Cana Brava Records und Balé Folclórico

Nach so viel optischen Eindrücken brauchen wir etwas fürs Ohr und besuchen Cana Brava Records. Der CD-Shop hat eine hervorragende Auswahl von z.T. selbst zusammengestellter Musik aus dem Recôncavo (d.h. dem fünfeckigen Landstreifen um die Bucht Todos os Santos), sein Inhaber betreibt auch die informative Website Salvador Central und die Website Musiccodex, die voller v.a. brasilianischer Musik ist. Wir hören uns Samba an, z.B. von Bule Bule, Afros und Afoxés, Samba Chula, Samba de Roda.

Danach brauchen wir dann etwas für die Kehle und genehmigen uns einen Caipi…

Für den Abend haben wir Billette für das Balé Folclorico da Bahia gekauft. Die Tänzerinnen und Tänzer haben ein Repertoire, das indigene, afrikanische und portugiesische Einflüsse umfasst. Wir sehen Tänze aus dem Pantheon der Orixás, die Kampftänze Capoeira und Maculelé und schliesslich Samba de Roda. Die Körperbeherrschung und Präzision der Artistinnen und Artisten ist sehr beeindruckend. (Capoeira-Bild aus der Pousada do Boqueirão).

 

 

Cordel, Amado, Verger

Am Largo do Pelourinho befindet sich das Museu da Cidade, das Aspekte der Stadtgeschichte und -kultur darstellt. Im Bild oben die Kleidungen in den Farben der Orixas, blauweiss ist z.B. Iemanjá bzw. Yemayá.

Ausgestellt sind auch viele Cordel-Literatur-Hefte: Pamphlete, Groschenromane, Verherrlichungen von Politikern, Poesie. Auch Antonio de Castro Alves, der sich als Dichter der Romantik auch für die Abschaffung der Sklaverei und für die Republik engagierte, ist mit verschiedenen Exponaten im Museum vertreten.

Gleich im Nebenhaus dann die Fundação Casa de Jorge Amado mit der Darstellung seines Lebens und all seinen Büchern samt Entstehungsperiode und -geschichte. Amado hat Salvador wohl das bleibendste Denkmal gesetzt. Seine Bücher waren auch ein Motivator für diese Reise.Den Museumstag wollen wir nicht beenden ohne einen Besuch in der Stiftung des berühmtesten Fotografen Salvadors, Pierre Verger, der seine Werke hier einer Stiftung hinterlassen hat. Die Taxifahrt führt uns zuerst aber lediglich zur Stiftung, in der keine Fotos zu sehen sind, erst im zweiten Anlauf finden wir an der Praça da Sé ein kleines Museum. Die Irrfahrt hat sich aber gelohnt, wir haben ein Quartier ausserhalb des historischen Zentrums kennengelernt und die Schwarzweiss-Bilder sind sehr eindrücklich. (Bild Pierre Verger: Quelle)

Einige Fotos befinden sich auch in der Schweizerischen Stiftung für Fotografie, der Dokumentarfilm „Pierre Fatumbi Verger-Um Menssageiro entre dois Mundos“ ist auf Youtube verfügbar.

 

Museu Afro-Brasileiro und Museu de Arqueologia e Etnologia

In der alten medizinischen Fakultät befinden sich das Museu Afro-Brasileiro und das Museu de Arqueologia e Etnologia. Wir sehen eine temporäre Ausstellung über den Tanz Kiebe-Kiebe aus Kongo-Brazzaville. Die Einflüsse bzw. stellenweise die Identität von afrikanischer und afro-brasilianischer Kultur sind im ganzen Museum augenfällig.

In der Hauptausstellung wird einerseits die Geschichte der Sklaverei dokumentiert, andererseits werden die verschiedenen Candomblé-Orixas erklärt und mit Holzschnitzereien dargestellt. Gleichzeitig weden die Orixas in der Gegenwartskunst ins Licht gerückt, hier z.B. Exu, dem die Farben schwarz und rot zugeordnet sind, der Herr der Wege, der ständig in Bewegung ist:Das Museu de Arqueologia e Etnologia dokumentiert die Geschichte von Stadt und Umgebung, hier werden z.B. die verschiedenen Stammesgebiete, Begräbnisrituale oder die Geschichte des ersten Bischofssitzes dargestellt.

Sonntag in Salvador

Lange nach Mitternacht treffen Elisabeth und Andi ein, wir treffen sie am Sonntagmorgen in der Lobby. Gemeinsam schlendern wir zum Largo do Pelourinho. In der Nossa Senhora do Rosário dos Pretos ist ein Gottesdienst – wie im Reiseführer steht mit Candomblé-Elementen – im Gang, über den Largo ziehen andere christliche Gruppierungen, die ihre Lieder mit einem Lautsprecherwagen verstärken.

Evangelikale Gruppierungen sind in den letzten Jahren in Brasilien sehr stark gewachsen (→ NZZ).

In den Gassen ist aber auch das Trommeln von Jugendlichen mit ihrem Mestre zu hören. Die Jugendgruppe der Banda Swing do Pelo (→ YouTube) macht so quasi Vortragsübungen.Am Nachmittag fahren wir dann nach Barra an den Stadtstrand, wo sich eng zusammengepfercht halb Salvador vergnügt. (Foto: Aristides Baptista/Agência A Tarde)Gegen Abend – vor Caipi und Nachtessen – besuchen wir den Übungsraum der Filhos de Gandhy, eines berühmten Karnevals-Bloco. Er wurde 1949 gegründet, als der Karneval noch rein „europäisch“ war, d.h. keine Perkussionsgruppen, keine afro-brasilianische Musik.  Mit dem Namen Gandhi sollte die Gewaltfreiheit unterstrichen werden (→ Salvador Central).

MAM und Fahrt nach Itaparica

MIt dem Elevador Lacerda fahren wir in die Unterstadt und gehen dann durch eine eher zweifelhafte Gegend zum MAM (→ Museu de Arte Moderna), das am Meer in einer alten Zuckermühle untergebracht ist. Leider ist das Museum bis auf weiteres geschlossen, aber die Anlage anzuschauen lohnt sich trotzdem und die Bar mit Blick auf das Meer ist geöffnet. Zuckerrohr war für die Entwicklung Bahias sehr wichtig und ist es – mit ökologischen Folgen – noch heute (→ Brot im Tank).

Danach nehmen wir ein Schiff nach Itaparica. Auf der Überfahrt sind wir mit der Alternative zum Zuckerrohrtreibstoff Ethanol, mit Erdöl konfrontiert. Dutzende Tanker warten, um in der Raffinerie Landulpho Alves, eine der Raffinerien der Petrobras be- oder entladen zu werden.

Dass Salvador eine Stadt mit mehr als 3 Millionen Einwohner ist, haben wir bisher erst auf der Fahrt vom Flughafen bemerkt, auf dem Schiff wird uns die Grösse wieder bewusst.

Praça da Sé

Wir schlendern über die Praça da Sé, den Platz des ersten Bischofssitzes, der in den 30-er Jahren einer Tramschleife weichen musste, (→ Wikipedia port.). Ein Denkmal haben hier der erste Bischof, der nach seiner Absetzung vermutlich von Ureinwohnern verspeist wurde (→ Country Studies for the Library of Congress),

der geschleifte Bischofssitzund Zumbi von Palmares. Zumbi war der letzte Anführer des Quilombos Palmares. Quilombos waren Dörfer, die von geflohenen Sklaven im Hinterland gegründet wurden. Diese Siedlungen wurden flächen- und einwohnermässig oft sehr gross und konnten über Jahrzehnte Bestand haben, bevor sie von den Truppen (bzw. Banden) der Kolonialherren ausgehoben werden konnten. Palmares zählte bis zu 30’000 Einwohner, Zumbi war sein letzter Anführer. Er wurde am 20. November 1695 geköpft, der 20. November ist heute der „Tag des schwarzen Selbstbewusstseins“. (→ Black History Heroes)

 

Igreja e Convento de São Francisco

Zwischen 1703 und 1723 wurden Kloster und Barockkirche São Francisco gebaut. (→ Barock in Brasilien, Kulturstiftung der Bank Itau, portugiesisch) Eine goldene Kirche sollte es werden, die da mit viel Sklavenarbeit errichtet wurde. Tatsächlich ist sie überfrachtet mit goldplatinierten Figuren und Ornamenten. „Ein Feuerwerk an Verzierungen“, wie der Reiseführer schreibt.

Die meisten Figuren entsprechen dem portugiesisichen Geschmack der Zeit, beim Chorgestühl haben wir den Eindruck, dass die afrikanischen Arbeiter stärker auch ihre eigene Kunst verwirklichen konnten.Der Kreuzgang ist mit Azujelo-Bildern aus Portugal verziert, die Bilder haben holländischen Ursprung und stellen das Teatro Moral de la Vida Humana darstellen. (→ De zeventiende eeuw. (Zs.) Beschreibung in englisch)

Nossa Senhora do Rosàrio dos Pretos

„A casa é sua“ begrüsst uns ein freundlicher Angestellter, als wir als erstes am Morgen am Largo do Pelourinho die Kirche Nossa Senhora do Rosário dos Pretos (rechts im Bild) anschauen. Sie wurde im 18. Jahrhundert für (und natürlich von) Sklaven erbaut. Verehrt werden vor allem schwarze Heilige.

Viele Heilige haben auch eine Entsprechung in der afro-brasilianischen Candomblé-Religion. Die heilige Barbara z.B., die in der Kirche ebenfalls verehrt wird, ist im Candomblé Iansã. (→ Handout u.a. über Candomblé von der University of Texas at Austin, PDF)

Am Kirchenausgang die in Salvador omnipräsenten Fitinhas. In früheren Zeiten wählte der Gläubige das Band mit der Farbe des Orixás (Candomblé-Gottheit), „dem er untergeordnet war beziehungsweise des Orixás , dessen man an dem Tag gedachte. Mit drei Knoten wurde das Band am rechten Handgelenk angebracht. Für jeden Knoten konnte sich der Empfänger etwas wünschen. Das Band durfte nicht mehr entfernt werden, und wenn es von alleine abfiel, waren die drei Wünsche erfüllt.“ (Wikipedia)

São Salvador da Bahia de Todos os Santos

Während einer Studienreise letztes Jahr (Stationen der Reise) hatte mich Brasilien fast elektrisiert. Salvador wollte ich kennen lernen, seit ich „Dona Flor und ihre zwei Ehemänner“ von Jorge Amado gelesen hatte. Die Neuausgabe seiner „Werkstatt der Wunder“ (NZZ) verstärkte diesen Wunsch noch.

Beim Eindunkeln sind Manuela und ich jetzt in Salvador da Bahia gelandet. Der Taxifahrer findet die Pousada Bouqueirão im zentralen Stadteil Santo Antônio im zweiten Anlauf. Von unserem Balkon Blick auf Unterstadt und Hafen. Wir spazieren Richtung Pelourinho, bestellen in einem Innenhof Moqueca und Caipirinha, hören einer Sängerin zu und sind schon sehr weit von Zürich entfernt.

Auf dem Rückweg sehen wir beim Tor zu einer Lagerhalle ein Plakat „A melhor sexta de Salvador“ – die beste Freitagnachtmusik Salvadors. Die überall üblichen Plasticstühle, fröhliche Zuhörer, die sich alle kennen und guter, lauter Samba-Reggae. Nach einigen Stücken drohen wir trotz der vielen Dezibel aber einzuschlafen, der Jetlag holt uns ein.