnitte aus heutigen Büchern, in denen u.a. der Atombombenabwurf auf Hiroshima thematisiert wird. Andere Bilder aus dem zweiten Weltkrieg finde ich in diesem Lehrbuch nicht.
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Mir fällt auch wieder auf, sie anspruchsvoll es ist, drei Schriften und dann mit der ersten Fremdsprache noch eine vierte lernen zu müssen.
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„Lebenskundliches“ (Zest for Life) hat einen wichtigen Platz und wird sehr breit gefasst (Höflichkeit, Sauberkeit, wann es angemessen ist, Fernsehen zu schauen und wann nicht usw., woher die Lebensmittel kommen usw.).
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Fukushima University

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Natürlich: Die Katastrophe ist auch hier präsent. Die Uni hat ein „Fukushima Future Center for Regional Revitalization“ geschaffen, neun Projektteams arbeiten daran, die Region wieder aufzubauen. Die Angst sei aber nach wie vor präsent. Niemand wisse, ob und wann ein weiteres Erdbeben komme.
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Reiko gibt sich enorm Mühe, mir einen bestmöglichen Einblick in das Studium zur Lehrperson zu ermöglichen. So lädt sie an zwei Tagen eine Gruppe von Studierenden in ihr Büro an der Uni Fukushima ein, damit ich Fragen stellen und mir auch ein Bild aus Studierendenperspektive machen kann. Die Gespräche sind sehr interessant, auch wenn wir ab und zu an Sprachgrenzen stossen. Ich versuche, meine Notizen etwas zusammenzufassen:

Lehrerinnen- und Lehrerbildung an National Universities
Schon in Nara habe ich gehört, dass es für eine Schule wichtig sei, sowohl Absolventinnen und Absolventen einer „University of Education“ wie anderer Universitäten, die ebenfalls Lehrpersonen ausbilden, anzustellen.
Jetzt, wo ich mich intensiver mit den Lernangeboten in Fukushima befasse, leuchtet das ein.
Fukushima University ist eine nationale Universität mit verschiedenen Fakultäten. Das Angebot ist hier breiter, der Lehrberuf steht weniger im Zentrum. Auch wer Erziehung studiert, wählt vielleicht später einen völlig anderen Beruf und wer den Lehrberuf wählt, hat sich v.a. mit Zielstufe Primar oder Kindergarten, mit verschiedenen Fächern nicht sehr intensiv befasst, dafür einen breiten Horizont erworben.
Das System hat für die Dozierenden Nachteile, weil sich z.B. etwa die Hälfte der Studierenden nicht für didaktische Fragen interessieren, auch wenn sie eine entsprechende Veranstaltung belegen.

Aufnahme
Im Januar legen die Mittelschülerinnen und -schüler, die eine Universität besuchen wollen die zentrale Universitätsaufnahmeprüfung ab, die durch das Entrance Examination Center durchgeführt wird. (PDF).
Die einzelnen Universitäten legen fest, wie sie diese an der zentralen Prüfung erzielten Resultate verwenden wollen, z.B. welche in welchen Fächern die Prüfung abgelegt werden muss und welche Punktzahl nötig ist, damit man sich zur internen Aufnahmeprüfung anmelden kann.
Die Fukushima Universität verlangt mindestens 60% der 1200 möglichen Punkte, also momentan 720, während die Tokyo University etwa 1100 verlangt.
Je nach Uni werden noch Empfehlungsschreiben, Mittelschulzeugnisse usw. verlangt, danach wird man zu den universitätsinternen Prüfungen zugelassen, die einen allgemeinen und einen fachspezifischen Teil haben können.
Wer in Fukushima z.B. ein Studium an der „Faculty of Human Development and Culture“ (von dem meisten immer noch „Education“ genannt) mit dem Major Sport absolvieren möchte, hat einen Aufnahmeprüfungsteil zu bestehen, die sehr ähnlich ist wie die Fertigkeitsprüfung an der PH Zürich.
Die nationalen Universitäten haben zwei Prüfungssessionen, so dass man sich für zwei Aufnahmeprüfungen anmelden kann.
Die privaten Universitäten haben nochmals andere Prüfungstermine, man kann sich also auch dort noch für die Aufnahmeprüfung anmelden. Es gibt private Universitäten, die sehr hohe Anforderungen stellen, bei vielen ist das aber nicht der Fall und es besteht die Angst, dass diese Unis (mit dem Rückgang der Interessentinnen und Interessenten durch den Geburtenrückgang) die Anforderungen nochmals senken.

In Fukushima, wie an den meisten Universitäten hat jeder Studiengang („class“) hat eine vorher bestimmte Anzahl Studienplätze. „Sports Pursuit“ also z.B. 40, „Lifelong Sports“ 15 und „Arts and Culture“ ebenfalls 15 (vgl. die Studiengänge unten). Die Kandidierenden mit den besten Prüfungsergebnissen werden dann aufgenommen, häufig liegt die Aufnahmequote im einstelligen Prozentbereich.
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Vier Fakultäten, Studiengänge mit verschiedensten Wahlmöglichkeiten
Fukushima University verfügt über vier Fakultäten:

  • Faculty of Human Development and Culture. Die Fakultät hiess früher „Faculty of Education“. Bis 2005 machten auch alle, die an dieser Fakultät ein Studium absolvierten, einen Abschluss als Lehrperson. Unterdessen schliesst nur noch etwas die Hälfte der Studierenden mit einem Lehrdiplom ab.
  • Faculty of Administration and Social Sciences
  • Faculty of Economics and Business Administration
  • Faculty of Symbiotic Systems Science (mit Symbiotic Systems Science ist eine Symbiose von Menschen, Natur und Industrie gemeint, hier werden bewusst humanwissenschaftliche und naturwissenschaftliche Ansätze verbunden)

Der Uni ist es wichtig, dass Studierende einer Fakultät auch Veranstaltungen anderer Fakultäten besuchen. Wie ich heraushöre ist dass den Studierenden allerdings etwas weniger wichtig.
In der Uni-Broschüre wird das das mit folgendem Curriculumaufbau dargestellt:
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  • „Studium Generale“ mit z.B. Fremdsprachen, ICT, Friedenserziehung
  • Selbstorganisiertes Studium, hierzu gehören z.B. selbst organisierte Praktika
  • Spezialisiertes Studium, der eigentlichen Kern mit den Veranstaltungen des gewählten Fachs (es ist immer von „Major“ die Rede, die meisten wählen aber nur ein Fach, d.h. einen „Minor“ gibt es nicht)
  • Lehrveranstaltungen innerhalb des Clusters (d.h. meist der Fakultät)
  • Frei wählbare Veranstaltungen, die aus anderen Fächern gewählt werden sollen. Quelle: Uni-Broschüre (PDF)

Faculty of Human Development and Culture: Lehrdiplome in drei verschiedenen „Majors“
Die Fakultät, in der die Lehrerinnen- und Lehrerbildung beheimatet ist, möchte „educators“ in einem weiteren Sinn ausbilden, als auch Personen, die nachher z.B. im Personal- oder Weiterbildungswesen, als Sportlehrerinnen und -lehrer, Sozialarbeitende, Juku-Lehrpersonen, Beamte, NGO-, Bank- und Medienleute usw.
Abschlüsse als Lehrpersonen kann man erwerben für

  • Kindergarten (Generalist/in)
  • Primarschule (Generalist/in)
  • Junior High (ein Fach)
  • High School (ein Fach)
  • Sonderpädagogik

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Das heisst aber nicht, dass die Studiengänge den Lehrdiplomen entlang aufgebaut sind. Man kann folgende Studiengänge (Classes) wählen:
Major in Human Development

  • „Learning Support Class“ (hier studieren in der Regel angehende Primarlehrpersonen)
  • Education Research Class
  • Human Science Class
  • Special Needs Class (angehende Sonderklassenlehrpersonen. Inklusion habe ich in Nara gesehen, hier werden Kinder mit besonderen Bedürfnissen aber eher separiert)
  • Child Education Support Class (v.a. von angehenden Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen belegt)

Major in Cultural Exploration

  • Language and Culture Classes (auch von angehenden Jr High und High School-Lehrpersonen belegt)
  • Local Community Life and Culture Classes
  • Mathematical Science Class (v.a. angehende Jr High und Highschool-Lehrpersonen)

Major in Sports and Arts (hier studieren viele Studierende mit dem Ziel Primar-, Junior High, und Highschool)

  • Sports Pursuit Class
  • Lifelong Sports Class
  • Art and Culture Class

Studienverlauf
Die ersten beiden Jahre des vierjährigen Studiums sind relativ hoch strukturiert. Ein Stundenplan kann dann etwa so aussehen.
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Quelle: Uni-Broschüre (PDF)
Im dritten und vierten Jahr werden aber viel weniger Veranstaltungen besucht, das Lernen für die Abschlussprüfungen und das Schreiben der Diplomarbeit ist dann im Vordergrund, im 4. Studienjahr belegt man nur noch etwa zwei Veranstaltungen.
Die Uni schreibt vor, dass man nicht über 24 Punkte pro Semester belegen darf. 1 Punkt entspricht einer Semesterwochenstunde.
Das Semester dauert 15 Wochen, dazu kommt eine Prüfungswoche pro Semester. In den Zwischensemestern wird gelernt, z.T. gibt es Studierendenvereine, die das gemeinsame Lernen organisieren.
Die meisten Studierenden tragen etwas zur Finanzierung ihres Studiums bei, d.h. sie arbeiten z.B. zwei Mal pro Woche von 17 Uhr bis ein Uhr nachts in einem Restaurant.

Berufsziel und Studium haben einen sehr losen Zusammenhang
Beim Gespräch mit den Studierenden und Reiko wird mir klar noch klarer, was ich eigentlich wusste und nochmals in Nara erfahren habe: Auch in den erziehungswissenschaftlichen Studiengängen haben Studium und Berufsziel keinen sehr grossen Zusammenhang. Diese Tendenz ist in den „Universities of Education“ etwas weniger stark als in den „National Universities“. Für die Studierenden ist es einfach wichtig, ein Studium abzuschliessen. Während die drei Frauen, mit denen ich gestern gesprochen habe, gerne Lehrerin werden möchten, verstehen die beiden Männer heute meine Frage nicht ganz. Sie sind in der „Sports Pursuit Class“, möchten aber nach Studienabschluss in einem Privatunternehmen, z.B. einer Bank arbeiten. Studium und spätere Arbeit sind für sie nicht verbunden. Das Studium dient der Erweiterung des Horizonts, dem Verfolgen der eigenen Interessen, es ist auch eine Transitionsphase zwischen der harten Mittelschule und der wieder harten Arbeitswelt. Es ist wichtig, an einer guten Universität studiert zu haben – die Phase der Berufsfindung findet aber während des Studiums statt und nicht vorher, man studiert also nicht auf ein Berufsziel hin, sondern eher, um eigene Interessen zu verfolgen und sich klar zu werden, welchen Beruf man ergreifen möchte.

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Beschäftigungsaussichten
Die Aussichten sind sowohl für Lehrpersonen (wegen des Geburtenrückgangs) wie für die übrigen Berufe (wegen der noch nicht überwundenen Wirtschaftskrise) leider nicht sehr gut, d.h. beim Übergang in den Beruf findet nochmals eine starke Selektion statt. Die angehenden Lehrerinnen und Lehrer absolvieren Prüfungen der Präfektur, in der sie tätig sein wollen, die angehenden Banker z.B. Persönlichkeitstests, Interviews und Assessments, bei denen die Sozialkompetenz im Vordergrund steht.

Ich könnte noch lange mit Studierenden und Dozierenden sprechen und in der Bibliothek lesen. Reiko wüsste auch, welche Vorlesung ich hier halten könnte. An Plänen für eine nächste Reise mangelt es nicht. Aber ich muss bald weiter, ich möchte das Wochenende noch in Tokio verbringen, bevor ich nach Korea, meiner letzten Station auf dieser Reise, weiterfliege.

Primarschule Fukushima

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Reiko, die mal ein halbes Jahr an der PH Zürich als Gastdozentin verbracht hat und ihre Kolleginnen und Kollegen freuen sich sehr über meinen Besuch in Fukushima. Es war mir wenig bewusst, aber das Gebiet wird seit dem Reaktorunfall von Besucherinnen und Besuchern gemieden, mein Besuch wird auch deshalb sehr geschätzt.
Ich habe ausgiebig Gelegenheit, die der Uni angegliederte Primarschule, und die Lehrpersonenbildung an der Uni zu besuchen. Und ich verbringe jeden Abend in sehr netter Gesellschaft, esse rohen, geräucherten, luftgetrockneten, gesalzenen, gegrillten und gebratenen Fisch, Yakitori, Tempura und weitere exquisite Speisen, trinke Bier, ganz verschiedene Sake und Shochu aus Weizen, Buchweizen und Kartoffeln und bin einmal mehr völlig eingenommen von der Gastfreundschaft der Japanerinnen und Japaner und ihrer Herzlichkeit.
Hier einige Eindrücke von meinem Besuch in der Primarschule, die auch hier die Klassen 1 – 6 umfasst.

Organisation
614 Schülerinnen und Schüler, d.h. je um die 100 pro Jahrgang.
Die Klassengrösse nimmt wegen des Geburtenrückganges ab. In Japan beträgt sie in der Regel um die 35, in Fukushima liegt sie momentan darunter.
50 Lehrpersonen, alle arbeiten Vollzeit (d.h. viel mehr als das, was wir unter Vollzeit verstehen)
Viele der zusätzlich benötigten Angestellten werden mehr oder weniger auf freelance-Basis beigezogen. Die Köchinnen sind z.B. Mütter oder Frauen der Lehrpersonen
Die „affiliated school“ der Universität („Fuzoku“ Elementary School) ist auch zuständig für die Praktika der Studierenden des Studienganges Primarlehrperson der Uni Fukushima. Nächste Woche werden wieder 60 Studierende ihr 4-wöchiges Praktikum starten
Die Uni hat dementsprechend auch bei der Personalauswahl ein Mitspracherecht. Die Präfektur schlägt z.B zwei bis drei geeignete Personen für die Position der Schulleiterin, des Schulleiters vor und die Universität kann sich dann für jemanden dieser Kandidierenden entscheiden.
Die Schule ist beliebt, sie kann nicht alle Interessentinnen und Interessenten aufnehmen und führt deshalb eine Aufnahmeprüfung nach dem Kindergarten durch. Von den 130 Interessierten konnten letztes Jahr 105 aufgenommen werden. Der logische Weg nach der Fuzoku Elementary School der Uni Fukushima führt in die Fuzoku Junior High School. In der Regel schaffen fast alle Sechstklässlerinnen und Sechstklässler den Übertritt. Letztes Jahr konnten in die Junior High noch 40 weitere Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden.

Die Schule hat Fünftagewoche. Es gibt einen fixen Stundenplan für die ganze Schule. Am Morgen mit zwei 100-Minuten-Blöcken, am Nachmittag in der Regel mit zwei 45-Minuten-Lektionen und Zeit für Spielen, an dem sich auch die Lehrpersonen beteiligen. Im Stundenplan ist auch Zeit fürs Putzen des Schulhauses eingeplant (zwei Mal wöchentlich intensiv, drei Mal Besenreinigung). Es ist selbstverständlich, dass die Schülerinnen und Schüler selbst putzen. Die WC werden ebenfalls von Schülerinnen und Schülern nass aufgenommen, nach Schulschluss kommen werden sie aber von Putzfrauen nochmals intensiv geputzt.
Das Mittagessen nehmen die Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer ein. Sie holen ihr Essen in der Küche mit einem Wägelchen ab und zwei Schülerinnen oder Schüler schöpfen es dann ihren Mitschülerinnen und Mitschülern. In der ersten und zweiten Klasse helfen Kolleginnen und Kollegen aus oberen Klassen beim Ausgeben des Essens. Die Lehrpersonen essen ebenfalls im Klassenzimmer.
„Bibliotheksdienst“ haben ebenfalls Schülerinnen und Schüler. Sie gehen gekonnt mit den Scannern um und leihen ihren Mitschüler/innen Bücher aus.
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Die Bücherausgabe wird von Schülerinnen und Schülern betreut

Juku
Juku, d.h. Zusatzunterricht an privaten Institutionen nehmen sehr viele Schülerinnen und Schüler. Die Eltern erachten das angesichts der akademischen Berufswünsche ihrer Kinder (viele wollten Ärzte oder Ärztinnen werden) für nötig, damit sie später einmal die Aufnahmeprüfung in eine gute Universität bestehen. Auch finden die Eltern, angesichts der Globalisierung müssten die Kinder schon früh Englisch lernen. Die Englischlektionen ab 5. Klasse der Primarschule genügen ihnen nicht, sie seien vor allem aufs Hörverstehen und Sprechen ausgerichtet und in den Augen der Eltern zu spielerisch aufgebaut.

Unterricht
In einigem habe ich das Gefühl, einfach eine gute Schule zu sehen – unabhängig davon, ob das jetzt eine schweizerische oder eine japanische Schule ist. Anderes scheint mir kulturspezifisch zu sein.
In den Lektionsbesuchen fällt mir auf:

  • Das Verhältnis Lehrpersonen – Schülerinnen und Schüler ist herzlich. In den Pausen, wenn man zusammen spielt, klemmt ein Lehrer auch einmal eine Unterstufenschülerin unter die Arme, die Schulleiterin herzt eine andere Schülerin.
  • die Türen zu den Klassenzimmern – sofern überhaupt vorhanden – sind immer offen, z.T. sind die Klassenräume ganz offen, d.h. ohne Wand gegen den Korridor oder haben Fenster auch zum Korridor hin.
  • Einräder und damit das Halten der Balance haben ihren festen Platz an den Schulen und werden in den Pausen und im Sportunterricht verwendet (in Nara dachte ich, das sei eher eine Spezialität der dortigen Schule)
  • die Schülerinnen und Schüler sind konzentriert, die „time on task“ ist hoch
  • die Schülerinnen und Schüler hören sich gegenseitig gut zu, sie sind sogar konzentrierter dabei, wenn eine Klassenkameradin oder ein Klassenkamerad spricht als wenn die Lehrperson etwas erklärt
  • Ich habe den Eindruck, dass die Schülerinnen und Schüler nach einer relativ kurzen Sequenz des selbständigen oder kooperativen Arbeitens, des eigenständig nach Lösungen Suchens schnell zur richtigen Lösung für ein Problem hingeführt werden. „Scaffolding“ hat hier Priorität vor der eigenständigen Wissenskonstruktion. Dies macht den Unterricht recht effizient, wenn auch hier und dort wohl auf Kosten des tiefen Verstehens oder der eigenen Kreativität. Auch im Musikunterricht in Grossgruppen verläuft das Blockflötenspielen – in einer herzlichen Atmosphäre – ganz nach dem Vormachen-Nachmachen-Prinzip.

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Kalligraphie wird durch eine Fachlehrerin erteilt, die wegen ihrer besonderen Fähigkeiten das Lehrdiplom bekommen hat
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Der Musikunterricht entspricht im Unterschied zu vielen anderen Fächern wohl nicht ganz den schweizerischen musikdidaktischen Prinzipien – aber er findet statt
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Textiles Werken mit 32 Schülerinnen und Schülern
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Science-Lektion zum Thema Elektrizität
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Das Schreiben eines Aufsatzes wird mit einer Mindmap vorbereitet

Hausaufgaben
Es gibt keine „klassischen“ Hausaufgaben, in denen z.B. Rechenoperationen geübt oder Aufsätze geschrieben werden. Hausaufgaben gehen eher in Richtung, eine Fragehaltung aufzubauen, die eigenen Interessen und das eigene Potenzial besser kennen zu lernen. Reiko erklärt, dass ein Kind, das gerne draussen sei, also z.B. in den Wind stehe, versuche den Wind zu spüren und Fragen zusammenstelle: warum spüre ich den Wind, warum ist das so verschieden, wenn ich geschwitzt habe und wenn nicht, warum ist der Wind manchmal warm, manchmal kalt? Solche Fragen sollen die Kinder dann selbst zu beantworten suchen und die Antworten oder noch offene Fragen in die Schule mitbringen. Erwünscht sei auch, dass man z.B. zu Hause werke. Wenn man in der Schule das Nähen gelernt habe, solle man das zu Hause weiter üben, den Eltern komme bei der Entscheidung, mit welchem Werkstoff gearbeitet werden solle, eine wichtige Beratungsfunktion zu. Für die Ferien werden regelmässig Aufgaben gegeben wie „Erlebnisse malen“, „Insekten beobachten und die Beobachtungen festhalten“, „Tagebuch schreiben“, „Ein fotografisches Tagebuch zusammenstellen“.

Zusammenarbeit mit Eltern
Es existiert, wie überall in Japan eine PTA (Parents-Teacher-Association), die bei Schulanlässen mithilft, sich regelmässig trifft, Anregungen gibt usw. Eltern können nach Voranmeldung jederzeit in die Schule kommen und z.B. Unterricht beobachten. Es gibt institutionalisierte Gespräche mit Eltern, für die bestimmte Zeiträume vorgesehen sind (September, Dezember/Januar usw.). An dieser Schule finden die Elterngespräche in der Schule statt, es gibt aber viele Schulen, in denen die Lehrpersonen diese Gespräche bei der Familie zu Hause durchführen.

Lehrplan
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Seit der letzten Überarbeitung, die den Schülerinnen und Schüler mehr Freizeit hätte bringen sollen, wurde die Stundendotation wieder erhöht. Japanisch wurde gestärkt, ebenso Social Studies, Arithmetik und Science. Gekürzt wurde dagegen die Zeit für den von den Schulen selbst verantworteten fachübergreifenden Unterricht.
Sport heisst unverändert „Leibeserziehung“.
In den ersten beiden Schuljahren haben – das ist mir schon in Nara aufgefallen – die „Living Environment Studies“ ihren festen Platz. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich in diesen drei Jahreswochenstunden intensiv mit der Natur auseinander. Sie sind meistens draussen, beobachten die Natur, ziehen z.B. Frösche auf. ESD, d.h. Education for sustainable development hat an den Schulen einen festeren Platz als in der Schweiz. Die Grundlage wird in den „Living Environment Studies“ sehr handlungsorientiert gelegt, nachher wird das Thema in „Science“ weiterbearbeitet.
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Social Living Studies
Unter „Special Activities“ sind z.B. Planungsarbeiten für eine Exkursion, den Schuljahresabschluss usw. subsummiert.
Moralische Erziehung erinnert an einen stark gelenkten Lebenskunde-Unterricht. Es werden z.B. Situationen besprochen, in denen ein Kind, einen verbotenen Weg gehen will, weil das viel schneller gehe. Die Schülerinnen und Schüler argumentieren dann über Vor- und Nachteile und kommen natürlich zum Schluss, dass der verbotene Weg nicht eingeschlagen werden soll.
Im fächerübergreifenden Unterricht werden die drei Klassen eines Jahrgangs zusammengenommen und bearbeiten miteinander ein Thema. Eines ist „Sonnenblume“ ein weiteres – nicht überraschend für Fukushima – „Carry on“. Mach weiter, es muss weiter gehen, schaue optimistisch in die Zukunft ist der Tenor dieses Themas. Ein Jahr später heisst das Thema „Regenbogen“. Es geht um Verschiedenheit, wie sie in den Farben des Regenbogens zu finden ist, ein Verschiedenheit, die miteinander harmonieren muss – auch wie im Regenbogen. Auch dies ein sehr japanisches Thema, wie mir scheint.
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Carry on…
Schulleitung, Lehrpersonen
Schulleitungen werden von der Präfektur eingesetzt und von dieser auch wieder abberufen. Die Verweildauer an einer Schule beträgt zwischen einem und acht Jahren, spätestens dann wird man versetzt. Reiko erachtet eine Amtsdauer von drei bis vier Jahren als optimal. Sie wird entsprechend nächstes Jahr zurücktreten und dann wieder vollamtlich an der Uni tätig sein.
Auch Lehrpersonen werden von der Präfektur eingesetzt und allenfalls versetzt, wobei sie sich selbst für Stellen an anderen Schulen bewerben können.
Lehrpersonen arbeiteten – wie die meisten Japanerinnen und Japaner – extrem lange. Offiziell beginnt die Präsenzzeit an der Schule vor acht Uhr und endet um 18:00 Uhr. An anderen Schulen endet sie etwas früher, sie haben dafür keine dreiwöchige Sommerpause. Das heisst aber nicht, dass die Lehrpersonen um 18:00 Uhr nach Hause gehen, die meisten arbeiten bis 22:00 Uhr in der Schule weiter. Der Verwaltungsleiter (der auch so lange bleibt) muss dann jeweils mit dem Mikrophon alle auffordern jetzt nach Hause zu gehen.
Auch die drei Wochen Ferien werden von kaum jemandem eingezogen. Warum? „Das ist japanisches Denken“. Aber Reiko ist auch der Meinung, dass das nicht gesund sei. Sie sieht ein Hauptproblem darin, dass alle so sozialisiert sind, sämtliche Arbeiten, die anstehen auch zu erledigen. Und weil im Lehrberuf letztlich nie alles erledigt ist, arbeiten die Lehrpersonen weiter und weiter. (So ganz unbekannt kommt mir das ja nicht vor…) Schlafmangel sei ein grosses Problem. Einige werden dann tatsächlich krank und können nicht mehr arbeiten. Eine wichtige Herausforderung aller an der Schule Beteiligten sei zu lernen, Prioritäten zu setzen. Aber eben, das sei bei all den Anforderungen, die auch von Elternseite kämen, sehr schwierig. Zwei Personen auf der zweiten Führungsebene seien fast nur damit beschäftigt, das Telefon zu bedienen und Anliegen von Eltern zu bearbeiten. Zwei Mal im Monat sitzt die Schulleitung mit einer Beraterin zusammen und macht eine Art Supervision.
Die Lehrpersonen machen vier Mal im Jahr eine kollegiale Unterrichtsbeobachtung.
Ausspannen wäre wichtig. Mir fällt aber auch auf, wie die Vorstellung von Ausspannen völlig anders ist als in Europa. Sich wirklich gut zu erholen heisst z.B., eine Woche Ferien zu nehmen und nach Europa fliegen… Das ist mir schon in anderen Gesprächen aufgefallen. Die Zeit, sich zu erholen, wird extrem kleinräumig bemessen. Auch Erholung geht – wie alles hier – äusserst effizient vor sich.
Teilzeitarbeit ist für Lehrpersonen nicht möglich.
Reiko hatte in Zürich ähnliche Momente des Staunens wie ich in Japan. Die vielen Dozierenden und Lehrpersonen mit Teilzeitpensum sind ihr aufgefallen. Oder, dass man in der Schweiz das Gefühl habe, viel zu arbeiten; dabei gingen viele schon vor 17 Uhr nach Hause. „Aber das ist schweizerisches Denken“. Reiko fasst zusammen, dass in der Schweiz das übrige Leben wichtiger sei als die Arbeit. In Japan sei das genau umgekehrt.

Und ja, wie ich gestern beschrieben habe, ist auch der Kernkraftwerkunfall präsent.