Tamami hat mich zu einem Besuch in ihrer Primarschule, der Ochanomizu Elementary School im Zentrum von Tokio eingeladen. Der Principal und die Vize-Schulleiterin begrüssen mich, auf dem Vorplatz findet gerade die Morgengymnastik aller Klassen statt und ich darf mit dem Mikrophon einige Worte an alle Schülerinnen und Schüler richten.
Nachdem auch der Principal etwas gesagt hat und der Sportlehrer Anweisungen, wie für den Elterntag geübt werden soll, gegeben hat, marschieren alle in ihre Klassen zurück (marschieren ist das eigentlich noch nicht; wie mir alle Lehrpersonen versichern, werden sie das bis zum Elterntag im Oktober aber mit ihren Klassen eingeübt haben und dann zu Musik auf- und abmarschieren).
Der Unterricht, den ich dann den ganzen Morgen – kurz unterbrochen von Tee mit der Schulleitung – beobachten kann, ist konventionell, wo nötig kommunikativ, aber kaum individualisiert, die Schülerinnen und Schüler sind auch bei langen Erklärungssequenzen durch die Lehrperson immer bei der Sache, die Atmosphäre ist gut. Nach jedem Kapitel im Lehrbuch findet eine Prüfung statt – das muss recht häufig sein, ich sehe heute Morgen zwei. Computer sieht man kaum.
Interessant, dass in jeder Klasse entweder eine Klassenhilfe oder meist eine Studentin aus der Lehrpersonenbildung dabei ist. Die Studentinnen beobachten aber lediglich, unterstützen mal ein Kind, das nicht weiterkommt und füllen am Schluss der Stunde ihren Beobachtungsbogen aus. Eine Interaktion mit der Lehrperson findet ausser dem Dank mit Verneigung am Schluss der Lektion nicht statt. Die Studierenden erhalten von den Lehrpersonen auch keine Aufträge, sie dürfen einfach beobachten.
Auf meine Frage an Tamami, ob viele Schülerinnen und Schüler nach der Schule noch in eine Nachhilfeschule (Juku) gingen, fragt sie nach. In der vierten Klasse sind es etwas über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die aufstrecken.
Textiles Werken und Hauswirtschaft werden gemeinsam unterrichtet – die Räume sind multifunktional, man kann unter der Tischplatte hier noch die Kochplatten sehen:
Im Korridor liegen die Sommerferienprojekte auf. In den Sommerferien bearbeitet jedes Kind eine eigene Fragestellung, erstellt eine Dokumentation und bringt alles dann in die Schule mit. In den Pausen erklärt man sich die Projekte gegenseitig.
Zwei Mütter erscheinen plötzlich mit Armbinden („PR-Team“), um mich zu fotografieren. Sie haben sich zur Verfügung gestellt, die Schule in Sachen PR zu unterstützen und wurden nun von der Schulleitung gebeten, Fotos zu machen:
Das Rotationsprinzip gilt auch in Japan, die Präfektur als Anstellungsbehörde versetzt die Lehrpersonen nach in der Regel vier Jahren in eine andere Schule, die Schulleitung meist schon nach drei Jahren.
Der Tag der Lehrpersonen ist sehr lang, Nae hat einen Artikel aus dem Tokio Shimbun vom 24.9. ausgeschnitten, der den Tag einer Junior High School Lehrperson beschreibt. Tamami, die auch gegen die 60 geht, meint, von ihren Kolleginnen und Kollegen, die mit ihr die Ausbildung gemacht hätten, würde keine einzige Frau mehr unterrichten – es sei einfach nicht zu machen.
Mit „Club acitivities“ sind eine Art Wahlfächer (Sport, Mathe-Klub usw.) gemeint, die von den Lehrpersonen betreut werden müssen. Beim Lunch im Klassenzimmer sind die Lehrpersonen ebenfalls dabei, das Essen wird von Schülerinnen und Schülern ausgegeben, die Lehrperson isst ebenfalls, schöpft wo nötig nach, unterhält sich mit den Schülerinnen und Schülern, man spasst auch miteinander, tauscht sich aus. Auch das Putzen (Cleaning) durch die Klassen wird durch die Lehrpersonen begleitet, Putzpersonal braucht es praktisch nicht. Sowohl mit dem Schulhausteam (praktisch alle arbeiten Vollzeit) wie mit der Klasse (bzw. Schule) findet ein Tagesanfang und ein Tagesabschluss statt. Beim Lehrpersonenmeeting sitzen alle im Lehrpersonenzimmer, es ist ähnlich wie ein Schulzimmer eingerichtet, einfach mit grösseren Pulten, an denen man auch vorbereitet. Die Schulleitung sitzt leicht erhöht, gibt Anweisungen oder fragt nach Besonderem. Nach dem Meeting geht man aber nicht nach Hause, sondern bereitet in der Schule weiter vor. Letztes Jahr habe ich erfahren, dass hier auch ein grosser Gruppendruck herrsche und die Schulleitung manchmal schlicht die Lichter löschen müsse, damit alle nach Hause gingen.
Uff, ich bin ganz froh, nach dem guten und unterhaltsamen Schul-Lunch dann einen Quartierrundgang mit Tamami machen zu können – ein Quartier, in dem es Dutzende von Antiquariaten hat, unter anderem mit sehr interessanten Ukiyo-e-Drucken aus der Edo- und Meiji-Zeit.